Entscheidungsdatum: 18.12.2014
Gibt der Insolvenzverwalter das Vermögen des Schuldners aus seiner selbständigen Tätigkeit frei und wird über dieses Vermögen ein gesondertes Insolvenzverfahren eröffnet, ist ein in diesem Verfahren gestellter Antrag des Schuldners auf Restschuldbefreiung jedenfalls solange unzulässig, als über seinen im Ausgangsverfahren gestellten Restschuldbefreiungsantrag nicht entschieden ist.
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 3. Zivilkammer des Landgerichts Halle (Saale) vom 1. März 2013 wird auf Kosten des Schuldners zurückgewiesen.
Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 5.000 € festgesetzt.
I.
Am 18. Januar 2010 stellte der als Transportunternehmer tätige Schuldner Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen und auf Restschuldbefreiung. Mit Beschluss vom 1. März 2010 eröffnete das Amtsgericht das Insolvenzverfahren. Am gleichen Tag gab der Insolvenzverwalter die selbständige Tätigkeit des Schuldners frei.
Mit Schreiben vom 24. August 2012 hat der Schuldner die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen aus der freigegebenen Tätigkeit beantragt und erneut einen Antrag auf Erteilung von Restschuldbefreiung gestellt. Am 22. Oktober 2012 hat das Amtsgericht auch dieses Verfahren eröffnet, am 5. Dezember 2012 jedoch den Antrag auf Restschuldbefreiung als unzulässig zurückgewiesen. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde des Schuldners ist erfolglos geblieben. Mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Schuldner seinen Antrag weiter.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist gemäß §§ 4, 6 Abs. 1 InsO, § 289 Abs. 2 InsO aF, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthaft und auch im Übrigen (§ 575 ZPO) zulässig. In der Sache ist sie jedoch unbegründet.
1. Das Beschwerdegericht hat gemeint, dem Schuldner fehle das Rechtsschutzbedürfnis für den Antrag auf Erteilung der Restschuldbefreiung, weil diese in entsprechender Anwendung von § 290 Abs. 1 Nr. 3 InsO aF zu versagen sei. Es entspreche dem Sinn und Zweck der genannten Bestimmung, dass der Schuldner vorsichtiger wirtschaften solle, wenn er in den letzten zehn Jahren ein Restschuldbefreiungsverfahren durchlaufen habe. Die Restschuldbefreiung müsse ihm daher erst recht in dem gesetzlich nicht geregelten Fall versagt werden, dass bereits vor der Entscheidung in einem noch anhängigen ersten Restschuldbefreiungsverfahren ein zweiter Antrag auf Erteilung von Restschuldbefreiung gestellt werde.
2. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung stand. Maßgeblich sind dabei, weil das Insolvenzverfahren vor dem 1. Juli 2014 beantragt worden ist, gemäß Art. 103h Satz 1 EGInsO die Vorschriften der Insolvenzordnung in der bis dahin geltenden Fassung. Die Änderungen durch das Gesetz zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte (BGBl. 2013 I S. 2379) finden noch keine Anwendung.
a) Für das danach anwendbare Recht ist der Antrag auf Restschuldbefreiung in entsprechender Anwendung von § 290 Abs. 1 Nr. 3 InsO unzulässig, nachdem der Verwalter in dem zunächst eröffneten Verfahren die selbständige Tätigkeit des Schuldners nach § 35 Abs. 2 InsO freigegeben hat, der Schuldner die Eröffnung des Insolvenzverfahrens auch über das Vermögen aus dieser Tätigkeit beantragt hat und über den Restschuldbefreiungsantrag im ersten Verfahren noch nicht entschieden ist (AG Bremen, NZI 2011, 146 mit Anmerkung Schmücker, jurisPR-InsR 8/2011 Anm. 6; MünchKomm-InsO/Ganter/Lohmann, 3. Aufl., § 4a Rn. 19; vgl. auch AG Göttingen, NdsRpfl 2008, 280 f; ZVI 2008, 341, 342; NZI 2008, 447, 448; HK-InsO/Waltenberger, 7. Aufl., § 290 aF Rn. 24; kritisch FK-InsO/Ahrens, 7. Aufl., § 290 Rn. 35; Ahrens in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, 2. Aufl., § 35 Rn. 161; aA MünchKomm-InsO/Stephan, 3. Aufl., § 290 aF Rn. 53a; Hackländer, ZInsO 2008, 1308, 1310).
