Entscheidungsdatum: 19.10.2016
1. NV: Ein Polizeibeamter der Autobahnpolizei verfügt in dem Revierkommissariat, das er arbeitstäglich höchstens eine Stunde aufsucht, um dort insbesondere seinen Dienstwagen für den Streifeneinsatzdienst zu übernehmen, nicht über eine regelmäßige Arbeitsstätte .
2. NV: Das aus verschiedenen Autobahnabschnitten bestehende Einsatzgebiet eines Polizeibeamten der Autobahnpolizei im Streifeneinsatzdienst stellt keine großräumige (regelmäßige) Arbeitsstätte dar .
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Finanzgerichts des Landes Sachsen-Anhalt vom 20. April 2015 1 K 362/14 aufgehoben.
Der Einkommensteuerbescheid für 2012 vom 19. Dezember 2013 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 7. März 2014 wird dahin geändert, dass bei den Einkünften des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit weitere Fahrtkosten in Höhe von 1.218 € sowie Verpflegungsmehraufwendungen in Höhe von 1.224 € als Werbungskosten berücksichtigt werden.
Die Berechnung der Steuer wird dem Beklagten übertragen.
Die Kosten des gesamten Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.
I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war im Streitjahr (2012) als Polizeibeamter im Streifeneinsatzdienst des Revierkommissariats Bundesautobahn/Spezialisierte Verkehrsüberwachung X tätig.
Der Kläger suchte täglich das Revierkommissariat in X auf, um dort insbesondere sein Dienstfahrzeug zu übernehmen. Zum Einsatzgebiet des Klägers gehörten die Bundesautobahnen A Y und A Z sowie die Bundesstraße B W. Der arbeitstägliche Aufenthalt des Klägers im Revierkommissariat betrug höchstens eine Stunde. Der Kläger verfügte im Revierkommissariat nicht über einen eigenen Arbeitsplatz. Ihm stand dort allerdings --wie allen Polizeibeamten des Reviers-- eine Schreibstube zur Verfügung. Diese nutzte er zu weniger als 20 % seiner Arbeitszeit.
In der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr machte der Kläger Fahrtkosten für 203 Fahrten von seiner Wohnung zum Revierkommissariat und zurück in Höhe von 1.948,80 € geltend (203 x 32 km x 0,3 €/km). Außerdem begehrte der Kläger den Abzug von Verpflegungsmehraufwendungen bei Auswärtstätigkeit an 202 Tagen mit einer Abwesenheit von mindestens acht Stunden und an einem Tag mit einer Abwesenheit von mindestens 14 Stun-den in Höhe von insgesamt 1.224 € (202 x 6 € + 12 €).
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) erkannte die geltend gemachten Verpflegungsmehraufwendungen nicht an und berücksichtigte Fahrtkosten für die Fahrten des Klägers zwischen Wohnung und Revierkommissariat lediglich in Höhe der Entfernungspauschale mit 731 €.
Das Finanzgericht (FG) wies die nach erfolglosem Vorverfahren erhobene Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2015, 1796 veröffentlichten Gründen ab.
Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des FG des Landes Sachsen-Anhalt vom 20. April 2015 1 K 362/14 aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid für 2012 vom 19. Dezember 2013 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 7. März 2014 dahin zu ändern, dass bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit weitere Fahrtkosten in Höhe von 1.218 € sowie Verpflegungsmehraufwendungen in Höhe von 1.224 € als Werbungskosten berücksichtigt werden.
Das FA tritt der Revision entgegen.
II. Die Revision des Klägers ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Stattgabe der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Entgegen der Auffassung des FG sind die Aufwendungen des Klägers für die Fahrten von seiner Wohnung zum Revierkommissariat in X in tatsächlicher Höhe als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit zu berücksichtigen. Der Kläger kann auch den Abzug der geltend gemachten Verpflegungsmehraufwendungen beanspruchen.
1. Beruflich veranlasste Fahrtkosten sind Erwerbsaufwendungen und gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in Höhe des dafür tatsächlich entstandenen Aufwands als Werbungskosten zu berücksichtigen. Erwerbsaufwendungen sind grundsätzlich auch die Aufwendungen des Arbeitnehmers für Wege zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte. Allerdings sind die Aufwendungen dafür nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung nur begrenzt nach Maßgabe einer Entfernungspauschale als Werbungskosten zu berücksichtigen.
