Entscheidungsdatum: 01.12.2011
Lässt das Berufungsgericht auf eine Anhörungsrüge hin die Revision nachträglich zu, ohne einen darauf bezogenen Gehörsverstoß festzustellen, ist die Zulassungsentscheidung verfahrensfehlerhaft ergangen und bindet das Revisionsgericht nicht (im Anschluss an BGH, 4. März 2011, V ZR 123/10, NJW 2011, 1516).
Die Revision gegen das Urteil der 9. Zivilkammer des Landgerichts Karlsruhe vom 13. November 2009 wird auf Kosten der Beklagten als unzulässig verworfen.
Von Rechts wegen
Der Kläger vollstreckte aus einem Versäumnisurteil gegen den Schuldner und ließ dessen angebliche Ansprüche gegen die erstbeklagte Drittschuldnerin
"auf Zahlung des gesamten gegenwärtigen u. künftigen Arbeitseinkommens und vergleichbarer Einkünfte, beispielsweise aus Dienst- und Auftragsverhältnissen, aus Provisionszahlungen (einschl. des Geldwertes von Sachbezügen), aus Berater- bzw. freiberuflicher Tätigkeit jeder Art"
pfänden und sich zur Einziehung überweisen. Der Pfändungs- und Überweisungsbeschluss wurde der Beklagten zu 1 am 17. Mai 2006 zugestellt. Sie erkannte die gepfändete Forderung nicht an und überwies dem Schuldner am 1. Juni 2006 einen Betrag von 3.350 € als Vergütung für selbständige Tätigkeit. Mit Schreiben vom 4. Juli 2006 erklärten die Bevollmächtigten des Klägers "die Pfändung für beruhend." Im Oktober 2006 "riefen sie diese wieder an." Am 7. Dezember 2006 wurde über das Vermögen des Schuldners das Insolvenzverfahren eröffnet.
Mit der Drittschuldnerklage verlangt der Kläger nochmalige Zahlung der 3.350 € an sich, weil die Beklagte zu 1 seiner Ansicht nach das Zahlungsverbot der Pfändung missachtet habe. Das Amtsgericht hat die Beklagten verurteilt, das Landgericht hat die Berufung in seinem Urteil vom 11. April 2008 zurückgewiesen und die Revision nicht zugelassen, weil der Fall keine grundsätzliche Bedeutung habe.
Auf die Anhörungsrüge der Beklagten hat das Landgericht das Verfahren fortgesetzt, die Berufung abermals zurückgewiesen und die Revision nunmehr zugelassen. Die Beklagten verfolgen mit ihrem Rechtsmittel ihren Klageabweisungsantrag weiter.
Die Revision ist unzulässig, weil die Zulassungsentscheidung unstatthaft und verfahrensrechtlich nicht bindend ist.
I.
Das Berufungsgericht hat seine nachträgliche Revisionszulassung damit begründet, dass es nach nochmaliger Prüfung ihre Voraussetzungen wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache für gegeben erachte. Die entscheidungserhebliche Frage, wie es wirke, wenn der Gläubiger eine ausgebrachte Pfändung für beruhend erkläre, auf die Abführung der pfändbaren Beträge verzichte, aber die Rangfolge wahren wolle, sei bislang nicht höchstrichterlich entschieden. Diese Frage komme für eine Vielzahl von Fällen in Betracht.
II.
Das Revisionsgericht ist gemäß § 543 Abs. 2 Satz 2 ZPO an die Zulassung auch dann gebunden, wenn die seitens des Berufungsgerichts für maßgeblich erachteten Zulassungsgründe aus Sicht des Revisionsgerichts nicht vorliegen. Durfte die Zulassung dagegen verfahrensrechtlich überhaupt nicht ausgesprochen werden, ist sie unwirksam. Das gilt auch für eine prozessual nicht vorgesehene nachträgliche Zulassungsentscheidung, welche die Bindung des Gerichts an seine eigene Entscheidung gemäß § 318 ZPO außer Kraft setzen würde (BGH, Urteil vom 4. März 2011 - V ZR 123/10, NJW 2011, 1516 Rn. 4). Die Fortführung des Verfahrens durch das Berufungsgericht nach Anhörungsrüge der Beklagten entbehrte der gesetzlichen Stütze. Die Voraussetzungen des § 321a ZPO lagen offensichtlich nicht vor. Die Zulassung der Revision im zweiten Berufungsurteil ist deshalb wirkungslos.
1. Die Anhörungsrüge räumt dem Gericht keine umfassende Abhilfemöglichkeit ein, sondern dient allein der Behebung von Verstößen gegen die grundgesetzliche Garantie des rechtlichen Gehörs. Daran fehlt es hier. In der Sache selbst war angeblich übergangenes Vorbringen jedenfalls nicht entscheidungserheblich; denn das Berufungsgericht hat ohne wesentliche neue Erwägungen seinen ersten Spruch nach Fortführung des Verfahrens wiederholt. Folglich stand die Vorschrift des § 321a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO, die eine entscheidungserhebliche Verletzung des rechtlichen Gehörs voraussetzt, der Fortführung des Verfahrens entgegen. Die im ersten Berufungsurteil unterbliebene Zulassung der Revision als solche konnte die Garantie des rechtlichen Gehörs nicht verletzen (BVerfG, NJW-RR 2008, 75, 76; BGH, Urteil vom 4. März 2011, aaO Rn. 6), es sei denn, auf die Zulassungsentscheidung bezogener Vortrag der Parteien wäre verfahrensfehlerhaft übergangen worden (BGH, aaO und Beschluss vom 29. Januar 2009 - V ZB 140/08, WM 2009, 756 Rn. 5). Die Anhörungsrüge kann deshalb nur dann zu einer wirksamen Zulassung der Revision führen, wenn das Verfahren aufgrund eines Gehörsverstoßes gemäß § 321a Abs. 5 ZPO fortgesetzt wird und sich erst aus dem anschließend gewährten rechtlichen Gehör ein Grund für die Zulassung der Revision ergibt (BGH, Urteil vom 4. März 2011, aaO Rn. 7).
