Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 11.11.2011


BGH 11.11.2011 - V ZR 45/11

Wohnungseigentumsverfahren: Passivlegitimation im Beschlussanfechtungsprozess


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
5. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
11.11.2011
Aktenzeichen:
V ZR 45/11
Dokumenttyp:
Urteil
Vorinstanz:
vorgehend LG München I, 31. Januar 2011, Az: 1 S 15378/10, Urteilvorgehend AG Landshut, 19. Juli 2010, Az: 3 C 637/10
Zitierte Gesetze

Leitsätze

Zu verklagen sind nach § 46 Abs. 1 Satz 1 WEG ausnahmslos sämtliche (übrigen) Mitglieder der Wohnungseigentümergemeinschaft.

Tenor

Die Revision gegen das Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts München I vom 31. Januar 2011 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Klägerin ist Mitglied einer aus zwei Wohnhäusern (Haus A und B) und einer Tiefgarage bestehenden Wohnungseigentümergemeinschaft. Ihr gehört eine in dem Haus B befindliche Eigentumswohnung. Die Gemeinschaftsordnung bestimmt, dass die Kosten für die beiden Häuser sowie für die Tiefgarage jeweils getrennt abzurechnen und nur von den jeweiligen Eigentümern zu tragen sind.

2

Auf der Eigentümerversammlung am 9. März 2010 wurde beschlossen, Haus B mit Funkzählern für Heizung und Wasser auszustatten. An der Abstimmung hierzu nahmen nur die Wohnungseigentümer des Hauses B teil.

3

Gegen diesen Beschluss wendet sich die Klägerin mit der gegen alle übrigen Mitglieder der Wohnungseigentümergemeinschaft erhobenen Beschlussmängelklage. Diese hat das Amtsgericht mit der Begründung abgewiesen, die Wohnungseigentümer des Hauses A seien schon nicht passivlegitimiert. Der angefochtene Beschluss sei im Übrigen auch nicht zu beanstanden.

4

Berufung hat die Klägerin fristgerecht nur insoweit eingelegt, als die Klage gegen die Wohnungseigentümer des Hauses B abgewiesen worden ist. Auf Hinweis des Berufungsgerichts hat sie ihr Rechtsmittel nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist jedoch auf die Abweisung der Klage gegen die übrigen Wohnungseigentümer erweitert und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Das Landgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Anträge weiter.

Entscheidungsgründe

I.

5

Das Berufungsgericht, dessen Urteil u.a. in ZfIR 2011, 364 veröffentlicht worden ist, steht auf dem Standpunkt, dass bei der Anfechtungsklage ein Rechtsmittel gegen die eine notwendige Streitgenossenschaft bildenden übrigen Wohnungseigentümer nur zulässig sei, wenn es fristgerecht gegen alle Streitgenossen eingelegt werde. Zwar gelte etwas anderes, wenn durch die Gemeinschaftsordnung Untergemeinschaften mit eigener Beschlusskompetenz gebildet worden seien; dann sei die Anfechtungsklage in einschränkender Auslegung der Vorschrift des § 46 Abs. 1 WEG ausnahmsweise nur gegen die übrigen Mitglieder der betreffenden Untergemeinschaft zu richten. Da die Gemeinschaftsordnung vorliegend jedoch nur eine Regelung über die Kostenverteilung enthalte, hätte die Berufung fristgerecht gegen alle übrigen Mitglieder der Wohnungseigentümergemeinschaft eingelegt werden müssen. Daran fehle es hier, weil das Rechtsmittel erst nach Ablauf der Berufungsfrist erweitert worden sei. Wiedereinsetzung könne nicht gewährt werden, weil der Prozessbevollmächtigte der Klägerin im Zweifel den sichersten Weg - hier fristgerechte Einlegung der Berufung gegen alle übrigen Wohnungseigentümer - hätte einschlagen müssen. Dass er dies nicht getan habe, begründe ein Verschulden, das sich die Klägerin nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen müsse.

II.

6

Dem Rechtsmittel bleibt der Erfolg versagt.