2. Mehraufwendungen für die Verpflegung des Steuerpflichtigen sind nach § 9 Abs. 5 EStG i.V.m. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Satz 1 EStG grundsätzlich nicht als Werbungskosten abziehbar. Wird der Steuerpflichtige jedoch vorübergehend von seiner Woh-nung und dem Mittelpunkt seiner dauerhaft angelegten berufli-chen Tätigkeit entfernt beruflich tätig, so ist nach Satz 2 der Vorschrift für jeden Kalendertag, an dem der Steuerpflich-tige wegen dieser vorübergehenden Tätigkeit von seiner Wohnung und seinem Tätigkeitsmittelpunkt über eine bestimmte Dauer ab-wesend ist, ein nach dieser Dauer gestaffelter Pauschbetrag abzuziehen.
3. Tätigkeitsmittelpunkt i.S. des § 9 Abs. 5 EStG i.V.m. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Satz 2 EStG und (regelmäßige) Arbeitsstätte i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG ist die dauerhafte betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers, der der Arbeitnehmer zugeordnet ist und die er nachhaltig, fortdauernd und immer wieder aufsucht. Das ist regelmäßig der Betrieb, Zweigbetrieb oder eine Betriebsstätte des Arbeitgebers (Senatsurteil vom 26. Februar 2014 VI R 68/12, BFH/NV 2014, 1029, und Senatsbeschluss vom 9. November 2015 VI R 8/15, BFH/NV 2016, 196, jeweils m.w.N.; Schmidt/Loschelder, EStG, 35. Aufl., § 9 Rz 186, m.w.N.).
4. Eine (regelmäßige) Arbeitsstätte ist allerdings nicht jeder beliebige Tätigkeitsort, sondern der Ort, an dem der Arbeitnehmer typischerweise seine Arbeitsleistung im Schwerpunkt zu erbringen hat. Insoweit ist entscheidend, wo sich der ortsgebundene Mittelpunkt der beruflichen Tätigkeit eines Arbeitnehmers befindet. Dort liegt die eine regelmäßige Arbeitsstätte, die ein Arbeitnehmer nur haben kann. Dieser Mittelpunkt der dauerhaft angelegten beruflichen Tätigkeit bestimmt sich nach den qualitativen Merkmalen der Arbeitsleistung, die der Arbeitnehmer an dieser Arbeitsstätte im Einzelnen wahrnimmt oder wahrzunehmen hat, sowie nach dem konkreten Gewicht dieser dort verrichteten Tätigkeit (Senatsurteile vom 19. Januar 2012 VI R 36/11, BFHE 236, 353, BStBl II 2012, 503, und VI R 32/11, BFH/NV 2012, 936, sowie vom 9. Juni 2011 VI R 55/10, BFHE 234, 164, BStBl II 2012, 38; VI R 36/10, BFHE 234, 160, BStBl II 2012, 36, und VI R 58/09, BFHE 234, 155, BStBl II 2012, 34).
Nach ständiger Senatsrechtsprechung kommt auch ein größeres, räumlich geschlossenes Gebiet als regelmäßige Arbeitsstätte i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG (und damit beim Verpflegungsmehraufwand als Tätigkeitsmittelpunkt i.S. des § 9 Abs. 5 EStG i.V.m. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Satz 2 EStG) in Betracht, wenn es sich um ein zusammenhängendes Gelände des Arbeitgebers handelt, auf dem der Arbeitnehmer auf Dauer und mit einer gewissen Nachhaltigkeit tätig wird (Senatsurteil vom 10. März 2015 VI R 87/13, BFH/NV 2015, 1084, m.w.N.). Unter diesen Voraussetzungen kann auch ein Werksgelände oder ein Waldgebiet eine großräumige (regelmäßige) Arbeitsstätte bzw. einen Tätigkeitsmittelpunkt darstellen (Senatsurteile vom 18. Juni 2009 VI R 61/06, BFHE 226, 59, BStBl II 2010, 564, bzgl. des Gewinnungsreviers eines Kaliwerks, und in BFH/NV 2015, 1084, bzgl. eines firmeneigenen Schienennetzes; s.a. Schmidt/Loschelder, a.a.O., § 9 Rz 187, m.w.N.).
5. Die Vorentscheidung entspricht diesen Rechtsgrundsätzen nicht. Sie hat daher keinen Bestand. Der Senat kann auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen des FG aber in der Sache selbst entscheiden. Das FG hat --für den Senat bindend (§ 118 Abs. 2 FGO)-- festgestellt, dass der Kläger das Revierkommissariat in X täglich aufsuchte, um dort insbesondere sein Dienstfahrzeug zu übernehmen. Der arbeitstägliche Aufenthalt des Klägers im Revierkommissariat betrug höchstens eine Stunde. Im Übrigen versah der Kläger seine berufliche Tätigkeit als Polizeibeamter im Streifeneinsatzdienst auf den Bundesautobahnen A Y und A Z sowie auf der Bundesstraße B W. Der Kläger war hiernach schwerpunktmäßig auswärts und nicht an einer regelmäßigen Arbeitsstätte i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG bzw. an einem Tätigkeitsmittelpunkt i.S. des § 9 Abs. 5 EStG i.V.m. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Satz 2 EStG tätig.
