Entscheidungsdatum: 07.12.2017
Die formelle Rechtskraft des Beschlusses über die Festsetzung des Verkehrswertes steht einer Neubewertung durch das Vollstreckungsgericht nicht entgegen, wenn wesentliche neue Tatsachen eine Anpassung erfordern, die durch eine Beschwerde gegen die Wertfestsetzung nicht mehr geltend gemacht werden konnten.
Die Rechtsbeschwerde der Beteiligten zu 1 und 2 gegen den Beschluss des Landgerichts Hanau - 3. Zivilkammer - vom 25. April 2017 wird zurückgewiesen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 291.000 € für die Gerichtsgebühren und 585.319,39 € für die anwaltliche Vertretung der Beteiligten zu 1 und 2, wobei 310.500 € auf die Vertretung des Beteiligten zu 1 und 274.819,39 € auf die Vertretung der Beteiligten zu 2 entfallen.
I.
Die Beteiligten zu 3 bis 5 betreiben die Zwangsversteigerung in den im Eingang dieses Beschlusses genannten Grundbesitz des Beteiligten zu 1 (im Folgenden: Schuldner). Die Beteiligte zu 2 ist Inhaberin der im Grundbuch unter Nr. 5 und 6 eingetragenen Grundpfandrechte. Das Vollstreckungsgericht holte im Jahr 2014 ein Wertgutachten ein und setzte durch Beschluss vom 3. Juni 2016 den Verkehrswert des Grundbesitzes auf 310.500 € fest. Die hiergegen erhobene sofortige Beschwerde des Schuldners wies das Landgericht mit Beschluss vom 30. November 2016 zurück. In dem Versteigerungstermin vom 9. März 2017 ist der Beteiligte zu 6 mit einem Gebot von 291.000 € Meistbietender geblieben. Durch Beschluss vom selben Tag hat ihm das Vollstreckungsgericht den Zuschlag erteilt. Die sofortigen Beschwerden des Schuldners und der Beteiligten zu 2 hat das Landgericht zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde möchten sie weiterhin die Aufhebung des Zuschlagsbeschlusses erreichen.
II.
Nach Auffassung des Beschwerdegerichts ist die Rüge der Beschwerdeführer, der Zuschlag sei aufzuheben, weil das zur Festsetzung des Verkehrswerts eingeholte Gutachten zeitlich überholt sei, nicht begründet. Zwar könne auch ein bereits unanfechtbarer Festsetzungsbeschluss durch das Vollstreckungsgericht abgeändert werden, wenn seit der ersten Wertfestsetzung aufgrund neuer Tatsachen werterhöhende bzw. -mindernde Umstände eingetreten seien. Eine auf die Unrichtigkeit der Wertfestsetzung gestützte Zuschlagsbeschwerde könne aber gemäß § 100 Abs. 1 i.V.m. § 83 Nr. 5 ZVG nur begründet sein, wenn durch den Zuschlag ein Recht des Beschwerdeführers beeinträchtigt werde. Dies sei hier nicht der Fall. Auch wenn der Verkehrswert entsprechend dem von dem Schuldner vorgelegten Privatgutachten 440.000 € betrüge, läge das Meistgebot von 291.000 € oberhalb der 5/10-Grenze (§ 85a ZVG), auf deren Verletzung es für die Begründetheit der Beschwerde des Schuldners entscheidend ankomme. Die Beteiligte zu 2 wäre dadurch, dass das Meistgebot bei einem Verkehrswert von 440.000 € unterhalb der 7/10-Grenze (§ 74a ZVG) läge (308.000 €), nicht in ihren Rechten beeinträchtigt, weil die Ansprüche der vorrangigen Gläubiger diesen Betrag erheblich überschritten und die Beteiligte zu 2 deshalb in keinem Fall eine Erlösbeteiligung zu erwarten habe. Unabhängig hiervon sei das Vollstreckungsgericht auch nicht zu einer erneuten Wertfestsetzung verpflichtet gewesen. Der zwischen der Erstellung des Wertgutachtens im Jahr 2014 und dem Versteigerungstermin im März 2017 liegende Zeitraum von knapp drei Jahren sei nicht so groß, dass es unvertretbar sei, von der Einholung eines neuen Wertgutachtens abzusehen. In der Rechtsprechung sei bislang lediglich ein Zeitraum von ca. viereinhalb Jahren als zu lang erachtet worden.
