Entscheidungsdatum: 18.02.2016
Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers wird der Beschluss des Oberlandesgerichts Bamberg - 4. Zivilsenat - vom 8. Mai 2015 aufgehoben.
Dem Kläger wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist gewährt.
Die Sache wird zur Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungs-gericht zurückverwiesen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 63.158,55 €.
I.
Der Kläger macht gegen die Beklagten Sachmängelansprüche nach Abschluss eines Grundstückskaufvertrages geltend. Das Landgericht hat die Klage durch das dem Kläger am 28. Januar 2015 zugestellte Urteil abgewiesen. Am 2. März 2015 (Montag) sind bei dem Oberlandesgericht per Telefax die erste Seite einer zweiseitigen Berufungsschrift sowie eine zehnseitige Abschrift des Urteils des Landgerichts eingegangen. Die zweite Seite des Berufungsschriftsatzes, die u.a. die Unterschrift des Prozessbevollmächtigten des Klägers aufwies, fehlte. Am 4. März 2015 ging der Berufungsschriftsatz im Original und vollständig bei dem Oberlandesgericht ein. Nachdem der Vorsitzende den Kläger mit Verfügung vom 3. März 2015 auf den unvollständigen Faxeingang und die Absicht, die Berufung als unzulässig zu verwerfen, hingewiesen hatte, hat dieser mit Schriftsatz vom 10. März 2015 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist beantragt.
Zur Begründung des Wiedereinsetzungsgesuchs hat sich der Prozessbevollmächtigte des Klägers darauf berufen, die Kanzleiangestellte R. beauftragt zu haben, den Berufungsschriftsatz an das Oberlandesgericht per Telefax zu versenden. Er habe sie angewiesen, das Sendeprotokoll auszudrucken und darauf zu überprüfen, ob der Originalschriftsatz vollständig und ordnungsgemäß übermittelt worden sei. Sodann habe sie ihn über den Erfolg oder das Fehlschlagen der Übermittlung unterrichten sollen. Frau R. habe nach Übermittlung des Schriftsatzes nebst Urteilsabschrift den Sendebericht ausgedruckt und überprüft. Sie sei davon ausgegangen, dass der Berufungsschriftsatz nebst Urteil vollständig beim Oberlandesgericht eingegangen sei. Anschließend habe sie den Rechtsanwalt von der ordnungsgemäßen Übermittlung des Berufungsschriftsatzes informiert und die Frist im elektronischen Fristenkontrollsystem gestrichen. Es handele sich bei Frau R. um eine ausgebildete und geprüfte Rechtsanwaltsfachangestellte, die seit 2000 in der Kanzlei arbeite und bislang alle Weisungen stets sorgfältig, zuverlässig und fehlerlos ausgeführt habe.
Das Oberlandesgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Klägers, deren Zurückweisung die Beklagten beantragen.
II.
Nach Ansicht des Berufungsgerichts ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen, da eine ordnungsgemäße Berufungsschrift erst nach Ablauf der Frist des § 517 ZPO eingegangen sei und die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 233 ZPO nicht vorlägen. Der Kläger habe ein Verschulden seines Prozessbevollmächtigten, das ihm gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen sei, nicht ausgeräumt. Seiner Pflicht zur wirksamen Ausgangskontrolle fristwahrender Schriftsätze genüge ein Rechtsanwalt nur, wenn er seine Angestellten anweise, nach einer Übermittelung per Telefax anhand des Sendeprotokolls zu überprüfen, ob die Übermittlung vollständig und an den richtigen Empfänger erfolgt sei. Dabei sei auch ein Vergleich der Anzahl der zu übermittelnden Seiten mit den laut Sendeprotokoll versandten Seiten anzuordnen. Hieran fehle es vorliegend. Weder gebe es eine entsprechende allgemeine Weisung noch sei die der Kanzleiangestellten R. erteilte Einzelanweisung ausreichend. Eine ausdrückliche Anweisung, die Seitenzahlen abzugleichen, werde nämlich nicht behauptet. Eine entsprechende Anweisung lasse sich auch den Angaben der Kanzleiangestellten R. in der vorgelegten eidesstattlichen Versicherung nicht entnehmen.
III.
1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthaft. Sie ist auch im Übrigen zulässig. Die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt 2 ZPO), weil das Berufungsgericht die Anforderungen an das, was eine Partei veranlasst haben muss, um Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu erlangen, überspannt und dadurch den Anspruch des Klägers auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip) verletzt hat (vgl. Senat, Beschluss vom 4. Juli 2002 - V ZB 16/02, BGHZ 151, 221, 227 f.; BGH, Beschluss vom 12. November 2013 - VI ZB 4/13, NJW 2014, 700 Rn. 5 mwN).
