Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 25.10.2012


BGH 25.10.2012 - IX ZB 242/11

Insolvenzverwaltervergütung: Begrenzung des Pauschsatzes für Auslagen in Übergangsfällen


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
9. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
25.10.2012
Aktenzeichen:
IX ZB 242/11
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend LG Göttingen, 15. August 2011, Az: 10 T 69/11vorgehend AG Göttingen, 18. Juli 2011, Az: 74 IN 24/04
Zitierte Gesetze
InsVVÄndV

Leitsätze

Die durch die Änderungsverordnung vom 4. Oktober 2004 für ab dem 1. Januar 2004 eröffnete Insolvenzverfahren eingeführte Begrenzung des Pauschsatzes für Auslagen verstößt für Insolvenzverfahren, die bei Inkrafttreten der Änderungsverordnung am 7. Oktober 2004 noch andauerten, nicht gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot.

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 10. Zivilkammer des Landgerichts Göttingen vom 15. August 2011 wird auf Kosten des weiteren Beteiligten zurückgewiesen.

Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 11.904 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Der weitere Beteiligte ist Verwalter in dem am 1. März 2004 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der als GmbH geführten Schuldnerin. Im Dezember 2010 hat er beantragt, seine Vergütung festzusetzen. Ausgehend von einer Teilungsmasse von 333.397,78 € hat er die Regelvergütung mit 32.751 € berechnet und eine Vergütung in Höhe des 2,75-fachen Satzes, mithin 90.065,25 € zuzüglich Umsatzsteuer beantragt. Daneben hat er für 83 Monate eine Auslagenpauschale in Höhe von jeweils 250 €, insgesamt 20.750 € zuzüglich Umsatzsteuer geltend gemacht.

2

Das Insolvenzgericht hat die Vergütung antragsgemäß, die Auslagenpauschale jedoch nur auf netto 10.746,64 € festgesetzt. Es hat für die Monate von März 2004 bis September 2004 eine monatliche Pauschale von 250 € gewährt, für die Folgezeit ab Oktober 2004 aber den Pauschsatz gemäß § 8 Abs. 3 Satz 2 InsVV auf 30 vom Hundert der Regelvergütung begrenzt. Hiervon hat es wiederum im Hinblick auf die sieben Monate, für die es die Monatspauschale von 250 € gewährt hat, einen Abzug von 828,66 € vorgenommen. Die sofortige Beschwerde des Insolvenzverwalters hat keinen Erfolg gehabt. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt er seinen Vergütungsantrag betreffend die Auslagenerstattung weiter.

II.

3

Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 7 aF, § 6 Abs. 1, § 64 Abs. 3 InsO, Art. 103f EGInsO, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO) und auch im Übrigen zulässig (§ 574 Abs. 2 Nr. 1, § 575 ZPO). Sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.

4

1. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt: Es könne dahinstehen, ob es verfassungsgemäß sei, dass die am 7. Oktober 2004 in die Insolvenzrechtliche Vergütungsverordnung eingefügte Bestimmung des § 8 Abs. 3 Satz 2 InsVV, wonach der Pauschsatz für Auslagen 30 vom Hundert der Regelvergütung nicht übersteigen dürfe, gemäß § 19 Abs. 1 InsVV rückwirkend auch für Insolvenzverfahren gelte, die ab dem 1. Januar 2004 eröffnet wurden. Ein Verfassungsverstoß betreffe allenfalls die Zeit bis zum Inkrafttreten der Änderung der Vergütungsverordnung am 7. Oktober 2004. Es begegne deshalb keinen Bedenken, dass das Insolvenzgericht die neue Vorschrift für die Zeit ab dem 7. Oktober 2004 angewandt habe.

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2. Die Rechtsbeschwerde meint demgegenüber, die rückwirkende Beschränkung des Anspruchs des Insolvenzverwalters auf Auslagenerstattung in § 19 Abs. 1, § 8 Abs. 3 Satz 2 InsVV sei verfassungswidrig. Dies habe zur Folge, dass die Regelung auf Insolvenzverfahren, die vor dem 7. Oktober 2004 eröffnet wurden, nicht anwendbar sei. Eine Aufspaltung der Anwendbarkeit in einen verfassungswidrigen und einen verfassungsmäßigen Teil bei Insolvenzverfahren, die zwischen dem 1. Januar 2004 und dem 6. Oktober 2004 eröffnet wurden, sei nicht möglich. Auch auf der Grundlage der Rechtsansicht der Vorinstanzen sei aber die Festsetzung der Vergütung insoweit fehlerhaft, als für den Monat Oktober 2004 keine Pauschale in Höhe von 250 € gewährt und von dem für die Folgezeit angesetzten Pauschbetrag ein Abzug für die ersten sieben Monate gemacht worden sei.

