Entscheidungsdatum: 30.04.2015
Zahlt der Schuldner auf eine relativ geringfügige Forderung erst aufgrund mehrerer Mahnungen nach über einem Jahr zwei Raten und tilgt die Forderung nicht vollständig, kann das Tatgericht zu dem Ergebnis gelangen, dass der Gläubiger allein hieraus nicht auf eine Zahlungseinstellung des Schuldners schließen musste.
Die Revision des Klägers gegen das Urteil der 8. Zivilkammer des Landgerichts Bremen vom 4. Juni 2014 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Die Beklagte überlässt anderen gegen Entgelt Arbeitnehmer. Der spätere Schuldner war als Elektromeister selbständig tätig und nahm die Dienste der Beklagten in Anspruch, die diese ihm am 22. Juni 2009 mit insgesamt 1.218,27 € in Rechnung stellte. Trotz einer Mahnung beglich der Schuldner die Rechnung nicht. Am 2. September 2009 übergab die Beklagte den Vorgang an ein Inkassounternehmen, das aufgrund des Auftrags gegen den Schuldner tätig wurde.
Am 21. Juni 2010 stellte eine gesetzliche Krankenversicherung den Antrag, über das Vermögen des Schuldners das Insolvenzverfahren zu eröffnen. Am 18. August 2010 zahlte der Schuldner nach Mahnungen des Inkassounternehmens einen Teilbetrag von 500 €. Am 25. August 2010 stellte eine zweite gesetzliche Krankenversicherung einen Antrag auf Insolvenzeröffnung. Einen Tag später zahlte der Schuldner weitere 500 €. Nach Eigenantrag des Schuldners vom 10. September 2010 und Verbindung der drei Verfahren wurde das Insolvenzverfahren über sein Vermögen am 29. Oktober 2010 eröffnet und der Kläger als Insolvenzverwalter bestellt. Dieser focht die beiden Zahlungen an.
Das Amtsgericht hat der Anfechtungsklage des Klägers stattgegeben, das Landgericht hat auf die Berufung der Beklagten das amtsgerichtliche Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen. Mit der vom Landgericht zugelassenen Revision möchte der Kläger die Wiederherstellung der amtsgerichtlichen Entscheidung erreichen.
Die Revision des Klägers ist unbegründet.
I.
Das Berufungsgericht hat ausgeführt, es bestehe kein Rückgewähranspruch des Klägers gegen die Beklagte aus § 143 InsO, weil ein Anfechtungsgrund weder nach § 130 InsO noch nach § 133 InsO bestehe. Die Beklagte habe von einer (drohenden) Zahlungsunfähigkeit des Schuldners nichts gewusst. Allein die zögerliche und nicht vollständige Begleichung einer Forderung in Höhe von rund 1.200 € über einen Zeitraum von vierzehn Monaten indiziere ohne das Hinzutreten weiterer Umstände keine Kenntnis von die Zahlungsunfähigkeit begründenden Umständen.
II.
1. Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung stand.
a) Soweit das Berufungsgericht einen Anspruch auf Rückgewähr der erhaltenen Zahlungen nach § 143 Abs. 1 Satz 1, § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO abgelehnt hat, ist seine Würdigung revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Zwar hat der Schuldner nach Stellung des ersten und zweiten Insolvenzantrags (§ 139 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 InsO; BGH, Urteil vom 2. April 2009 - IX ZR 145/08, NZI 2009, 377 Rn. 7) auf die unstreitig bestehenden, fälligen Forderungen der Beklagten zwei Ratenzahlungen geleistet und dadurch die Insolvenzgläubiger objektiv benachteiligt (§ 129 Abs. 1 InsO). Auch ist revisionsrechtlich zu unterstellen, dass der Schuldner zum Zeitpunkt der Ratenzahlungen (§ 140 Abs. 1 InsO) zahlungsunfähig war. Doch hat der Kläger nicht behauptet, dass die Beklagte zum Zeitpunkt der Ratenzahlungen die nach § 130 Abs. 1 Nr. 2 InsO erforderliche Kenntnis von dem Insolvenzantrag hatte. Auch ist das Berufungsgericht, ohne dass dies revisionsrechtlich zu beanstanden ist, zu der möglichen tatrichterlichen Würdigung gelangt (§ 286 Abs. 1 ZPO), der Beklagten sei aufgrund der ihr bekannten Umstände ein eindeutiges Urteil dahin, dass der Schuldner zahlungsunfähig war oder die Zahlungen eingestellt hatte (§ 17 Abs. 2 Satz 2 InsO), nicht möglich gewesen (vgl. BGH, Urteil vom 7. November 2013 - IX ZR 49/13, NZI 2014, 23 Rn. 12). Dabei beschränkt sich die revisionsrechtliche Kontrolle darauf, ob sich der Tatrichter entsprechend dem Gebot des § 286 ZPO mit dem Prozessstoff umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt hat, die Beweiswürdigung also vollständig und rechtlich möglich ist und nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstößt (BGH, Urteil vom 7. November 2013, aaO Rn. 8). Dies ist der Fall.