2. Die Rechtsbeschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Die Auffassung des Berufungsgerichts, die Voraussetzungen für die Gewährung der Wiedereinsetzung gegen die versäumte Berufungsfrist (§ 233 ZPO) lägen nicht vor, ist rechtsfehlerhaft.
a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs genügt der Rechtsanwalt seiner Pflicht zur wirksamen Ausgangskontrolle fristwahrender Schriftsätze nur dann, wenn er seine Angestellten anweist, nach einer Übermittlung per Telefax anhand des Sendeprotokolls zu überprüfen, ob die Übermittlung vollständig und an den richtigen Empfänger erfolgt ist. Erst danach darf die Frist im Fristenkalender gestrichen werden (BGH, Beschluss vom 13. Juni 1996 - VII ZB 13/96, NJW 1996, 2513; Beschluss vom 14. Mai 2008 - XII ZB 34/07, NJW 2008, 2508 Rn. 11; Beschluss vom 29. Juni 2010 - VI ZA 3/09, NJW 2010, 3101 Rn. 8; Beschluss vom 31. Oktober 2012 - III ZB 51/12, juris Rn. 6). Diese zwingend notwendige Ausgangskontrolle muss sich entweder - für alle Fälle - aus einer allgemeinen Kanzleianweisung oder - in einem Einzelfall - aus einer konkreten Einzelanweisung ergeben (BGH, Beschluss vom 14. Mai 2008 - XII ZB 34/07, NJW 2008, 2508 Rn. 12).
b) Hier hatte der Prozessbevollmächtigte des Klägers seiner Angestellten die Einzelanweisung erteilt, das Sendeprotokoll darauf zu überprüfen, ob der Originalschriftsatz vollständig und ordnungsgemäß übermittelt worden ist. Soweit es um die - vorliegend allein interessierende - Überprüfung der Vollständigkeit der Übermittlung geht, war hiermit in hinreichendem Umfang für eine wirksame Ausgangskontrolle gesorgt. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts bedurfte es nicht einer zusätzlichen, ausdrücklichen Anweisung, die Anzahl der zu übermittelnden mit den laut Sendeprotokoll versandten Seiten zu vergleichen. Es versteht sich vielmehr von selbst und bedarf keiner ausdrücklichen Erwähnung, dass die von einem Rechtsanwalt angeordnete Vollständigkeitsprüfung anhand des Sendeprotokolls nur in der Weise möglich ist, dass die Seitenzahlen abgeglichen werden. Dies muss jedenfalls für die Fälle gelten, in denen eine solche Anweisung an eine - wie hier - erfahrene Angestellte erfolgt, die bislang stets sorgfältig, zuverlässig und fehlerlos die Arbeiten in der Kanzlei ausgeführt hat und über eine entsprechende Ausbildung verfügt.
Ein Rechtsanwalt darf davon ausgehen, dass eine solche Angestellte die Anweisung, die Übermittlung eines fristwahrenden Schriftsatzes per Telefax auf Vollständigkeit zu prüfen, nicht dahingehend missversteht, hierfür genüge bereits der bloße OK-Vermerk im Faxprotokoll ohne Abgleichung der in dem Sendeprotokoll angezeigten Seiten mit denjenigen des Originalschriftsatzes. Verschuldensmaßstab ist nicht die äußerste und größtmögliche Sorgfalt, sondern die von einem ordentlichen Rechtsanwalt zu fordernde übliche Sorgfalt (BGH, Beschluss vom 17. August 2011 - I ZB 21/11, NJW-RR 2012, 122 Rn. 12). Diese hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers gewahrt.
c) Aus den von dem Berufungsgericht zitierten Entscheidungen anderer Senate des Bundesgerichtshofs ergibt sich nichts anderes. Soweit der III. Zivilsenat in dem Beschluss vom 31. Oktober 2012 (III ZB 51/12, juris Rn. 6) verlangt, es sei ein Vergleich der Anzahl der zu übermittelnden mit den laut Sendeprotokoll versandten Seiten anzuordnen, entspricht dies der Sache nach der Auffassung des Senats. In der Anweisung, die Vollständigkeit der Übermittlung anhand des Sendeprotokolls zu überprüfen, ist nämlich eine solche Anordnung des Seitenabgleichs konkludent enthalten. Dass ein solcher Seitenabgleich von dem Rechtsanwalt zusätzlich neben der Anweisung der Vollständigkeitsprüfung anzuordnen sein soll, ergibt sich auch nicht aus den von dem III. Zivilsenat in Bezug genommenen Beschlüssen des XII. Zivilsenats vom 14. Mai 2008 (XII ZB 34/07, NJW 2008, 2508 Rn. 14) und des VII. Zivilsenats vom 13. Juni 1996 (VII ZB 13/96, NJW 1996, 2513). Vielmehr wird in beiden Entscheidungen maßgeblich auf die Überprüfung der Vollständigkeit der Übermittlung anhand des Sendeprotokolls abgestellt. Dies gilt auch für den von dem Berufungsgericht zusätzlich angeführten Beschluss des VI. Zivilsenats vom 29. Juni 2010 (VI ZA 3/09, NJW 2010, 3101 Rn. 8).
IV.
Der Senat kann nach § 577 Abs. 5 Satz 1 ZPO in der Sache selbst entscheiden, weil es keiner weiteren Tatsachenfeststellungen bedarf. Aufgrund der dargelegten und glaubhaft gemachten Umstände liegt kein dem Kläger nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnendes Anwaltsverschulden vor. Da auch die übrigen Voraussetzungen für die beantragte Wiedereinsetzung vorliegen, ist dem Wiedereinsetzungsgesuch stattzugeben.
Stresemann Schmidt-Räntsch Brückner
Göbel Haberkamp