Entscheidungsdatum: 09.11.2015
NV: Ein Polizeibeamter im Streifendienst ist schwerpunktmäßig in seinem Revier und damit auswärts tätig .
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 11. Dezember 2014 11 K 70/14 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Beklagte zu tragen.
I. Streitig ist der Werbungskostenabzug von Fahrtkosten und von Verpflegungsmehraufwendungen.
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist Polizeibeamter. Er erzielte aus dieser Tätigkeit in den Streitjahren 2011 und 2012 Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Mit seinen Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre beantragte er, die Kosten für die Fahrten zum Polizeikommissariat A nicht mit der sog. Pendlerpauschale, sondern nach Dienstreisegrundsätzen bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit anzusetzen. Er machte insoweit Fahrtkosten in Höhe von 1.928 € (2011) und 1.816 € (2012) geltend. Darüber hinaus erklärte er damit im Zusammenhang stehende Verpflegungsmehraufwendungen in Höhe von 1.344 € (2011) und 1.338 € (2012) als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) lehnte dies mit den Einkommensteuerbescheiden für 2011 und 2012 ab. Dagegen legte der Kläger erfolglos Einspruch ein. Der daraufhin erhobenen Klage gab das Finanzgericht (FG) statt.
Mit der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts.
Es beantragt,
das Urteil des Niedersächsischen FG vom 11. Dezember 2014 11 K 70/14 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
II. Die Entscheidung ergeht gemäß § 126a der Finanzgerichtsordnung (FGO). Der Senat hält die Revision einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich. Die Beteiligten sind davon unterrichtet worden und hatten Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Revision des FA ist als unbegründet zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO). Die Entscheidung des FG, dass die Aufwendungen des Klägers für die Fahrten von seiner Wohnung zu der Polizeidienstelle in A in tatsächlicher Höhe sowie die geltend gemachten Verpflegungsmehraufwendungen als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit zu berücksichtigen sind, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
1. Beruflich veranlasste Fahrtkosten sind Erwerbsaufwendungen und gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in Höhe des dafür tatsächlich entstandenen Aufwands als Werbungskosten zu berücksichtigen. Erwerbsaufwendungen sind grundsätzlich auch die Aufwendungen des Arbeitnehmers für Wege zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte. Allerdings sind die Aufwendungen dafür nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG in der in den Streitjahren geltenden Fassung nur begrenzt nach Maßgabe einer Entfernungspauschale als Werbungskosten zu berücksichtigen.
2. Mehraufwendungen für die Verpflegung des Steuerpflichtigen sind nach § 9 Abs. 5 i.V.m. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Satz 1 EStG grundsätzlich nicht als Werbungskosten abziehbar. Wird der Steuerpflichtige jedoch vorübergehend von seiner Wohnung und dem Mittelpunkt seiner dauerhaft angelegten beruflichen Tätigkeit entfernt beruflich tätig, so ist nach Satz 2 der Vorschrift für jeden Kalendertag, an dem der Steuerpflichtige wegen dieser vorübergehenden Tätigkeit von seiner Wohnung und seinem Tätigkeitsmittelpunkt über eine bestimmte Dauer abwesend ist, ein nach dieser Dauer gestaffelter Pauschbetrag abzuziehen.
3. Tätigkeitsmittelpunkt i.S. des § 9 Abs. 5 EStG i.V.m. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Satz 2 EStG und (regelmäßige) Arbeitsstätte i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG ist die dauerhafte betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers, der der Arbeitnehmer zugeordnet ist und die er nachhaltig, fortdauernd und immer wieder aufsucht. Das ist regelmäßig der Betrieb, Zweigbetrieb oder eine Betriebsstätte des Arbeitgebers (vgl. zuletzt Senatsurteil vom 26. Februar 2014 VI R 68/12, BFH/NV 2014, 1029, m.w.N.; Schmidt/Loschelder, EStG, 34. Aufl., § 9 Rz 186, m.w.N.).