III.
Das hält im Ergebnis rechtlicher Nachprüfung stand. Das Beschwerdegericht nimmt zu Recht an, dass ein Zuschlagsversagungsgrund gemäß § 100 Abs. 1 ZVG i.V.m. § 85a ZVG bzw. § 83 Nr. 5 i.V.m. § 74 a ZVG nicht gegeben ist.
1. Fest steht, dass auf der Grundlage des von dem Vollstreckungsgericht durch Beschluss vom 3. Juni 2016 festgesetzten Verkehrswerts von 310.500 € das abgegebene Meistgebot in Höhe von 291.000 € die in § 74a Abs. 1 Satz 1 ZVG und § 85a Abs. 1 ZVG normierten Mindestwerte von 7/10 bzw. 5/10 des Grundstückswerts nicht unterschreitet und hiernach eine Versagung des Zuschlags nicht in Betracht kam. Hiergegen werden von der Rechtsbeschwerde keine Einwendungen erhoben.
2. Die Beschwerdeführer sind auch nicht deshalb in ihrem Recht auf Versagung des Zuschlags verletzt, weil das Vollstreckungsgericht es abgelehnt hat, die Wertfestsetzung vor der Versteigerung zu ändern.
a) Gemäß § 74a Abs. 5 Satz 4 ZVG kann der Zuschlag oder die Versagung des Zuschlags mit der Begründung, der Grundstückswert sei unrichtig festgesetzt, nicht angefochten werden. Die Bindung des Vollstreckungsgerichts an die Wertfestsetzung hindert grundsätzlich nicht nur eine erneute Prüfung des Wertes bei der Entscheidung über den Zuschlag, sondern auch die Überprüfung und Änderung eines fehlerhaft festgesetzten Wertes. Macht ein Verfahrensbeteiligter nach Eintritt der formellen Rechtskraft des Wertfestsetzungsbeschlusses gegenüber dem Vollstreckungsgericht geltend, dieser sei von Anfang an falsch gewesen, steht dies der Zuschlagserteilung daher nicht entgegen (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2002 - IX ZB 248/02, BGH-Report 2003, 463). Diese Wirkung tritt gegenüber sämtlichen Verfahrensbeteiligten ein, denen der Beschluss gemäß § 329 Abs. 3 ZPO zugestellt und denen gegenüber er unanfechtbar geworden ist (vgl. Böttcher, ZVG, 6. Aufl., § 74a Rn. 37; Depré/Bachmann, ZVG, § 74a Rn. 27; Stöber, ZVG, 21. Aufl., § 74a Rn. 7.11 f.). Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde gilt dies auch für die Verfahrensbeteiligten gemäß § 9 Nr. 2 ZVG (vgl. Senat, Beschluss vom 7. Oktober 2010 - V ZB 37/10, NJW-RR 2011, 233 Rn. 24), zu denen die Beteiligte zu 2 gehört.
b) Wie das Beschwerdegericht im rechtlichen Ausgangspunkt zutreffend sieht, schließt § 74a Abs. 5 Satz 4 ZVG eine Neubewertung des Verkehrswerts durch das Vollstreckungsgericht allerdings nicht generell aus. Vielmehr steht die formelle Rechtskraft des Beschlusses über die Festsetzung des Verkehrswertes einer solchen Neubewertung nicht entgegen, wenn wesentliche neue Tatsachen eine Anpassung erfordern, die durch eine Beschwerde gegen die Wertfestsetzung (§ 74a Abs. 5 Satz 3 ZVG) nicht mehr geltend gemacht werden konnten. Ändern sich die wesentlichen tatsächlichen Umstände, auf denen die Wertfestsetzung beruht, muss das Vollstreckungsgericht vor der Zuschlagserteilung den Verkehrswert an die veränderten Umstände gegebenenfalls von Amts wegen anpassen (vgl. Senat, Beschluss vom 11. Oktober 2007 - V ZB 178/06, NJW-RR 2008, 944 Rn. 11; BGH, Beschluss vom 10. Oktober 2003 - IXa ZB 128/03, NJW-RR 2004, 302, 303). Unterbleibt dies, kann das Recht eines Beteiligten auf Versagung des Zuschlags beeinträchtigt sein und hierauf eine Zuschlagsbeschwerde gestützt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Oktober 2003 - IXa ZB 128/03, NJW-RR 2004, 302, 303). Dies kommt etwa bei einem Schuldner in Betracht, wenn das Meistgebot geringer als 5/10 (§ 85a Abs. 1 ZVG) des von ihm für zutreffend erachteten Verkehrswerts ist. Bei einem Beteiligten iSd § 74a Abs. 1 ZVG kommt es darauf an, ob das Meistgebot unter 7/10 dieses Werts bleibt (vgl. Stöber, ZVG, 21. Aufl., § 74a Rn. 9.12; Böttcher, ZVG, 6. Aufl., § 74a Rn. 45).