b) Zahlungen eines Schuldners sind nach § 130 Abs. 1 Nr. 2 Fall 1 InsO anfechtbar, wenn der Gläubiger zur Zeit der Vornahme der Zahlungen von seiner Zahlungsunfähigkeit wusste. Kennt der Gläubiger die Zahlungseinstellung des Schuldners, ist gemäß § 17 Abs. 2 Satz 2 InsO auch seine Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit anzunehmen. Denn die dort formulierte Vermutung gilt auch im Rahmen der Insolvenzanfechtung. Der Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit steht die Kenntnis von Umständen gleich, die zwingend auf die Zahlungsunfähigkeit schließen lassen (§ 130 Abs. 2 InsO). Dies ist anzunehmen, wenn der Anfechtungsgegner die tatsächlichen Umstände kennt, aus denen bei zutreffender rechtlicher Bewertung die Zahlungsunfähigkeit zweifelsfrei folgt (BGH, Urteil vom 19. Februar 2009 - IX ZR 62/08, BGHZ 180, 63 Rn. 13; vom 7. November 2013, aaO Rn. 11).
aa) Ein Gläubiger kennt die Zahlungseinstellung schon dann, wenn er selbst bei Leistungsempfang seine Ansprüche ernsthaft eingefordert hat, diese verhältnismäßig hoch sind und er weiß, dass der Schuldner nicht in der Lage ist, die Forderungen zu erfüllen (BGH, Urteil vom 25. September 1997 - IX ZR 231/96, NJW 1998, 607, 608; vom 22. Januar 1998 - IX ZR 99/97, ZIP 1998, 477, 479, insoweit bei BGHZ 138, 40 nicht abgedruckt). Ersatzweise reicht es für die Anfechtung aus, wenn der Leistungsempfänger Indiztatsachen von solcher Beweiskraft kennt, dass sich daraus eine Zahlungseinstellung eindeutig ergibt. Die Umstände müssen konkret sein und ein eindeutiges Urteil über die Liquiditätsgesamtlage des Schuldners ermöglichen (BGH, Urteil vom 19. Februar 2009 - IX ZR 62/08, BGHZ 180, 63 Rn. 17). Dazu kann ein einziger Anhaltspunkt von hinreichendem Aussagewert genügen, etwa eigene Erklärungen des Schuldners, fällige Verbindlichkeiten nicht begleichen zu können (BGH, Urteil vom 8. Januar 2015 - IX ZR 203/12, ZInsO 2015, 396 Rn. 21 mwN), auch wenn sie mit einer Stundungsbitte verbunden sind (BGH, Urteil vom 10. Juli 2014 - IX ZR 280/13, NZI 2014, 863 Rn. 28 mwN). Lässt ein gewerblich tätiger Schuldner monatelang einen Rückstand von erheblicher Höhe mit betriebsnotwendigen fortlaufenden Verbindlichkeiten - insbesondere Steuern und Sozialabgaben, aber auch Löhne und Mieten - aufkommen und zahlt er danach unregelmäßig einzelne Raten, ohne jedoch die Gesamtschuld verringern zu können, so deuten diese Tatsachen auf eine Zahlungsunfähigkeit hin (vgl. BGH, Urteil vom 20. November 2001 - IX ZR 48/01, BGHZ 149, 178, 185 f; vom 10. Juli 2003 - IX ZR 89/02, NZI 2003, 542, 544; vom 17. Juli 2003 - IX ZR 272/02, NJW 2003, 3560, 3562; zu allem MünchKomm-InsO/Kayser, 3. Aufl., § 130 Rn. 35 ff, Rn. 39a).
