Entscheidungsdatum: 21.09.2017
Hat der Beklagte sich auf das Verfahren im Urteilsstaat nicht eingelassen, trägt der die Vollstreckbarerklärung begehrende Kläger des Ausgangsverfahrens die Beweislast, dass das verfahrenseinleitende Schriftstück dem Beklagten ordnungsgemäß zugestellt worden ist und der Beklagte die tatsächliche Möglichkeit der Kenntnisnahme gehabt hat.
Auf die Rechtsbeschwerde der Antragsgegnerin zu 1 wird der Beschluss des 8. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 20. September 2016 aufgehoben, soweit zu ihrem Nachteil erkannt worden ist. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.
Der Gegenstandswert wird auf 3.500.000 € festgesetzt.
A.
Die Antragstellerin erwirkte gegen die Antragsgegner ein Urteil des Gerichtshofs Den Haag, Niederlande, vom 31. Oktober 2000, durch welches die Antragsgegner verurteilt wurden, als Gesamtschuldner 6.808.248 NLG nebst Zinsen und Kosten an die Antragstellerin zu zahlen. Die Antragsgegner hatten sich in dem Verfahren vor dem niederländischen Gericht nicht eingelassen.
Mit Beschluss vom 2. August 2011 hat der Vorsitzende einer Zivilkammer des Landgerichts angeordnet, das Urteil gemäß Art. 31 ff EuGVÜ mit der Vollstreckungsklausel zu versehen. Die dagegen eingelegte Beschwerde hat das Oberlandesgericht als unzulässig verworfen. Nach Aufhebung und Zurückverweisung durch den Beschluss des Senats vom 24. September 2015 (IX ZB 91/13) hat das Oberlandesgericht die Vollstreckbarerklärung bezüglich der Antragsgegnerin zu 2 aufgehoben und den Antrag der Antragstellerin insoweit zurückwiesen. Die Beschwerde der Antragsgegnerin zu 1 hat keinen Erfolg gehabt. Mit der Rechtsbeschwerde erstrebt die Antragsgegnerin zu 1 die Aufhebung und Versagung der Vollstreckbarerklärung.
B.
Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO in Verbindung mit § 15 Abs. 1 AVAG, Art. 41 des Brüsseler EWG-Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (nachfolgend: EuGVÜ) statthaft und zulässig (§ 574 Abs. 2 ZPO). Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der angegriffenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.
I.
Das Beschwerdegericht hat - soweit noch von Interesse - ausgeführt, die Vollstreckbarerklärung hinsichtlich der Antragsgegnerin zu 1 sei zu Recht erfolgt. Ein Anerkennungsversagungsgrund gemäß Art. 27 EuGVÜ sei nicht gegeben.
Ein Verstoß gegen den ordre public liege nicht vor. Art. 27 Nr. 1 EuGVÜ sei nicht deshalb verletzt, weil der Vertrag eine Schiedsklausel enthalten habe. Ebensowenig verletze es den ordre public, dass die Abtretung der Ansprüche für wirksam gehalten worden sei, obwohl dies erst aus der fingierten Zustellung der Klageschrift folge. Schließlich sei die Einbeziehung der Antragsgegnerin zu 1 in den Rechtsstreit nicht unter Verstoß gegen den ordre public erfolgt.
Es liege kein Anerkennungshindernis nach Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ vor. Die Klageschrift sei der Antragsgegnerin ordnungsgemäß zugestellt worden. Da im Verhältnis zum Irak kein vorrangiges Abkommen Anwendung finde, richte sich die ordnungsgemäße Zustellung nach niederländischem Recht. Dessen Voraussetzungen seien erfüllt. Es könne nicht festgestellt werden, dass die Klageschrift der Antragsgegnerin zu 1 nicht so rechtzeitig zugestellt worden sei, dass sie sich nicht verteidigen konnte. Die Antragsgegnerin zu 1 habe hierzu nicht substantiiert vorgetragen. Die Darlegungs- und Beweislast für die fehlende Rechtzeitigkeit trage der Schuldner. Es genüge insoweit nicht, dass die Antragsgegnerin sich darauf berufe, dass in den Jahren 1998 und 1999 angesichts der gegen den Irak bestehenden Sanktionen eine Zustellung nicht oder allenfalls mit erheblicher Verzögerung erfolgt sei. Es stehe fest, dass auch in diesen Jahren der Postverkehr in den Irak über Jordanien per Bus oder Lastwagen erfolgt sei. Vor diesem Hintergrund habe die Antragsgegnerin zu 1 ihr Vorbringen zu den Gründen für einen verspäteten Zugang der Klage präzisieren müssen und sich nicht darauf zurückziehen dürfen, sie könne trotz aufwändiger Nachforschungen nicht feststellen, ob, wann und in welcher Form ihr die Klage zugestellt worden sei.