Das Einsatzgebiet des Klägers auf den Bundesautobahnen A Y und A Z sowie auf der Bundesstraße B W stellte --entgegen der Ansicht des FG-- auch keine großräumige (regelmäßige) Arbeitsstätte dar. Bei den Autobahnabschnitten und der Bundesstraße handelte es sich nicht um dauerhafte, betriebliche Einrichtungen des Arbeitgebers. An den vorgenannten Straßenabschnitten befand sich auch keine Einrichtung des Arbeitgebers, die nach ihren infrastrukturellen Gegebenheiten mit einem Betriebssitz oder einer sonstigen betrieblichen Einrichtung vergleichbar war. Das Revierkommissariat in X befand sich nach den tatsächlichen Feststellungen des FG nicht an den Bundesautobahnen A Y und A Z bzw. an der Bundesstraße B W, sondern war mit diesen Straßenabschnitten lediglich über öffentliche Verkehrswege verbunden.
6. Entgegen der Auffassung des FG kann allein der Umstand, dass ein Arbeitnehmer eine betriebliche Einrichtung seines Arbeitgebers nachhaltig (arbeitstäglich) aufsucht, dort keine regelmäßige Arbeitsstätte begründen. Der Einwand, auch in solchen Fällen sei es dem Arbeitnehmer möglich, sich auf die Wegekosten einzustellen und auf deren Minderung hinzuwirken, selbst wenn er dort ein Fahrzeug übernimmt und auf diesem auswärts tätig wird, trifft zwar in der Sache zu, vermag diese Fälle aber nicht aus dem Regeltypus einer "Auswärtstätigkeit" (Leistungsort außerhalb des Betriebs oder der Betriebsstätte des Arbeitgebers) herauszulösen. Im Übrigen weist der Senat nochmals darauf hin, dass die Vorhersehbarkeit wechselnder Tätigkeitsstätten und die "Möglichkeit", Wegekosten zu mindern, nicht Tatbestandsmerkmale der in § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG geregelten Entfernungspauschale sind. Der Umstand, dass sich der Arbeitnehmer in unterschiedlicher Weise auf die immer gleichen Wege einstellen und so auf eine Minderung der Wegekosten etwa durch die Bildung von Fahrgemeinschaften, die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel und gegebenenfalls sogar durch eine entsprechende Wohnsitznahme hinwirken kann, beschreibt lediglich generalisierend und typisierend den Regelfall, nach dem sich die Regelung des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG als sachgerechte und folgerichtige Ausnahme vom objektiven Nettoprinzip erweist (Senatsurteil vom 17. Juni 2010 VI R 35/08, BFHE 230, 147, BStBl II 2010, 852, m.w.N.). Individuelle Zufälligkeiten und Besonderheiten in der tatsächlichen Ausgestaltung eines Arbeitsverhältnisses bleiben hierbei unberücksichtigt (Senatsurteile vom 6. November 2014 VI R 21/14, BFHE 247, 427, BStBl II 2015, 338, und vom 15. Mai 2013 VI R 18/12, BFHE 241, 374, BStBl II 2013, 838, m.w.N.).
7. Aus dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) vom 26. Juni 2014 5 C 28.13 (BVerwGE 150, 108) ergibt sich keine abweichende rechtliche Beurteilung des Streitfalls. Das BVerwG hat in jenem Urteil entschieden, dass Fahndungsfahrten eines Polizeivollzugsbeamten bei der Autobahnpolizei keine Dienstreisen i.S. von § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Hessischen Reisekostengesetzes (HRKG) seien. Der Begriff der Dienstreise im reisekostenrechtlichen Sinne (§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 HRKG) in der Auslegung, die das BVerwG in seinem Urteil in BVerwGE 150, 108 gefunden hat, entspricht damit nicht dem Regeltypus der ertragsteuerlichen "Auswärtstätigkeit" nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs, für die ein Leistungsort außerhalb des Betriebs oder der Betriebsstätte des Arbeitgebers kennzeichnend ist. Mit der --im Streitfall allein maßgeblichen-- steuerlichen Einordnung der Fahrtätigkeit von Polizeivollzugsbeamten hat sich das BVerwG in seinem Urteil in BVerwGE 150, 108 nicht befasst.
8. Einwände gegen die vom Kläger vorgenommene Berechnung der Fahrtkosten und der Verpflegungsmehraufwendungen sind vom FA weder vorgetragen worden noch sonst ersichtlich.
9. Die Berechnung der Steuer wird dem FA übertragen (§ 100 Abs. 2 Satz 2 FGO).
10. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.