Entscheidungsdatum: 25.10.2017
Auf die Rechtsbeschwerde der Beklagten wird der Beschluss des 13. Zivilsenats in Darmstadt des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 14. September 2016 aufgehoben.
Der Beklagten wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Fristen zur Einlegung und zur Begründung der Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Darmstadt vom 14. Oktober 2015 gewährt.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Beschwerdewert: 170.000 €
I. Die Beklagte erstrebt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Fristen zur Einlegung und zur Begründung der Berufung.
Sie hat innerhalb der Berufungsfrist beim Oberlandesgericht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe "für das im Falle ihrer Gewährung durchzuführende Berufungsverfahren" beantragt. In der Antragsschrift heißt es:
"Aus der überreichten Erklärung zu ihren wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnissen ergibt sich, dass die Antragstellerin nicht in der Lage ist, die Kosten der Prozessführung im Berufungsverfahren aufzubringen, das aufgrund der folgenden Ausführungen in der Begründung hinreichend Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
Im Falle der Gewährung von Prozesskostenhilfe wird die Berufung gegen das anliegend in Kopie beigefügte Urteil des Landgerichts ... eingelegt mit dem Antrag ... ."
Es folgen Anträge und, unter der Überschrift "Begründung", Ausführungen zur Sache.
Das Oberlandesgericht hat den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe mit Beschluss vom 15. Februar 2016, der Beklagten zugestellt am 22. Februar 2016, mangels hinreichender Erfolgsaussicht der Berufung zurückgewiesen. Mit einem am 7. März 2016 eingegangenen Schriftsatz hat die Beklagte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand für die Einlegung der Berufung beantragt und Berufung eingelegt. Eingehend am 22. März 2016 hat sie Wiedereinsetzung in den vorigen Stand für die Berufungsbegründung beantragt und die Berufung begründet.
Das Oberlandesgericht hat die Wiedereinsetzungsanträge zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Hiergegen wendet sich die Beklagte mit der Rechtsbeschwerde.
II. Die Rechtbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses, zur Wiedereinsetzung der Beklagten in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungs- und der Berufungsbegründungsfrist und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
1. Die nach den §§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 238 Abs. 2 Satz 1, 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist auch im Übrigen zulässig. Eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts ist nach § 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich. Die angefochtene Entscheidung verletzt die Verfahrensgrundrechte der Beklagten auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip) und auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG).
2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet.
a) Nach Auffassung des Berufungsgerichts hat die Beklagte nicht glaubhaft gemacht, schuldlos an der Wahrung der Fristen gehindert gewesen zu sein. Ihre Mittellosigkeit sei für die Fristversäumung nicht kausal geworden. Ihr Prozessbevollmächtigter sei auch ohne Prozesskostenhilfe bereit gewesen, die Berufung einzulegen und zu begründen. Das ergebe sich zweifelsfrei daraus, dass er eine vollständige unterzeichnete (Berufungs-)Begründung vor Ablauf der Berufungsbegründungsfrist und vor der Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag gefertigt und bei Gericht eingereicht habe, die mit der späteren Berufungsbegründung inhaltlich vollkommen übereingestimmt habe.
Eine Prozesskostenhilfe beantragende Partei sei zudem nur solange als schuldlos an der Fristwahrung gehindert anzusehen, wie sie vernünftigerweise nicht mit einer die Prozesskostenhilfe ablehnenden Entscheidung rechnen müsse. Die Beklagte habe sich zwar für bedürftig halten dürfen. Sie habe aber unter anderem nach dem bisherigen Verfahrensverlauf vernünftigerweise mit einer Zurückweisung des Prozesskostenhilfeantrags rechnen müssen, nachdem das Berufungsgericht ihre sofortige Beschwerde gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe für den ersten Rechtszug zurückgewiesen und dabei eine hinreichende Erfolgsaussicht verneint hatte.
b) Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
aa) Zutreffend ist das Berufungsgericht allerdings davon ausgegangen, dass die Beklagte die Fristen versäumt hat. Ihr Prozessbevollmächtigter hat sich in dem Schriftsatz vom 19. November 2015 mit der Einreichung eines Prozesskostenhilfegesuchs begnügt. Das ergibt sich aus der Überschrift "Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe" und der Formulierung, Prozesskostenhilfe werde "für das im Falle ihrer Gewährung durchzuführende Berufungsverfahren" begehrt. Der Schriftsatz enthält zwar ausformulierte Berufungsanträge und eine rund zwölfseitige Begründung, was aber erkennbar der Begründung des Antrags auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe dient und keine Berufungsbegründung darstellt. Das wird insbesondere deutlich durch die voranstehende Formulierung "Im Falle der Gewährung von Prozesskostenhilfe wird die Berufung ... eingelegt mit dem Antrag, ..." und den Hinweis, das beabsichtigte Berufungsverfahren biete "aufgrund der folgenden Ausführungen in der Begründung" hinreichend Aussicht auf Erfolg.
bb) Zu Unrecht hat das Berufungsgericht jedoch die Wiedereinsetzung in die versäumten Fristen versagt. Die Wiedereinsetzung ist rechtzeitig (§ 234 Abs. 1 Satz 1 und 2 ZPO) und unter gleichzeitiger Nachholung der versäumten Prozesshandlungen (§ 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO) beantragt worden. Die Wiedereinsetzungsgesuche sind auch begründet, weil die Beklagte glaubhaft gemacht hat (§ 236 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 ZPO), schuldlos an der Wahrung der versäumten Fristen gehindert gewesen zu sein.