II.
Das hält in einem Punkt rechtlicher Überprüfung nicht stand.
1. Nachdem die Entscheidung des Gerichtshofs Den Haag in einem vor dem 1. März 2002 eingeleiteten gerichtlichen Verfahren ergangen ist und vor diesem Zeitpunkt erlassen worden ist, ist auf das Vollstreckbarerklärungsverfahren gemäß § 66 Abs. 2 EuGVVO aF noch das EuGVÜ anwendbar.
2. Rechtsfehlerfrei hat das Beschwerdegericht angenommen, dass der Versagungsgrund nach Art. 27 Nr. 1 EuGVÜ nicht erfüllt ist. Ein Verstoß gegen den ordre public liegt nicht vor.
a) Der Versagungsgrund nach Art. 27 Nr. 1 EuGVÜ ist im Rechtsbehelfsverfahren nach Art. 36 ff EuGVÜ von Amts wegen auch ohne entsprechende Rüge des Antragsgegners zu prüfen (BGH, Beschluss vom 10. September 2015 - IX ZB 39/13, ZIP 2015, 212 Rn. 9 mwN zu Art. 34 Nr. 1 EuGVVO). Die hierfür entscheidungserheblichen Tatsachen sind nicht von Amts wegen zu ermitteln, sondern nach dem insoweit anwendbaren autonomen Verfahrensrecht des Vollstreckungsstaates aufgrund des in Deutschland geltenden Beibringungsgrundsatzes von dem Antragsgegner darzulegen (BGH, aaO Rn. 10 mwN). Das Beschwerdegericht hat die von der Antragsgegnerin zu 1 erhobenen Einwendungen geprüft und einen Verstoß gegen den ordre public verneint. Dies hält den Angriffen der Rechtsbeschwerde stand.
b) Die Rechtsbeschwerde zeigt keinen Sachvortrag auf, auf dessen Grundlage die Anerkennung des niederländischen Urteils gegen den deutschen ordre public verstoßen könnte. Soweit sie geltend macht, der Fall werfe die Frage auf, ob der deutsche ordre public verletzt sei, wenn sich das ausländische Gericht über eine wirksame Schiedsklausel hinwegsetze, kommt es hierauf nicht an. Die Antragsgegnerin zu 1 zeigt schon nicht auf, dass diese Frage Gegenstand des Verfahrens vor dem niederländischen Gericht gewesen ist. Eine Schiedsvereinbarung ist nach deutschem Recht nur auf Einrede zu berücksichtigen (§ 1032 Abs. 1 ZPO). Daher steht eine wirksame Schiedsklausel einer Vollstreckbarerklärung eines ausländischen Urteils nicht entgegen, wenn der Schuldner es unterlassen hat, sie im Ausgangsverfahren geltend zu machen.
Ebenso wenig kommt es auf die Frage an, ob Regelungen der Verordnung (EG) Nr. 2465/96 des Rates vom 17. Dezember 1996 über die Unterbrechung der wirtschaftlichen und finanziellen Beziehungen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und Irak (ABl. 1996, Nr. L 337/1) die Antragsgegnerin zu 1 in ihren Möglichkeiten, sich gegen die Klage in den Niederlanden zu verteidigen, eingeschränkt haben. Es obliegt der Antragsgegnerin zu 1, die tatsächlichen Voraussetzungen darzulegen, unter denen eine Entscheidung des niederländischen Gerichts trotz dieser Einschränkung einen Verstoß gegen den deutschen ordre public begründen könnte. Die Würdigung des Beschwerdegerichts, die entsprechenden Darlegungen seien ohne Substanz und auch in tatsächlicher Hinsicht unzutreffend, sind rechtsfehlerfrei. Der von der Rechtsbeschwerde gerügte Gehörsverstoß liegt nicht vor.
