Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 14.06.2012


BGH 14.06.2012 - V ZB 284/11

Abschiebehaftverfahren: Notwendige Aushändigung eines - übersetzten - Haftantrages


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
5. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
14.06.2012
Aktenzeichen:
V ZB 284/11
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend LG Hamburg, 20. Dezember 2011, Az: 329 T 109/11, Beschlussvorgehend AG Hamburg, 22. November 2011, Az: 219g XIV 389/11
Zitierte Gesetze

Leitsätze

Der Haftantrag muss dem Betroffenen spätestens zu Beginn der Anhörung in Kopie ausgehändigt und erforderlichenfalls übersetzt werden.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Hamburg vom 22. November 2011 und der Beschluss der Zivilkammer 29 des Landgerichts Hamburg vom 20. Dezember 2011 ihn in seinen Rechten verletzt haben.

Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen in allen Instanzen werden der Freien und Hansestadt Hamburg auferlegt.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 3.000 €.

Gründe

I.

1

Das Amtsgericht Hamburg hat auf Antrag der Beteiligten zu 2 vom 21. November 2011 mit Beschluss vom 22. November 2011 gegen den Betroffenen Haft zur Sicherung der Abschiebung längstens bis sechs Wochen nach Ende der gegen ihn vollstreckten Untersuchungshaft angeordnet. Die Beschwerde des Betroffenen hat das Landgericht mit einem Beschluss vom 20. Dezember 2011 zurückgewiesen, der in zwei unterschiedlichen Fassungen zur Versendung gekommen ist. Dagegen wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde, nach Aussetzung der Haft durch den Senat mit dem Antrag, die Rechtswidrigkeit der angeordneten Haft und der Aufrechterhaltung durch das Beschwerdegericht festzustellen.

II.

2

Das Beschwerdegericht meint in der letztlich zu den Gerichtsakten gelangten Ausfertigung des Beschlusses, die Voraussetzung von § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AufenthG läge vor. Der Betroffene sei unerlaubt eingereist und deshalb vollziehbar ausreisepflichtig. Daran ändere sein Asylantrag nichts. Die Anordnung von Abschiebungshaft sei nicht nach § 62 Abs. 3 Satz 4 AufenthG unzulässig, da nicht feststehe, dass die Abschiebung nicht innerhalb der nächsten drei Monate durchgeführt werden könne. Die Anordnung der Haft sei auch verhältnismäßig, weil der Betroffene nicht glaubhaft gemacht habe, dass er sich der Abschiebung nicht entziehen wolle. Schließlich sei auch das Beschleunigungsgebot gewahrt. Die Behörde müsse sich um Ersatzpapiere erst bemühen, wenn vorhersehbar ist, dass eine Abschiebung erforderlich werde.

III.

3

Die gemäß § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 FamFG mit dem Feststellungsantrag analog § 62 FamFG statthafte (Senat, Beschluss vom 25. Februar 2010 - V ZB 172/09, FGPrax 2010, 150, 151 Rn. 9) und auch sonst zulässige (§ 71 FamFG) Rechtsbeschwerde ist begründet. Der Betroffene ist durch die Haftanordnung und ihre Aufrechterhaltung durch das Beschwerdegericht in seinen Rechten verletzt worden.

4

1. Die Haft hätte nach § 417 Abs. 2 FamFG nicht angeordnet werden dürfen, weil der vorgelegte Haftantrag zur Anordnung der Sicherungshaft nicht ausreicht und weil er dem Antragsteller nicht ausgehändigt worden ist.

5

a) Sicherungshaft darf nur angeordnet werden, wenn der von der beteiligten Behörde vorgelegte Haftantrag die nach § 417 Abs. 2 Satz 1 FamFG vorgeschriebene Begründung enthält und diese den gesetzlichen Anforderungen des § 417 Abs. 2 Satz 2 FamFG entspricht (Senat, Beschluss vom 15. September 2011 - V ZB 123/11, FGPrax 2011, 317 Rn. 8). Daran fehlt es hier.

