Entscheidungsdatum: 09.06.2011
1. Ein Arbeitnehmer kann nicht mehr als eine regelmäßige Arbeitsstätte innehaben, auch wenn er fortdauernd und immer wieder verschiedene Betriebsstätten seines Arbeitgebers aufsucht. In einem solchen Fall ist der ortsgebundene Mittelpunkt der dauerhaft angelegten beruflichen Tätigkeit (regelmäßige Arbeitsstätte) zu bestimmen (Fortentwicklung von BFH-Urteilen vom 11. Mai 2005 VI R 25/04, BFHE 209, 523, BStBl II 2005, 791, und vom 14. September 2005 VI R 93/04, BFH/NV 2006, 53) .
2. Hierbei ist insbesondere zu berücksichtigen, welcher Tätigkeitsstätte der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber zugeordnet worden ist, welche Tätigkeit er an den verschiedenen Arbeitsstätten im Einzelnen wahrnimmt oder wahrzunehmen hat und welches konkrete Gewicht dieser Tätigkeit zukommt .
3. Allein der Umstand, dass der Arbeitnehmer eine Tätigkeitsstätte im zeitlichen Abstand immer wieder aufsucht, reicht für die Annahme einer regelmäßigen Arbeitsstätte jedenfalls nicht aus. Ihr muss vielmehr zentrale Bedeutung gegenüber den weiteren Tätigkeitsorten zukommen (Anschluss an BFH-Urteil vom 4. April 2008 VI R 85/04, BFHE 221, 11, BStBl II 2008, 887) .
I. Streitig ist, ob ein geldwerter Vorteil für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte anzusetzen ist.
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war in den Streitjahren Geschäftsführer der X-GmbH in D. Er durfte einen vom Arbeitgeber überlassenen Firmen-PKW auch privat nutzen. Der Kläger lebt in H. Dort hat er eine Wohnung von seiner Lebensgefährtin angemietet. Im Keller dieses Wohnhauses nutzte er einen Raum für berufliche Zwecke. Der Kellerraum hatte einen separaten Zugang und befand sich in einem Anbau. Er war von der Z an die X-GmbH verpachtet worden. Die Z hat diesen Raum wiederum von der Lebensgefährtin des Klägers gepachtet. Der Raum diente ausschließlich der Unterbringung einer EDV-Anlage der X-GmbH. Der Kläger führte in diesem Raum Wartungs- und Optimierungsarbeiten durch.
Im Rahmen einer im Jahr 2005 bei der X-GmbH durchgeführten Lohnsteuer-Außenprüfung wurde festgestellt, dass die täglichen Fahrten zwischen dem Wohnort des Klägers in H und der Betriebsstätte der X-GmbH in D als Dienstfahrten angesehen worden waren. Der Lohnsteuer-Außenprüfer beurteilte die Fahrten des Klägers hingegen als Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte und erhöhte den Arbeitslohn für das Jahr 2002 um 3.110,40 € und für das Jahr 2003 um 3.452,16 €. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) schloss sich dieser Rechtsauffassung an und änderte die Einkommensteuerfestsetzungen der Streitjahre durch Bescheide vom 16. Januar 2006 entsprechend.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage nach erfolglosem Vorverfahren mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2010, 1986 veröffentlichten Gründen ab.
Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des FG Münster vom 19. Januar 2010 1 K 4306/07 E und die Einkommensteuerbescheide für die Kalenderjahre 2002 und 2003, beide vom 16. Januar 2006, in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 12. September 2007 dahingehend abzuändern, dass in 2002 die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit um 3.110 € und in 2003 um 3.452 € reduziert werden.
Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
II. Die Revision des Klägers ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
1. Die unentgeltliche oder verbilligte Überlassung eines Firmenwagens durch den Arbeitgeber an seine Arbeitnehmer für deren Privatnutzung führt nach der ständigen Rechtsprechung des Senats zu einem nach § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zu erfassenden Lohnzufluss (vgl. Urteile vom 6. November 2001 VI R 62/96, BFHE 197, 142, BStBl II 2002, 370; vom 7. November 2006 VI R 95/04, BFHE 215, 252, BStBl II 2007, 269; vom 4. April 2008 VI R 68/05, BFHE 221, 17, BStBl II 2008, 890; vom 21. April 2010 VI R 46/08, BFHE 229, 228, BStBl II 2010, 848).