Selbst wenn die Antragsgegnerin zu 1 aufgrund dieser Bestimmungen praktisch nicht in der Lage gewesen sein sollte, anwaltliche Honorarforderungen zu begleichen, verstößt die Anerkennung des niederländischen Urteils nicht gegen den ordre public. Die Antragsgegnerin zu 1 zeigt nicht auf, dass es ihr nicht möglich gewesen wäre, diesen Gesichtspunkt im Verfahren vor dem niederländischen Gericht geltend zu machen. Es ist auch nicht ersichtlich, dass es der Antragsgegnerin zu 1 unmöglich gewesen ist, einen Rechtsbeistand zu finden. Unterlässt der Beklagte es, sich im Ausgangsverfahren zu verteidigen und ihm mögliche Einwände geltend zu machen, folgt allein daraus, dass das Gericht des Ausgangsverfahrens solche Einwände nicht von Amts wegen berücksichtigt hat, kein Verstoß gegen den ordre public. Dass der Einwand, sie könne sich aufgrund der genannten Beschränkungen nicht wirksam verteidigen, in dem Verfahren vor dem niederländischen Gericht von vornherein keinen Erfolg gehabt hätte, zeigt die Antragsgegnerin zu 1 nicht auf.
3. Hingegen hat das Beschwerdegericht rechtsfehlerhaft angenommen, dass der Versagungsgrund des Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ nicht erfüllt sei. Gemäß Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ wird eine Entscheidung nicht anerkannt, wenn dem Beklagten, der sich auf das Verfahren nicht eingelassen hat, das dieses Verfahren einleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück nicht ordnungsgemäß und nicht so rechtzeitig zugestellt worden ist, dass er sich verteidigen konnte.
a) Der Versagungsgrund nach Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ ist im Rechtsbehelfsverfahren von Amts wegen zu prüfen (BGH, Beschluss vom 12. Dezember 2007 - XII ZB 240/05, FamRZ 2008, 586 Rn. 25 zu Art. 34 Nr. 2 EuGVVO aF). Hingegen richtet sich die Art und Weise der Tatsachenermittlung und Wahrheitsfindung nach dem nationalen Verfahrensrecht des Vollstreckungsstaates (BGH, Beschluss vom 28. November 2007 - XII ZB 217/05, NJW 2008, 1531 Rn. 20, zu Art. 27 Nr. 2 Lugano Übereinkommen; vom 12. Dezember 2007, aaO Rn. 26).
Nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts ist das verfahrenseinleitende Schriftstück der Antragsgegnerin zu 1 gemäß Art. 55 der niederländischen Zivilprozessordnung durch Zusendung an die Staatsanwaltschaft Dordrecht (sog. remise au parquet) am 9. Oktober 1998 zugestellt worden. Der zuständige Gerichtsvollzieher habe zudem die Versendung weiterer Ausfertigungen der Klageschrift nebst englischer Übersetzung per Einschreiben unmittelbar an die Antragsgegnerin veranlasst. Der Postverkehr in den Irak sei möglich gewesen, jedoch seit dem 2. Juli 1991 über Jordanien und von dort per Autobus oder Lastwagen in den Irak erfolgt. Das Beschwerdegericht hat weder festgestellt, dass die Antragsgegnerin zu 1 das Schriftstück tatsächlich erhalten hat, noch ob und zu welchem Zeitpunkt sie die Möglichkeit hatte, von dem Schriftstück Kenntnis zu nehmen. Vor diesem Hintergrund hält seine Folgerung, dass gleichwohl kein Versagungsgrund gegeben sei, rechtlicher Überprüfung nicht stand.
