Entscheidungsdatum: 13.01.2011
Eine vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens zwischen dem Schuldner und einem Grundpfandgläubiger getroffene vollstreckungsbeschränkende Vereinbarung bindet den Insolvenzverwalter auch dann nicht, wenn das Grundstück zugunsten dieses Gläubigers wertausschöpfend belastet ist .
Auf die Rechtsmittel der Beklagten werden das Urteil des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe in Freiburg vom 19. Februar 2009 und der 6. Zivilkammer des Landgerichts Freiburg vom 27. Februar 2007 aufgehoben, soweit sie nicht die für erledigt erklärte Klage des früheren Klägers zu 2 betreffen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits erster und zweiter Instanz, soweit sie nicht den für erledigt erklärten Teil betreffen, trägt die Klägerin.
Die Kosten des Revisionsverfahrens trägt die Klägerin.
Von Rechts wegen
Die Klägerin und ihr im Verlauf des Rechtsstreits verstorbener Ehemann (früher Kläger zu 2) waren je hälftige Miteigentümer des von ihnen bewohnten Hausgrundstücks D. in B. Das Grundstück ist mit einer erstrangigen Grundschuld über 449.936,86 € zuzüglich 14,5 % Jahreszinsen seit dem 11. November 1993 und 5 % Nebenleistung sowie weiteren Grundpfandrechten belastet. Die Grundschuld ist im Jahre 1993 eingetragen worden. Mit Schreiben vom 11. Juli 2002, von den Eheleuten und ihrem Sohn R. gegengezeichnet am 17. Juli 2002, bestätigte die Grundpfandgläubigerin unter anderem folgende mündlich getroffene Vereinbarung:
"Aufgrund der schweren Krankheiten von Herrn F. und Frau D. werden wir bei unveränderter Sachlage und solange F. und D. in dem Anwesen wohnen bis auf weiteres keine Zwangsmaßnahmen in Ihr Privathaus einleiten. Die selbstverständlich nur, wenn keine Zwangsvollstreckungsmaßnahmen von Dritter Seite anstehen."
Auf Antrag der Grundpfandgläubigerin wurde mit Beschlüssen vom 3. März 2006 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Kläger eröffnet. In beiden Verfahren wurde der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt.
Die Kläger haben zunächst beantragt, den Beklagten zu verurteilen, jegliche Verwertungsmaßnahmen hinsichtlich des von ihnen bewohnten Hausgrundstücks zu unterlassen. Am 16. Januar 2007 verstarb der ehemalige Kläger zu 2 und wurde von der Klägerin allein beerbt. Mit Urteil vom 27. Februar 2007 hat das Landgericht den Beklagten antragsgemäß verurteilt. Im Berufungsverfahren haben die Parteien den Rechtsstreit bezüglich der Klage des Klägers zu 2 übereinstimmend für erledigt erklärt. Im Übrigen ist die Berufung zurückgewiesen worden. Ziel der vom Senat zugelassenen Revision ist weiterhin die Abweisung der Klage, soweit diese nicht für erledigt erklärt worden ist.
Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen über die Klage der Klägerin und zur Abweisung dieser Klage.
I.
Gegenstand des Revisionsverfahrens ist die Klage der Klägerin gegen den Beklagten als Verwalter in dem Insolvenzverfahren über ihr Vermögen einerseits, den Beklagten als Verwalter im Insolvenzverfahren über den Nachlass des früheren Klägers andererseits.
1. Die Klage ist erhoben worden als Klage der Klägerin und des früheren Klägers zu 2 gegen Rechtsanwalt P. genannt S. "als Insolvenzverwalter über das Vermögen der Frau D. und Herrn F.". Tatsächlich ist die Klage damit gegen zwei Beklagte erhoben worden. Über das Vermögen der Klägerin einerseits, des früheren Klägers zu 2 andererseits sind selbständige Insolvenzverfahren eröffnet worden, in denen lediglich ein und dieselbe natürliche Person zum Insolvenzverwalter bestellt worden ist. Es gibt also zwei Parteien kraft Amtes, die von den Klägern auf Unterlassung von Verwertungsmaßnahmen in Anspruch genommen werden.
