Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 08.03.2017


BGH 08.03.2017 - IV ZR 98/16

Lebensversicherung nach dem Policenmodell: Nebeneinanderlaufen von zwei Widerspruchsfristen; widersprüchliche Rechtsausübung bei Widerruf nach jahrelanger Vertragsdurchführung


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
4. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
08.03.2017
Aktenzeichen:
IV ZR 98/16
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2017:080317BIVZR98.16.0
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend LG Stuttgart, 16. März 2016, Az: 4 S 112/15vorgehend AG Stuttgart, 25. März 2015, Az: 12 C 5534/14nachgehend BGH, 27. April 2017, Az: IV ZR 98/16, Beschluss
Zitierte Gesetze
§ 5a Abs 1 S 4 VVG vom 02.12.2004

Tenor

Der Senat beabsichtigt, die Revision des Klägers gegen das Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Stuttgart vom 16. März 2016 gemäß § 552a Satz 1 ZPO zurückzuweisen.

Die Parteien erhalten Gelegenheit, hierzu binnen

eines Monats

Stellung zu nehmen.

Gründe

1

I. Die Klägerseite (Versicherungsnehmer: im Folgenden d. VN) begehrt von dem beklagten Versicherer (im Folgenden Versicherer) Rückzahlung geleisteter Versicherungsbeiträge einer fondsgebundenen Rentenversicherung. Diese wurde aufgrund eines Antrags d. VN mit Versicherungsbeginn zum 1. Februar 2007 nach dem so genannten Policenmodell des § 5a VVG in der seinerzeit gültigen Fassung (im Folgenden § 5a VVG a.F.) abgeschlossen. In der Folge zahlte d. VN die Versicherungsprämien. Mit Schreiben vom 1. März 2012 erklärte er die Kündigung des Vertrages und der Versicherer zahlte den Rückkaufswert aus. Mit Schreiben vom August 2014 erklärte d. VN den Widerspruch nach § 5a VVG a.F. Einen Widerspruch nach § 5 VVG a.F. erklärte er nicht. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts erhielt d. VN mit dem Versicherungsschein die Versicherungsbedingungen, eine Verbraucherinformation nach § 10a des Versicherungsaufsichtsgesetzes (VAG) und eine schriftliche Belehrung über das Widerspruchsrecht gemäß § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F.

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Mit der Klage verlangt d. VN Rückzahlung aller auf den Vertrag geleisteten Beiträge nebst Zinsen abzüglich des bereits gezahlten Rückkaufswerts.

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Nach Auffassung d. VN ist der Versicherungsvertrag nicht wirksam zustande gekommen. Die Widerspruchsbelehrung sei nicht ordnungsgemäß, weil sie die Frist von 30 Tagen gemäß § 5a VVG a.F. bereits mit Erhalt des Versicherungsscheins, der Versicherungsbedingungen und der Verbraucherinformation beginnen lasse. Da hier auch § 5 VVG a.F. Anwendung finde, habe die Frist erst mit dem Ablauf der dort vorgesehenen Widerspruchsfrist von einem Monat vom Vertragsschluss zu laufen begonnen. Schließlich habe auch nach Ablauf der Frist des - gegen Gemeinschaftsrecht verstoßenden - § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. der Widerspruch noch erklärt werden können.

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II. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landgericht die hiergegen gerichtete Berufung zurückgewiesen. Das Berufungsgericht hat einen Prämienrückerstattungsanspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung verneint. D. VN habe die Prämien mit Rechtsgrund geleistet. Er sei ordnungsgemäß über das Widerspruchsrecht nach § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. belehrt worden und der Versicherungsvertrag sei wirksam zustande gekommen. Die Widerspruchsbelehrung sei auch dann wirksam, wenn gleichfalls § 5 Abs. 1 VVG a.F. eingreife. Sowohl § 5 als auch § 5a VVG a.F. könnten zum Nichtzustandekommen des Versicherungsvertrages führen, § 5 VVG a.F. bedinge aber keinen gestaffelten Fristenlauf nach § 5a VVG a.F. Die Fragen, ob das Policenmodell gegen europäisches Recht verstoße und ob danach ein gestaffelter Fristenlauf von § 5 und § 5a VVG a.F. anzunehmen sei, bedürften keiner Entscheidung. Die Ausübung des Widerspruchsrechts sei hier treuwidrig, weil d. VN die bekannt gemachte Widerspruchsfrist beim Vertragsschluss habe verstreichen lassen und mehr als sieben Jahre die Prämien gezahlt habe.

