Entscheidungsdatum: 21.03.2018
Der Bundesgerichtshof erklärt sich für unzuständig und verweist den Rechtsstreit auf den Hilfsantrag des Restitutionsklägers an das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg.
I. Der im Jahr 1940 nichtehelich geborene Restitutionskläger (im Folgenden: Kläger) erstrebt die Wiederaufnahme eines rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens (im Folgenden: Ausgangsverfahren). In diesem machte er im Wege der Stufenklage Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche gegen die Restitutionsbeklagte (im Folgenden: Beklagte) aus dem Erbfall nach dem am 26. Juni 2006 verstorbenen Erblasser geltend. Der Erblasser war im Jahr 1949 verurteilt worden, gemäß § 1708 BGB in der damals geltenden Fassung Unterhalt an den Kläger zu zahlen. Die Beklagte, eine eheliche Tochter des Erblassers, ist dessen testamentarische Alleinerbin.
Im Ausgangsverfahren blieb die Klage erfolglos. Die Revision des Klägers gegen das die klageabweisende Entscheidung des Landgerichts bestätigende Urteil des Berufungsgerichts wies der Senat mit Urteil vom 26. Oktober 2011 zurück (IV ZR 150/10, BGHZ 191, 229). Dem Kläger stehe als nichtehelichem, vor dem 1. Juli 1949 geborenem Kind gemäß Art. 12 § 10 Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes über die rechtliche Stellung der nichtehelichen Kinder vom 19. August 1969 (BGBl. I 1243; im Folgenden: NEhelG a.F.) i.V.m. § 1589 Abs. 2 BGB in der bis zum 30. Juni 1970 geltenden Fassung kein Pflichtteil am Nachlass des Erblassers zu; die Aufhebung von Art. 12 § 10 Abs. 2 NEhelG a.F. durch das Zweite Gesetz zur erbrechtlichen Gleichstellung nichtehelicher Kinder, zur Änderung der Zivilprozessordnung und der Abgabenordnung vom 12. April 2011 (BGBl. I 615; im Folgenden: ZwErbGleichG) sei gemäß Art. 5 Satz 2 ZwErbGleichG nur mit Wirkung zum 29. Mai 2009 erfolgt. Hiergegen legte der Kläger Verfassungsbeschwerde ein. Diese wurde nicht zur Entscheidung angenommen (BVerfG ZEV 2013, 326).
Auf die Individualbeschwerde des Klägers gegen die Bundesrepublik Deutschland stellte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (im Folgenden: EGMR) durch Urteil vom 23. März 2017 (ZEV 2017, 507) fest, dass das Ergebnis der Rechtsanwendung im Ausgangsverfahren dessen Rechte aus Art. 14 (Diskriminierungsverbot) der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (im Folgenden: EMRK) i.V.m. Art. 1 des Zusatzprotokolls zur EMRK (Schutz des Eigentums) verletze. Das Urteil wurde gemäß Art. 44 Abs. 2 EMRK mit Ablauf des 23. Juni 2017 endgültig. Im Anschluss hieran schlossen der Kläger und die Bundesrepublik Deutschland eine Vereinbarung, nach der sich diese verpflichtete, an den Kläger als Ausgleich für sämtliche Ansprüche im Zusammenhang mit der Individualbeschwerde einen Gesamtbetrag von 83.721,20 € zu zahlen.
Der Kläger hat am 20. Juli 2017 Restitutionsklage beim Bundesgerichtshof erhoben. Er meint, das Ausgangsverfahren sei gemäß §§ 578 Abs. 1, 580 Nr. 8 ZPO wieder aufzunehmen. Er beantragt, das rechtskräftige Urteil des Bundesgerichtshofs vom 26. Oktober 2011 (IV ZR 150/10) und das Berufungsurteil aufzuheben sowie im Wege der Stufenklage über seinen Pflichtteilsanspruch zu entscheiden. Die Beklagte beantragt, die Restitutionsklage zurückzuweisen.
II. Der Bundesgerichtshof ist für die Restitutionsklage nicht zuständig. Auf den - jedenfalls schlüssig gestellten - Hilfsantrag des Klägers ist sie an das im Ausgangsverfahren zuständige Berufungsgericht zu verweisen.
1. Die Zuständigkeit für eine Restitutionsklage gegen ein Urteil richtet sich nach § 584 Abs. 1 ZPO. Für die Klagen ist ausschließlich zuständig das Gericht, das im ersten Rechtszug erkannt hat (§ 584 Abs. 1 Halbsatz 1 ZPO). Wenn das angefochtene Urteil oder auch nur eines von mehreren angefochtenen Urteilen von dem Berufungsgericht erlassen wurde oder wenn ein in der Revisionsinstanz erlassenes Urteil aufgrund des § 580 Nr. 1 bis 3, 6, 7 ZPO angefochten wird, ist das Berufungsgericht zuständig (§ 584 Abs. 1 Halbsatz 2 ZPO). Wenn ein in der Revisionsinstanz erlassenes Urteil aufgrund der §§ 579, 580 Nr. 4, 5 ZPO angefochten wird, besteht eine Zuständigkeit des Revisionsgerichts (§ 584 Abs. 1 Halbsatz 3 ZPO).