2. Nach dem Tod des früheren Klägers zu 2 haben, wie sich dem Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 29. Januar 2009 entnehmen lässt, "die Parteivertreter" den Rechtsstreit "bezüglich der Klage des verstorbenen Herrn F." für erledigt erklärt. Anhängig geblieben ist die Klage der Klägerin, die sich ausweislich des Rubrums und der Entscheidungsgründe des Berufungsurteils aber gegen den Beklagten sowohl als Verwalter im Insolvenzverfahren über das Vermögen der Klägerin als auch als Verwalter im Insolvenzverfahren über den Nachlass des früheren Klägers zu 2 richtet.
II.
Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Die Klage der Klägerin beziehe sich nach wie vor auf das gesamte Grundstück. Sie sei zulässig, obgleich bisher weder die Zwangsversteigerung noch die freihändige Versteigerung des Wohngrundstücks eingeleitet worden sei. Der Beklagte habe die Verwertung jedenfalls ernsthaft in Betracht gezogen, wie sich daraus ergebe, dass er das Grundstück in seinen Berichten an das Insolvenzgericht als werthaltigen Vermögensgegenstand erwähnt und sich im vorliegenden Prozess eines Verwertungsrechts berühmt habe. Die Klägerin habe keine Möglichkeit gehabt, die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen zu verhindern.
Die Klage sei auch begründet. Zwar binde der Vollstreckungsverzicht den beklagten Insolvenzverwalter nicht. Ein Unterlassungsanspruch der Klägerin folge jedoch aus § 242 BGB. Ein Insolvenzverwalter sei verpflichtet, Verfügungen über die Insolvenzmasse zu unterlassen, die dem Schuldner Schaden zufügten, ohne im schutzwürdigen Interesse sonstiger Verfahrensbeteiligter geboten zu sein. Der Verkauf des schon durch die erstrangige Grundschuld wertausschöpfend belasteten Grundstücks diene ausschließlich den Interessen der Grundpfandgläubigerin, die jedoch nicht schutzwürdig seien, weil sie dem im Juli 2002 vereinbarten Vollstreckungsverzicht zuwiderliefen. Belange der sonstigen Gläubiger blieben unberührt. Die Frage, ob der beklagte Verwalter mit der Grundpfandgläubigerin einen Verwertungsbeitrag vereinbaren könne, welcher der Masse zugute komme, sei für die Entscheidung unerheblich. Der Verwalter könne das Grundstück ohne weiteres freigeben und damit der Grundpfandgläubigerin zur Verwertung überlassen.
III.
Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.
1. Soweit sich die Klage gegen den Beklagten zu 1, den Verwalter im Insolvenzverfahren über das Vermögen der Klägerin, richtet und den Miteigentumsanteil des früheren Klägers zu 2 betrifft, scheitert ein Unterlassungsanspruch der Klägerin bereits daran, dass ihr insoweit keine Beeinträchtigung droht (Rechtsgedanke des § 1004 BGB). Vollstreckungs- oder Verwertungsmaßnahmen des Beklagten zu 1 hat die Klägerin schon aus Rechtsgründen nicht zu befürchten. Obwohl der frühere Kläger zu 2 von der Klägerin allein beerbt worden ist, ist der Beklagte zu 1 insoweit nicht verwaltungs- und verfügungsbefugt (§ 80 InsO). Der Nachlass des früheren Klägers zu 2 ist nunmehr zwar auch Teil der Masse des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Klägerin (vgl. BGH, Urt. v. 11. Mai 2006 - IX ZR 42/05, BGHZ 167, 352 Rn. 11). Wegen des im Zeitpunkt des Erbfalls laufenden Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Klägers zu 2 bleibt er jedoch vom Vermögen der Klägerin getrennt. Mit dem Tod des früheren Klägers zu 2 ist das Insolvenzverfahren über dessen Vermögen übergangslos in ein Nachlassinsolvenzverfahren (§§ 315 ff InsO) übergegangen (vgl. BGH, Urt. v. 22. Januar 2004 - IX ZR 39/03, BGHZ 157, 350, 354; BGH, Beschl. v. 21. Februar 2008 - IX ZB 62/05, BGHZ 175, 307 Rn. 6 ff). Verwaltungs- und verfügungsbefugt über die zum Nachlass gehörenden Gegenstände ist der Verwalter in diesem Nachlassinsolvenzverfahren, nicht die Klägerin und nicht der Beklagte zu 1 als der Verwalter im Insolvenzverfahren über das Vermögen der Klägerin.