b) Im Ausgangspunkt zutreffend nimmt das Beschwerdegericht an, dass der Antragsgegnerin zu 1 die Klageschrift ordnungsgemäß zugestellt worden ist. Insoweit ist auf das Zustellungsrecht im Urteilsstaat abzustellen. Soll die Zustellung an einen in einem anderen Staat ansässigen Schuldner erfolgen, sind die Zustellungsregeln maßgeblich, die der Urteilsstaat im Verhältnis zum Wohnsitzstaat des Schuldners zu beachten hat (EuGH, Urteil vom 3. Juli 1990 - L-305/88, Lancray, IPrax 1991, 177, 178 f; vgl. auch EuGH, Urteil vom 13. Oktober 2005 - C-522/03, Scania, NJW 2005, 3627 Rn. 24 ff; Geimer/Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht, 2. Aufl., Art. 34 Rn. 72; Schlosser, EU-Zivilprozessrecht, 3. Aufl., Art. 34-36 EuGVVO Rn. 11). Nach den unangegriffenen Feststellungen des Beschwerdegerichts bestanden keine vertraglichen Beziehungen zwischen den Niederlanden und dem Irak. Daher konnte die Zustellung entsprechend dem niederländischen Zustellungsrecht erfolgen. Die Ausführungen des Beschwerdegerichts zum niederländischen Recht greift die Rechtsbeschwerde nicht an. Auf Art. 15 des Haager Übereinkommens über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- oder Handelssachen vom 15. November 1965 (fortan: HZÜ) kommt es entgegen der Rechtsbeschwerde nicht an. Der Irak ist kein Vertragsstaat des HZÜ.
c) Rechtlicher Überprüfung hält jedoch nicht stand, soweit das Beschwerdegericht angenommen hat, dass die Antragsgegnerin zur Nichtwahrung des Rechtzeitigkeitserfordernisses nicht hinreichend substantiiert vorgetragen habe und daher nicht festgestellt werden könne, dass die Klageschrift erst so spät zugegangen sei, dass die Antragsgegnerin zu 1 sich nicht verteidigen konnte. Vielmehr trifft den Antragsteller nach Sinn und Zweck und Bedeutung des Versagungsgrundes nach Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ nicht nur die Beweislast für eine ordnungsgemäße Zustellung, sondern auch für die tatsächliche Möglichkeit einer Kenntnisnahme.
aa) Die Bestimmungen des Übereinkommens bringen insgesamt das Bestreben zum Ausdruck sicherzustellen, dass im Rahmen der Ziele des Übereinkommens die Verfahren, die zum Erlass gerichtlicher Entscheidungen führen, unter Wahrung des rechtlichen Gehörs durchgeführt werden (EuGH, Urteil vom 21. Mai 1980 - 125/79, Denilauler, RIW 1980, 510, 512; vom 2. April 2009 - C-394/07, Gambazzi, IPRax 2010, 164 Rn. 23). Dabei darf der Anspruch auf rechtliches Gehör nicht in irgendeiner Weise beeinträchtigt werden (EuGH, Urteil vom 11. Juni 1985 - 49/84, Debaecker, RIW 1985, 967 Rn. 10; vom 3. Juli 1990 - C-305/88, Lancray, IPRax 1991, 177, 178; vom 28. März 2000 - C-7/98, Krombach, IPRax 2000, 406 Rn. 43; vom 7. Juli 2016 - C-70/15, Lebek, RIW 2016, 593 Rn. 34).
Das Übereinkommen soll dem Beklagten einen wirksamen Schutz seiner Rechte gewährleisten, ohne die unterschiedlichen für die Zustellung gerichtlicher Schriftstücke im Ausland geltenden Systeme zu harmonisieren (EuGH, Urteil vom 15. Juli 1982 - 228/81, Pendy Plastic, Slg. 1982, 2723 Rn. 13; vom 3. Juli 1990 - C-305/88, Lancray, IPRax 1991, 177, 178). Die zweite in Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ genannte Voraussetzung soll gewährleisten, dass dem Beklagten ein ausreichender Zeitraum zur Verfügung steht, um seine Verteidigung vorzubereiten oder die zur Vermeidung einer Säumnisentscheidung erforderlichen Schritte einzuleiten (EuGH, Urteil vom 16. Juni 1981 - 166/80, Klomps, RIW 1981, 781 Rn. 18). Dabei hat neben dem Gericht des Urteilsstaats auch das Gericht des Vollstreckungsstaats zu prüfen, ob diese Rechte gewährleistet sind (vgl. EuGH, Urteil vom 3. Juli 1990, aaO; vom 13. Oktober 2005 - C-522/03, Scania, NJW 2005, 3627 Rn. 23, 26; vom 6. September 2012 - C-619/10, Trade Agency, IPRax 2013, 427 Rn. 44 für die EuGVVO aF). Es ist daher befugt, eine eigenständige Beurteilung sämtlicher Beweise vorzunehmen und gegebenenfalls nachzuprüfen, ob diese Beweise ausreichen, um zu beurteilen, ob dem Beklagten das verfahrenseinleitende Schriftstück zugestellt worden ist und ob diese Zustellung so rechtzeitig und in einer Weise erfolgt ist, dass er sich verteidigen konnte (EuGH, Urteil vom 6. September 2012, aaO Rn. 38 zu Art. 34 Nr. 2 EuGVVO aF; Rauscher/Leible, EuZPR/EuIPR, 4. Aufl., Art. 45 EuGVVO nF Rn. 60).