6

3. Die Entscheidung des Beschwerdegerichts enthält keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Rechtsbeschwerdeführers. Die Regelung des § 8 Abs. 3 Satz 2 InsVV ist auf den gesamten Anspruch des weiteren Beteiligten auf Auslagenerstattung ab dem Zeitpunkt seiner Bestellung zum Insolvenzverwalter am 1. März 2004 anwendbar. Es kann deshalb offen bleiben, ob der Anspruch vom Insolvenzgericht auf der Grundlage der von den Vorinstanzen angenommenen nur teilweisen Anwendbarkeit von § 8 Abs. 3 Satz 2 InsVV richtig berechnet wurde.

7

a) Die am 7. Oktober 2004 in Kraft getretene Verordnung zur Änderung der Insolvenzrechtlichen Vergütungsverordnung vom 4. Oktober 2004 (BGBl. I S. 2569) diente in erster Linie dem Ziel, die Mindestvergütung in massearmen Regel- und Verbraucherinsolvenzverfahren den verfassungsrechtlichen Anforderungen anzupassen, nachdem der Bundesgerichtshof die bisherige Regelung ab dem 1. Januar 2004 für verfassungswidrig erklärt hatte (BGH, Beschluss vom 15. Januar 2005 - IX ZB 96/03, BGHZ 157, 282, 286 ff; Beschluss vom 15. Januar 2004 - IX ZB 46/03, WM 2004, 588; vgl. die Begründung des Bundesministeriums der Justiz zum Entwurf der Änderungsverordnung, S. 1, abgedruckt bei Stephan/Riedel, InsVV, Anhang II.3). Die Bestimmung in dem durch Art. 1 Nr. 10 der Änderungsverordnung neu gefassten § 19 Abs. 1 InsVV, dass die Neuregelung für alle Insolvenzverfahren gelten sollte, die ab dem 1. Januar 2004 eröffnet wurden, entsprach der Vorgabe des Bundesgerichtshofs in den genannten Beschlüssen. Durch die Änderungsverordnung wurde allerdings nicht nur die Mindestvergütung des Insolvenzverwalters und des Treuhänders erhöht, sondern auch die Regelung über die Beschränkung des Pauschbetrags für die Auslagenerstattung in § 8 Abs. 3 Satz 2 InsVV eingefügt. Auch für diese Neuregelung gilt die Übergangsvorschrift des § 19 Abs. 1 InsVV (BGH, Beschluss vom 6. April 2006 - IX ZB 109/05, WM 2007, 127 Rn. 7). Die Beschränkung der in § 8 Abs. 3 Satz 1 geregelten Auslagenpauschale von 15 vom Hundert der Regelvergütung im ersten Jahr, danach 10 vom Hundert, höchstens jedoch 250 € monatlich, auf maximal 30 vom Hundert der Regelvergütung ist deshalb nach dem Wortlaut der Verordnung in allen ab dem 1. Januar 2004 eröffneten Insolvenzverfahren anzuwenden, auch für die Zeit vor dem Inkrafttreten der Änderungsverordnung am 7. Oktober 2004.

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b) Die darin liegende Rückwirkung der Neuregelung ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