2. Soweit sich die Klage gegen den Beklagten zu 1 richtet und den Miteigentumsanteil der Klägerin betrifft, ist die Klage ebenfalls unbegründet. Die Klägerin kann nicht verlangen, dass jegliche Zwangsvollstreckungsmaßnahmen unterbleiben.
a) Die im Juli 2002 zwischen den Eheleuten und der Grundpfandgläubigerin getroffene Vereinbarung bindet den Beklagten zu 1 nicht. Schuldrechtliche Vereinbarungen binden grundsätzlich nur die Vertragsparteien. Dazu gehörte der Beklagte zu 1 nicht. Dass der Beklagte zu 1 Verwalter im Insolvenzverfahren über das Vermögen der Klägerin ist, führt ebenfalls nicht dazu, dass er nunmehr an die zuvor geschlossene vollstreckungsbeschränkende Vereinbarung gebunden wäre. Die Insolvenzordnung enthält keine Bestimmung, die zu dieser Rechtsfolge führen könnte. Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist das Recht der Klägerin, das zur Masse gehörende Vermögen zu verwalten und über es zu verfügen, auf den Insolvenzverwalter übergegangen (§ 80 Abs. 1 InsO). Für Rechte und Pflichten der Grundpfandgläubigerin gilt dies hingegen nicht. Die Grundpfandgläubigerin ist gemäß § 49 InsO weiterhin nach Maßgabe des Gesetzes über die Zwangsversteigerung und die Zwangsverwaltung zur abgesonderten Befriedigung aus dem zur Masse gehörenden Miteigentumsanteil berechtigt und kann dieses Recht auch gegenüber dem Insolvenzverwalter durchsetzen. Die Rechte aus der Vereinbarung könnten - was hier aber nicht zu entscheiden ist - ihr gegenüber geltend gemacht werden. Mit dem Recht und der Pflicht des Verwalters, das zur Masse gehörende Vermögen der Klägerin zu verwerten, hat dies jedoch nichts zu tun.
b) Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts folgt ein Verwertungsverbot hier auch nicht aus den Grundsätzen von Treu und Glauben (§ 242 BGB). Das Berufungsgericht hat allein die wertausschöpfende Belastung des Grundstücks im Blick gehabt, die dazu führe, dass ausschließlich die an die vollstreckungsbeschränkende Vereinbarung gebundene Grundpfandgläubigerin von einer Verwertung des Miteigentumsanteils profitieren würde. Diese Sicht greift jedoch zu kurz. Neben der Grundpfandgläubigerin haben weitere Gläubiger Forderungen zur Tabelle angemeldet. Aufgabe des Beklagten ist es, durch bestmögliche Verwertung des Vermögens der Schuldnerin die (ungesicherten) Gläubiger gemeinschaftlich zu befriedigen (§ 1 Satz 1 InsO). Wenn die Grundpfandgläubigerin die Zwangsvollstreckung oder Zwangsverwaltung betreibt (vgl. § 49 InsO), ist dies zwar nicht möglich. Auch eine vom Verwalter selbst beantragte Zwangsversteigerung des Grundstücks (§ 165 InsO, §§ 172 ff ZVG) würde kaum zu einem Überschuss führen, den der Verwalter zur Masse ziehen könnte. Der Verwalter ist jedoch - anders als die Grundpfandgläubigerin - auch zur freihändigen Veräußerung des belasteten Grundstücks oder grundstücksgleichen Rechts berechtigt (vgl. BGHZ 47, 181, 183 zu § 47 KO; BGH, Urt. v. 11. Dezember 1997 - IX ZR 