Art. 103 Abs. 1 GG soll sichern, dass die Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, die auf mangelnder Kenntnisnahme oder Erwägung des Sachvortrags der Prozessbeteiligten beruhen. Sein Schutzbereich bezieht keine Kontrolle der Entscheidung in der Sache ein (BVerfG, NJW 2005, 3345, 3346; NJW-RR 2008, 75 f, jeweils mwN). Hier haben die Beklagten in der ersten Berufungsverhandlung den Antrag auf Zulassung der Revision gestellt. Dieser Antrag ist nicht besonders begründet worden, sondern fand seine Grundlage nur in den allgemeinen Sach- und Rechtsausführungen der Beklagten. Das Berufungsgericht hat ihn am Ende seines ersten Berufungsurteils abschlägig beschieden.
Die Anhörungsrüge der Beklagten hat insoweit auch keine Verletzung des rechtlichen Gehörs behauptet, sondern sich auf die Garantie des gesetzlichen Richters und das Rechtsstaatsprinzip in seiner Ausprägung als Gewährung effektiven Rechtsschutzes berufen. Selbst wenn diese Verfahrensgrundrechte willkürlich verletzt worden wären, kann dies nicht unmittelbarer Gegenstand der auf Gehörsverstöße beschränkten Anhörungsrüge sein (BGH, Urteil vom 4. März 2011, aaO Rn. 8).
2. Die nachträgliche Zulassung der Revision im zweiten Berufungsurteil kann auch nicht als Entscheidung über eine entsprechend § 321a ZPO erhobene Rüge der Verletzung anderer Verfahrensgrundrechte verstanden werden. Allerdings hat der Bundesgerichtshof in mehreren Entscheidungen die auf eine Gegenvorstellung hin ausgesprochene Zulassung der Rechtsbeschwerde in analoger Anwendung von § 321a ZPO unter der Voraussetzung gebilligt, dass die Zulassung zuvor willkürlich unterblieben ist, und hat dies aus dem Anspruch des Beschwerdeführers auf den gesetzlichen Richter gemäß Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG hergeleitet (BGH, Beschluss vom 19. Mai 2004 - IXa ZB 182/03, NJW 2004, 2529 f; vom 4. Juli 2007 - VII ZB 28/07, NJW-RR 2007, 1654; vom 11. Juli 2007 - IV ZB 38/06, NJW-RR 2007, 1653 Rn. 4; offen gelassen - jeweils Urteile betreffend - vom BGH, Beschluss vom 19. Januar 2006 - I ZR 151/02, NJW 2006, 1978 Rn. 6; BVerfG, NJW-RR 2008, 75, 76).
Ob die Nichtzulassung der Revision als Verstoß gegen andere Verfahrensgrundrechte in analoger Anwendung von § 321a ZPO gerügt werden kann, bedarf hier keiner Entscheidung. Ein solcher außerordentlicher Rechtsbehelf kann allenfalls dann Erfolg haben, wenn das Berufungsgericht seiner Entscheidung die strengen Voraussetzungen einer solchen Rüge zugrunde gelegt hat (BGH, Urteil vom 4. März 2011, aaO Rn. 10). Sowohl das Gebot des gesetzlichen Richters als auch das Recht auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes schützen nicht vor jeder fehlerhaften Anwendung der Prozessordnung, sondern setzen eine willkürlich unterlassene Zulassung (BVerfGE 101, 331, 359 f; BGH, Beschluss vom 19. Mai 2004, aaO) oder eine unzumutbare, sachlich nicht mehr zu rechtfertigende Verkürzung des Instanzenzuges voraus (BVerfG, FamRZ 2010, 1235, 1236 mwN).
Weder der Hinweis im Wiedereröffnungsbeschluss nach der Anhörungsrüge noch das zweite Berufungsurteil haben zum Ausdruck gebracht, dass das Berufungsgericht seine Nichtzulassungsentscheidung im ersten Berufungsurteil nachträglich als objektiv willkürlich angesehen hat. Der Senat hat bereits in seinem Hinweisbeschluss vom 17. Februar 2011 dargelegt, dass die Auslegung der Erklärung vom 4. Juli 2006, die Pfändung für beruhend zu erklären, von den Umständen des Einzelfalls abhängen kann und der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung verleiht. Selbst wenn man die gegenteilige Auffassung vertreten wollte, so ist diese Würdigung zumindest nicht willkürlich. Auf die streitige Auslegung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses vom 27. April 2006 ist das Berufungsgericht in diesem Zusammenhang nicht eingegangen. Dass sie bei Meidung von Willkür zur Zulassung der Revision hätte führen müssen, ist weder geltend gemacht worden noch sonst ersichtlich.
Kayser Raebel Pape
Grupp Möhring