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aa) Das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG), zu dessen wesentlichen Elementen die Rechtssicherheit und der Vertrauensschutz gehören, und das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG) setzen Regelungen in Gesetzen, welche die rechtliche Behandlung von Sachverhalten der Vergangenheit belastend verändern, Grenzen. Für die nähere Bestimmung der Grenzen wird zwischen echter Rückwirkung (genannt auch Rückwirkung von Rechtsfolgen) und unechter Rückwirkung (genannt auch tatbestandliche Rückanknüpfung) unterschieden. Eine echte Rückwirkung liegt vor, wenn an Tatbestände, die in der Vergangenheit liegen und bereits abgeschlossen sind, ungünstigere Rechtsfolgen geknüpft werden als diejenigen, von denen der Bürger bei seinen Dispositionen ausgehen durfte. Regelungen solchen Inhalts sind in Gesetzen und ebenso in Rechtsverordnungen (BVerfGE 45, 142, 167 f, 174) grundsätzlich unzulässig. Ausnahmen kommen nur unter engen Voraussetzungen in Betracht, etwa wenn zwingende Gründe des Gemeinwohls eine Durchbrechung des Rückwirkungsverbots erfordern oder wenn ein schutzwürdiges Vertrauen des Einzelnen auf die bisherige Rechtslage nicht oder nicht mehr vorhanden ist (BVerfGE 13, 261, 270 ff; 30, 367, 385 f; 32, 111, 123; 72, 200, 257 f; 95, 64, 86 f). Von einer unechten Rückwirkung wird hingegen gesprochen, wenn eine Norm auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen für die Zukunft einwirkt und damit zugleich die betroffene Rechtsposition nachträglich entwertet. Sie ist verfassungsrechtlich grundsätzlich zulässig, es sei denn, die vom Gesetzgeber angeordnete unechte Rückwirkung ist zur Erreichung des Gesetzeszwecks nicht geeignet oder erforderlich oder die Bestandsinteressen der Betroffenen überwiegen die Veränderungsgründe des Gesetzgebers (BVerfGE 30, 392, 402 f; 95, 64, 86; 101, 239, 263; 103, 392, 403; 109, 96, 122; zum Ganzen Grzeszick in Maunz/Dürig, GG, 2006, Art. 20 VII Rn. 72, 76 ff).

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bb) Die Übergangsregelung in § 19 Abs. 1 InsVV, nach der die am 7. Oktober 2004 eingeführte Begrenzung des Auslagenpauschsatzes gemäß § 8 Abs. 3 Satz 2 InsVV auch für Insolvenzverfahren gilt, die ab dem 1. Januar 2004 eröffnet wurden, beinhaltet für Insolvenzverfahren, die - wie das vorliegende - am 7. Oktober 2004 noch fortdauerten, lediglich eine unechte Rückwirkung, und zwar auch insoweit, als eine Auslagenerstattung für die Zeit vor dem Inkrafttreten der Neuregelung am 7. Oktober 2004 in Rede steht. Entscheidet sich der Verwalter dafür, anstelle der tatsächlich entstandenen Auslagen den gesetzlichen Pauschsatz zu fordern, erhält er einen pauschalen Betrag, dessen Höhe sich gemäß § 8 Abs. 3 Satz 1 InsVV nach der Dauer des Verfahrens bemisst. Ähnlich wie beim Anspruch auf Vergütung (BGH, Beschluss vom 20. Mai 2010 - IX ZB 11/07, BGHZ 185, 353 Rn. 9 f) handelt es sich dabei um einen einheitlichen Anspruch. Dieser einheitliche Anspruch auf pauschale Erstattung der Auslagen für das gesamte Verfahren wird durch den am 7. Oktober 2004 neu eingeführten § 8 Abs. 3 Satz 2 InsVV auf einen Höchstbetrag begrenzt. Gegenstand der Neuregelung sind somit, auch soweit § 19 Abs. 1 InsVV ihre Geltung für ab dem 1. Januar 2004 eröffnete Insolvenzverfahren anordnet, nicht isoliert die vor der Neuregelung getätigten Auslagen. Sie begrenzt vielmehr die Pauschale für das gesamte Verfahren. Damit regelt die Änderungsverordnung in diesem Punkt nicht einen in der Vergangenheit liegenden bereits abgeschlossenen Sachverhalt, sondern durch den Bezug auf die für das gesamte Verfahren zu erstattende Auslagenpauschale einen nicht abgeschlossenen Sachverhalt, der zwar in der Vergangenheit begonnen hat, aber bei Inkrafttreten der Neuregelung noch andauert und in die Zukunft hineinreicht.