278/96, WM 1998, 304, 305 zur GesO; MünchKomm-InsO/Ganter, 2. Aufl. Vor §§ 49-52 Rn. 99a; Uhlenbruck/Brinkmann, InsO 13. Aufl. § 49 Rn. 30; HK-InsO/Lohmann, 5. Aufl. § 49 Rn. 23). Weil bei der freihändigen Veräußerung oft ein höherer Kaufpreis erzielt wird, kann der Verwalter sich mit dem absonderungsberechtigten Gläubiger darauf verständigen, dass er, der Verwalter, diese gegen Zahlung eines vereinbarten Kostenbeitrags zugunsten der Masse betreibt. Dieser Beitrag kommt der Gemeinschaft der (ungesicherten) Insolvenzgläubiger zugute. Der Verwalter, der von dieser Möglichkeit Gebrauch macht, wird nicht, wie das Berufungsgericht meint, nur im Interesse des absonderungsberechtigten Gläubigers tätig, sondern zieht - seinen Aufgaben und seinem Amt entsprechend - den trotz der Belastungen noch zu realisierenden Wert des Grundstücks zur Masse. Nicht die Grundpfandgläubigerin, sondern der Verwalter für die Gesamtheit der Gläubiger greift damit auf das Grundstück zu.
c) Soweit das Berufungsgericht ohne nähere Erläuterungen auf den "prekären Gesundheitszustand" der Klägerin verwiesen hat, ist die Klägerin nicht schutzlos. Ihr bleibt die Möglichkeit, einen Vollstreckungsschutzantrag nach § 765a ZPO zu stellen. Sie kann damit zwar nicht die freihändige Veräußerung des Miteigentumsanteils verhindern, möglicherweise aber die Räumung des Hausgrundstücks durch den Erwerber hinauszögern. Ihr Interesse, den Miteigentumsanteil behalten zu können, verdient im Insolvenzverfahren über ihr Vermögen keinen Schutz.
3. Die Klage gegen den Beklagten zu 2, den Verwalter im Nachlassinsolvenzverfahren über das Vermögen des früheren Klägers zu 2, scheitert hinsichtlich des Miteigentumsanteils der Klägerin wiederum am Fehlen einer aktuellen oder drohenden Beeinträchtigung der Rechtsposition der Klägerin. Hier gilt das zu II 1 Gesagte entsprechend. Zwangsvollstreckungs- oder Verwertungsmaßnahmen des Beklagten zu 2 hat die Klägerin nicht zu befürchten, weil dieser nicht befugt ist, über ihr Vermögen zu verfügen.
4. Hinsichtlich des zum Nachlass des früheren Klägers zu 2 gehörenden Miteigentumsanteils fehlt es wegen der fortbestehenden Separierung des Nachlasses vom sonstigen Vermögen der Klägerin an einer Sonderrechtsbeziehung zwischen der Klägerin und dem Beklagten zu 2, die Grundlage der vom Berufungsgericht angenommenen Rücksichtnahmepflichten sein könnte. Sollte man dies anders sehen, weil der Erwerber die Teilungsversteigerung beantragen könnte, so scheitert die Klage in diesem Prozessrechtsverhältnis aus dem gleichen Grunde wie diejenige gegen den Beklagten zu 1.
IV.
Das angefochtene Urteil kann deshalb keinen Bestand haben. Es ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da die Aufhebung des Urteils nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist, hat das Revisionsgericht in der Sache selbst zu entscheiden (§ 563 Abs. 1 ZPO). Die Klage der Klägerin wird abgewiesen.
Kayser Raebel Lohmann
Pape Möhring