Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 16.09.2016


BGH 16.09.2016 - V ZR 3/16

Wohnungseigentumssache: Berücksichtigung einer nach Ablauf der gesetzten Frist, aber vor Erlass des die Berufung zurückweisenden Beschlusses eingegangenen Stellungnahme; Zeitpunkt des Erlasses des Zurückweisungsbeschlusses; Wahrung der Klagebegründungsfrist bei einer Beschlussanfechtungsklage


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
5. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
16.09.2016
Aktenzeichen:
V ZR 3/16
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2016:160916UVZR3.16.0
Dokumenttyp:
Urteil
Vorinstanz:
vorgehend LG Berlin, 7. November 2015, Az: 85 S 12/15 WEGvorgehend AG Schöneberg, 11. Dezember 2014, Az: 772 C 56/14
Zitierte Gesetze

Leitsätze

1a. Das Berufungsgericht muss Schriftsätze der Parteien, die zwar nach Ablauf der gemäß § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO gesetzten Frist zur Stellungnahme, aber vor Erlass des die Berufung zurückweisenden Beschlusses eingehen, zur Kenntnis nehmen und jedenfalls daraufhin überprüfen, ob darin enthaltene Rechtsausführungen der beabsichtigten Verfahrensweise entgegenstehen und zu einem Eintritt in die mündliche Verhandlung veranlassen.

1b. Erlassen ist der Beschluss in dem Zeitpunkt, in dem das Gericht sich seiner in einer der Verkündung vergleichbaren Weise entäußert hat (im Anschluss an BGH, Urteil vom 1. April 2004, IX ZR 117/03, NJW-RR 2004, 1574, 1575).

2. Zur Wahrung der Klagebegründungsfrist, wenn eine Beschlussanfechtungsklage innerhalb der Frist nur darauf gestützt wird, dass der Beschluss die Teilungserklärung ändere und dies einstimmig erfolgen müsse, während tatsächlich eine Öffnungsklausel vereinbart und das danach erforderliche Quorum nicht erreicht ist.

Tenor

Auf die Rechtsmittel der Klägerinnen werden das Urteil der Zivilkammer 85 des Landgerichts Berlin vom 17. November 2015 aufgehoben und das Urteil des Amtsgerichts Schöneberg vom 11. Dezember 2014 abgeändert.

Der in der ordentlichen Eigentümerversammlung der Wohnungseigentümergemeinschaft G.       straße 79/V.      straße 8 in B.     vom 26. Mai 2014 zu TOP 9 gefasste Beschluss wird für ungültig erklärt.

Die Beklagten tragen die Kosten des Rechtsstreits.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Parteien bilden eine Wohnungseigentümergemeinschaft. Die Teilungserklärung (TE) enthält unter anderem die folgenden Regelungen:

„§ 4 Lasten und Kosten

1. (...) Jeder Wohnungseigentümer trägt außerdem die Kosten der Instandhaltung und -setzung sämtlicher Gebäudeteile, Anlagen und Einrichtungen des Gemeinschaftseigentums allein, an denen er den Alleinbesitz hat. Dazu zählen z.B. Balkone, Dachterrassen und Loggien, Außenfenster, Wohnungsabschlusstür, Rollläden, Leitungen, Heizkörper samt Thermostatventilen, Heiz- und Warmwassermessgeräten, soweit diese nicht ohnedies Sondereigentum sind. (...)

§ 10 Öffnungsklausel

Die Wohnungseigentümer sind berechtigt, die bestehende Gemeinschaftsordnung, spätere Vereinbarungen einschließlich etwaiger Sondernutzungsrechte und abdingbare gesetzliche Bestimmungen durch Beschluss mit einer Mehrheit von drei Viertel aller stimmberechtigten Wohnungseigentümer auch ohne sachlichen Grund zu ändern (...).“

2

In dem Protokoll der Eigentümerversammlung vom 26. Mai 2014 ist zu TOP 9 folgendes aufgeführt:

„Unter Bezugnahme auf die TE § 4 Pkt. 1 wird vereinbart, dass die Eigentümer die Instandsetzungs- und Instandhaltungskosten an oder auf den Balkonen, Terrassen und Loggien tragen, davon ausgenommen sind die konstruktiven sowie die abdichtenden Bestandteile.

