Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 25.09.2014


BGH 25.09.2014 - IX ZB 117/12

Insolvenz des Versicherungsnehmers: Einzelzwangsvollstreckung wegen einer Insolvenzforderung in dessen Freistellungsanspruch gegen seinen Haftpflichtversicherer


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
9. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
25.09.2014
Aktenzeichen:
IX ZB 117/12
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend LG Hannover, 5. November 2012, Az: 52 T 69/12vorgehend AG Hannover, 31. August 2012, Az: 715 M 155469/12
Zitierte Gesetze

Leitsätze

Während des Insolvenzverfahrens ist die Einzelzwangsvollstreckung wegen einer Insolvenzforderung in den Freistellungsanspruch des Schuldners gegen dessen Haftpflichtversicherer unzulässig, sofern der Gläubiger seine persönliche Forderung und nicht das Recht auf abgesonderte Befriedigung aus dem Freistellungsanspruch des Schuldners verfolgt.

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 52. Zivilkammer des Landgerichts Hannover vom 5. November 2012 wird auf Kosten der Gläubigerin zurückgewiesen.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 7.644,29 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die Gläubigerin hat wegen einer durch vorläufig vollstreckbares Urteil titulierten Geldforderung nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen ihrer Schuldnerin im Wege der Sicherungsvollstreckung nach § 720a ZPO die Pfändung der Forderung der Schuldnerin gegen ihren Haftpflichtversicherer beantragt. Sie behauptet, der Insolvenzverwalter habe die zu pfändende Forderung aus der Insolvenzmasse freigegeben. Das Vollstreckungsgericht hat den Antrag zurückgewiesen. Die sofortige Beschwerde der Gläubigerin hat keinen Erfolg gehabt. Mit ihrer vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Gläubigerin ihren Pfändungsantrag weiter.

II.

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Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 793 ZPO) und auch im Übrigen zulässig. Sie hat aber in der Sache keinen Erfolg.

3

1. Das Beschwerdegericht hat gemeint, die beabsichtigte Einzelzwangsvollstreckung sei unzulässig. Die Gläubigerin sei als Insolvenzgläubigerin (§ 38 InsO) vom Vollstreckungsverbot des § 89 InsO betroffen, weil der Deckungsanspruch der Schuldnerin nach seiner Freigabe durch den Insolvenzverwalter in deren sonstiges Vermögen im Sinne von § 89 Abs. 1 InsO falle.

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2. Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung im Ergebnis stand. Der von der Gläubigerin betriebenen Zwangsvollstreckung steht das als Vollstreckungshindernis von Amts wegen zu beachtende (BGH, Beschluss vom 17. April 2013 - IX ZB 300/11, WM 2013, 939 Rn. 8 mwN) Vollstreckungsverbot des § 89 Abs. 1 InsO entgegen. Hiernach sind Zwangsvollstreckungen für einzelne Insolvenzgläubiger während der Dauer des Insolvenzverfahrens weder in die Insolvenzmasse noch in das sonstige Vermögen des Schuldners zulässig.

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a) Die Gläubigerin gehört zu den von dem Vollstreckungsverbot betroffenen Gläubigern. Mit ihrem Antrag auf Erlass eines Pfändungsbeschlusses betreibt sie die Sicherungsvollstreckung eines vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstandenen und vorläufig vollstreckbar titulierten persönlichen Anspruchs. Hinsichtlich dieses Anspruchs ist sie deshalb Insolvenzgläubigerin (§ 38 InsO). Sie wäre nur dann nicht von § 89 Abs. 1 InsO betroffen, wenn mit dem Pfändungsantrag nicht die persönliche Forderung vollstreckt, sondern ein Absonderungsrecht verwertet werden sollte (BGH, Beschluss vom 12. Februar 2009 - IX ZB 112/06, WM 2009, 807 Rn. 4; MünchKomm-InsO/Breuer, 3. Aufl., § 89 Rn. 11, 18, 21; HK-InsO/Kayser, 7. Aufl., § 89 Rn. 7; Uhlenbruck, InsO, 13. Aufl., § 89 Rn. 20; FK-InsO/App, 7. Aufl., § 89 Rn. 6). So liegt der Fall jedoch nicht.

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aa) Die Rechtsbeschwerde macht allerdings mit Recht geltend, dass die Gläubigerin als Haftungsgläubigerin wegen des ihr gegen die Schuldnerin zustehenden Haftungsanspruchs gemäß § 110 VVG abgesonderte Befriedigung aus dem Freistellungsanspruch der Schuldnerin gegen deren Haftpflichtversicherer verlangen kann, nachdem über das Vermögen der Schuldnerin als Versicherungsnehmerin das Insolvenzverfahren eröffnet ist.