a) Die Bewertung des Nutzungsvorteils bestimmt sich nach § 8 Abs. 2 Sätze 2 ff. EStG. Sofern nicht § 8 Abs. 2 Satz 4 EStG anzuwenden ist, gilt nach § 8 Abs. 2 Satz 2 EStG für die private Nutzung eines betrieblichen Kraftfahrzeugs zu privaten Fahrten die in § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG getroffene Regelung zur Nutzungsentnahme entsprechend. Danach ist der Wert dieser Nutzung für jeden Kalendermonat mit 1 % des inländischen Listenpreises im Zeitpunkt der Erstzulassung zuzüglich der Kosten für Sonderausstattungen einschließlich der Umsatzsteuer anzusetzen. Kann das Kraftfahrzeug --wie im Streitfall-- auch für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte genutzt werden, erhöht sich dieser Wert nach § 8 Abs. 2 Satz 3 EStG nach Maßgabe der tatsächlichen Benutzung des Dienstwagens für solche Fahrten.
b) Ob eine Fahrt zwischen Wohnung und Arbeitsstätte i.S. des § 8 Abs. 2 Satz 3 EStG vorliegt, beurteilt sich nach den Grundsätzen, die für den Werbungskostenabzug für Fahrten zwischen Wohnung und (regelmäßiger) Arbeitsstätte i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG gelten (Senatsurteil vom 4. April 2008 VI R 85/04, BFHE 221, 11, BStBl II 2008, 887).
c) Regelmäßige Arbeitsstätte im Sinne dieser Vorschrift ist (nur) der (ortsgebundene) Mittelpunkt der dauerhaft angelegten beruflichen Tätigkeit des Arbeitnehmers (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 11. Mai 2005 VI R 25/04, BFHE 209, 523, BStBl II 2005, 791; VI R 15/04, BFHE 209, 515, BStBl II 2005, 788; vom 14. September 2005 VI R 93/04, BFH/NV 2006, 53) und damit der Ort, an dem der Arbeitnehmer seine aufgrund des Dienstverhältnisses geschuldete Leistung zu erbringen hat (BFH-Urteile vom 7. Juni 2002 VI R 53/01, BFHE 199, 329, BStBl II 2002, 878; in BFHE 209, 523, BStBl II 2005, 791; in BFH/NV 2006, 53). Dies ist im Regelfall der Betrieb oder eine Betriebsstätte des Arbeitgebers, der der Arbeitnehmer zugeordnet ist und die er nicht nur gelegentlich, sondern mit einer gewissen Nachhaltigkeit, also fortdauernd und immer wieder aufsucht (BFH-Urteil vom 22. September 2010 VI R 54/09, BFHE 231, 127, BStBl II 2011, 354, m.w.N.).
d) Liegen diese Voraussetzungen vor, so konnte ein Arbeitnehmer nach bisher ständiger Rechtsprechung des BFH auch mehrere regelmäßige Arbeitsstätten nebeneinander innehaben (vgl. zuletzt Urteile in BFHE 209, 515, BStBl II 2005, 788 für mehrere im Wechsel aufgesuchte Busdepots bei einem Linienbusfahrer, und in BFH/NV 2006, 53 für mehrere im Wechsel aufgesuchte Rettungsstationen bei einem Rettungsassistenten; s. auch H 9.4 --Regelmäßige Arbeitsstätte-- des Lohnsteuer-Handbuchs 2011). Hieran hält der erkennende Senat jedoch nicht länger fest. Denn der ortsgebundene Mittelpunkt der beruflichen Tätigkeit des Arbeitnehmers kann nur an einem Ort liegen. Nur insoweit kann sich der Arbeitnehmer auf die immer gleichen Wege einstellen und so (etwa durch Fahrgemeinschaften, öffentliche Verkehrsmittel oder eine zielgerichtete Wohnsitznahme in der Nähe der regelmäßigen Arbeitsstätte) auf eine Minderung der Wegekosten hinwirken. Damit stellt sich § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG auch nur insoweit als sachgerechte und folgerichtige Ausnahme vom objektiven Nettoprinzip dar. Übt der Arbeitnehmer hingegen an mehreren betrieblichen Einrichtungen des Arbeitgebers seinen Beruf aus, ist es ihm regelmäßig nicht möglich, die anfallenden Wegekosten durch derartige Maßnahmen gering zu halten. Denn die unter Umständen nicht verlässlich vorhersehbare Notwendigkeit, verschiedene Tätigkeitsstätten aufsuchen zu müssen, erlaubt es dem Arbeitnehmer nicht, sich immer auf die gleichen Wege einzustellen. In einem solchen Fall lässt sich die Einschränkung der Steuererheblichkeit von Wegekosten durch die Entfernungspauschale (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG) nicht rechtfertigen.