bb) Hat der Beklagte sich nicht auf das Verfahren eingelassen, muss das Gericht des Vollstreckungsstaats gemäß Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ feststellen, ob das Schriftstück so rechtzeitig zugegangen ist, dass sich der Beklagte verteidigen konnte (EuGH, Urteil vom 14. Oktober 2004 - C-39/02, Maersk, IPRax 2006, 262 Rn. 61). Dies wird im Regelfall erfüllt sein, soweit eine ordnungsgemäße Zustellung erfolgt ist (EuGH, Urteil vom 16. Juni 1981, aaO Rn. 19; vgl. BGH, Beschluss vom 12. Dezember 2007 - XII ZB 240/05, FamRZ 2008, 586 Rn. 30 zu Art. 34 Nr. 2 EuGVVO aF). Dies setzt jedoch voraus, dass diese Zustellung - auch wenn sie ordnungsgemäß war - eine tatsächliche Möglichkeit der Kenntnisnahme eröffnet. Eine Zustellung, die keine solche Möglichkeit der Kenntnisnahme eröffnet, kann jedenfalls gegenüber einem Beklagten, dessen ladungsfähige Anschrift bekannt ist, nicht als rechtzeitig im Sinne des Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ angesehen werden. Denn damit würde dem Beklagten das rechtliche Gehör abgeschnitten. Der Versagungsgrund ist daher erfüllt, wenn der Beklagte sich entweder infolge des Zeitpunkts oder infolge der Art und Weise der Zustellung nicht verteidigen konnte (Kropholler/von Hein, Europäisches Zivilprozessrecht, 9. Aufl., Art. 34 EuGVO Rn. 33).
(1) Zwar verlangt Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ nicht den Nachweis, dass der Beklagte tatsächlich von dem verfahrenseinleitenden Schriftstück Kenntnis genommen hat (EuGH, Urteil vom 16. Juni 1981 - 166/80, Klomps, RIW 1981, 781 Rn. 19). Die Prüfung, ob die Zustellung rechtzeitig erfolgt ist, verlangt eine Wertung tatsächlicher Art (EuGH, Urteil vom 11. Juni 1985 - 49/84, Debaecker, RIW 1985, 967 Rn. 27). Das Gericht hat im Einzelfall zu prüfen, ob außergewöhnliche Umstände vorliegen, welche die Annahme nahelegen, dass die Zustellung, obgleich ordnungsgemäß erfolgt, dennoch nicht genügte, den Beklagten in die Lage zu versetzen, Schritte zu seiner Verteidigung einzuleiten (EuGH, Urteil vom 16. Juni 1981, aaO Rn. 19). Denn die Bestimmung trägt der Tatsache Rechnung, dass es in den verschiedenen Vertragsstaaten Systeme fiktiver Zustellungen gibt, die in unterschiedlichem Maße fiktive Rechtsfolgen vorsehen (EuGH, Urteil vom 11. Juni 1985, aaO Rn. 11). Die Wahrscheinlichkeit, dass der Beklagte von der Zustellung tatsächlich Kenntnis erhalten und somit über den erforderlichen Zeitraum verfügt hat, um seine Verteidigung vorzubereiten, kann je nach dem in jeder Rechtsordnung vorgesehenen System fiktiver Zustellungen erheblich variieren (EuGH, Urteil vom 11. Juni 1985, aaO; vgl. auch Geimer/Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht, 2. Aufl., Art. 34 EuGVVO Rn. 71). Hierbei hat das Gericht des Vollstreckungsstaates alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, einschließlich der Art und Weise der Zustellung, der Beziehung zwischen dem Gläubiger und dem Schuldner und der Art der Maßnahmen, die zur Vermeidung einer Versäumnisentscheidung einzuleiten waren (EuGH, Urteil vom 16. Juni 1981, aaO Rn. 20; Kropholler/von Hein, aaO Art. 34 EuGVO Rn. 36).
