Entscheidungsdatum: 24.09.2013
Ein Arbeitnehmer, der von seinem Arbeitgeber wiederholt für ein Jahr befristet an einem anderen Betriebsteil des Arbeitgebers als seinem bisherigen Tätigkeitsort eingesetzt wird, begründet dort keine regelmäßige Arbeitsstätte i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG.
I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) wurden im Streitjahr 2007 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger erzielte Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit aus seiner Tätigkeit als leitender Ingenieur bei der X AG. Die Einstellung im Jahre 1984 erfolgte für die Zweigstelle in A. Im Streitjahr 2007 war der Kläger bereits seit mehreren Jahren jeweils für ein Jahr befristet bei einem Betriebsteil seines Arbeitgebers in B tätig.
In seiner Einkommensteuererklärung für das Streitjahr machte der Kläger Kosten für Fahrten zwischen dem Wohnort des Klägers in C und seiner Zweitwohnung am Arbeitsort und für Fahrten zwischen der Zweitwohnung und der Arbeitsstätte in B nach Dienstreisegrundsätzen geltend.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) vertrat im Einkommensteuerbescheid vom 29. Juli 2008 die Auffassung, eine Auswärtstätigkeit liege nicht vor. Der Kläger habe vielmehr in B eine regelmäßige Arbeitsstätte und unterhalte dort eine doppelte Haushaltsführung. Wegekosten seien deshalb lediglich --in Höhe der Entfernungspauschale-- für die Fahrten zwischen der Zweitwohnung und der Arbeitsstätte anzuerkennen. Familienheimfahrten seien nicht zu berücksichtigen. Denn der Kläger habe hierfür eine steuerfreie Erstattung von 0,30 € je Entfernungskilometer erhalten.
Die hiergegen nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) als unbegründet ab. Es vertrat die Auffassung, bei den geltend gemachten Fahrtkosten handele es sich um Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte bzw. um Familienheimfahrten im Rahmen einer doppelten Haushaltsführung, nicht hingegen um Fahrten im Rahmen einer Auswärtstätigkeit.
Mit der Revision rügen die Kläger die Verletzung materiellen Rechts. Sie wenden sich gegen die Annahme des FG, der Tätigkeitsort in B stelle eine regelmäßige Arbeitsstätte i.S. von § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) dar.
Die Kläger beantragen,
das Urteil des FG des Saarlandes vom 25. Januar 2012 2 K 1026/10 aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid vom 7. September 2010 in der Weise abzuändern, dass aufgrund der Tätigkeit des Klägers in B insgesamt 11.728 € als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit angesetzt werden.
Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
II. 1. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat die Fahrtkosten des Klägers für die Fahrten von seinem Wohnort in C nach seiner Tätigkeitsstätte in B sowie die Fahrten von seiner Zweitwohnung nach dort zu Unrecht lediglich im Rahmen der Entfernungspauschalen i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 und Nr. 5 EStG berücksichtigt. Denn der Kläger war in B auswärts tätig.
2. Fahrtkosten eines Arbeitnehmers im Rahmen einer beruflich veranlassten Auswärtstätigkeit sind Erwerbsaufwendungen und gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG in Höhe des dafür tatsächlich entstandenen Aufwands als Werbungskosten zu berücksichtigen. § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG kommt insoweit nicht zur Anwendung (Senatsurteile vom 11. Mai 2005 VI R 7/02, BFHE 209, 502, BStBl II 2005, 782; VI R 70/03, BFHE 209, 508, BStBl II 2005, 785; vom 10. April 2008 VI R 66/05, BFHE 221, 35, BStBl II 2008, 825). Denn ein Arbeitnehmer, der außerhalb einer dem Arbeitgeber zuzuordnenden Betriebsstätte oder an einer solchen nur vorübergehend und damit auswärts tätig ist, hat typischerweise nicht die Möglichkeit, seine Wegekosten gering zu halten (ständige Rechtsprechung, z.B. Senatsurteile vom 17. Juni 2010 VI R 35/08, BFHE 230, 147, BStBl II 2010, 852; vom 9. Februar 2012 VI R 22/10, BFHE 236, 426, BStBl II 2012, 827).