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Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt d. VN sein Klagebegehren weiter.

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III. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision im Sinne von § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor und das Rechtsmittel hat auch keine Aussicht auf Erfolg (§ 552a Satz 1 ZPO).

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1. Das Berufungsgericht hat die Revision zugelassen, weil es meinte, es sei eine klärungsbedürftige Frage, inwiefern von einer wirksamen Widerspruchsbelehrung gemäß § 5a VVG a.F. ausgegangen werden könne, wenn zugleich ein Fall des § 5 VVG a.F. vorliege.

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Diese Frage ist nicht grundsätzlich klärungsbedürftig. Weder das Berufungsgericht noch die Revisionsbegründung zeigen auf, dass zu der Frage unterschiedliche Auffassungen in Rechtsprechung und Literatur vertreten werden. Dies ist auch sonst nicht ersichtlich. Vielmehr entspricht es ganz einhelliger Auffassung, dass das Widerspruchsrecht nach § 5 Abs. 1 und das nach § 5a Abs. 1 VVG a.F. selbständig nebeneinander stehen; beide Normen haben einen unterschiedlichen Anwendungsbereich. Ein Konkurrenzverhältnis gibt es nicht (Präve, ZfV 1994, 374, 381; Prölss in Prölss/Martin, VVG 27. Aufl. § 5a Rn. 69 f.; Präve in Beckmann/Matusche-Beckmann, Versicherungshandbuch 2. Aufl. § 10 Rn. 265, soweit Präve meint, § 5 Abs. 1 genieße Vorrang, bezieht sich das nur auf dessen Anwendbarkeit bei Abweichungen zwischen Antrag und Versicherungsschein; Römer in Römer/Langheid, VVG 2. Aufl. § 5 Rn. 1; Schwintowski in BK-VVG, § 5a Rn. 2; OLG Celle, Beschluss vom 8. Januar 2016 - 8 U 233/15; LG Freiburg im Breisgau, Urteil vom 29. Oktober 2015 - 3 S 139/15; Entscheidungen jeweils nicht veröffentlicht). Dies folgt schon aus dem klaren Wortlaut des § 5a Abs. 1 Satz 4 VVG a.F., wonach § 5 VVG unberührt bleibt. Da beide Widerspruchsrechte unabhängig voneinander bestehen (vgl. für § 8 VVG insoweit ausdrücklich die Gesetzesbegründung zu § 5, BT-Drucks. 16/3945 S. 57), können ihre Fristen - soweit die jeweiligen Voraussetzungen erfüllt sind - gegebenenfalls auch gleichzeitig ablaufen. Der jeweilige Widerspruch hindert bei Vorliegen seiner Voraussetzungen in jedem Fall das Wirksamwerden des Vertrages.

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Grundsätzliche Bedeutung kommt der Sache auch nicht im Hinblick auf die Anregung der Revision zu, dem Gerichtshof der Europäischen Union die Frage vorzulegen, ob Art. 35 Abs. 1 der Richtlinie 2002/83/EG vom 5. November 2002 (Vierte Richtlinie Lebensversicherung) einer Gesetzesauslegung entgegensteht, nach welcher die Widerspruchsfristen des § 5 und des § 5a VVG a.F. nebeneinander laufen. Soweit ersichtlich werden weder in der Rechtsprechung noch im Schrifttum Bedenken gegen die Richtlinienkonformität eines Nebeneinanderlaufs der beiden Widerspruchsfristen erhoben. Solche sind auch sonst nicht erkennbar. Durch § 5 VVG a.F. wird dem Versicherungsnehmer lediglich eine zusätzliche Möglichkeit zum Widerspruch gegeben, die dem Umstand Rechnung trägt, dass der Versicherungsschein in einzelnen Punkten vom Versicherungsantrag abweicht.

