Entscheidungsdatum: 13.09.2018
1. Der Anwalt muss durch allgemeine Anweisung im Rahmen der Büroorganisation sicherstellen, dass bei Eintragung einer Rechtsmittelbegründungsfrist in den Fristenkalender zugleich eine ausreichende Vorfrist eingetragen wird; unter dieser Voraussetzung kann er, wenn in der Handakte die Hauptfrist notiert und ein Erledigungsvermerk über die Eintragung in den Fristenkalender enthalten ist, grundsätzlich davon ausgehen, dass bei der Eintragung auch die Vorfrist weisungsgemäß ermittelt und in den Fristenkalender übernommen worden ist.
2. Ist eine Rechtsmittelbegründungsfrist versäumt worden, nachdem die in der Handakte notierte Hauptfrist unzutreffend in den Fristenkalender übertragen worden ist, so ist bei der Prüfung, ob die unterbliebene Notierung einer Vorfrist die Versäumung der Frist verursacht hat, davon auszugehen, dass die Vorfrist durch eine von der (unzutreffend) eingetragenen Hauptfrist ausgehende Rückrechnung ermittelt und eingetragen worden wäre (im Anschluss an BGH, Beschluss vom 12. April 1988, VI ZB 5/88, juris Rn. 7, insoweit in VersR 1988, 941 nicht abgedruckt).
Auf die Rechtsbeschwerde des Beklagten wird der Beschluss des 10. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Dresden vom 27. September 2017 aufgehoben.
Dem Beklagten wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist gewährt.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren beträgt 62.600 €.
I.
Der Beklagte hat gegen ein seinem Prozessbevollmächtigten am 8. Mai 2017 zugestelltes Urteil Berufung eingelegt, die am 1. Juni 2017 bei dem Oberlandesgericht eingegangen ist. Nachdem bis zum Ablauf der Berufungsbegründungsfrist am Montag, dem 10. Juli 2017, keine Begründung eingegangen war, ist auf die Versäumung der Frist hingewiesen worden. Mit Schriftsatz vom 17. Juli 2017 hat der Prozessbevollmächtigte des Beklagten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und die Berufung zugleich begründet.
In dem Wiedereinsetzungsgesuch hat der Prozessbevollmächtigte vorgetragen, die Handakte sei ihm unmittelbar nach Zustellung des Urteils am 8. Mai 2017 vorgelegt worden. Sie habe einen Vermerk der Rechtsanwaltsfachangestellten über den Ablauf der Berufungsfrist am 8. Juni 2017 sowie der Berufungsbegründungsfrist am Montag, dem 10. Juli 2017 enthalten; die Eintragung der Fristen im Fristenkalender sei als erledigt gekennzeichnet gewesen. Bei Einlegung der Berufung am 1. Juni 2017 habe er sich erneut anhand der Handakte vergewissert, dass die Berufungsbegründungsfrist notiert und ein Erledigungsvermerk über die Eintragung in den Fristenkalender enthalten war, und die Akte in den Stapel für die neu zu vergebenden Wiedervorlagen gegeben. Erst nach Eingang des gerichtlichen Hinweises und damit nach Fristablauf sei ihm die Akte erneut vorgelegt worden. Seine seit sechs Jahren ohne jede Beanstandung in der Kanzlei tätige Rechtsanwaltsfachangestellte habe die Frist bei der Eintragung in den Fristenkalender versehentlich auf den Monat August (also auf den 8. August 2017) berechnet und eingetragen. Das Oberlandesgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Beklagten.
II.
Nach Ansicht des Berufungsgerichts ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Die Berufungsbegründungsfrist sei nicht eingehalten worden, und die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 233 ZPO lägen nicht vor. Die Versäumung der Frist beruhe auf einem Verschulden des Prozessbevollmächtigten, das dem Beklagten gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen sei. Allerdings habe der Anwalt seiner Pflicht zur Fristenkontrolle im Grundsatz genügt, indem er anhand der Handakte die zutreffende Eintragung der Fristen und den auf die Übertragung in den Fristenkalender bezogenen Erledigungsvermerk überprüft habe. Er habe auch keinen Anlass für eine weitergehende Überprüfung des Fristenkalenders gehabt, weil die Zuverlässigkeit der Rechtsanwaltsfachangestellten glaubhaft gemacht worden sei. Aber hinsichtlich der Notierung einer Vorfrist fehle es an der gebotenen Vorsorge. Weil die Handakte eine Vorfrist mit dem dazugehörigen Erledigungsvermerk nicht enthalten habe, belege der Geschehensablauf, dass eine dahingehende allgemeine Anweisung nicht bestanden habe. Daher hätte der Anwalt jedenfalls bei Berufungseinlegung im Wege der Einzelfallanweisung eine Vorfrist bestimmen müssen. Die unterbliebene Notierung einer Vorfrist sei für die Versäumung der Frist kausal. Hätte es eine allgemeine Anweisung gegeben, eine Vorfrist im Terminkalender zu notieren, könne nicht angenommen werden, dass der Angestellten auch insoweit ein Fehler unterlaufen wäre, da im Übrigen deren pflichtgemäßes Verhalten zugrunde zu legen sei. Auch eine Einzelanweisung wäre richtig umgesetzt worden.