Abstimmungsergebnis: (...)

Ja-Stimmen:

56.711 MEA von 100.000 MEA

Nein-Stimmen:    

4.878 MEA von 100.000 MEA

Enthaltungen:

8.723 MEA von 100.000 MEA

Damit ist der Antrag mit Stimmenmehrheit angenommen.“

3

Gegen den Beschluss wenden sich die Klägerinnen mit der Anfechtungsklage. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landgericht hat die Berufung nach vorangegangenem Hinweis durch Beschluss vom 10. Juni 2015 gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen. Auf die Anhörungsrüge der Klägerinnen hin hat es das Verfahren fortgesetzt und die Berufung mit dem angefochtenen Urteil erneut zurückgewiesen. Mit der nunmehr zugelassenen Revision verfolgen die Klägerinnen ihre im Berufungsrechtszug gestellten Anträge weiter. Die Beklagten beantragen die Zurückweisung der Revision.

Entscheidungsgründe

I.

4

Das Berufungsgericht meint, die Klage sei nicht innerhalb der Frist des § 46 Abs. 1 Satz 2 WEG auf das Fehlen der in der Öffnungsklausel (§ 10 TE) vorgesehenen Mehrheit von 3/4 der stimmberechtigten Wohnungseigentümer gestützt worden. Sie sei zunächst nur damit begründet worden, dass die Teilungserklärung nur einstimmig geändert werden könne. Vortrag zu der Öffnungsklausel und deren Voraussetzungen sei erst nach Ablauf der Frist erfolgt. Es habe nicht dem Amtsgericht oblegen, sich aus dem mit der Klageschrift eingereichten Versammlungsprotokoll und der Teilungserklärung den notwendigen Vortrag selbst herauszusuchen. Daran ändere es nichts, dass die Beklagten ihrerseits innerhalb der Frist auf die Öffnungsklausel verwiesen hätten, da sie nicht zu den Mehrheitsverhältnissen vorgetragen hätten. Der Beschluss sei auch nicht nichtig. Das Verfehlen der aufgrund einer vereinbarten Öffnungsklausel erforderlichen Mehrheit führe im Zweifel - und auch hier - nur zur Anfechtbarkeit des gefassten Beschlusses.

II.

5

1. Die Revision ist zulässig. Insbesondere hat das Berufungsgericht das Verfahren aufgrund der von den Klägerinnen erhobenen Anhörungsrüge rechtsfehlerfrei fortgesetzt und die Revision wirksam zugelassen. Eine Anhörungsrüge kann zwar nur dann zu einer wirksamen, das Revisionsgericht gemäß § 543 Abs. 2 Satz 2 ZPO bindenden Zulassung der Revision führen, wenn das Verfahren aufgrund eines Gehörsverstoßes gemäß § 321a Abs. 5 ZPO fortgesetzt wird und sich erst aus dem anschließend gewährten rechtlichen Gehör ein Grund für die Zulassung der Revision ergibt (vgl. Senat, Urteil vom 4. März 2011 - V ZR 123/10, NJW 2011, 1516 Rn. 7; BGH, Urteil vom 1. Dezember 2011 - IX ZR 70/10, WM 2012, 325 Rn. 7 f.; Urteil vom 16. Dezember 2014 - VI ZR 55/14, VersR 2015, 82 Rn. 7, 9). Diese Voraussetzungen liegen aber jedenfalls im Ergebnis vor.

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a) Allerdings erschöpft sich die Begründung des Berufungsgerichts für die Fortführung des Verfahrens in der Bemerkung, der Zurückweisungsbeschluss vom 10. Juni 2015 berücksichtige „nicht die in der Literatur teilweise vertretene Meinung zu einer Nichtigkeit des Mehrheitsbeschlusses, soweit das in einer Öffnungsklausel notwendige Quorum der Wohnungseigentümer nicht erreicht worden ist“. Eine Verletzung des Anspruchs der Klägerin auf rechtliches Gehör, wie ihn § 321a Abs. 1 Nr. 2 ZPO voraussetzt, ist daraus nicht zu entnehmen.

