Entscheidungsdatum: 20.03.2014
Eine auswärtige (Groß-)Baustelle ist keine regelmäßige Arbeitsstätte i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG, auch wenn sie der Arbeitnehmer fortdauernd und immer wieder aufsucht.
I. Streitig ist, ob Aufwendungen für die Wege zwischen Wohnung und einer Tunnelbaustelle nach Maßgabe der Entfernungspauschale oder nach Dienstreisegrundsätzen als Werbungskosten zu berücksichtigen sind.
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) schloss am 23. August 2006 mit der Arbeitsgemeinschaft ... (ARGE), die ihren Sitz (Baubüro) in C hat, einen Arbeitsvertrag. Nach diesem Arbeitsvertrag sollte der Kläger befristet für die Zeit vom 14. August 2006 bis 30. Juni 2008 bei der ARGE beschäftigt werden. Als Dienstort wurde die Baustelle in C vereinbart. Nachdem das Arbeitsverhältnis in der Folgezeit bis zum 31. Dezember 2008 verlängert worden war, vereinbarten der Kläger und die ARGE im November 2008 die unbefristete Fortführung des Arbeitsverhältnisses über den 1. Januar 2009 hinaus bis zum Ende der Betonarbeiten des Bauvorhabens in C.
In den Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre 2008 und 2009 machte der Kläger bei seinen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit u.a. für die Fahrten zwischen seiner Wohnung in F und der Baustelle in C Fahrtkosten im Rahmen einer Auswärtstätigkeit geltend, weil eine regelmäßige Arbeitsstätte nicht vorhanden sei. Dementsprechend machte er die tatsächlichen Fahrtkosten mit 0,30 € pro gefahrenem Kilometer als Werbungskosten geltend, und zwar für 48 Fahrten von F nach C (Entfernung = 200 km) und für 230 Fahrten von der Baustellenunterkunft in C zur Baustelle (Entfernung = 18 km).
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) folgte den Steuererklärungen insoweit nicht und berücksichtigte lediglich die Entfernungspauschale als Werbungskosten. Einspruch und Klage blieben erfolglos. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2014, 28 veröffentlicht.
Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung von § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Das Finanzgericht (FG) habe den Begriff der regelmäßigen Arbeitsstätte fehlerhaft ausgelegt.
Er beantragt,
das angefochtene Urteil des FG Berlin-Brandenburg vom 7. Mai 2013 11 K 11138/11 und die Einspruchsentscheidung vom 21. Juni 2011 aufzuheben und die Einkommensteuerbescheide für das Jahr 2008 vom 26. Februar 2010 und das Jahr 2009 vom 14. Juni 2010 dahingehend abzuändern, dass bei den Einkünften des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit im Jahr 2008 und im Jahr 2009 jeweils weitere Fahrtkosten in Höhe von 3.501 € als Werbungskosten berücksichtigt werden.
Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
II. Die Revision des Klägers ist begründet. Sie führt zur Stattgabe der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat die regelmäßige Arbeitsstätte des Klägers zu Unrecht auf der Baustelle in C verortet.
1. Beruflich veranlasste Fahrtkosten sind Erwerbsaufwendungen und gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG in Höhe des dafür tatsächlich entstandenen Aufwands als Werbungskosten zu berücksichtigen. Erwerbsaufwendungen sind grundsätzlich auch die Aufwendungen des Arbeitnehmers für Wege zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte. Allerdings sind die Aufwendungen dafür nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG in der in den Streitjahren geltenden Fassung nur begrenzt nach Maßgabe einer Entfernungspauschale als Werbungskosten zu berücksichtigen.