Das Gesetz enthält demgegenüber keine Regelung zu der Frage, welches Gericht für eine Restitutionsklage, die ein in der Revisionsinstanz erlassenes Urteil betrifft, in den Fällen des § 580 Nr. 8 ZPO zuständig ist. Das beruht auf einem Versehen des Gesetzgebers (Jacobs in Stein/Jonas, ZPO 22. Aufl. § 584 Rn. 2). § 580 Nr. 8 ZPO ist erst nachträglich durch Art. 10 Nr. 6 des Zweiten Gesetzes zur Modernisierung der Justiz vom 22. Dezember 2006 (BGBl. I 3416) in die Zivilprozessordnung aufgenommen worden. Dass sich die Zuständigkeit für eine auf den neuen Restitutionsgrund gestützte und sich gegen ein Revisionsurteil richtende Restitutionsklage nicht aus § 584 Abs. 1 ZPO ergibt, ist dabei nicht bedacht worden (vgl. BT-Drucks. 16/3038 S. 25, 38 ff.).
Wie diese Regelungslücke zu schließen ist, wird unterschiedlich beurteilt. Nur vereinzelt wird die Auffassung vertreten, dass in den Fällen des § 580 Nr. 8 ZPO ausnahmslos eine Zuständigkeit des Revisionsgerichts gegeben ist (Büscher in Wieczorek/Schütze, ZPO 4. Aufl. § 584 Rn. 17). Andere halten das Revisionsgericht nur für zuständig, wenn es eigene tatsächliche Feststellungen getroffen hat. Ansonsten soll das Berufungsgericht zuständig sein (so Meller-Hannich in Prütting/Gehrlein, ZPO 9. Aufl. § 584 Rn. 7; ferner Greger in Zöller, ZPO 32. Aufl. § 584 Rn. 9; vgl. auch BGH, Urteil vom 6. Dezember 1973 - IX ZR 154/72, BGHZ 62, 18 juris Rn. 7, wonach die beim Revisionsgericht zu erhebende Restitutionsklage gemäß § 580 Nr. 7 b ZPO ausnahmsweise stattfindet, wenn damit tatsächliche Feststellungen des Revisionsgerichts angegriffen werden). Mangels eigener tatsächlicher Feststellungen des Senats in dem Urteil vom 26. Oktober 2011 (IV ZR 150/10, BGHZ 191, 229) wäre hiernach eine Zuständigkeit des Berufungsgerichts gegeben. Wieder andere differenzieren im Rahmen von § 580 Nr. 8 ZPO danach, aus welchem Verfahren die Mängel herrühren, die geltend gemacht wurden (so Jacobs in Stein/Jonas, ZPO 22. Aufl. § 584 Rn. 5). Da es hier nicht um Verfahrensmängel im Sinne von § 580 Nr. 4 oder Nr. 5 ZPO geht, wäre eine Zuständigkeit des Berufungsgerichts gegeben. Schließlich unterscheiden andere - ohne hierbei gesondert auf § 580 Nr. 8 ZPO einzugehen - danach, ob nur das Revisionsverfahren von dem gerügten Mangel betroffen ist. In diesem Fall soll die Klage ungeachtet des geltend gemachten Grundes beim Revisionsgericht zu erheben sein. Sei dagegen ebenfalls das Berufungsverfahren betroffen, so sei in allen Fällen das Berufungsgericht zuständig (so MünchKomm-ZPO/Braun, 5. Aufl. § 584 Rn. 1, 6 f.; vgl. auch BGH, Beschluss vom 8. Juni 1973 - I ZR 25/72, BGHZ 61, 95 juris Rn. 8-10; einschränkend BGH, Urteil vom 4. Juli 1980 - V ZR 37/78, WM 1980, 1350 juris Rn. 4-6; Musielak in Musielak/Voith, ZPO 14. Aufl. § 584 Rn. 8). Da hier die Frage der Erbenstellung des Klägers sowohl das Berufungs- als auch das Revisionsurteil betrifft, wäre das Berufungsgericht zuständig.
Jedenfalls in dem hier zu beurteilenden Fall kommt eine Zuständigkeit des Revisionsgerichts nicht in Betracht. Auch wenn § 584 Abs. 1 ZPO den Restitutionsgrund des § 580 Nr. 8 ZPO nicht ausdrücklich nennt, liegt der Vorschrift die Grundstruktur eines Regel-Ausnahme-Verhältnisses zugrunde. Grundsätzlich zuständig für die Restitutionsklage ist das Gericht des ersten Rechtszuges. Lediglich für den Fall, dass das angefochtene Urteil oder eines der angefochtenen Urteile von dem Berufungsgericht erlassen wurde oder ein in der Revisionsinstanz vom Revisionsgericht erlassenes Urteil aufgrund des § 580 Nr. 1 bis 3, 6, 7 ZPO angefochten wird, ist das Berufungsgericht zuständig. Eine Zuständigkeit des Revisionsgerichts kommt nur in den Ausnahmefällen in Betracht, in denen ein in der Revisionsinstanz erlassenes Urteil aufgrund des § 580 Nr. 4, 5 ZPO angefochten wird. Das Gesetz geht mithin bei der Anfechtung eines Revisionsurteils von einer grundsätzlichen Zuständigkeit der Berufungsinstanz aus (vgl. MünchKomm-ZPO/Braun, 5. Aufl. § 584 Rn. 6).