In der Regel kann das Gericht des Vollstreckungsstaats davon ausgehen, dass der Beklagte nach einer ordnungsgemäßen Zustellung Maßnahmen zur Verteidigung seiner Interessen schon von dem Zeitpunkt an einleiten kann, zu dem das Schriftstück zugestellt wird (EuGH, Urteil vom 16. Juni 1981, aaO Rn. 19). Dies beruht darauf, dass mit einer ordnungsgemäßen Zustellung regelmäßig auch die tatsächliche Möglichkeit einer Kenntnisnahme verbunden ist. Eine Vermutung der Rechtzeitigkeit der Zustellung besteht aber nicht, wenn der Kläger im Falle einer fiktiven Zustellung wusste, wo der Beklagte tatsächlich erreicht werden konnte (EuGH, Urteil vom 11. Juni 1985, aaO Rn. 31). Vor diesem Hintergrund ist es nicht gerechtfertigt, allein auf der Grundlage der fiktiven Zustellung anzunehmen, dass diese auch rechtzeitig erfolgt sei. Vielmehr muss der Kläger, der schon im Rahmen der fiktiven Zustellung hätte dafür Sorge tragen können, dass der Beklagte tatsächlich von dem gegen ihn eingeleiteten Verfahren erfuhr (vgl. EuGH, Urteil vom 11. Juni 1985, aaO Rn. 27 f), im Rahmen der Vollstreckbarerklärung bei einer fiktiven Zustellung auch die Umstände darlegen und beweisen, aufgrund derer das Gericht des Vollstreckungsstaats sich davon überzeugen kann, dass der Beklagte die tatsächliche Möglichkeit der Kenntnisnahme hatte.
(2) Bereits das EuGVÜ stellt - zusätzlich zur ordnungsgemäßen Zustellung - entscheidend darauf ab, ob der Beklagte tatsächlich von dem eingeleiteten Verfahren Kenntnis nehmen konnte und daher in der Lage war, sich zu verteidigen. Art. 34 Nr. 2 EuGVVO aF zeigt diese Zielsetzung nunmehr noch deutlicher (vgl. EuGH, Urteil vom 14. Dezember 2006 - C-283/05, ASML, IPRax 2008, 519 Rn. 20; vom 7. Juli 2016 - C-70/15, Lebek, RIW 2016, 593 Rn. 38). Gemäß Art. 33 Abs. 3 EuGVÜ muss der Antragsteller die in den Art. 46, 47 EuGVÜ genannten Urkunden vorlegen (ebenso Art. 53, 54 EuGVVO aF). Daraus folgt, dass er den Beweis für eine ordnungsgemäße Zustellung zu führen hat (BGH, Beschluss vom 12. Dezember 2007 - XII ZB 240/05, FamRZ 2008, 586 Rn. 27 mwN zu Art. 34 Nr. 2 EuGVVO aF; OLG Karlsruhe, EWS 1996 109, 110; OLG Hamburg, OLGR 2009, 188, 190; vgl. auch BGH, Beschluss vom 20. Januar 2005 - IX ZB 154/01, WuM 2005, 203 unter II.2.b.aa.). Diese den Antragsteller treffende Beweislast soll den Beklagten schützen und dem Gericht des Vollstreckungsstaats eine verlässliche Grundlage für die Feststellung bieten, dass der Beklagte tatsächlich in der Lage war, sich zu verteidigen. Da dies letztlich davon abhängt, ob eine tatsächliche Möglichkeit der Kenntnisnahme bestand, hat der Antragsteller auch dies zu beweisen (Rauscher/Leible, EuZPR/EuIPR, 4. Aufl., Art. 45 EuGVVO Rn. 60; vgl. auch Schlosser/Hess, EU-Zivilprozessrecht, 4. Aufl., Art. 45 EuGVVO, Rn. 28; aA Kropholler/von Hein, Europäisches Zivilprozessrecht, 9. Aufl., vor Art. 33 EuGVO Rn. 7).