4. Eine Arbeitsstätte ist allerdings nicht jeder beliebige Tätigkeitsort, sondern der Ort, an dem der Arbeitnehmer typischerweise seine Arbeitsleistung im Schwerpunkt zu erbringen hat. Insoweit ist entscheidend, wo sich der ortsgebundene Mittelpunkt der beruflichen Tätigkeit eines Arbeitnehmers befindet. Dort liegt die eine regelmäßige Arbeitsstätte, die ein Arbeitnehmer nur haben kann. Dieser Mittelpunkt der dauerhaft angelegten beruflichen Tätigkeit bestimmt sich nach den qualitativen Merkmalen der Arbeitsleistung, die der Arbeitnehmer an dieser Arbeitsstätte im Einzelnen wahrnimmt oder wahrzunehmen hat, sowie nach dem konkreten Gewicht dieser dort verrichteten Tätigkeit (Senatsurteile vom 19. Januar 2012 VI R 36/11, BFHE 236, 353, BStBl II 2012, 503, und VI R 32/11, BFH/NV 2012, 936, sowie vom 9. Juni 2011 VI R 55/10, BFHE 234, 164, BStBl II 2012, 38, und VI R 36/10, BFHE 234, 160, BStBl II 2012, 36, und VI R 58/09, BFHE 234, 155, BStBl II 2012, 34).
5. Entgegen der Auffassung des FA kann allein der Umstand, dass ein Arbeitnehmer eine betriebliche Einrichtung seines Arbeitgebers nachhaltig (arbeitstäglich) aufsucht, dort keine regelmäßige Arbeitsstätte begründen. Der Einwand, auch in solchen Fällen sei es dem Arbeitnehmer möglich, sich auf die Wegekosten einzustellen und auf deren Minderung hinzuwirken, selbst wenn er dort ein Fahrzeug übernimmt und auf diesem auswärts tätig wird, trifft zwar in der Sache zu, vermag diese Fälle aber nicht aus dem Regeltypus einer "Auswärtstätigkeit" (Leistungsort außerhalb des Betriebs oder der Betriebsstätte des Arbeitgebers) herauszulösen. Im Übrigen weist der Senat nochmals darauf hin, dass die Vorhersehbarkeit wechselnder Tätigkeitsstätten und die "Möglichkeit", Wegekosten zu mindern, nicht Tatbestandsmerkmale der in § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG geregelten Entfernungspauschale sind. Der Umstand, dass sich der Arbeitnehmer in unterschiedlicher Weise auf die immer gleichen Wege einstellen und so auf eine Minderung der Wegekosten etwa durch die Bildung von Fahrgemeinschaften, die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel und gegebenenfalls sogar durch die entsprechende Wohnsitznahme hinwirken kann, beschreibt lediglich generalisierend und typisierend den Regelfall, nach dem sich die Regelung des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG als sachgerechte und folgerichtige Ausnahme vom objektiven Nettoprinzip erweist (vgl. Senatsurteil vom 17. Juni 2010 VI R 35/08, BFHE 230, 147, BStBl II 2010, 852, m.w.N.). Individuelle Zufälligkeiten und Besonderheiten in der tatsächlichen Ausgestaltung eines Arbeitsverhältnisses bleiben hierbei unberücksichtigt (vgl. Senatsurteile vom 6. November 2014 VI R 21/14, BFHE 247, 427, BStBl II 2015, 338, und vom 15. Mai 2013 VI R 18/12, BFHE 241, 374, BStBl II 2013, 838, m.w.N.).
6. Nach diesen Grundsätzen ist beim Kläger von einer Auswärtstätigkeit auszugehen, die zum Werbungskostenabzug von Wegekosten nach § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG in tatsächlicher Höhe und nach § 9 Abs. 5 i.V.m. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Satz 3 EStG von Mehraufwendungen für die Verpflegung berechtigt. Das FG hat in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Art und Weise angenommen, dass der Kläger weder an einer regelmäßigen Arbeitsstätte noch an einem Tätigkeitsmittelpunkt zum Einsatz kommt. Denn der Kläger war nach den bindenden Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) im Einsatz- und Streifendienst und damit schwerpunktmäßig außerhalb der Polizeidienststelle im Außendienst tätig.
7. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 2 FGO.