Umgekehrt begründet die Kenntnis von der ausbleibenden Tilgung einer Forderung noch nicht die Kenntnis des Gläubigers von der Zahlungseinstellung und der Zahlungsunfähigkeit. Denn diese kann die verschiedensten Ursachen haben und muss nicht zwingend auf eine Zahlungsunfähigkeit des Schuldners hindeuten (OLG Schleswig, DZWIR 2002, 514, 515 mit einer zustimmenden Anmerkung von Adam, DZWIR 2002, 515, 516; MünchKomm-InsO/Kayser, 3. Aufl., § 130 Rn. 39). Ebenso wenig muss auf die Kenntnis des Gläubigers von der schuldnerischen Zahlungsunfähigkeit geschlossen werden, wenn der Schuldner eine geringfügige Verbindlichkeit erst nach mehreren Mahnungen begleicht (MünchKomm-InsO/Kayser, aaO). Die Bitte des Schuldners auf Abschluss einer Ratenzahlungsvereinbarung stellt als solche kein Indiz für eine Zahlungseinstellung oder Zahlungsunfähigkeit dar, wenn sie sich im Rahmen der Gepflogenheiten des Geschäftsverkehrs hält (BGH, Beschluss vom 16. April 2015 - IX ZR 6/14, zVb).
bb) Nach diesen Maßstäben konnte das Berufungsgericht davon ausgehen, dass die Beklagte im Monat August 2010 die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin nicht erkannt hatte (vgl. BGH, Urteil vom 7. November 2013 - IX ZR 49/13, NZI 2014, 23 Rn. 10). Unstreitig hatte die Beklagte als außenstehende Gläubigerin keinen Gesamtüberblick über die Liquiditäts- oder Zahlungslage des Schuldners (vgl. BGH, Urteil vom 19. Februar 2009 - IX ZR 62/08, BGHZ 180, 63 Rn. 17; MünchKomm-InsO/Kayser, 3. Aufl., § 130 Rn. 35), mithin keine Kenntnis von der finanziellen Lage des Schuldners. Sie hatte keinen Einblick in seine Geschäftsunterlagen und wusste nichts über das Zahlungsverhalten des Schuldners gegenüber anderen Gläubigern. Sie musste nur damit rechnen, weil der Schuldner gewerblich tätig war, dass weitere Gläubiger mit offenen Forderungen vorhanden waren (BGH, Urteil vom 25. Oktober 2012 - IX ZR 117/11, NZI 2012, 963 Rn. 30; vom 6. Dezember 2012 - IX ZR 3/12, NJW 2013, 940 Rn. 42; Beschluss vom 18. Dezember 2014 - IX ZB 34/14, NZI 2015, 220 Rn. 11).
Ihr einziger Kontakt zum Schuldner beschränkte sich auf die gelegentliche Überlassung von Arbeitnehmern, die schließlich mit der streitgegenständlichen Rechnung von Juni 2009 abgerechnet worden ist. Weitere Geschäftsbeziehungen zum Schuldner, die ihr Aufschlüsse über seine finanzielle Situation hätten geben können, unterhielt sie nicht. Von irgendwelchen Gesprächen des Schuldners mit der Beklagten oder dem beauftragten Inkassounternehmen, in denen sie auf finanzielle Schwierigkeiten hingewiesen, um Stundung gebeten oder die mangelnde Zahlungsfähigkeit oder finanzielle Schwierigkeiten offenbart worden wären, hat der Kläger nicht vorgetragen. Ebenso wenig übten die Beklagte und das beauftragte Inkassounternehmen einen verdächtigen Druck auf den Schuldner aus. Sie drohten weder mit der Stellung eines Insolvenzantrags (vgl. BGH, Urteil vom 25. Oktober 2001 - IX ZR 17/01, BGHZ 149, 100, 111; vom 18. Dezember 2003 - IX ZR 199/02, BGHZ 157, 242, 245 ff), einer Strafanzeige (vgl. BGH, Urteil vom 9. Juni 2005 - IX ZR 152/03, NZI 2005, 497) oder mit der Zwangsvollstreckung (vgl. BGH, Urteil vom 18. Dezember 2003, aaO 245 f). Die Beklagte wusste unstreitig nur, dass ihre eigene Forderung über einen Zeitraum von über einem Jahr überhaupt nicht und dann nur ratenweise und nicht vollständig beglichen wurde. Auch musste sie ein Inkassounternehmen einschalten, damit die Forderung teilweise eingetrieben werden konnte, die mit 1.218,27 € relativ geringfügig war.