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b) Das Revisionsgericht ist jedoch nicht an die Begründung des Berufungsgerichts gebunden, sondern überprüft von Amts wegen, ob die Anhörungsrüge statthaft, zulässig und begründet war (vgl. BGH, Urteil vom 14. April 2016 - IX ZR 197/15, ZinsO 2016, 1389 Rn. 8 ff.). Diese Prüfung ergibt, dass das Verfahren in der Sache zu Recht fortgesetzt worden ist.

8

aa) Die fristgerecht erhobene Anhörungsrüge war gemäß § 321a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthaft, weil der Zurückweisungsbeschluss des Berufungsgerichts vor dem 31. Dezember 2015 erlassen worden und die Nichtzulassungsbeschwerde infolgedessen ausgeschlossen war (§ 62 Abs. 2 WEG). Auch haben die Klägerinnen - wie es gemäß § 321a Abs. 2 Satz 5 ZPO erforderlich ist - eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör dargelegt. Sie haben nämlich unter anderem ausgeführt, sie hätten mit ihrem Schriftsatz vom 4. Juni 2015 darauf hingewiesen, dass „die hier maßgebliche Frage der Nichtigkeit oder Anfechtbarkeit des Beschlusses noch nicht höchstrichterlich entschieden wurde und das Landgericht München zu dieser Frage die Revision zum Bundesgerichtshof zugelassen hat.“ Auf diesen Vortrag sei das Berufungsgericht nicht eingegangen, obwohl sich daraus ergebe, dass die Revision zuzulassen sei. Gemeint war hiermit offenkundig der Schriftsatz vom 16. Juni 2015, der (anders als der Schriftsatz vom 4. Juni 2015) den näher bezeichneten Vortrag enthielt.

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bb) In der Sache ist der Anspruch der Klägerinnen auf rechtliches Gehör verletzt worden.

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(1) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verpflichtet Art. 103 Abs. 1 GG das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Es verstößt gegen diesen Grundsatz, wenn es einen in zulässiger Weise eingereichten Schriftsatz nicht berücksichtigt; auf ein Verschulden des Gerichts kommt es dabei nicht an (vgl. BVerfGE 11, 218, 220; 62, 347, 352 mwN).

11

(2) So liegt es hier. Das Berufungsgericht musste den Schriftsatz vom 16. Juni 2015, der an demselben Tag per Telefax bei Gericht einging, bei seiner Entscheidungsfindung berücksichtigen.

12

(a) Dem steht nicht entgegen, dass der Zurückweisungsbeschluss schon vom 10. Juni 2015 datierte. Die Bindung des Gerichts an den Beschluss tritt nämlich erst mit dessen Erlass ein. Erlassen ist ein Beschluss in dem Zeitpunkt, in dem das Gericht sich seiner in einer der Verkündung vergleichbaren Weise entäußert hat (näher BGH, Urteil vom 1. April 2004 - IX ZR 117/03, NJW-RR 2004, 1574, 1575 unter II. 2a), hier also frühestens am 18. Juni 2015, als die Geschäftsstelle die Versendung der Ausfertigungen an die Parteivertreter vornahm. Infolgedessen musste das Berufungsgericht den zuvor eingegangenen Schriftsatz vom 16. Juni 2016 zur Kenntnis nehmen und seinen Inhalt in seine Entscheidungsfindung insoweit einbeziehen, als dies den Vorgaben der Zivilprozessordnung entsprach.