III.
1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthaft. Sie ist auch im Übrigen zulässig. Die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt 2 ZPO), weil das Berufungsgericht die Anforderungen an das, was eine Partei veranlasst haben muss, um Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu erlangen, überspannt und dadurch den Anspruch des Beklagten auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip) verletzt hat (vgl. Senat, Beschluss vom 4. Juli 2002 - V ZB 16/02, BGHZ 151, 221, 227 f.; Beschluss vom 18. Februar 2016 - V ZB 86/15, juris Rn. 5, insoweit in NJW-RR 2016, 636 nicht abgedruckt).
2. Die Rechtsbeschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Die Auffassung des Berufungsgerichts, die Voraussetzungen für die Gewährung der Wiedereinsetzung gegen die versäumte Berufungsbegründungsfrist (§ 233 ZPO) lägen nicht vor, ist rechtsfehlerhaft.
a) Unterstellt man mit dem Berufungsgericht, dass es in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten des Beklagten eine allgemeine Anweisung über die Eintragung einer Vorfrist nicht gegeben hat, ist ein darin liegendes Verschulden für die Versäumung der Frist nicht kausal gewesen.
aa) Richtig ist im Ausgangspunkt, dass nach gefestigter Rechtsprechung zur ordnungsgemäßen Organisation einer Anwaltskanzlei die allgemeine Anordnung gehört, dass bei Prozesshandlungen, deren Vornahme ihrer Art nach mehr als nur einen geringen Aufwand an Zeit und Mühe erfordert, wie dies regelmäßig bei Rechtsmittelbegründungen der Fall ist, außer dem Datum des Fristablaufs noch eine Vorfrist notiert werden muss. Die Vorfrist dient dazu, sicherzustellen, dass auch für den Fall von Unregelmäßigkeiten und Zwischenfällen noch eine ausreichende Überprüfungs- und Bearbeitungszeit bis zum Ablauf der zu wahrenden Frist verbleibt. Die Dauer der Vorfrist hat grundsätzlich etwa eine Woche zu betragen (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Juli 1994 - VIII ZB 26/94, NJW 1994, 2551, 2552; Senat, Beschluss vom 25. September 2003 - V ZB 17/03, FamRZ 2004, 100; Beschluss vom 18. Januar 2018 - V ZB 166/17, juris Rn. 11).
bb) Anders als das Berufungsgericht meint, wäre das Fehlen einer Anordnung aber nicht kausal für die Fristversäumnis gewesen. Allerdings kommt eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der zu wahrenden Frist nicht in Betracht, wenn der Rechtsanwalt bei pflichtgemäßer Notierung einer Vorfrist die Fehlerhaftigkeit der notierten Frist hätte erkennen und die Frist wahren können (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Juli 1994 - VIII ZB 26/94, NJW 1994, 2551, 2552; Senat, Beschluss vom 25. September 2003 - V ZB 17/03, FamRZ 2004, 100 mwN). Davon kann hier jedoch nicht ausgegangen werden. Da die Vorfrist ihrem Sinn entsprechend durch Rückrechnung von der fehlerhaft auf den 8. August 2017 eingetragenen Hauptfrist berechnet werden musste, wäre sie nämlich auf den 1. August 2017 und damit auf einen nach Fristablauf liegenden Zeitpunkt eingetragen worden. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kann nicht unterstellt werden, dass die Rechtsanwaltsfachangestellte die Vorfrist durch Rückrechnung von der richtigen Hauptfrist (10. Juli 2017) ermittelt und infolgedessen den 3. Juli 2017 in den Fristenkalender eingetragen hätte, obwohl sie dort die Hauptfrist fälschlich auf den 8. August 2017 notiert hat.