Der hier maßgebliche Sachverhalt ist auch nicht mit den Restitutionsgründen des § 580 Nr. 4 und 5 ZPO vergleichbar (in der Vergangenheit wurde bei Entscheidungen des EGMR allenfalls eine Parallele zu § 580 Nr. 7 b ZPO erwogen, vgl. BT-Drucks. 16/3038 S. 39 m.w.N.). Bei diesen geht es um grobe Mängel des Verfahrens, die den Bestand des Revisionsurteils unbeschadet der tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz in Frage stellen (vgl. BGH, Urteil vom 13. Juli 1954 - V ZR 56/50, BGHZ 14, 251, 256 [juris Rn. 21]). Um derartige Verfahrensmängel handelt es sich hier nicht. Der EGMR hat vielmehr mit seinem Urteil vom 23. März 2017 entschieden, dass das vom Revisionsgericht und den Vorinstanzen angenommene Ergebnis der Rechtsanwendung die Rechte des Klägers aus Art. 14 EMRK (Diskriminierungsverbot) i.V.m. Art. 1 des Zusatzprotokolls zur EMRK (Schutz des Eigentums) verletzt (ZEV 2017, 507). Es geht mithin um die Frage der materiellen Vereinbarkeit innerstaatlicher Rechtsnormen bezüglich des Erbrechts nichtehelicher Kinder mit der EMRK.
Demgegenüber kommt nach dem Regelungsplan des Gesetzgebers eine Zuständigkeit des Berufungsgerichts in Betracht, wenn es um den vom Berufungsgericht festgestellten oder festzustellenden Sachverhalt geht (BGH, Urteil vom 13. Juli 1954 aaO; ferner Beschluss vom 8. Juni 1973 - I ZR 25/72, BGHZ 61, 95, 97, 100 [juris Rn. 9 f.]; BVerwG vom 7. Dezember 2015 - 6 PKH 10/15, juris Rn. 12; Musielak in Musielak/Voith, ZPO 14. Aufl., § 584 Rn. 2; MünchKomm-ZPO/Braun, 5. Aufl., § 584 Rn. 1). Hier wären im Falle des Vorliegens der weiteren Voraussetzungen des § 580 Nr. 8 ZPO nach erfolgter Wiederaufnahme des Verfahrens zunächst tatsächliche Feststellungen zu treffen bzw. nachzuholen. Die Klage ist bisher allein deshalb abgewiesen worden, weil die Tatsacheninstanzen sowie das Revisionsgericht von einer fehlenden Erbberechtigung des Klägers infolge der innerstaatlichen gesetzlichen Regelung ausgegangen sind. Tatsächliche Feststellungen zu den Voraussetzungen des vom Kläger im Wege der Stufenklage verfolgten Pflichtteilsanspruchs waren bisher nicht zu treffen. Da das Revisionsgericht für derartige tatsächliche Feststellungen nicht zuständig ist, käme im Falle seiner erfolgreichen Anrufung im Wiederaufnahmeverfahren ohnehin lediglich eine Aufhebung der Entscheidung des Berufungsgerichts und eine Zurückverweisung an dieses in Betracht. In einem derartigen Fall ist eine Zuständigkeit des Berufungsgerichts gegeben.
2. Auf den Hilfsantrag des Klägers ist der Rechtsstreit gemäß §§ 585, 281 Abs. 1 Satz 1 ZPO an das Berufungsgericht zu verweisen (vgl. zur Verweisung in einem solchen Fall BGH, Beschluss vom 8. Juni 1973 - I ZR 25/72, NJW 1973, 1701 juris Rn. 13; BFH vom 16. Dezember 2014 - X K 5/14, juris Rn. 5 f.). Das Berufungsgericht wird im weiteren Verfahren gegebenenfalls auch zu prüfen haben, ob die angefochtenen Entscheidungen im Sinne von § 580 Nr. 8 ZPO auf der Verletzung der EMRK beruhen und dabei insbesondere zu klären haben, ob im hier zu beurteilenden Sachverhalt die tatsächlichen Umstände vorliegen, bei deren Vorhandensein der Senat ausnahmsweise eine konventionsfreundliche Auslegung im Sinne einer teleologischen Erweiterung von Art. 5 Satz 2 ZwErbGleichG für möglich erachtet hat (hierzu zuletzt Senatsbeschluss vom 12. Juli 2017 - IV ZB 6/15, ZEV 2017, 510 Rn. 18-22; vgl. ferner Lieder/Berneith, FamRZ 2017, 1623 f.).
Mayen |
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Dr. Karczewski |
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Lehmann |
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Dr. Brockmöller |
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Dr. Bußmann |
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