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2. Das Berufungsurteil hält rechtlicher Nachprüfung auch stand.

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a) Die Voraussetzungen für ein Zustandekommen des Vertrages sind hier erfüllt. Nach den für das Revisionsverfahren bindenden Feststellungen des Berufungsgerichts erhielt d. VN mit dem Versicherungsschein alle erforderlichen Unterlagen samt einer formell ordnungsgemäßen Widerspruchsbelehrung übersandt. Die Widerspruchsbelehrung in dem Versicherungsschein hält, wie das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei angenommen hat, auch inhaltlich den Anforderungen des § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. stand. Etwas anderes ergibt sich entgegen der Revisionsbegründung - wie oben ausgeführt - auch nicht daraus, dass d. VN hier ebenfalls ein Widerspruchsrecht aus § 5 Abs. 1 VVG a.F. zusteht. Bis zum Ablauf der damit in Gang gesetzten 30-tägigen Widerspruchsfrist erklärte d. VN den Widerspruch nicht.

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b) Ob solchermaßen nach dem Policenmodell geschlossene Versicherungsverträge wegen Gemeinschaftsrechtswidrigkeit des § 5a VVG a.F. Wirksamkeitszweifeln unterliegen (vgl. dazu Senatsurteil vom 16. Juli 2014 - IV ZR 73/13, BGHZ 202, 102 Rn. 16 ff.; BVerfG VersR 2015, 693 Rn. 30 ff.), kann im Streitfall - wie das Berufungsgericht im Ergebnis revisionsrechtlich bedenkenfrei ausgeführt hat - dahinstehen. Die auch insoweit von der Revision begehrte Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union scheidet bereits deshalb aus, weil es auf die Frage der Richtlinienkonformität nicht entscheidungserheblich ankommt. Wie das Berufungsgericht zu Recht angenommen hat, ist es d. VN auch im Falle einer unterstellten Gemeinschaftsrechtswidrigkeit des Policenmodells nach Treu und Glauben wegen widersprüchlicher Rechtsausübung verwehrt, sich nach jahrelanger Durchführung des Vertrages auf dessen angebliche Unwirksamkeit zu berufen und daraus Bereicherungsansprüche herzuleiten (vgl. im Einzelnen zu den Maßstäben Senatsurteil vom 16. Juli 2014 aaO Rn. 32-42; BVerfG aaO Rn. 42 ff.). D. VN verhielt sich objektiv widersprüchlich. Die zumindest vertraglich eingeräumte und bekannt gemachte Widerspruchsfrist ließ er bei Vertragsschluss im Jahr 2007 ungenutzt verstreichen. D. VN zahlte über Jahre die Versicherungsprämien, bis er im Jahr 2014 den Widerspruch gemäß § 5a VVG a.F. erklärte. Die jahrelangen Prämienzahlungen des bereits bei Vertragsschluss 2007 über die Möglichkeit, den Vertrag nicht zustande kommen zu lassen, belehrten VN haben bei der Beklagten ein schutzwürdiges Vertrauen in den Bestand des Vertrages begründet. Diese vertrauensbegründende Wirkung war für d. VN auch erkennbar.

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Die Anwendung der Grundsätze von Treu und Glauben beeinträchtigen auch angesichts der besonderen Umstände des Streitfalles die praktische Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts und den Sinn und Zweck des Widerspruchsrechts nicht (vgl. ergänzend Senatsurteil vom 10. Juni 2015 - IV ZR 105/13, VersR 2015, 876 Rn. 13 f.).

Mayen     

       

Harsdorf-Gebhardt     

       

Lehmann

       

Dr. Brockmöller     

       

Dr. Bußmann