e) Ist der Arbeitnehmer in mehreren betrieblichen Einrichtungen des Arbeitgebers tätig, sind deshalb die Umstände des Einzelfalles zu würdigen und der ortsgebundene Mittelpunkt der beruflichen Tätigkeit zu bestimmen. Hierbei ist insbesondere zu berücksichtigen, welcher Tätigkeitsstätte der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber zugeordnet worden ist, welche Tätigkeit er an den verschiedenen Arbeitsstätten im Einzelnen wahrnimmt oder wahrzunehmen hat und welches konkrete Gewicht dieser Tätigkeit zukommt. Allein der Umstand, dass der Arbeitnehmer eine Tätigkeitsstätte im zeitlichen Abstand immer wieder aufsucht, reicht für die Annahme einer regelmäßigen Arbeitsstätte jedenfalls dann nicht aus, wenn der Steuerpflichtige fortdauernd und immer wieder verschiedene Betriebsstätten seines Arbeitgebers aufsucht (vgl. bereits BFH-Urteil in BFHE 199, 329, BStBl II 2002, 878). Der regelmäßigen Arbeitsstätte muss vielmehr hinreichend zentrale Bedeutung gegenüber den weiteren Tätigkeitsorten zukommen (BFH-Urteil in BFHE 221, 11, BStBl II 2008, 887).
2. Das FG ist von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen. Damit ist die Vorentscheidung aufzuheben. Die Sache ist jedoch nicht spruchreif.
a) Räume, die sich in unmittelbarer Nähe zur Wohnung des Steuerpflichtigen befinden, von den übrigen Räumen der Wohnung nicht getrennt sind und keine in sich geschlossene Einheit bilden, gelten nicht als Betriebsstätte des Arbeitgebers, auch wenn der Arbeitgeber diese Räume dem Arbeitnehmer überlässt und der Arbeitnehmer sie beruflich nutzt. Denn die berufliche Nutzung der Räume löst nicht deren Einbindung in die private Sphäre und lässt den privaten Charakter der Wohnung insgesamt unberührt. Insoweit gelten die Grundsätze, welche die Rechtsprechung zur Abgrenzung zwischen Betriebsstätte am Wohnsitz und Wohnung heranzieht (BFH-Urteile vom 16. Februar 1994 XI R 52/91, BFHE 174, 65, BStBl II 1994, 468; vom 31. Juli 1996 XI R 5/95, BFH/NV 1997, 279; vom 6. Juli 2005 XI R 47/04, BFH/NV 2006, 43; BFH-Beschluss vom 12. Januar 2006 VI B 61/05, BFH/NV 2006, 739; BFH-Urteil in BFHE 231, 127, BStBl II 2011, 354). Um dies festzustellen, müssen die konkreten Umstände des Einzelfalles einer Gesamtwürdigung unterzogen werden. Dabei sind auch die konkreten baulichen Gegebenheiten zu berücksichtigen. Gemessen daran hält die Vorentscheidung revisionsrechtlicher Prüfung nicht stand. Das FG hat zwar seiner Entscheidung die vorstehenden Rechtsgrundsätze zu Grunde gelegt. Die tatsächlich getroffenen Feststellungen des FG tragen allerdings nicht seine Würdigung und Entscheidung, dass der angemietete Kellerraum in die häusliche Sphäre des Arbeitnehmers eingebunden ist. Denn allein der Umstand, dass sich der Raum in einem Anbau befindet, rechtfertigt diesen Schluss des FG nicht. Vielmehr ist auch in einem solchen Fall zu prüfen, wie stark die räumliche Trennung zwischen Wohnhaus und betrieblicher Einrichtung des Arbeitgebers ausgeprägt ist. Hierzu ist insbesondere festzustellen, ob der Steuerpflichtige die häusliche Sphäre --zu der auch der zum Wohnhaus gehörende Garten zählen kann (BFH-Urteil vom 13. November 2002 VI R 164/00, BFHE 201, 86, BStBl II 2003, 350)-- verlassen muss, um in den streitigen nicht direkt vom Wohnhaus aus zugänglichen Kellerraum zu gelangen.
b) Sofern die nachzuholenden Feststellungen des FG ergeben, dass der Kellerraum nicht in die häusliche Sphäre des Klägers eingebunden ist, hat es zu entscheiden, in welcher Tätigkeitsstätte der Schwerpunkt der beruflichen Tätigkeit des Klägers liegt und welche damit als regelmäßige Arbeitsstätte gilt. Dazu hat es festzustellen, ob und welcher betrieblichen Einrichtung seines Arbeitgebers der Kläger zugeordnet ist, welche Tätigkeit er an den verschiedenen Arbeitsstätten im Einzelnen wahrnimmt oder wahrzunehmen hat und welches Gewicht dieser Tätigkeit jeweils zukommt.