b) Ebenso wenig hat der Kläger einen Rückgewähranspruch aus § 143 Abs. 1 Satz 1, § 133 Abs. 1 Satz 1 InsO. Es ist zwar für das Revisionsverfahren davon auszugehen, dass der Schuldner die beiden Ratenzahlungen im Monat August 2010 mit dem Vorsatz geleistet hat, seine Gläubiger zu benachteiligen. Denn der Benachteiligungsvorsatz ist gegeben, wenn der Schuldner bei Vornahme der Rechtshandlung (§ 140 InsO) die Benachteiligung der Gläubiger im Allgemeinen als Erfolg seiner Rechtshandlung gewollt oder als mutmaßliche Folge - sei es auch als unvermeidliche Nebenfolge eines an sich erstrebten anderen Vorteils - erkannt und gebilligt hat. Ein Schuldner, der zahlungsunfähig ist und seine Zahlungsunfähigkeit kennt, handelt in aller Regel mit Benachteiligungsvorsatz. In diesem Fall weiß der Schuldner, dass sein Vermögen nicht ausreicht, um sämtliche Gläubiger zu befriedigen (BGH, Urteil vom 26. April 2012 - IX ZR 74/11, BGHZ 193, 129 Rn. 17 mwN; vom 7. November 2013 - IX ZR 49/13, NZI 2014, 23 Rn. 8 f). Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn eine kongruente Leistung angefochten wird (BGH, Urteil vom 10. Januar 2013 - IX ZR 13/12, NJW 2013, 611 Rn. 15).
Doch durfte das Berufungsgericht aufgrund des von ihm festgestellten Sachverhalts davon ausgehen, dass die Beklagte einen Benachteiligungsvorsatz des Schuldners mangels Wissen um die (drohende) Zahlungsunfähigkeit des Schuldners und mangels Wissen von Umständen, die zwingend auf die (drohende) Zahlungsunfähigkeit hätten schließen lassen (§ 130 Abs. 2, § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO), nicht erkannt hat (vgl. BGH, Urteil vom 7. November 2013, aaO Rn. 12; vgl. auch BGH, Beschluss vom 6. Februar 2014 - IX ZR 221/11, ZInsO 2014, 496 Rn. 3). Für die Beklagte waren auch unter Berücksichtigung ihrer eigenen, verspätet und nur teilweise beglichenen, relativ geringfügigen Forderung keine tragfähigen Anhaltspunkte ersichtlich, dass sich der Schuldner in existenziellen wirtschaftlichen Schwierigkeiten befand. Von den wirtschaftlichen Verhältnissen des Schuldners hatte sie keine Kenntnis; insbesondere wusste sie nicht, dass der Schuldner auch anderen Gläubigern gegenüber Schulden hatte, die nicht pünktlich beglichen wurden (vgl. BGH, Urteil vom 7. November 2013, aaO Rn. 15 mwN).
2. Der gerügte Verfahrensverstoß führt nicht zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung. Allerdings verletzt das Berufungsurteil den Anspruch des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG). Denn es verstößt gegen diesen Grundsatz, wenn das Gericht - wie das Berufungsgericht - einen ordnungsgemäß eingegangenen Schriftsatz versehentlich nicht berücksichtigt, weil er ihm nicht rechtzeitig vorgelegt wird (vgl. BGH, Beschluss vom 22. März 2005 - XI ZB 33/04, nv Rn. 5; vom 19. August 2010 - VII ZB 2/09, WM 2010, 1788 Rn. 14; vom 17. Februar 2011 - V ZB 310/10, NJW 2011, 1363 Rn. 4; Beschluss vom 12. Juli 2012 - IX ZB 270/11, NZI 2012, 721 Rn. 7; BVerfG, AnwBl 2015, 273 Rn. 11). Doch beruht das Urteil nicht auf diesem Gehörsverstoß. Der neue Tatsachenvortrag in dem nicht nachgelassenen Schriftsatz zur Zahlungsunfähigkeit des Schuldners war für die Entscheidung des Berufungsgerichts unerheblich, weil diese Anfechtungsvoraussetzung zu Gunsten des Klägers unterstellt worden ist. Der Kläger hat auch keine neuen rechtlichen Gesichtspunkte und Wertungen vorgetragen, er hat in dem nicht nachgelassenen Schriftsatz nur zusammengefasst, was er zuvor schon vor dem Land- und dem Oberlandesgericht ausgeführt hatte. Neu war nur der klägerische Verweis auf die noch nicht einmal im Ansatz einschlägige Entscheidung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 26. April 2012 - IX ZR 74/11, BGHZ 193, 129). Es ist deswegen ausgeschlossen, dass das Berufungsgericht in Kenntnis dieser Entscheidung anders entschieden hätte.
Kayser Vill Lohmann
Grupp Möhring