(1) Schon der gedankliche Ausgangspunkt des Berufungsgerichts, wonach nicht nur die Rechtsmittelbegründungsfrist, sondern auch die Vorfrist zwingend in die Handakte eingetragen und von dieser ausgehend in den Fristenkalender übertragen werden muss, trifft nicht zu; solches lässt sich auch dem als Beleg angeführten Kommentar (Wieczorek/Schütze/Gerken, ZPO, 4. Aufl., § 233 Rn. 54) nicht entnehmen. Es entspricht ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung, dass ein Rechtsanwalt die Berechnung der allgemein anfallenden einfachen Fristen sowie die Führung des Fristenkalenders im Rahmen einer von ihm zu verantwortenden Büroorganisation auf sein geschultes, als zuverlässig erprobtes und sorgfältig überwachtes Personal zur selbstständigen Erledigung übertragen darf (BGH, Beschluss vom 12. Februar 1965 - IV ZR 231/63, BGHZ 43, 148, 153; Beschluss vom 2. April 2003 - VIII ZB 117/02, NJW-RR 2003, 1211). Zu den die Führung des Fristenkalenders betreffenden Aufgaben, die delegiert werden dürfen, gehört die Ermittlung und Notierung von Vorfristen. Da eine Vorfrist keine echte Frist darstellt, sondern - wie eingangs ausgeführt (vgl. Rn. 7) - die rechtzeitige Wiedervorlage sichert, hängt sie von der Hauptfrist ab und wird von dieser ausgehend durch einfache Rückrechnung ermittelt (vgl. auch BGH, Beschluss vom 12. April 1988 - VI ZB 5/88, juris Rn. 7, insoweit in VersR 1988, 941 nicht abgedruckt). Infolgedessen muss der Anwalt zwar durch allgemeine Anweisung im Rahmen der Büroorganisation sicherstellen, dass bei Eintragung einer Rechtsmittelbegründungsfrist in den Fristenkalender zugleich eine ausreichende Vorfrist eingetragen wird; unter dieser Voraussetzung kann er aber, wenn in der Handakte die Hauptfrist notiert und ein Erledigungsvermerk über die Eintragung in den Fristenkalender enthalten ist, grundsätzlich davon ausgehen, dass bei der Eintragung auch die Vorfrist weisungsgemäß ermittelt und in den Fristenkalender übernommen worden ist.
(2) Damit entfällt die Grundlage für die Annahme des Berufungsgerichts, bei Eintragung einer Vorfrist wäre die Akte dem Rechtsanwalt rechtzeitig vor Ablauf der Berufungsbegründungsfrist vorgelegt worden. Ist nämlich - wie hier - eine Rechtsmittelbegründungsfrist versäumt worden, nachdem die in der Handakte notierte Hauptfrist unzutreffend in den Fristenkalender übertragen worden ist, so ist bei der Prüfung, ob die unterbliebene Notierung einer Vorfrist die Versäumung der Frist verursacht hat, davon auszugehen, dass die Vorfrist durch eine von der (unzutreffend) eingetragenen Hauptfrist ausgehende Rückrechnung ermittelt und eingetragen worden wäre (so bereits BGH, Beschluss vom 12. April 1988 - VI ZB 5/88, juris Rn. 7, insoweit in VersR 1988, 941 nicht abgedruckt; vgl. auch BGH, Beschluss vom 6. Juli 1994 - VIII ZB 26/94, NJW 1994, 2551, 2552).
(3) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kann dem Prozessbevollmächtigten des Beklagten auch nicht angelastet werden, dass er bei Einlegung der Berufung keine Einzelanweisung über die Notierung einer Vorfrist erteilt hat. Denn das Berufungsgericht sieht das Verschulden primär in der fehlenden allgemeinen Anweisung. Wie die Rechtsbeschwerde zutreffend rügt, kann dem Anwalt dann nicht zusätzlich eine unterbliebene Einzelanweisung angelastet werden. Hätte er die von dem Berufungsgericht vermisste allgemeine Anordnung erteilt, wäre eine Einzelanweisung nicht erforderlich gewesen; das Erteilen von Einzelanweisungen eignet sich auch nicht dazu, grundlegende Fragen der Büroorganisation zu lösen.
b) Fehlt es danach schon an der Kausalität, kann dahinstehen, ob das Berufungsgericht gemäß § 139 ZPO gehalten gewesen wäre, dem Prozessbevollmächtigten des Beklagten vor der Verwerfung der Berufung Gelegenheit zur Stellungnahme zu der die Handhabung von Vorfristen betreffenden Büroorganisation zu geben, und ob der ergänzende Vortrag in der Rechtsbeschwerdebegründung, mit dem dargelegt und glaubhaft gemacht worden ist, dass eine allgemeine Anordnung über die Eintragung der Vorfrist bestand und die Rechtsanwaltsfachangestellte die Vorfrist weisungsgemäß durch Rückrechnung von der unrichtigen Hauptfrist (8. August 2017) auf den 1. August 2017 in den Fristenkalender eingetragen hatte, in der Rechtsbeschwerdeinstanz Berücksichtigung finden kann.
IV.
1. Der Senat kann nach § 577 Abs. 5 Satz 1 ZPO in der Sache selbst entscheiden, weil es keiner weiteren Tatsachenfeststellungen bedarf. Aufgrund der dargelegten und glaubhaft gemachten Umstände liegt kein dem Beklagten nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnendes Anwaltsverschulden vor. Da auch die übrigen Voraussetzungen für die beantragte Wiedereinsetzung vorliegen, ist dem Wiedereinsetzungsgesuch stattzugeben.
2. Der die Berufung verwerfende Beschluss wird mit der Wiedereinsetzung gegenstandslos. Seine Aufhebung erfolgt nur klarstellend (vgl. Senat, Beschluss vom 9. März 2017 - V ZB 18/16, NJW 2017, 3002 Rn. 17 mwN).
Stresemann |
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Brückner |
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Kazele |
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Göbel |
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Hamdorf |
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