c) Eine Anpassungsverpflichtung kommt aber nur bei Vorliegen neuer Tatsachen in Betracht. Ist der Wertfestsetzungsbeschluss nicht angegriffen worden, können von dem Vollstreckungsgericht deshalb nur Tatsachen berücksichtigt werden, die nach Ablauf der Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde gegen den Beschluss eingetreten sind (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Oktober 2003 - IXa ZB 128/03, NJW-RR 2004, 302, 303). Wird ein Beschwerdeverfahren gemäß § 74a Abs. 5 Satz 3 ZVG durchgeführt, ist der Zeitpunkt entscheidend, bis zu dem das Beschwerdegericht Vorbringen der Beteiligten bei seiner Entscheidungsfindung noch berücksichtigen muss. Maßgeblich ist insoweit der Erlass des Beschlusses. Ein nicht zu verkündender Beschluss ist erlassen, wenn das Gericht sich seiner in einer der Verkündung vergleichbaren Weise entäußert hat, d.h., wenn er mit dem Willen des Gerichts aus dem inneren Geschäftsbetrieb herausgetreten ist (vgl. Senat, Urteil vom 16. September 2016 - V ZR 3/16, NZM 2017, 147 Rn. 12; BGH, Urteil vom 1. April 2004 - IX ZR 117/03, NJW-RR 2004, 1574, 1575 unter II. 2a).
d) Nach diesen Grundsätzen ist es entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts unerheblich, welche Zeit zwischen der Erstattung des Verkehrswertgutachtens im Jahr 2014 und der Zuschlagserteilung verstrichen war und ob ein Zeitraum von knapp drei Jahren Anlass bietet, die Wertfestsetzung zu überprüfen. Maßgeblich ist vielmehr der Zeitpunkt der Entscheidung über die Beschwerde gegen die Wertfestsetzung des Vollstreckungsgerichts. Da das Landgericht dieses Rechtsmittel mit Beschluss vom 30. November 2016 zurückgewiesen hat und der Beschluss jedenfalls nicht vor dem Beschlussdatum erlassen worden sein kann, hätten nur nach diesem - frühesten - Zeitpunkt eingetretene Wertveränderungen Anlass für das Vollstreckungsgericht bieten können, den Verkehrswert vor der Versteigerung und der Erteilung des Zuschlags anzupassen. Nur auf solche Wertveränderungen kann die Zuschlagsbeschwerde gestützt werden.
e) Dass das Beschwerdegericht hiernach bei der Frage, ob eine Neubewertung des Verkehrswertes durch das Vollstreckungsgericht veranlasst war, den falschen Zeitraum in den Blick genommen hat, verhilft der Rechtsbeschwerde aber nicht zum Erfolg. Die Entscheidung des Beschwerdegerichts stellt sich im Ergebnis als richtig dar (§ 577 Abs. 3 ZPO), weil die Rechtsbeschwerde eine erhebliche Wertsteigerung in dem Zeitraum von rund drei Monaten vom 30. November 2016 bis zur Erteilung des Zuschlags am 9. März 2017 nicht aufzeigt und eine solche auch sonst nicht ersichtlich ist. Weiterer Feststellungen bedarf es hierzu nicht.