Die Regelung in § 290 Abs. 1 Nr. 3 InsO ist grundsätzlich analogiefähig. Dies hat der Senat für verschiedene Fallgestaltungen, in denen nach einem abgeschlossenen Erstverfahren ein erneuter Antrag auf Restschuldbefreiung gestellt wurde, entschieden. Ein Antrag des Schuldners auf Restschuldbefreiung ist in entsprechender Anwendung von § 290 Abs. 1 Nr. 3 InsO unzulässig, wenn er innerhalb von drei Jahren nach rechtskräftiger Versagung der Restschuldbefreiung in einem früheren Verfahren wegen einer vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Verletzung seiner Auskunfts- und Mitwirkungspflichten nach § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO (BGH, Beschluss vom 16. Juli 2009 - IX ZB 219/08, BGHZ 183, 13 Rn. 8 ff), wegen vorsätzlicher oder grob fahrlässiger unrichtiger oder unvollständiger Angaben nach § 290 Abs. 1 Nr. 6 InsO (BGH, Beschluss vom 16. Juli 2009, aaO Rn. 9; vom 11. Februar 2010 - IX ZA 45/09, WM 2010, 716 Rn. 6; vom 7. Mai 2013 - IX ZB 51/12, WM 2013, 1516 Rn. 9 mwN), wegen Vermögensverschwendung nach § 290 Abs. 1 Nr. 4 InsO (BGH, Beschluss vom 14. Januar 2010 - IX ZB 257/09, WM 2010, 625 Rn. 6; vom 7. Mai 2013, aaO Rn. 9) oder wegen fehlender Deckung der Mindestvergütung des Treuhänders nach § 298 InsO (BGH, Beschluss vom 7. Mai 2013, aaO Rn. 11) gestellt wird. Entsprechendes gilt, wenn der frühere Restschuldbefreiungsantrag als unzulässig verworfen worden ist (BGH, Beschluss vom 3. Dezember 2009 - IX ZB 89/09, WM 2010, 225 Rn. 6), wenn der Schuldner seinen Antrag auf Restschuldbefreiung im ersten Insolvenzverfahren zurückgenommen hat (BGH, Beschluss vom 20. März 2014 - IX ZB 17/13, WM 2014, 712 Rn. 8 mwN) oder wenn sein erster Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens und auf Restschuldbefreiung wegen Nichterfüllung einer zulässigen Auflage als zurückgenommen gilt (BGH, Beschluss vom 18. September 2014 - IX ZB 72/13, WM 2014, 2055 Rn. 7 ff). Der Senat hat ein unabweisbares Bedürfnis gesehen, die für die genannten Sachverhalte bestehende planwidrige Regelungslücke in entsprechender Anwendung von § 290 Abs. 1 Nr. 3 InsO zu schließen.
Diese Rechtsprechung zum auslaufenden Recht hat der Gesetzgeber inzwischen teilweise übernommen. Mit dem Gesetz zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte vom 15. Juli 2013 (BGBl. I S. 2379) hat er in § 287a Abs. 2 InsO nF den Versagungsgrund aus § 290 Abs. 1 Nr. 3 InsO in der vor dem 1. Juli 2014 geltenden Gesetzesfassung sowie früher erfolgte Versagungen nach § 290 Abs. 1 Nr. 5, 6 und 7 InsO oder nach § 296 InsO als Tatbestände ausgestaltet, die zur Unzulässigkeit eines erneuten Restschuldbefreiungsantrages führen. Damit wollte der Gesetzgeber die vorgenannte Senatsrechtsprechung umsetzen (vgl. BT-Drucks. 17/11268 S. 24 f).