a) Eine regelmäßige Arbeitsstätte kann nur eine ortsfeste, dauerhafte betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers sein, der der Arbeitnehmer zugeordnet ist und die er nicht nur gelegentlich, sondern mit einer gewissen Nachhaltigkeit, d.h. fortdauernd und immer wieder (dauerhaft) aufsucht. Regelmäßig handelt es sich dabei um den Betrieb des Arbeitgebers oder einen Zweigbetrieb, nicht aber um die Tätigkeitsstätte in einer betrieblichen Einrichtung des Kunden des Arbeitgebers (z.B. Senatsentscheidungen vom 10. Juli 2008 VI R 21/07, BFHE 222, 391, BStBl II 2009, 818; vom 9. Juli 2009 VI R 21/08, BFHE 225, 449, BStBl II 2009, 822; VI R 42/08, BFH/NV 2009, 1806; vom 17. Juni 2010 VI R 35/08, BFHE 230, 147, BStBl II 2010, 852; vom 19. Januar 2012 VI R 23/11, BFHE 236, 351, BStBl II 2012, 472; vom 9. Februar 2012 VI R 44/10, BFHE 236, 431, BStBl II 2013, 234; vom 18. September 2012 VI R 65/11, BFH/NV 2013, 517; vom 17. Juni 2010 VI R 20/09, BFHE 230, 533, BStBl II 2012, 32, zum weiträumigen Arbeitsgebiet).
b) Ist der Arbeitnehmer nicht an einer solchen dauerhaften betrieblichen Einrichtung des Arbeitgebers tätig, liegt regelmäßig eine Auswärtstätigkeit vor mit der Folge, dass die Kosten für beruflich veranlasste Fahrten gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG uneingeschränkt zum Abzug zuzulassen sind.
2. Nach diesen Grundsätzen hatte der Kläger keine regelmäßige Arbeitsstätte i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG.
Bauausführungen oder Montagen (§ 12 Satz 2 der Abgabenordnung --AO--) sind keine regelmäßigen Arbeitsstätten i.S. von § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG. Es handelt sich dabei um vorübergehende und nicht um dauerhafte Tätigkeitsstätten, auch wenn dort nach § 12 Satz 2 AO eine Betriebsstätte oder Geschäftseinrichtung des Arbeitgebers belegen sein sollte (s. Senatsurteil vom 11. Juli 2013 VI R 62/12, BFH/NV 2014, 147, m.w.N.). Dies gilt auch --wie vorliegend-- für auswärtige (Groß-)Baustellen. Eine auswärtige Baustelle ist typisiert betrachtet kein dauerhafter, sondern nur ein vorübergehender --bis zur Fertigstellung des Bauvorhabens zeitlich begrenzter-- Tätigkeitsort des Arbeitnehmers (vgl. Schmidt/Loschelder, EStG, 33. Aufl., § 9 Rz 116). Welche infrastrukturellen Gegebenheiten der Arbeitgeber dort vorhält ist deshalb unerheblich. Ohne Bedeutung ist weiter, ob der Arbeitnehmer die Baustelle fortdauernd und immer wieder (dauerhaft) --u.U. für die gesamte Dauer seines (befristeten) Beschäftigungsverhältnisses-- aufsucht. Denn eine auswärtige Tätigkeitsstätte --wie eine Baustelle (Senatsurteil vom 11. Mai 2005 VI R 70/03, BFHE 209, 508, BStBl II 2005, 785)-- wird nicht durch bloßen Zeitablauf zu einer regelmäßigen Arbeitsstätte i.S. von § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG (vgl. Senatsurteile vom 8. August 2013 VI R 72/12, BFHE 242, 358, BStBl II 2014, 68, und vom 24. September 2013 VI R 51/12, BFH/NV 2014, 220; Bergkemper in Herrmann/Heuer/ Raupach, § 9 EStG Rz 288, 453).
3. Die Sache ist spruchreif. Denn Einwände gegen die vom Kläger vorgelegte Berechnung der tatsächlichen Fahrtkosten für die Fahrten zwischen Wohnung und der Baustelle in C sind vom FA weder vorgetragen noch ersichtlich. Die Berechnung der Steuer wird dem FA übertragen (§ 100 Abs. 2 Satz 2 FGO).