13

(b) Nach den Vorgaben der Zivilprozessordnung musste der Inhalt des Schriftsatzes berücksichtigt werden, obwohl die den Klägerinnen gemäß § 522 Abs. 2 ZPO gesetzte Frist zur Stellungnahme zu dem Hinweisbeschluss bereits am 9. Juni 2015 abgelaufen war. Ob das Gericht nach Fristablauf, aber vor Erlass des Zurückweisungsbeschlusses eingehenden neuen Tatsachenvortrag der Parteien nach Maßgabe der §§ 529, 531 ZPO berücksichtigen muss, hat der Bundesgerichtshof bislang offen gelassen (BGH, Urteil vom 28. Juli 2011 - VII ZR 180/10, NJW-RR 2011, 1528 Rn. 13 aE; vgl. auch Senat, Beschluss vom 14. Juli 2016 - V ZR 258/15 Rn.14, juris; gegen eine Ausschlusswirkung PG/Lemke, ZPO, 7. Aufl., § 522 Rn. 39; MüKoZPO/Rimmelspacher, 5. Aufl., § 522 Rn. 27). Diese Frage bedarf auch hier keiner Entscheidung. Denn der Schriftsatz vom 16. Juni 2015 beschränkte sich auf Rechtsausführungen, für die § 296a ZPO ohnehin nicht gilt (vgl. nur Zöller/Greger, 31. Aufl., § 296a Rn. 2). Im streitigen Verfahren ist das Gericht verpflichtet, nach Schluss der mündlichen Verhandlung eingegangene, nicht nachgelassene Schriftsätze jedenfalls daraufhin zu überprüfen, ob darin enthaltene rechtliche Ausführungen Anlass für die Wiedereröffnung des Verfahrens gemäß § 156 ZPO geben (MüKoZPO/Prütting, 5. Aufl., § 283 Rn. 7, § 296a Rn. 8). Daraus folgt im Verfahren gemäß § 522 Abs. 2 ZPO, dass das Berufungsgericht Schriftsätze der Parteien, die zwar nach Ablauf der Frist zur Stellungnahme (§ 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO), aber vor Erlass des die Berufung zurückweisenden Beschlusses (§ 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO) eingehen, zur Kenntnis nehmen und jedenfalls daraufhin überprüfen muss, ob darin enthaltene Rechtsausführungen der beabsichtigten Verfahrensweise entgegenstehen und zu einem Eintritt in die mündliche Verhandlung veranlassen. Dies ist hier - wie sich dem Hinweis des Berufungsgerichts vom 25. August 2015 entnehmen lässt - versehentlich unterblieben.

14

cc) Die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör ist entscheidungserheblich im Sinne von § 321a Abs. 1 Nr. 2 ZPO, weil sich aus dem nach Fortführung des Verfahrens gewährten rechtlichen Gehör ein Grund für die Zulassung der Revision ergab. In dem Schriftsatz vom 16. Juni 2015 stützten sich die Klägerinnen nämlich erstmals auf das wenige Monate zuvor veröffentlichte Urteil des Senats vom 12. Dezember 2014 (V ZR 53/14, NZM 2015, 218 Rn. 16), in dem der Senat von einer Entscheidung der „umstrittenen und höchstrichterlich noch nicht entschiedenen“ Rechtsfrage der Nichtigkeit eines Beschlusses, mit dem von einer vereinbarten Öffnungsklausel ohne das erforderliche Quorum Gebrauch gemacht wird, absah. Da das Berufungsgericht die Anfechtungsfrist als nicht gewahrt ansah, war diese Rechtsfrage von seinem Standpunkt aus entscheidungserheblich; nach dem ausdrücklichen Hinweis des Bundesgerichtshofs lag die in § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO geregelte Voraussetzung für die beabsichtigte Zurückweisung im Beschlusswege nicht vor, nämlich die fehlende grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache.

15

2. Die Revision ist begründet. Die Annahme des Berufungsgerichts, die Klage sei nicht innerhalb der Klagebegründungsfrist auf das Nichterreichen des in der Öffnungsklausel vorgeschriebenen Quorums gestützt worden, hält der revisionsrechtlich unbeschränkten Nachprüfung (vgl. hierzu Senat, Urteil vom 27. März 2009 - V ZR 196/08, NJW 2009, 2132 Rn. 8) nicht stand.

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a) Die in § 46 Abs. 1 Satz 2 WEG geregelte Frist zur Begründung der Klage soll bewirken, dass für die Wohnungseigentümer und für den zur Ausführung von Beschlüssen berufenen Verwalter zumindest im Hinblick auf Anfechtungsgründe alsbald Klarheit darüber besteht, ob, in welchem Umfang und aufgrund welcher tatsächlichen Grundlage gefasste Beschlüsse einer gerichtlichen Überprüfung unterzogen werden. Vor diesem Hintergrund ist es - zumal unter der Geltung der den Zivilprozess beherrschenden Beibringungsmaxime - unerlässlich, dass sich der Lebenssachverhalt, auf den die Anfechtungsklage gestützt wird, zumindest in seinem wesentlichen Kern aus den innerhalb der Frist eingegangenen Schriftsätzen selbst ergibt; wegen der Einzelheiten mag auf Anlagen verwiesen werden. Dass dem Gericht bei der Durchsicht der Anlagen rechtserhebliche Umstände auffallen, ersetzt nicht den erforderlichen Sachvortrag (grundlegend Senat, Urteil vom 16. Januar 2009 - V ZR 74/08, BGHZ 179, 230 Rn. 10 und 20; vgl. auch Senat, Urteil vom 27. März 2009 - V ZR 196/08, NJW 2009, 2132 Rn. 13). Einer Substantiierung im Einzelnen bedarf es dagegen nicht (vgl. Senat, Urteil vom 27. März 2009 - V ZR 196/08, aaO Rn. 14).