(1) Ein Rechtsmittelführer, der innerhalb der Rechtsmittelfrist die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt hat, ist bis zur Entscheidung über seinen Antrag als unverschuldet verhindert anzusehen, das Rechtsmittel wirksam einzulegen, wenn er nach den gegebenen Umständen vernünftigerweise nicht mit der Ablehnung seines Antrags wegen fehlender Bedürftigkeit rechnen musste (st. Rspr., vgl. nur BGH, Beschluss vom 14. März 2017 - VI ZB 36/16, NJW-RR 2017, 895 Rn. 6 m.w.N.). Das war hier der Fall.
(2) Die Beklagte hat innerhalb der Frist des § 517 ZPO die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren beantragt. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts durfte sie sich für bedürftig halten. Mit Rücksicht auf das verfassungsrechtliche Gebot der prozessualen Chancengleichheit von bemittelten und mittellosen Parteien hängt die Wiedereinsetzung nicht davon ab, ob der bedürftige Antragsteller mit einer Bejahung der Erfolgsaussicht seines beabsichtigten Rechtsmittels rechnen konnte (vgl. Senatsbeschluss vom 18. Oktober 2000 - IV ZB 9/00, NJW-RR 2001, 570 unter II; BGH, Beschlüsse vom 11. November 1992 - XII ZB 118/92, NJW 1993, 732 unter II 2; vom 29. Januar 1985 - VI ZB 20/84, VersR 1985, 395 unter 1). Anders kann es liegen, wenn sich das Berufungsgericht - wie hier nicht - bereits mit der Erfolgsaussicht des beabsichtigten Rechtsmittels befasst hat, etwa im Rahmen einer Entscheidung nach § 78b ZPO (vgl. BGH, Beschlüsse vom 22. September 2016 - IX ZB 84/15, WM 2016, 2150 Rn. 10; vom 6. Juli 1988 - IVb ZB 147/87, FamRZ 1988, 1152 unter II 2 b). Auf den Verfahrensverlauf im ersten Rechtszug kommt es dagegen, anders als das Berufungsgericht meint, insoweit nicht an. Die Partei muss nicht schon dann mit einer Ablehnung ihres Antrags rechnen, wenn das Berufungsgericht im Rahmen der sofortigen Beschwerde gegen die erstinstanzliche Ablehnung von Prozesskostenhilfe einen für sie nachteiligen Rechtsstandpunkt vertreten hat (BGH, Beschluss vom 22. September 2016 - IX ZB 84/15 aaO).
(3) Die beantragte Wiedereinsetzung ist auch nicht deswegen zu versagen, weil die Versäumung der Berufungsfrist und der Begründungsfrist nicht auf dem wirtschaftlichen Unvermögen der Beklagten beruht hätte.
Wie das Berufungsgericht im Ausgangspunkt zutreffend erkannt hat, kommt allerdings nach einer Entscheidung über die beantragte Prozesskostenhilfe eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nur in Betracht, wenn die Mittellosigkeit für die Fristversäumung kausal geworden ist. Ist die bedürftige Partei bereits anwaltlich vertreten und legt ihr Rechtsanwalt uneingeschränkt Berufung ein, muss sie glaubhaft machen, dass der Anwalt nicht bereit war, die wirksam eingelegte Berufung im Weiteren ohne Bewilligung von Prozesskostenhilfe ordnungsgemäß und insbesondere fristgemäß zu begründen (Senatsbeschluss vom 29. März 2012 - IV ZB 16/11, NJW 2012, 2041 Rn. 15; vgl. BGH, Beschlüsse vom 16. November 2010 - VIII ZB 55/10, NJW 2011, 230 Rn. 19; vom 6. Mai 2008 - VI ZB 16/07, NJW 2008, 2855 Rn. 4).
So lag es - was das Berufungsgericht übersehen hat - jedoch hier nicht. Wenn der Antragsteller sein Rechtsmittel - wie hier - bewusst noch nicht eingelegt, sondern von der Bewilligung der beantragten Prozesskostenhilfe abhängig gemacht hat, ist die Mittellosigkeit schon für die Versäumung der Rechtsmittelfrist kausal geworden. Die Prozesspartei war dann auf Grund ihrer Mittellosigkeit bereits an der Einlegung des Rechtsmittels gehindert. Mit der bloßen Stellung und Begründung des Prozesskostenhilfeantrags erbringt der Prozessbevollmächtigte eines Berufungsklägers die im zweiten Rechtszug anfallenden, vergütungspflichtigen Leistungen noch nicht und bringt gerade nicht seine Bereitschaft zum Ausdruck, das Rechtsmittel auch ohne Bewilligung von Prozesskostenhilfe einlegen und begründen zu wollen (BGH, Beschlüsse vom 19. September 2013 - IX ZB 67/12, NJW 2014, 1307 Rn. 9; vom 23. April 2013 - II ZB 21/11, NJW 2013, 2822 Rn. 19; vom 28. November 2012 - XII ZB 235/09, NJW 2013, 697 Rn. 18; vom 16. November 2010 - VIII ZB 55/10 aaO Rn. 21).
Der Umstand, dass im Streitfall die Berufung letztlich ohne Bewilligung von Prozesskostenhilfe eingelegt und begründet wurde, steht der Annahme, dass sie zunächst wegen der Mittellosigkeit der Beklagten nicht erfolgt ist, nicht entgegen (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Juni 1999 - V ZB 19/99, NJW 1999, 3271 unter II 3 b dd).
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