7

1. Die Revision ist unbeschränkt zulässig. Ob dem Tenor des Berufungsgerichts, wonach die Revision bezüglich der Frage zugelassen worden ist, „ob die Anfechtungsklage gegen sämtliche übrigen Miteigentümer zu richten war“, lediglich eine beschränkte Rechtsmittelzulassung zu entnehmen ist, kann offen bleiben. Eine solche Beschränkung wäre jedenfalls wirkungslos. Die Revisionszulassung kann nur auf tatsächlich oder rechtlich abgrenzbare Teile des Gesamtstreitstoffs beschränkt werden, die Gegenstand eines Teil- oder Grundurteils sein könnten oder auf welche der Rechtsmittelkläger selbst sein Rechtsmittel beschränken könnte (Senat, Urteil vom 16. Juli 2010 - V ZR 217/09, juris Rn. 9 mwN). Voraussetzung hierfür ist, dass auch im Falle einer Zurückverweisung kein Widerspruch zu nicht anfechtbaren Teilen des Streitstoffs auftreten kann (BGH, Beschluss vom 7. Juni 2011 - VI ZR 225/10 Rn. 4, juris). An einer solchen Trennbarkeit fehlt es hier bereits deshalb, weil sämtliche Beklagte notwendige Streitgenossen sind (dazu näher unten 2.). Zudem wird die Verwerfung der Berufung gegen die Wohnungseigentümer des Hauses B mit der nicht fristgerecht gegen die Wohnungseigentümer des Hauses A eingelegten Berufung begründet. Auch aufgrund dieser Abhängigkeit kann der Streitstoff nicht getrennt werden. Infolge der unwirksamen Beschränkung ist die Revision unbeschränkt zulässig (vgl. nur MünchKomm-ZPO/Wenzel, 3. Aufl., § 543 Rn. 44 mwN), so dass dem Senat auch die Entscheidung über die versagte Wiedereinsetzung angefallen ist. Davon gehen auch die Parteien zumindest der Sache nach aus, wie ihr Vorbringen im Revisionsverfahren belegt.

8

2. Die Revision ist unbegründet. Das Berufungsurteil hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung im Ergebnis stand.

9

a) Das Berufungsgericht legt zutreffend zugrunde, dass eine nur gegen einen Teil der notwendigen Streitgenossen (fristgerecht) eingelegte Berufung unzulässig ist (vgl. BGH, Urteil vom 9. Januar 1957 - IV ZR 259/56, BGHZ 23, 73, 74 f; BGH, Urteil vom 19. März 1975 – IV ZR 175/73, FamRZ 1975, 405, 406; Stein/Jonas/Bork, ZPO, 22. Aufl., § 62 Rn. 38; MünchKomm-ZPO/Wenzel, 3. Aufl., § 543 Rn. 38; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 17. Aufl., § 49 Rn. 41; Winte, Die Rechtsfolgen der notwendigen Streitgenossenschaft unter besonderer Berücksichtigung der unterschiedlichen Grundlagen ihrer beiden Alternativen, 1988, S. 291 ff.). So liegt es hier. Zu verklagen sind nach § 46 Abs. 1 Satz 1 WEG stets sämtliche übrigen Mitglieder der Wohnungseigentümergemeinschaft (vgl. nur LG Köln, ZWE 2010, 191; Schultzky, ZMR 2011, 521, 522 f., Rüscher, JurisPR-MietR 17/2011, Anm. 5 unter C., ZfIR 2011, 369, 370 f. und ZWE 2011, 308, 315; Elzer, MietRB 2011, 218 f. und 257 f.; BeckOK WEG/Dötsch, Edition 10, § 10 Rn. 40a; BeckOK WEG/Elzer, Edition 10, § 46 Rn. 123; einschränkend LG München I, NJW-RR 2011, 448 f.; LG Düsseldorf, NZM 2010, 288). Da diese notwendige Streitgenossen nach § 62 Abs. 1 ZPO sind (vgl. nur BT-Drucks. 16/887 S. 73; Klein in Bärmann, WEG, 11. Aufl., § 46 Rn. 62; Bärmann/Pick, WEG, 19. Aufl., § 46 Rn. 2; vgl. auch Lüke, FS für Merle, 2010, S. 229, 233 f.), muss sich auch die Berufung gegen sämtliche Streitgenossen richten. Entgegen der Auffassung der Revision ist die Vorschrift des § 46 Abs. 1 Satz 1 WEG nicht einschränkend auszulegen.