Im Allgemeinen genügt der Antragsteller seiner Beweislast für die Möglichkeit der Kenntnisnahme durch die ordnungsgemäße Zustellung. Aus einer ordnungsgemäßen Zustellung folgt regelmäßig, dass der Beklagte die Möglichkeit der Kenntnisnahme hatte. Dies ist jedoch nicht der Fall, wenn weder die Art der Zustellung noch die sie veranlassenden Umstände eine solche Vermutung rechtfertigen. Vor diesem Hintergrund ist bei fiktiven Zustellungen zu prüfen, ob sie tatsächlich die Möglichkeit einer Verteidigung eröffnen und in diesem Sinne rechtzeitig sind (BGH, Beschluss vom 28. November 2007 - XII ZB 217/05, NJW 2008, 1531 Rn. 31 zu Art. 27 Nr. 2 Lugano Übereinkommen; Roth, IPRax 2008, 501, 502; Geimer/Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht, 2. Aufl., Art. 34 EuGVVO Rn. 71). Hierzu ist unter wertender Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls eine Abwägung zwischen den schützenswerten Interessen des Gläubigers und des Schuldners zu treffen (BGH, aaO).
Ist eine ladungsfähige Anschrift des Beklagten bekannt, genügt entgegen der Annahme des Beschwerdegerichts für die Rechtzeitigkeit der Zustellung bei fiktiven Zustellungen nicht die abstrakte Möglichkeit, dass der Beklagte das Schriftstück erhalten haben könnte. Es ist in diesen Fällen angesichts der Zielsetzung des EuGVÜ, das rechtliche Gehör des Beklagten zu wahren, Aufgabe des Antragstellers, die Umstände darzulegen und zu beweisen, aufgrund derer das Gericht die Überzeugung gewinnen kann, dass der Antragsgegner die tatsächliche Möglichkeit der Kenntnisnahme hatte. Dies ergibt sich mittelbar auch aus der Formulierung des Versagungsgrundes in Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ. Dieser zeigt, dass das Fehlen von Versagungsgründen eine negative Tatbestandsvoraussetzung darstellt (BGH, Beschluss vom 12. Dezember 2007 - XII ZB 240/05, FamRZ 2008, 586 Rn. 25). Daher muss das Beschwerdegericht in Fällen der fiktiven Zustellung durch remise au parquet die Überzeugung gewinnen, dass für den Schuldner die tatsächliche Möglichkeit einer Kenntnisnahme bestand. Hierbei genügt es, wenn aus den einzelnen Indizien die tatrichterliche Überzeugung gewonnen wird, dass dem Beklagten die Möglichkeit der Verteidigung offen stand (vgl. BGH, Beschluss vom 9. November 2006 - IX ZB 23/06, NJW-RR 2007, 638 Rn. 5). Erst wenn feststeht, zu welchem Zeitpunkt die tatsächliche Möglichkeit einer Kenntnisnahme bestand, muss der Antragsgegner beweisen, dass das Schriftstück erst so spät zugestellt worden ist, dass er sich nicht mehr verteidigen konnte.
4. Ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV an den Gerichtshof der Europäischen Union ist im Streitfall nicht erforderlich. Es liegt ein sogenannter acte éclairé vor, der eine Vorlagepflicht ausschließt (vgl. EuGH, Urteil vom 6. Oktober 1982 - 283/81, Cilfit, NJW 1983, 1257 Rn. 13 ff), weil die Anforderungen an die Feststellung des Versagungsgrundes nach Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ anhand der Rechtsprechung des Gerichtshofs abschließend und zweifelsfrei geklärt werden können.
III.
Die Sache ist nicht zur Endentscheidung reif. Das Beschwerdegericht hat sich - von seiner Rechtsauffassung konsequent - nicht mit der Frage auseinandergesetzt, ob die von der Staatsanwaltschaft Dordrecht vorgenommene Zustellung auf diplomatischem Weg und die vom Gerichtsvollzieher abgesandten Schreiben der Antragsgegnerin zu 1 die tatsächliche Möglichkeit der Kenntnisnahme eröffnet haben. Insoweit wird das Beschwerdegericht den Parteien Gelegenheit zur ergänzenden Stellungnahme zu geben haben. Es wird sodann zu entscheiden haben, ob die Gesamtumstände den Schluss zulassen, dass die Antragsgegnerin zu 1 die tatsächliche Möglichkeit hatte, von dem verfahrenseinleitenden Schriftstück Kenntnis zu nehmen.
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