Entscheidungsdatum: 10.06.2015
Der Begriff der "Textform" in einer Widerspruchsbelehrung nach § 5a VVG a.F. ist nicht erläuterungsbedürftig.
Die Revision der Klägerseite gegen das Urteil der 23. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main vom 14. Februar 2013 wird auf deren Kosten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Die Klägerseite (Versicherungsnehmerin: im Folgenden d. VN) begehrt von dem beklagten Versicherer (im Folgenden Versicherer) Rückzahlung geleisteter Versicherungsbeiträge zweier Rentenversicherungen.
Diese wurden aufgrund Antrags d. VN jeweils mit Versicherungsbeginn zum 1. Dezember 2004 nach dem so genannten Policenmodell des § 5a VVG in der seinerzeit gültigen Fassung (im Folgenden § 5a VVG a.F.) abgeschlossen. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts erhielt d. VN mit Schreiben des Versicherers vom 1. November 2004 mit den Versicherungsscheinen die Versicherungsbedingungen, die Verbraucherinformationen nach § 10a des Versicherungsaufsichtsgesetzes (VAG) und jeweils eine schriftliche Belehrung über ihr Widerspruchsrecht in drucktechnisch deutlicher Form gemäß § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F.
D. VN zahlte in der Folge Prämien in Höhe von insgesamt 5.380 €. Mit Schreiben vom Mai 2008 kündigte d. VN die Verträge und der Versicherer zahlte den Rückkaufswert aus. Mit Schreiben vom September und November 2008 erklärte d. VN den Widerspruch nach § 5a VVG a.F.
Mit der Klage verlangt d. VN, soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung, Rückzahlung aller auf die Verträge geleisteten Beiträge nebst Zinsen abzüglich der bereits gezahlten Rückkaufswerte, insgesamt 4.315,22 €.
Nach Auffassung d. VN sind die Versicherungsverträge nicht wirksam zustande gekommen, weil d. VN zum einen nicht ordnungsgemäß belehrt wurde und zum anderen das Policenmodell mit den Lebensversicherungsrichtlinien der Europäischen Union nicht vereinbar sei.
Das Amtsgericht hat die Klage, soweit im Revisionsverfahren noch von Bedeutung, abgewiesen, das Landgericht die hiergegen gerichtete Berufung zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt d. VN das Klagebegehren weiter.
Die Revision hat keinen Erfolg.
I. Das Berufungsgericht hat einen Prämienrückerstattungsanspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung verneint. D. VN habe die Prämien mit Rechtsgrund geleistet. D. VN sei ordnungsgemäß über das Widerspruchsrecht nach § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. belehrt worden und die Versicherungsverträge seien wirksam zustande gekommen. Die Regelung des Policenmodells verstoße nicht gegen die Zweite und Dritte Richtlinie Lebensversicherung.
II. Das hält der rechtlichen Nachprüfung im Ergebnis stand.
1. Die Voraussetzungen für ein Zustandekommen der Versicherungsverträge sind hier erfüllt. Nach den nicht zu beanstandenden Feststellungen des Berufungsgerichts erhielt d. VN mit den Policenbegleitschreiben die Versicherungsscheine, die Versicherungsbedingungen, die Verbraucherinformationen und jeweils eine ordnungsgemäße Widerspruchsbelehrung. Die Revision macht ohne Erfolg geltend, der Begriff der "Textform" in den Widerspruchsbelehrungen der Policenbegleitschreiben sei erläuterungsbedürftig. Ohne die gesetzliche Erläuterung in § 126b BGB kennen zu müssen, kann d. VN diesem Begriff ohne weiteres entnehmen, dass er den Widerspruch in letztlich lesbarer Form dem Versicherer übermitteln und als Urheber erkennbar sein muss. Er kann ersehen, dass er seine Erklärung in Schriftzeichen und einer zur dauerhaften Wiedergabe geeigneten Weise festhalten muss und eine lediglich mündliche Erklärung nicht genügt. In diesem Verständnis wird er durch den in der Belehrung enthaltenen Hinweis bestärkt, dass zur Wahrung der Frist die rechtzeitige Absendung des Widerspruchs genüge. Auch der Klammerzusatz "schriftlich oder in anderer lesbarer Form" ist entgegen der Ansicht der Revision nicht geeignet, d. VN von der Einlegung des Widerspruchs abzuhalten. Ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer wird den Klammerzusatz zutreffend so verstehen, dass es genügt, wenn die Erklärung in Textform lesbar gemacht werden kann. Bis zum Ablauf der damit in Gang gesetzten 14-tägigen Widerspruchsfrist erklärte d. VN den Widerspruch nicht.