aa) Dass in dem von dem Schuldner vorgelegten Privatgutachten der Verkehrswert mit 440.000 € angegeben wird und der Schuldner das Gutachten des von dem Vollstreckungsgericht beauftragten Sachverständigen von Anfang an für falsch hielt, besagt zu der hier entscheidenden Frage der Änderung der tatsächlichen Umstände nach dem 30. November 2016 nichts. Entsprechendes gilt für den Hinweis in der Rechtsbeschwerde, der Preisindex für selbst genutztes Wohneigentum in Deutschland sei gerade in den Jahren 2014 bis 2016 sprunghaft angestiegen, wie ein Blick auf die Daten des Statistischen Bundesamtes und den vorgelegten Mietspiegel für die Stadt Hanau der vergangenen Jahre zeige. Auf eine Wertsteigerung seit dem Jahr 2014 kommt es nicht an. Dass die Wertsteigerung in dem kurzen Zeitraum nach Erlass der Beschwerdeentscheidung und vor dem Zuschlag eingetreten ist, lässt sich dem Vorbringen des Schuldners nicht entnehmen.
bb) Die auf eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) gestützte Verfahrensrüge des Schuldners, das Beschwerdegericht habe sein Vorbringen aus dem während des Beschwerdeverfahrens eingereichten Schriftsatz vom 17. April 2017 übergangen, rechtfertigt keine abweichende Beurteilung. Die Rüge ist unbegründet.
(1) Richtig ist, dass der Schuldner in dem erwähnten Schriftsatz ausgeführt hat, der aktuelle Verkehrswert der zu versteigernden Wohnung betrage mindestens 631.239 €. Zum Beleg hat er sich auf eine Verkaufsanzeige in einem Internetportal bezogen, in der eine in dem Erdgeschoss der Wohnungseigentumsanlage belegene Wohnung zu einem Quadratmeterpreis von 2.333 € angeboten wird.
(2) Dass das Beschwerdegericht auf dieses Vorbringen nicht ausdrücklich eingegangen ist, verletzt den Schuldner jedoch nicht in seinem Anspruch aus Art. 103 Abs. 1 GG, weil es hierauf für die Frage der Begründetheit des Rechtsmittels nicht ankommt. Dies folgt bereits daraus, dass die Anfechtung des Zuschlags grundsätzlich nur auf Gründe gestützt werden kann, die im Zeitpunkt der Zuschlagsverkündung dem Vollstreckungsgericht vorgelegen haben (vgl. Senat, Beschluss vom 6. Juni 2013 - V ZB 7/12, NJW-RR 2014, 61 Rn. 19). Der Schriftsatz vom 17. April 2017 ist jedoch erst in dem Verlauf des Beschwerdeverfahrens und damit nach der Zuschlagserteilung eingereicht worden. Es kommt daher nicht mehr darauf an, dass das Verkaufsangebot auch ungeeignet ist, eine nach dem 30. November 2016 eingetretene Wertsteigerung der Wohnung des Schuldners zu belegen.
IV.
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst, weil sich die Beteiligten in dem Verfahren über die Zuschlagsbeschwerde grundsätzlich, und so auch hier, nicht als Parteien im Sinne der Zivilprozessordnung gegenüberstehen (vgl. Senat, Beschluss vom 25. Januar 2007 - V ZB 125/05, BGHZ 170, 378 Rn. 7).
Der Gegenstandswert für die Gerichtsgebühren bestimmt sich nach dem Wert des Zuschlags (§ 47 Abs. 1 Satz 1, § 54 Abs. 2 Satz 1 GKG). Die Wertfestsetzung für die anwaltliche Vertretung des Schuldners beruht auf § 26 Nr. 2 RVG und diejenige für die Vertretung der Beteiligten zu 2 beruht auf § 26 Nr. 1 RVG. Beide Werte sind gemäß § 22 Abs. 1 RVG zu addieren (vgl. Mayer/Kroiß/Gierl, RVG, 6. Aufl., § 26 Rn. 28 mwN; AnwK-RVG/Mock, 8. Aufl., Vor VV 3311, 3312 Rn. 10).
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