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(1) Gemäß § 110 VVG kann der geschädigte Dritte wegen des ihm gegen den Versicherungsnehmer zustehenden Anspruchs abgesonderte Befriedigung aus dem Freistellungsanspruch des Versicherungsnehmers verlangen, wenn über dessen Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet ist. Dies stellt sicher, dass die Versicherungsleistung dem geschädigten Dritten und nicht den Gläubigern des Versicherungsnehmers zugutekommt; letzteres widerspräche der Sozialbindung der Haftpflichtversicherung zu Gunsten des Dritten (MünchKomm-VVG/Littbarski, § 110 Rn. 5 f; Bruck/Möller/Koch, VVG, 9. Aufl., § 110 Rn. 3; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter, VVG, 2. Aufl., § 110 Rn. 1; vgl. auch BGH, Urteil vom 15. November 2000 - IV ZR 223/99, VersR 2001, 90, 91). Materiell-rechtlich erlangt der Dritte wegen § 110 VVG in der Insolvenz des Schädigers ein gesetzliches Pfandrecht am Freistellungsanspruch (BGH, Urteil vom 28. März 1996 - IX ZR 77/95, VersR 1997, 61, 62 mwN; vom 2. April 2009 - IX ZR 23/08, WM 2009, 960 Rn. 7; vgl. auch MünchKomm-InsO/Ganter, 3. Aufl., § 50 Rn. 115; aA - im Sinne eines dem gesetzlichen Pfandrecht lediglich ähnlichen Rechts - etwa Jaeger/Henckel, InsO, Vor §§ 49-52 Rn. 20, 22).

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(2) Das Absonderungsrecht nach § 110 VVG entsteht bei Vorliegen eines Schadensfalls schon mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des versicherten Schädigers, auch wenn der Haftpflichtanspruch noch nicht mit bindender Wirkung für den Versicherer (§ 106 Satz 1 VVG) festgestellt ist (vgl. Bruck/Möller/Koch, aaO § 110 Rn. 5; Prölss/Martin/Lücke, VVG, 28. Aufl., § 110 Rn. 3; Thole, NZI 2013, 665, 667). Es bedarf deshalb keiner Entscheidung, ob auch ein lediglich vorläufig vollstreckbares Urteil, das Grundlage der von der Gläubigerin betriebenen Sicherungsvollstreckung ist, die Fälligkeit des Deckungsanspruchs nach § 106 Satz 1 VVG auslösen kann (so Prölss/Martin/Lücke, aaO § 106 Rn. 4; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter, aaO § 106 Rn. 4; aA MünchKomm-VVG/Littbarski, aaO § 106 Rn. 17; Bruck/Möller/Koch, aaO § 106 Rn. 9; jeweils mwN).

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bb) Mit dem Antrag auf Pfändung des Freistellungsanspruchs macht die Gläubigerin jedoch nicht ihr Absonderungsrecht geltend.