b) Die Voraussetzungen einer Analogie liegen auch im Streitfall vor. Eine Analogie ist zulässig und geboten, wenn das Gesetz eine planwidrige Regelungslücke enthält und der zu beurteilende Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht soweit mit dem gesetzlich geregelten Tatbestand vergleichbar ist, dass angenommen werden kann, der Gesetzgeber wäre bei einer Interessenabwägung, bei der er sich von den gleichen Grundsätzen hätte leiten lassen wie bei dem Erlass der herangezogenen Gesetzesvorschrift, zu dem gleichen Abwägungsergebnis gekommen (BGH, Urteil vom 18. September 2014 - IX ZR 276/13, WM 2014, 2098 Rn. 8; Beschluss vom 18. September 2014 - IX ZB 68/13, WM 2014, 2094 Rn. 14; jeweils mwN).
aa) Das Gesetz enthält für den Fall, dass bei noch laufendem erstem Insolvenz- und Restschuldbefreiungsverfahren aufgrund neuer Verbindlichkeiten in einem ausnahmsweise zulässigen zweiten Insolvenzverfahren ein zweiter Antrag auf Restschuldbefreiung gestellt wird, eine Regelungslücke. § 290 Abs. 1 Nr. 3 InsO bestimmt, dass die Restschuldbefreiung zu versagen ist, wenn in den letzten zehn Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag dem Schuldner die Restschuldbefreiung erteilt oder nach § 296 InsO oder § 297 InsO versagt worden ist. Wie über einen Zweitantrag zu entscheiden ist, wenn über den im ersten Insolvenzverfahren gestellten Antrag auf Restschuldbefreiung noch nicht entschieden ist, regelt die Norm nicht.
bb) Die Regelungslücke ist planwidrig. Bei Einführung der Insolvenzordnung bestand für den Gesetzgeber keine Veranlassung, den hier in Rede stehenden Fall zu regeln. Der Antrag auf Restschuldbefreiung setzt einen Eigenantrag des Schuldners auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens voraus (BGH, Beschluss vom 8. Juli 2004 - IX ZB 209/03, WM 2004, 1740 f; vom 17. Februar 2005 - IX ZB 176/03, BGHZ 162, 181, 183; vom 11. März 2010 - IX ZB 110/09, WM 2010, 898 Rn. 9). Ist bereits ein Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners eröffnet, sind weitere Anträge auf Eröffnung des Verfahrens über dasselbe insolvenzbefangene Vermögen unzulässig; dies gilt sowohl für Gläubiger- als auch für Eigenanträge (BGH, Beschluss vom 3. Juli 2008 - IX ZB 182/07, WM 2008, 1748 Rn. 8 ff). Erst mit Beschluss vom 9. Juni 2011 hat der Senat klargestellt, dass im Sonderfall des § 35 Abs. 2 InsO ein zweites auf das Vermögen aus der freigegebenen selbständigen Tätigkeit beschränktes Insolvenzverfahren eröffnet werden kann (IX ZB 175/10, WM 2011, 1344 Rn. 5 ff). Die Bestimmung war durch das Gesetz zur Vereinfachung des Insolvenzverfahrens vom 13. April 2007 (BGBl. I S. 509) eingefügt worden. Zu diesem Sonderfall verhalten sich die durch das vorgenannte Gesetz nicht veränderten Bestimmungen zum Restschuldbefreiungsverfahren folgerichtig nicht.
cc) Die zu entscheidende Fallkonstellation ist mit dem in § 290 Abs. 1 Nr. 3 InsO geregelten Tatbestand vergleichbar. Sowohl die Regelungssystematik der §§ 287 ff InsO als auch Sinn und Zweck von § 290 Abs. 1 Nr. 3 InsO rechtfertigen eine Analogie.