10

aa) Nach dem klaren und unzweideutigen Normtext ist die Anfechtungsklage gegen die übrigen Wohnungseigentümer zu richten. Ausnahmen, die an die materiellrechtliche Betroffenheit anknüpfen, sieht die Regelung - anders als § 48 Abs. 1 Satz 1 WEG für die Beiladung - nicht vor.

11

bb) Wie die Entstehungsgeschichte der Vorschrift belegt, beruht die Fassung des § 46 Abs. 1 Satz 1 WEG auf einer bewussten Entscheidung des Gesetzgebers (vgl. auch Schultzky, ZMR 2011, 521, 522). Der Gesetzentwurf der Bundesregierung enthielt zunächst keine Regelung des Anfechtungsgegners (BT-Drucks. 16/887 S. 7). In der Begründung heißt es, es bestehe kein Regelungsbedürfnis; der Entwurf gehe davon aus, dass bei Beschlussanfechtungen alle Wohnungseigentümer mit Ausnahme des Anfechtenden Beklagte seien (BT-Drucks. 16/887 S. 38). Der Bundesrat bat sodann unter Hinweis auf abweichende Meinungen in der Literatur um die Klarstellung, gegen wen die Anfechtungsklage zu richten sei (BT-Drucks. 16/887 S. 50 f.). Die Bundesregierung kam dieser Bitte nach und fügte in § 46 Abs. 1 Satz 1 WEG die Regelung ein, dass die Anfechtungsklage gegen die übrigen Wohnungseigentümer zu erheben sei (BT-Drucks. 16/887 S. 73). Diese Regelung wurde – mit einer weiteren Klarstellung hinsichtlich der Anfechtungsbefugnis des Verwalters – vom Rechtsausschuss dem Bundestag vorgelegt und schließlich gebilligt (BT-Drucks. 16/3843 S. 13 u. 28). Ausnahmen wurden nicht vorgesehen, obwohl die Problematik der Mehrhausanlagen bekannt war (vgl. BT-Drucks. 16/887 S. 39 u. 51). Angesichts dieser klaren gesetzgeberischen Entscheidung ist bei der Bestimmung des Klagegegners für eine Anknüpfung an Kriterien materiellrechtlicher Betroffenheit kein Raum (vgl. auch Senat, Beschluss vom 14. Mai 2009 – V ZB 172/08, NJW 2009, 2135, 2136 Rn. 13). Schon deshalb kann dem von der Revision ins Feld geführten - noch zum alten WEG-Recht ergangenen - Senatsbeschluss vom 2. Oktober 1991 (V ZB 9/91, BGHZ 115, 253, 255 f.) nichts Ausschlaggebendes für eine einschränkende Auslegung des nunmehrigen § 46 Abs. 1 Satz 1 WEG entnommen werden. Das gilt umso mehr, als sich die Entscheidung lediglich zu der von dem Senat verneinten Frage verhält, ob bei der Geltendmachung eines nur einem Wohnungseigentümer gegen den Verwalter zustehenden Schadensersatzanspruches in Verfahren nach § 43 Abs. 1 Nr. 2 WEG aF auch die anderen Wohnungseigentümer zu beteiligen waren; um die Bestimmung des Gegners in Anfechtungsverfahren (§ 43 Abs. 1 Nr. 4 i.V.m. Abs. 4 Nr. 2 WEG aF) ging es nicht.