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b) Die Frage, ob der in der Klageschrift geschilderte Lebenssachverhalt auch das Erreichen der qualifizierten Mehrheit gemäß § 10 TE umfasst, stellt zwar - das ist den Vorinstanzen einzuräumen - einen Grenzfall dar. Aus Sicht des Senats sprechen die besseren Argumente aber dafür, dass auch diese Frage innerhalb der Klagebegründungsfrist zur Überprüfung durch das Gericht gestellt worden ist.

18

aa) Richtig ist, dass die Klageschrift Tatsachenvortrag zu der Öffnungsklausel, den danach erforderlichen und den tatsächlichen Mehrheitsverhältnissen nicht enthielt. Darin wird unter anderem ausgeführt, dass die Teilungserklärung im Hinblick auf die Regelung in § 4 Nr. 1 TE nur einstimmig bzw. durch Vereinbarung geändert werden könne. Infolgedessen fehle den Eigentümern die Beschlusskompetenz. Eine mehrheitliche Beschlussfassung sei schon gar nicht zulässig. Erst die Beklagten stützten sich in der Klageerwiderung auf die Öffnungsklausel, allerdings ohne zugleich - wie es ihren Pflichten gemäß § 138 Abs. 1 ZPO entsprochen hätte (vgl. BGH, Urteil vom 13. März 1959 - 4 StR 14/59, MDR 1959, 589; Zöller/Greger, ZPO, 31. Aufl., § 138 Rn. 3) - das Verfehlen des Quorums vorzutragen.

19

bb) Gleichwohl sieht der Senat die Klagebegründungsfrist als gewahrt an. Der dem Gericht unterbreitete Lebenssachverhalt umfasst im Kern zwei Fragen, ob nämlich der Beschluss die Teilungserklärung ändert und ob er die hierfür erforderliche Zustimmung unter den Wohnungseigentümern gefunden hat. Dass die Klägerinnen den Standpunkt vertraten, der Beschluss habe einstimmig gefasst werden müssen, stellt ihre Einschätzung der Rechtslage, aber keine Begrenzung des dem Gericht unterbreiteten Lebenssachverhalts dar. Infolgedessen musste das Gericht unter Heranziehung des als Anlage eingereichten Versammlungsprotokolls und der Teilungserklärung insgesamt prüfen, ob die Beschlussfassung den Vorgaben der Teilungserklärung entsprach. Zudem diente der Vortrag der Klägerinnen, die nach der Öffnungsklausel erforderliche qualifizierte Mehrheit sei nicht erreicht, der näheren Substantiierung des im Kern zuvor umrissenen Lebenssachverhalts; dass er nach Ablauf der Frist erfolgte, ist daher unschädlich. Objektiv gesehen konnten die beklagten Wohnungseigentümer der Klageschrift nebst Anlagen entnehmen, dass die Zulässigkeit einer mehrheitlichen Beschlussfassung überprüft werden sollte; sie mussten davon ausgehen, dass die Öffnungsklausel in die rechtliche Beurteilung einzubeziehen war, so dass auch insoweit der wesentliche Zweck der Klagebegründungsfrist erreicht worden ist. Offenkundig haben die Beklagten die Klageschrift auch so verstanden und sich deshalb mit dem - wenn auch unvollständigen - Verweis auf die Öffnungsklausel verteidigt.