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(1) Aufgrund der Regelung in § 110 VVG verfügt die Gläubigerin bereits über ein Pfandrecht, mindestens über ein pfandrechtsähnliches Recht an dem Freistellungsanspruch der Schuldnerin. Gemäß dem hiernach anwendbaren § 50 Abs. 1 InsO sind Gläubiger, die an einem Gegenstand der Insolvenzmasse ein Pfandrecht haben, nach Maßgabe der §§ 166 bis 173 InsO für Hauptforderung, Zinsen und Kosten zur abgesonderten Befriedigung an dem Pfandgegenstand berechtigt. Ein Verwertungsrecht des Insolvenzverwalters nach § 166 Abs. 2 InsO besteht nicht (vgl. BGH, Urteil vom 11. April 2013 - IX ZR 176/11, WM 2013, 935 Rn. 15 mwN). Der deshalb gemäß § 173 Abs. 1 InsO selbst zur Verwertung berechtigte Gläubiger kann sein Absonderungsrecht entsprechend den auf sein Sicherungsrecht anwendbaren gesetzlichen Bestimmungen außerhalb des Insolvenzverfahrens durchsetzen (vgl. HK-InsO/Landfermann, 7. Aufl., § 173 Rn. 2; Uhlenbruck/Brinkmann, InsO, 13. Aufl., § 173 Rn. 3; Flöther in Kübler/Prütting/Bork, InsO, 2009, § 173 Rn. 7). Als Inhaberin eines Pfandrechts könnte die Gläubigerin entweder die Forderung der Schuldnerin gegen ihren Haftpflichtversicherer unmittelbar einziehen (§ 1282 Abs. 1, § 1228 Abs. 2 BGB), nach Feststellung des Haftungsanspruchs somit unmittelbar vom Versicherer Zahlung verlangen (vgl. BGH, Urteil vom 17. März 2004 - IV ZR 268/03, VersR 2004, 634, 635 mwN; Bruck/Möller/Koch, aaO § 110 Rn. 9 ff; MünchKomm-InsO/Ganter, 3. Aufl., § 51 Rn. 236; HK-InsO/Lohmann, 7. Aufl., § 51 Rn. 53; Thole, NZI 2013, 665, 667). Einer vorherigen Pfändung bedarf es in diesem Fall nicht. Alternativ könnte die Gläubigerin nach § 1282 Abs. 2, § 1277 BGB Befriedigung aus dem mit dem Pfandrecht belasteten Recht suchen. Erforderlich wäre hierfür ein dinglicher Titel auf Duldung der Zwangsvollstreckung oder auf Gestattung der Befriedigung aus dem verpfändeten Recht (vgl. BGH, Beschluss vom 19. März 2004 - IXa ZB 199/03, BGHReport 2004, 1323; RGZ 103, 137, 139; Staudinger/Wiegand, BGB, 2009, § 1277 Rn. 2). Aus einem solchen Titel geht die Gläubigerin nicht vor. Sie betreibt vielmehr die Sicherungsvollstreckung aus einem persönlichen Zahlungstitel. Mit ihrem Absonderungsrecht aus § 110 VVG hat dies nichts zu tun.

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(2) Nichts anderes gilt, wenn der Insolvenzverwalter, wie von der Gläubigerin behauptet, den Freistellungsanspruch der Schuldnerin gegen ihren Haftpflichtversicherer freigegeben hat. Das nach § 110 VVG materiell-rechtlich entstandene Pfandrecht am Deckungsanspruch erlischt durch die Freigabe nicht (BGH, Urteil vom 28. März 1996 - IX ZR 77/95, WM 1996, 835, 837 mwN; vom 2. April 2009 - IX ZR 23/08, WM 2009, 960 Rn. 7). Seine Verwertung erfolgt auch in diesem Fall nach den vorstehend angeführten gesetzlichen Bestimmungen. Der Antrag auf Pfändung dient dieser Verwertung nicht.

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b) Vollstreckt die Gläubigerin mithin als Insolvenzgläubigerin ihre persönliche Forderung, greift das Vollstreckungsverbot des § 89 Abs. 1 InsO. Dieses gilt für Vollstreckungen in die Insolvenzmasse wie auch in das sonstige Vermögen des Schuldners. Auf die von der Gläubigerin behauptete Freigabe des Deckungsanspruchs kommt es auch in diesem Zusammenhang nicht an. Denn die vom Insolvenzverwalter aus der Masse freigegebenen Gegenstände gehören zu dem sonstigen Vermögen des Schuldners im Sinne von § 89 Abs. 1 InsO (BGH, Urteil vom 19. Januar 2006 - IX ZR 232/04, BGHZ 166, 74 Rn. 26; Beschluss vom 12. Februar 2009 - IX ZB 112/06, WM 2009, 807 Rn. 12). Die Zuordnung freigegebener Gegenstände zum sonstigen Vermögen des Schuldners und damit deren Einbeziehung in den Vollstreckungsschutz des § 89 Abs. 1 InsO soll es dem Schuldner ermöglichen, noch während des Insolvenzverfahrens eine neue wirtschaftliche Existenz zu begründen (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Februar 2009, aaO Rn. 11 mwN). Soweit die Rechtsbeschwerde geltend macht, der Freistellungsanspruch des insolventen Versicherungsnehmers sei hiervon auszunehmen, weil er für dessen neue wirtschaftliche Existenz nicht erforderlich sei und ein Ausschluss der Einzelzwangsvollstreckung lediglich dem Haftpflichtversicherer zugutekomme, rechtfertigt dies keine abweichende Beurteilung. Unbillige Ergebnisse sind nicht zu befürchten. Dem Haftungsgläubiger bleibt es unbenommen, seine Rechte aus § 110 VVG entsprechend den aufgezeigten gesetzlichen Verfahrensweisen zu verfolgen.

Kayser                    Gehrlein                        Fischer

              Grupp                       Möhring