Entscheidungsdatum: 02.02.2016
Eine unzulässige Hauptberufung ist in eine unselbstständige Anschlussberufung umzudenken, wenn die Voraussetzungen für eine zulässige Anschlussberufung vorliegen und die Umdeutung von dem mutmaßlichen Parteiwillen gedeckt wird.
Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers wird der Beschluss des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 6. August 2015 insoweit aufgehoben, als die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 13. Zivilkammer des Landgerichts Bonn vom 25. März 2015 als unzulässig verworfen worden ist.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen, dem auch die Entscheidung über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens vorbehalten bleibt.
Streitwert: 119.642,45 €
I.
Der Kläger begehrt von den Beklagten Schadensersatz, Schmerzensgeld und Feststellung aus einem Verkehrsunfall.
Das Landgericht hat der Klage teilweise stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen. Das Urteil des Landgerichts ist dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 27. März 2015 und dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten am 30. März 2015 zugestellt worden. Beide Parteien haben gegen das Urteil Berufung eingelegt. Mit Schriftsatz vom 7. Mai 2015 hat der Prozessbevollmächtigte der Beklagten beantragt, die Frist zur Begründung der Berufung um einen Monat bis zum 30. Juni 2015 zu verlängern. Die Vorsitzende des Berufungssenats hat daraufhin ein Schreiben an die Prozessbevollmächtigten mit folgendem Inhalt veranlasst:
"(...) wird auf Antrag von Rechtsanwalt B. die Frist zur Einreichung der Berufungsbegründung bis zum 30.06.2015 verlängert (...)"
Nach Eingang der Berufungsbegründung der Beklagten setzte die Vorsitzende dem Kläger eine Frist zur Erwiderung auf die Berufungsbegründung bis zum 22. Juli 2015. Ferner wies sie ihn darauf hin, dass seine Berufung nicht fristgerecht begründet worden sei. Mit am 25. Juni 2015 bei dem Berufungsgericht eingegangenem Schriftsatz hat der Kläger seine Berufung begründet und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.
Mit dem angegriffenen Beschluss hat das Berufungsgericht den Antrag auf Gewährung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückgewiesen und die Berufung des Klägers als unzulässig verworfen. Gegen die Verwerfung seiner Berufung wendet sich der Kläger mit der Rechtsbeschwerde.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist von Gesetzes wegen statthaft (§ 522 Abs. 1 Satz 4, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO). Sie ist auch im Übrigen zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Fall 2 ZPO).
Die Rechtsbeschwerde wendet sich nicht gegen die zutreffende Annahme des Berufungsgerichts, dass der Kläger die Frist zur Begründung der (Haupt-)Berufung versäumt hat. Zu Recht rügt sie aber, dass der angefochtene Beschluss nicht bestehen bleiben könne, weil die unzulässige Berufung in eine zulässige Anschlussberufung im Sinne des § 524 ZPO umgedeutet werden kann und muss (vgl. BGH, Beschlüsse vom 30. Oktober 2008 - III ZB 41/08, VersR 2010, 89 Rn. 10 ff.; vom 13. Oktober 2011 - VII ZB 27/11, ZfBR 2012, 140; vom 16. Oktober 2014 - VII ZB 15/14, NJW-RR 2015, 700 Rn. 15; jeweils mwN).
1. Auch im Verfahrensrecht kann der Gedanke des § 140 BGB (Umdeutung) herangezogen werden. Für die Umdeutung genügt es, wenn diese von dem mutmaßlichen Parteiwillen gedeckt wird. In aller Regel wird eine Partei eine unzulässige Hauptberufung als zulässige Anschlussberufung retten wollen (BGH, Urteil vom 6. Mai 1987 - IVb ZR 51/86, BGHZ 100, 383, 387 f.; Beschluss vom 30. Oktober 2008 - III ZB 41/08, aaO Rn. 11). Dies hat der Kläger in der Rechtsbeschwerdebegründung auch ausdrücklich klargestellt.
Soweit die Beklagten dagegen einwenden, der Wille des Klägers, seine unzulässige (Haupt-)Berufung als Anschlussberufung aufrechtzuerhalten, sei im Berufungsverfahren nicht ausreichend zum Ausdruck gekommen, ist das nicht erforderlich. Die Auslegung darf in Fällen der vorliegenden Art nur nicht ergeben, dass die Partei ausschließlich ein selbständiges Rechtsmittel einlegen und keinesfalls - etwa als ein Weniger oder hilfsweise - auch die Abhängigkeit von dem Rechtsmittel des Gegners gewollt hat (vgl. BGH, Urteil vom 6. Mai 1987 - IVb ZR 51/86, aaO, 388). Das wird von den Beklagten nicht aufgezeigt und ist auch sonst nicht ersichtlich.
Es trifft vor diesem Hintergrund entgegen der Ansicht der Beklagten auch nicht zu, dass der betroffenen Partei gestattet wäre, im Rechtsbeschwerdeverfahren noch Erklärungen abzugeben, die die Zulässigkeit des Rechtsmittels beeinflussen. Die in der Rechtsbeschwerdebegründung erfolgte Klarstellung, dass der Kläger seine unzulässige Hauptberufung als zulässige Anschlussberufung ansehen will, stellt nach dem Ausgeführten keine Voraussetzung für die Umdeutung dar.
2. Die formellen Voraussetzungen des § 524 ZPO sind im vorliegenden Fall - wovon auch die Beschwerdeerwiderung ausgeht - gewahrt, insbesondere bestehen gegen die Rechtzeitigkeit der Anschließung keine Bedenken. Auch wenn in den mit der klägerischen Berufungsbegründung angekündigten Anträgen eine Klageerweiterung liegen sollte, was hier keiner Klärung bedarf, wäre eine solche im Rahmen einer Anschließung zulässig (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Dezember 1951 - GSZ 2/51, BGHZ 4, 229, 234; Senatsurteil vom 10. Mai 2011 - VI ZR 152/10, VersR 2011, 882 Rn. 10; BGH, Urteil vom 9. Juni 2011 - I ZR 41/10, GRUR 2012, 180 Rn. 22).
3. Der Streitwert war in Abänderung des Beschlusses des Senats vom 20. Oktober 2015 auf 119.642,45 € festzusetzen, weil der Kläger mit der (Anschluss-)Berufung in der Hauptsache lediglich noch die geltend gemachten Ansprüche auf Ersatz für den Verdienstausfall weiterverfolgt.
Galke Stöhr Offenloch
Oehler Roloff