6

aa) Den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung genügt ein Haftantrag nicht schon dann, wenn darin entsprechend § 23 FamFG "die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel angegeben" werden. Vielmehr muss er sich zu allen in § 417 Abs. 2 Satz 2 FamFG bestimmten Punkten verhalten. Die dazu notwendigen Darlegungen dürfen zwar knapp gehalten sein, sie müssen aber die für die richterliche Prüfung wesentlichen Punkte des Falls ansprechen (vgl. Senat, Beschluss vom 15. September 2011 - V ZB 123/11, FGPrax 2011, 317 f. Rn. 9). Sie müssen auf den konkreten Fall zugeschnitten sein und dürfen sich nicht in Leerformeln und Textbausteinen erschöpfen (Senat, Beschluss vom 27. Oktober 2011 - V ZB 311/10, FGPrax 2012, 82, 83). Das gilt insbesondere für die Ausführungen zur Durchführbarkeit der Abschiebung und zur erforderlichen Dauer der Haft. Sie müssen sich auf das Land beziehen, in das der Betroffene abgeschoben werden soll, und Angaben dazu enthalten, ob und innerhalb welchen Zeitraums Abschiebungen in das betreffende Land üblicherweise möglich sind (Senat, Beschluss vom 27. Oktober 2011 - V ZB 311/10, FGPrax 2012, 82, 83). Hieran fehlt es.

7

bb) Angaben zu der erfahrungsgemäß notwendigen Vorbereitungsdauer für eine Abschiebung in die Türkei enthält der Antrag nicht. Die Begründung, die Haftdauer berücksichtige die üblichen Reisevorbereitungen, ist als universell einsetzbare Leerformel, die über die Durchführbarkeit der Abschiebung im konkreten Fall nichts aussagt, nicht ausreichend (vgl. Senat, Beschluss vom 27. Oktober 2011 - V ZB 311/10, FGPrax 2012, 82, 83). Die gebotenen (dazu: Senat, Beschluss vom 6. Mai 2010 - V ZB 193/09, InfAuslR 2010, 361, 362) konkreten Angaben zum Ablauf des Verfahrens und eine Darstellung, in welchem Zeitraum die einzelnen Schritte unter normalen Bedingungen durchlaufen werden können, fehlen. Dazu reicht es nicht, dass mit dem türkischen Generalkonsulat eine Behörde des Staats genannt wird, in welchen der Betroffene abgeschoben werden sollte. Denn es wird nichts dazu ausgeführt, in welchem Zeitrahmen das Generalkonsulat üblicherweise Ersatzpapiere erteilt, wovon das gegebenenfalls abhängt und ob bereits Kontakt mit dem Konsulat aufgenommen worden ist, was die Kontaktaufnahme ergeben hat und weshalb die Beschaffung der Ersatzpapiere nicht innerhalb der angeordneten Untersuchungshaft möglich war (vgl. Senat, Beschluss vom 15. September 2011 - V ZB 136/11, FGPrax 2011, 318, 319 Rn. 10).

8

cc) Das Versäumnis hat die beteiligte Behörde auch nicht nachgeholt, was - für die Zukunft - möglich gewesen wäre (vgl. Senat, Beschluss vom 15. September 2011 - V ZB 136/11, FGPrax 2011, 318 f. Rn. 8).

9

b) Die Haftanordnung hätte auch deshalb nicht ergehen dürfen, weil der Antrag dem Betroffenen nach dem Protokoll zu Beginn der Anhörung vor dem Amtsgericht lediglich „bekanntgegeben“, aber nicht ausgehändigt worden ist. Das genügt nicht. Der Haftantrag kann dem Betroffenen zwar erst zu diesem Zeitpunkt eröffnet werden, wenn er einen einfachen, überschaubaren Sachverhalt betrifft, zu dem der Betroffene auch unter Berücksichtigung einer etwaigen Überraschung ohne weiteres auskunftsfähig ist (Senat, Beschluss vom 4. März 2010 - V ZB 222/09, BGHZ 184, 323, 330 Rn. 16 mwN). Das bedeutet aber nicht, dass sich der Haftrichter in einem solchen Fall darauf beschränken dürfte, den Inhalt des Haftantrags mündlich vorzutragen. Vielmehr muss dem Betroffenen in jedem Fall eine Kopie des Haftantrags ausgehändigt werden und dies in dem Anhörungsprotokoll oder an einer anderen Aktenstelle schriftlich dokumentiert werden (Senat, Beschluss vom 21. Juli 2011 - V ZB 141/11, FGPrax 2011, 257, 258 Rn. 8). Der Betroffene ist schon auf Grund der Situation zumeist nicht in der Lage, einen ihm nur mündlich übermittelten Haftantrag zu erfassen. Er muss im weiteren Verlauf der Anhörung in ein Exemplar des Haftantrags einsehen und dieses gegebenenfalls später einem Rechtsanwalt vorlegen können. Das bestätigt ein Blick auf § 41 Abs. 2 Satz 4 FamFG. Danach kann ein Beschluss einem Anwesenden zwar mündlich bekannt gegeben werden. Er muss ihm aber dessen ungeachtet zusätzlich schriftlich bekannt gegeben werden. Das gilt im Interesse eines effektiven Rechtsschutzes auch für die Übermittlung des Antrags nach § 23 Abs. 2 FamFG und ist hier versäumt worden.