2. Ob solchermaßen nach dem Policenmodell geschlossene Versicherungsverträge wegen Gemeinschaftsrechtswidrigkeit des § 5a VVG a.F. Wirksamkeitszweifeln unterliegen (vgl. dazu Senatsurteil vom 16. Juli 2014 - IV ZR 73/13, BGHZ 202, 102 Rn. 16 ff.; BVerfG, Beschluss vom 2. Februar 2015 - 2 BvR 2437/14, WM 2015, 514 Rn. 30 ff.), kann im Streitfall dahinstehen. Die von der Revision begehrte Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union scheidet bereits deshalb aus, weil es auf die Frage, ob das Policenmodell mit den genannten Richtlinien unvereinbar ist, hier nicht entscheidungserheblich ankommt. D. VN ist es auch im Falle einer unterstellten Gemeinschaftsrechtswidrigkeit des Policenmodells nach Treu und Glauben wegen widersprüchlicher Rechtsausübung verwehrt, sich nach jahrelanger Durchführung des Vertrages auf dessen angebliche Unwirksamkeit zu berufen und daraus Bereicherungsansprüche herzuleiten. Die Treuwidrigkeit liegt darin, dass d. VN nach ordnungsgemäßer Belehrung über die Möglichkeit, den Vertrag ohne Nachteile nicht zustande kommen zu lassen, diesen jahrelang unter regelmäßiger Prämienzahlung durchführte und erst dann von dem Versicherer, der auf den Bestand des Vertrags vertrauen durfte, unter Berufung auf die behauptete Unwirksamkeit des Vertrages Rückzahlung aller Prämien verlangte (vgl. im Einzelnen zu den Maßstäben Senatsurteil vom 16. Juli 2014 aaO Rn. 32-42; BVerfG, Beschluss vom 2. Februar 2015 aaO Rn. 42 ff.). D. VN verhielt sich objektiv widersprüchlich. Die vertraglich eingeräumte und bekannt gemachte Widerspruchsfrist blieb bei Vertragsschluss 2004 ungenutzt. D. VN zahlte bis zur Kündigung im Mai 2008 dreieinhalb Jahre die Versicherungsprämien und ließ danach nochmals einige Monate bis zur Erklärung des Widerspruchs vergehen. Die jahrelangen Prämienzahlungen der bereits im November 2004 über die Möglichkeit, die Verträge nicht zustande kommen zu lassen, belehrten VN und ihre trotz dieser Belehrung zunächst nur für die Zukunft ausgesprochene Beendigung im Mai 2008 haben bei dem Versicherer ein schutzwürdiges Vertrauen in den Bestand der Verträge für die Vergangenheit begründet, was für d. VN auch erkennbar war. Auch insoweit ist entgegen der Auffassung der Revision eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union nicht erforderlich. Die Maßstäbe für die Berücksichtigung der Gesichtspunkte von Treu und Glauben sind in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union geklärt (siehe im Einzelnen Senatsurteil vom 16. Juli 2014 - IV ZR 73/13, BGHZ 202, 102 Rn. 41 f.; BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 4. März 2015 - 1 BvR 3280/14, juris Rn. 31 ff. m.w.N.) und die Annahme rechtsmissbräuchlichen Verhaltens steht in Fällen wie dem vorliegenden in Einklang mit dieser Rechtsprechung (vgl. Senatsurteil aaO; vgl. auch BVerfG aaO).
Soweit die Revision geltend macht, es sei unionsrechtlich ungeklärt, ob verbraucherschützende Widerspruchsrechte durch nationale Vorschriften zum Rechtsmissbrauch beschränkt werden dürften, berührt dies zwar das Gebot der praktischen Wirksamkeit. Der Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben und des Verbots widersprüchlicher Rechtsausübung steht dies aber nicht entgegen, weil die Ausübung dieser Rechte in das nationale Zivilrecht eingebettet bleibt und die nationalen Gerichte ein missbräuchliches Verhalten auch nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union berücksichtigen dürfen (BVerfG aaO Rn. 32 m.w.N.).
Die Anwendung der Grundsätze von Treu und Glauben beeinträchtigt auch angesichts der besonderen Umstände des Streitfalles die praktische Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts und den Sinn und Zweck des Widerspruchsrechts nicht. Die Erwägungen der Zweiten und Dritten Richtlinie Lebensversicherung, eine genaue Belehrung der Versicherungsnehmer über ihr Rücktrittsrecht vor Abschluss des Vertrages sicherzustellen, werden auch hier nicht berührt, denn entscheidend ist im Streitfall, dass d. VN, die dem geltenden nationalen Recht entsprechend ordnungsgemäß über die Möglichkeit belehrt worden ist, die Verträge ohne Nachteile nicht zustande kommen zu lassen, diese Verträge gleichwohl in Vollzug gesetzt und sie über mehrere Jahre durchgeführt hat. Hier kommt hinzu, dass sie sie sodann zunächst nicht einmal rückwirkend, sondern lediglich durch Kündigung mit Wirkung für die Zukunft beendet hat, sich den vom Versicherer auf die Kündigung hin berechneten Rückkaufswert hat auszahlen lassen und erst danach unter Berufung auf die behauptete Unwirksamkeit der Verträge diese von Anfang an nicht mehr hat gelten lassen wollen und Rückzahlung aller Prämien verlangt hat. Auch in diesem Fall ist das Vertrauen des Versicherers in den Bestand der Verträge für die Vergangenheit vorrangig schutzwürdig. Daran ändern die Einwände der Revision, der Versicherer habe durch eine rechtzeitige Übermittlung der Verbraucherinformationen vor der Auswahlentscheidung d. VN klare Verhältnisse schaffen können und der Verbraucher könne auf seine Rechte nicht verzichten, nichts (vgl. BVerfG aaO Rn. 36). Entscheidend ist das widersprüchliche Verhalten d. VN, das ein schutzwürdiges Vertrauen bei dem Versicherer geweckt hat.
Mayen Harsdorf-Gebhardt Dr. Karczewski
Lehmann Dr. Brockmöller