(1) Bereits die Systematik der §§ 287 ff InsO zeigt, dass der Gesetzgeber nicht davon ausgegangen ist, der Schuldner könne gleichzeitig zwei Restschuldbefreiungsverfahren durchlaufen. Die für einen zulässigen Restschuldbefreiungsantrag erforderliche Abtretungserklärung nach § 287 Abs. 2 InsO kann nicht wirksam für zwei verschiedene, zeitgleich stattfindende Verfahren abgegeben werden; die für das Zweitverfahren erklärte Abtretung würde wegen des noch anhängigen Erstverfahrens leer laufen. Mit Recht wird auch darauf hingewiesen, der Schuldner könne seinen Obliegenheiten nur in einem Verfahren nachkommen (Pape in Festschrift Ganter, 2010, S. 315, 327 f). Dies gilt etwa für die Obliegenheit des Schuldners, nach § 295 Abs. 1 Nr. 2 InsO Vermögenswerte, die er von Todes wegen oder mit Rücksicht auf ein künftiges Erbrecht erwirbt, zur Hälfte an den Treuhänder herauszugeben.
(2) Die Zulassung eines gesonderten Antrags auf Restschuldbefreiung im Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners aus seiner freigegebenen selbständigen Tätigkeit neben dem noch laufenden Restschuldbefreiungsverfahren im Insolvenzverfahren über sein sonstiges Vermögen widerspräche auch Sinn und Zweck des Versagungsgrundes nach § 290 Abs. 1 Nr. 3InsO. Diese Norm soll einen Missbrauch des Insolvenzverfahrens zur wiederholten Reduzierung der Schuldenlast verhindern. Die Restschuldbefreiung soll als Hilfe für unverschuldet in Not geratene Personen dienen, nicht als Zuflucht für diejenigen, die bewusst finanzielle Risiken auf andere abwälzen wollen (BT-Drucks. 12/2443 S. 190 zu § 239 RegE-InsO). Der Schuldner soll aus dem vorherigen Verfahren die richtigen Konsequenzen ziehen und zu einem vorsichtigeren Wirtschaften angehalten werden (MünchKomm-InsO/Stephan, 3. Aufl., § 290 aF Rn. 46). Diese Überlegungen gelten erst recht, wenn der Schuldner während eines noch laufenden Insolvenz- und Restschuldbefreiungsverfahrens einen weiteren Restschuldbefreiungsantrag betreffend die Verbindlichkeiten aus seiner freigegebenen Tätigkeit stellt (AG Göttingen, NZI 2008, 447, 448; Schmücker, jurisPR-InsR 8/2011 Anm. 6). Das zunächst eröffnete Insolvenzverfahren musste ihm Veranlassung sein, die mit der Freigabe der selbständigen Tätigkeit eröffnete Möglichkeit eines wirtschaftlichen Neuanfangs mit der gebotenen Vorsicht zu nutzen.
(3) Es kann deshalb angenommen werden, dass der Gesetzgeber einen Zweitantrag auf Restschuldbefreiung nach Freigabe der selbständigen Tätigkeit des Schuldners in Ausweitung des Anwendungsbereichs von § 290 Abs. 1 Nr. 3 InsO jedenfalls bis zum Abschluss des Erstverfahrens als gesperrt und damit unzulässig angesehen hätte. Anders als in dem vom Wortlaut der Bestimmung erfassten Fall steht zwar erst mit der Entscheidung über die Erteilung oder Versagung der Restschuldbefreiung im Erstverfahren fest, ob der Versagungsgrund des § 290 Abs. 1 Nr. 3 InsO für das Zweitverfahren Bedeutung erlangt und deshalb einer Zulässigkeit des Zweitantrags entgegensteht. Eine entsprechende Anwendung der Bestimmung hindert dies jedoch nicht. Anderenfalls gälten für den vom Gesetzgeber nicht vorgesehenen Zweitantrag bei noch laufendem Erstverfahren geringere Anforderungen als für den Folgeantrag nach einem abgeschlossenen Restschuldbefreiungsverfahren.
Kayser Gehrlein Pape
Grupp Möhring