20

cc) Anders läge es allerdings dann, wenn sich die fehlende Mehrheit den Anlagen zu der Klageschrift nicht ohne weiteres entnehmen ließe. Wäre das Quorum nach dem Versammlungsprotokoll erreicht, müsste das Gericht nur auf entsprechenden fristgerechten Tatsachenvortrag hin prüfen, ob es tatsächlich verfehlt wurde, etwa deshalb, weil Stimmabgaben auf unwirksamen Vollmachten beruhten (vgl. Senat, Urteil vom 27. März 2009 - V ZR 196/08, NJW 2009, 2132 Rn. 29). Aber hier geht aus dem mit der Klageschrift überreichten Versammlungsprotokoll eindeutig hervor, dass nur eine einfache Mehrheit zustande gekommen war.

III.

21

Das Urteil kann danach keinen Bestand haben. Die Sache ist zur Entscheidung reif (§ 563 Abs. 3 ZPO), weil der geltend gemachte Anfechtungsgrund gegeben ist.

22

1. Ohne nähere Begründung, aber im Ergebnis zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, dass der Beschluss die Teilungserklärung abändert und infolgedessen nicht mit einfacher Mehrheit gefasst werden konnte.

23

a) Das Revisionsgericht kann sowohl den angefochtenen Beschluss als auch die bislang in der Teilungserklärung enthaltene Regelung selbst auslegen. Bei der gebotenen objektiven Auslegung kommt es maßgebend darauf an, wie der Beschluss (bzw. die Teilungserklärung) nach Wortlaut und Sinn für einen unbefangenen Betrachter nächstliegend zu verstehen ist. Umstände außerhalb des protokollierten Beschlusses (bzw. der Teilungserklärung) dürfen nur herangezogen werden, wenn sie nach den besonderen Verhältnissen des Einzelfalles für jedermann ohne weiteres erkennbar sind (vgl. Senat, Beschluss vom 10. September 1998 - V ZB 11/98, BGHZ 139, 288, 291 f.; Urteil vom 10. Oktober 2014 - V ZR 315/13, BGHZ 202, 346 Rn. 8).

24

b) Die Auslegung ergibt, dass der Beschluss § 4 Nr. 1 TE abändert.

25

aa) Die bislang geltende Fassung von § 4 Nr. 1 TE ist nächstliegend so zu verstehen, dass Eigentümer von Wohnungen, die mit einem Balkon ausgestattet sind, für sämtliche diesbezüglich entstehenden Instandsetzungs- und Instandhaltungskosten aufkommen müssen. Eine Einschränkung hinsichtlich der konstruktiven sowie der abdichtenden Bestandteile lässt sich dem klaren Wortlaut der Klausel nicht entnehmen (so zu einer vergleichbaren Klausel Senat, Urteil vom 16. November 2012 - V ZR 9/12, NJW 2013, 681 f.). Insbesondere folgt eine solche Einschränkung nicht aus der Bezugnahme auf den „Alleinbesitz“ in dem ersten, allgemeinen Teil der Klausel. Der zweite Teil der Klausel lässt nämlich keinen Zweifel daran, dass die Kosten, die mit der Unterhaltung der dort explizit geregelten Teile des Gemeinschaftseigentums verbunden sind, insgesamt denjenigen Wohnungseigentümern zur Last fallen sollen, deren Nutzen sie vornehmlich dienen.

26

bb) Von dieser Regelung abweichend soll durch den angefochtenen Beschluss eine Ausnahme hinsichtlich der konstruktiven sowie der abdichtenden Bestandteile festgelegt werden. Aus den einleitenden Worten „Unter Bezugnahme auf die TE § 4 Pkt. 1 wird vereinbart, dass ...“ ergibt sich eindeutig, dass eine allgemeine Regelung beabsichtigt war und an der bislang geltenden Teilungserklärung insoweit zukünftig nicht mehr festgehalten werden sollte.

27

2. Einer Klärung der umstrittenen und höchstrichterlich noch nicht entschiedenen Frage der Nichtigkeit eines solchen Beschlusses, die das Berufungsgericht von seinem Standpunkt aus zu Recht zu der Zulassung der Revision veranlasst hat, bedarf es nicht; denn in Fallkonstellationen wie der vorliegenden kann das Gericht den Beschluss ohne weiteres für ungültig erklären (näher Senat, Urteil vom 2. Oktober 2009 - V ZR 235/08, BGHZ 182, 307 Rn. 21 f.).

IV.

28

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

Schmidt-Räntsch                            Brückner                            Göbel

                            Haberkamp                            Hamdorf