12

cc) Schließlich untermauern Gründe der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit die aus der sprachlichen Fassung und der Entstehungsgeschichte der Norm gewonnene Auslegung. Bei der Bestimmung des richtigen Klagegegners ist darauf Bedacht zu nehmen, dass auch eine nicht anwaltlich vertretene Partei ohne komplizierte rechtliche Überlegungen ermitteln kann, gegen wen eine Anfechtungsklage zu richten ist. Dies schließt es entgegen der Auffassung der Revision aus, die Vorschrift unter Heranziehung von Kriterien einschränkend auszulegen, die - wie etwa die materiellrechtliche Betroffenheit - im Wortlaut der Vorschrift keine Stütze finden (vgl. auch BT-Drucks. 16/887 S. 51). Es erscheint nicht sachgerecht, Anfechtungsklägern – zumal solchen ohne anwaltliche Vertretung – die Prüfung anzusinnen, ob eine von der Rechtsprechung bereits anerkannte Ausnahmekonstellation vorliegt, ob der in Rede stehende Streitfall dieser zumindest vergleichbar ist und ob eine einschränkende Auslegung des § 46 Abs. 1 Satz 1 WEG je nach Sachlage daran scheitert, dass im konkreten Fall alle übrigen Wohnungseigentümer - etwa mit Blick auf die Regelung des § 10 Abs. 8 WEG - materiell betroffen sind. Vor diesem Hintergrund gilt daher auch dann nichts anderes, wenn durch die Gemeinschaftsordnung - anders als hier - Untergemeinschaften mit eigener Beschlusskompetenz gebildet worden sind.

13

b) Gemessen daran, hat das Berufungsgericht zu Recht eine fristgerechte Berufungseinlegung gegen sämtliche notwendige Streitgenossen verneint. Das bewusst auf die Wohnungseigentümer des Hauses B beschränkte Rechtsmittel ist nicht innerhalb der Monatsfrist des § 517 ZPO erweitert worden. Der beantragten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand steht entgegen, dass die Fristversäumnis auf einem der Klägerin nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnenden Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten beruht (§ 233 ZPO). Da Rechtsanwälte verpflichtet sind, sich umfassend über die Rechtslage zu informieren, sind Irrtümer über die Rechtslage regelmäßig nicht als unverschuldet anzusehen. In Zweifelsfällen muss der für den Mandanten sicherste Weg beschritten werden (BGH, Beschluss vom 3. November 2010 – XII ZB 197/10, NJW 2011, 386 Rn. 19 mwN). Jedenfalls daran fehlt es hier.

14

Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin konnte nicht davon ausgehen, dass das Berufungsgericht sich dem Amtsgericht bei der Frage einer einschränkenden Auslegung der Regelung des § 46 Abs. 1 Satz 1 WEG anschließen würde. Vielmehr muss jeder verständige Prozessbevollmächtigte insbesondere auch eine am Wortlaut der Regelung ausgerichtete Auslegung in Rechnung stellen. Das gilt umso mehr, als über die Frage der Passivlegitimation zwischen den Parteien bereits im ersten Rechtszug gestritten worden ist. Es hätte daher einem auf der Hand liegende Gebot anwaltlicher Vorsicht entsprochen, vorsorglich fristgerecht Berufung gegen alle übrigen Wohnungseigentümer einzulegen. Der Grundsatz, dass die Wiedereinsetzung bei Fehlern des Gerichts mit besonderer Fairness zu handhaben ist (BVerfGE 110, 339, 342), betrifft zumindest grundsätzlich nur solche Fallgestaltungen, in denen sich Fehler des Gerichts unmittelbar auf die Rechtsmitteleinlegung beziehen, wie etwa bei der Erteilung einer falschen Rechtsmittelbelehrung. Im vorliegenden Fall hingegen hat das Amtsgericht lediglich zu der materiellrechtlichen Frage der Passivlegitimation eine unzutreffende Rechtsauffassung zugrunde gelegt. Die Entscheidung, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang das Berufungsverfahren durchgeführt werden sollte, lag ausschließlich im Verantwortungsbereich der anwaltlich vertretenen Klägerin.

III.

15

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Krüger                                              Stresemann                                              Roth

                         Brückner                                                  Weinland