a) Eine Auswärtstätigkeit liegt u.a. vor, wenn der Arbeitnehmer vorübergehend außerhalb seiner Wohnung und seiner regelmäßigen Arbeitsstätte beruflich tätig wird (Senatsurteile vom 15. Mai 2013 VI R 41/12, BFHE 241, 378, BStBl II 2013, 704; vom 13. Juni 2012 VI R 47/11, BFHE 238, 53, BStBl II 2013, 169; in BFHE 221, 35, BStBl II 2008, 825; in BFHE 209, 508, BStBl II 2005, 785; R 9.4 Abs. 2 Satz 1 der Lohnsteuer-Richtlinien --LStR--); dies gilt auch dann, wenn der Arbeitnehmer seiner Berufstätigkeit vorübergehend längerfristig an einer anderen betrieblichen Einrichtung des Arbeitgebers nachgeht. Denn eine vorübergehende Tätigkeitsstätte wird nicht durch bloßen Zeitablauf zum Tätigkeitsmittelpunkt bzw. zur regelmäßigen Arbeitsstätte des Arbeitnehmers (vgl. Senatsurteile vom 19. Dezember 2005 VI R 30/05, BFHE 212, 218, BStBl II 2006, 378; vom 10. Juli 2008 VI R 21/07, BFHE 222, 391, BStBl II 2009, 818; Schmidt/Krüger, EStG, 32. Aufl., § 19 Rz 110, Stichwort: Reisekosten
b) Ob der Arbeitnehmer lediglich --unter Beibehaltung seiner bisherigen regelmäßigen Arbeitsstätte-- "vorübergehend" in einer anderen betrieblichen Einrichtung seines Arbeitgebers tätig wird oder von Anbeginn dauerhaft an den neuen Beschäftigungsort entsandt wurde und dort eine (neue) regelmäßige Arbeitsstätte begründet hat, ist nach den Gesamtumständen des Einzelfalls zu beurteilen (vgl. z.B. Oberfinanzdirektion --OFD-- Münster, Kurzinfo ESt Nr. 1/2011 vom 4. Januar 2011, Der Betrieb 2011, 206; OFD Rheinland und OFD Münster vom 13. Februar 2009 S 2338-1001-St 215 bzw. S 2353-20-St 22-31, Deutsches Steuerrecht 2009, 432). Hierfür ist insbesondere anhand der der Auswärtstätigkeit zugrundeliegenden Vereinbarung --ex ante-- zu beurteilen, ob der Arbeitnehmer voraussichtlich an seine regelmäßige Arbeitsstätte zurückkehren und dort seine berufliche Tätigkeit fortsetzen wird. Denn das Gesetz gibt derzeit noch (anders als künftig § 9 Abs. 4 EStG i.d.F. des Gesetzes zur Änderung und Vereinfachung der Unternehmensbesteuerung und des steuerlichen Reisekostenrechts vom 20. Februar 2013, BGBl I 2013, 285) keine zeitliche Obergrenze für die Annahme einer vorübergehenden Auswärtstätigkeit vor.
3. Gemessen daran hält die Vorentscheidung einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Der Arbeitsort in B stellt nicht die regelmäßige Arbeitsstätte des Klägers dar; vielmehr liegt eine Auswärtstätigkeit vor.
Nach den gemäß § 118 Abs. 2 FGO bindenden Feststellungen des FG beruhte die Tätigkeit des Klägers am Betriebssitz in B auf betriebsinternen Vereinbarungen, nach denen der Einsatz wiederholt auf ein Jahr befristet wurde. Nach der für die Beurteilung des Vorliegens einer regelmäßigen Arbeitsstätte maßgebenden ex ante Beurteilung war die Tätigkeit des Klägers in B danach vorübergehend, der Kläger damit auswärts tätig. Die Aufwendungen des Klägers für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte sind daher nicht lediglich mit der Entfernungspauschale, sondern gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG in tatsächlicher Höhe als Werbungskosten zu berücksichtigen.
Der Abziehbarkeit der tatsächlichen Fahrtkosten steht auch nicht entgegen, dass der Kläger einen Zweitwohnsitz in B begründet hat. Der Bezug einer Unterkunft an einem Beschäftigungsort, der --wie im Streitfall-- nicht den Begriff der regelmäßigen Arbeitsstätte erfüllt, begründet keine doppelte Haushaltsführung i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 EStG (vgl. Senatsurteile vom 11. Mai 2005 in BFHE 209, 502, BStBl II 2005, 782; VI R 34/04, BFHE 209, 527, BStBl II 2005, 793; in BFHE 209, 508, BStBl II 2005, 785, und VI R 25/04, BFHE 209, 523, BStBl II 2005, 791).
4. Die Vorentscheidung ist von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen. Sie war deshalb aufzuheben. Die Sache ist nicht spruchreif. Das FG hat, ausgehend von seiner abweichenden Rechtsauffassung, die Höhe der tatsächlichen Aufwendungen für Fahrten zwischen dem Familienwohnsitz und der Wohnung am Arbeitsort nicht festgestellt. Dies hat es im zweiten Rechtsgang nachzuholen und die tatsächlichen Aufwendungen je gefahrenen Kilometer als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit zu berücksichtigen. Sollte sich im zweiten Rechtsgang ergeben, dass bei den Werbungskosten aus Vermietung und Verpachtung ein zu hoher Betrag als Absetzung für Abnutzung berücksichtigt wurde, wäre dies ggf. nach § 177 der Abgabenordnung zu korrigieren.