10

2. Die Aufrechterhaltung der Haftanordnung durch das Beschwerdegericht hat den Betroffenen in seinen Rechten verletzt, weil die beteiligte Behörde den Haftantrag nicht ergänzt hatte, es deshalb immer noch an den Haftvoraussetzungen fehlte und weil es den Betroffenen nicht selbst angehört hat, obwohl es dazu verpflichtet war.

11

a) Die angeordnete Haft durfte nur aufrechterhalten werden, wenn zu diesem Zeitpunkt ein zulässiger Haftantrag vorlag. Das ist der Fall, wenn die beteiligte Behörde die fehlenden Angaben im Beschwerdeverfahren nachholt und dem Betroffenen rechtliches Gehör dazu gewährt wird (Senat, Beschluss vom 15. September 2011 - V ZB 136/11, FGPrax 2011, 318 f. Rn. 8). Das ist nicht geschehen.

12

b) Das Beschwerdegericht durfte von der auch in einem Beschwerdeverfahren grundsätzlich erforderlichen Anhörung (vgl. Senat, Beschlüsse vom 28. Januar 2010 - V ZB 2/10, FGPrax 2010, 163 Rn. 7, vom 4. März 2010 - V ZB 184/09, FGPrax 2010, 152, 153 und vom 4. März 2010 - V ZB 222/09, BGHZ 184, 323, 329 Rn. 13) nicht absehen. Nach § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG ist dies zwar ausnahmsweise - auch unter Berücksichtigung von Art. 6 Abs. 1 EMRK - zulässig, wenn eine persönliche Anhörung in erster Instanz erfolgt ist und zusätzliche Erkenntnisse durch eine erneute Anhörung nicht zu erwarten sind (Senat, Beschlüsse vom 4. März 2010 - V ZB 184/09, FGPrax 2010, 152, 153 und vom 4. März 2010 - V ZB 222/09, BGHZ 184, 323, 329 Rn. 13). Daran mangelt es aber, wenn die angegriffene Haft ohne zulässigen Haftantrag angeordnet worden ist. Das Fehlen eines zulässigen Haftantrags entzieht nicht erst der Haftanordnung die Grundlage, sondern schon der vorausgehenden Anhörung des Betroffenen durch den Haftrichter. Ohne zulässigen Haftantrag kann der Haftrichter dem Betroffenen nicht, wie geboten, Gelegenheit geben, sich zu den tatsächlichen und rechtlichen Grundlagen der gegen ihn zu verhängenden Freiheitsentziehung sowie zu allen wesentlichen Gesichtspunkten zu äußern, auf die es für die Entscheidung über die Freiheitsentziehung ankommt (vgl. Senat, Beschlüsse vom 29. April 2010 - V ZB 218/09, NVwZ 2010, 1508, 1510 Rn. 25 und vom 18. August 2010 - V ZB 119/10, NVwZ 2010, 1575 (Ls.) Rn 14, Abdruck bei juris).

13

c) Darauf, ob die Haftanordnung auch deshalb nicht aufrechthalten werden durfte, weil die beteiligte Behörde in den ersten 18 Tagen der Untersuchungshaft nur das Einvernehmen der Staatsanwaltschaft hergestellt, aber keinen Kontakt zu dem für die Erteilung von Ersatzpapieren zuständigen türkischen Generalkonsulat aufgenommen hat, kommt es nicht an.

III.

14

Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 83 Abs. 2, § 430 FamFG, Art. 5 Abs. 5 EMRK analog. Die Festsetzung des Beschwerdewerts folgt aus § 128c Abs. 2 KostO i.V.m. § 30 Abs. 2 KostO.

Krüger                          Lemke                          Schmidt-Räntsch

               Brückner                       Weinland