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cc) Die für Regelungen mit unechter Rückwirkung geltenden verfassungsrechtlichen Anforderungen sind erfüllt. Das bereits seit dem Inkrafttreten der Insolvenzrechtlichen Vergütungsverordnung am 1. Januar 1999 nach § 8 Abs. 2 Satz 1 InsVV bestehende Recht des Insolvenzverwalters, anstelle der tatsächlich entstandenen Auslagen einen Pauschsatz zu fordern, soll die Arbeit des Verwalters und des Insolvenzgerichts erleichtern, indem ihnen die aufwändige Vorlage und Prüfung von Einzelbelegen erspart wird (Amtliche Begründung zu § 8 InsVV, abgedruckt bei Stephan/Riedel, InsVV, Anhang II.2). Erfahrungsgemäß nimmt der Umfang der anfallenden Auslagen bei fortschreitender Dauer des Insolvenzverfahrens eher ab. Der Pauschsatz bleibt demgegenüber ab dem zweiten Jahr des Verfahrens gleich. Der Verordnungsgeber verfolgte deshalb mit der Einführung des § 8 Abs. 3 Satz 2 InsVV das Ziel, falschen Anreizen entgegenzuwirken, das Insolvenzverfahren nicht zügig abzuschließen (Begründung des Entwurfs der Änderungsverordnung, zu § 8 Abs. 3, abgedruckt bei Stephan/Riedel, InsVV, Anhang II.3).

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Die Einführung einer Obergrenze für die zu erstattende Auslagenpauschale auch für bereits laufende Insolvenzverfahren war geeignet und erforderlich, um dieses Ziel zu erreichen. Letztlich dient die Neuregelung dem Interesse der Gläubiger und des Schuldners an einem Schutz der Masse vor überhöhten, weil sachlich nicht gerechtfertigten Forderungen des Insolvenzverwalters. Dieses Interesse wiegt stärker als das Vertrauen des Insolvenzverwalters auf einen Fortbestand der bisherigen Regelung. Dem Insolvenzverwalter steht gemäß § 63 Abs. 1 Satz 1 InsO, § 4 Abs. 2 InsVV im Grundsatz ein unbeschränkter Anspruch auf Erstattung sämtlicher Auslagen zu, die ihm bei seiner Tätigkeit tatsächlich entstanden sind, sofern sie nicht den allgemeinen Geschäftskosten zuzurechnen und deshalb mit der Vergütung abgegolten sind (§ 4 Abs. 1 Satz 1 und 2 InsVV). Es bleibt dem Verwalter auch nach der Begrenzung des Pauschsatzes durch die am 7. Oktober 2004 in Kraft getretene Neuregelung unbenommen, die entstandenen Auslagen durch Einzelnachweis geltend zu machen, wenn der in der Höhe begrenzte Pauschsatz die tatsächlichen Auslagen nicht deckt (Begründung des Entwurfs zu Art. 1 Nr. 2 der Änderungsverordnung, aaO). Dadurch ist sichergestellt, dass der Verwalter die Erstattung aller angefallenen Auslagen erreichen kann. Die Beschränkung des Pauschsatzes verletzt deshalb nicht das durch die Vergütungsnormen berührte Grundrecht des Verwalters aus Art. 12 Abs. 1 GG (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Januar 2004 - IX ZB 96/03, BGHZ 157, 282, 286). Das Recht, anstelle der tatsächlich entstandenen Aufwendungen eine Pauschale zu fordern, soll ihm nicht die Möglichkeit verschaffen, einen höheren Betrag erstattet zu bekommen als im Falle des Einzelnachweises. Sein mögliches Vertrauen auf ein Fortbestehen der vor dem 7. Oktober 2004 geltenden Regelung, welche den Pauschsatz nur auf den Monatsbetrag von 250 € begrenzte, nicht aber auf den Gesamtbetrag von 30 vom Hundert der Regelvergütung, verdient deshalb nur geringen Schutz.

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c) Die Begrenzung des Pauschsatzes auf 30 vom Hundert der Regelvergütung nach § 8 Abs. 3 Satz 2 InsVV gilt sonach für die gesamte Zeit der Tätigkeit des weiteren Beteiligten. Da die Regelvergütung 32.751 € beträgt, ist der Anspruch auf pauschale Erstattung der Auslagen auf 9.825,30 € begrenzt. Die Vorinstanzen haben den Erstattungsanspruch auf 10.746,64 € festgesetzt. Dabei hat es wegen des im Rechtsbeschwerdeverfahren geltenden Verschlechterungsverbots zu bleiben.

Kayser                                                Gehrlein                                               Fischer

                            Grupp                                                  Möhring