Entscheidungsdatum: 23.05.2012
Die Rechtsbeschwerde der Klägerin gegen den Beschluss der 1. Zivilkammer des Landgerichts Münster vom 20. Dezember 2011 wird auf ihre Kosten verworfen.
Beschwerdewert: 4.000 €
I. Die Klägerin begehrt Neuberechnung ihrer Anwartschaft auf Zahlung einer Betriebsrente aus der Zusatzversorgung bei der Beklagten.
Den Prozessbevollmächtigten der Klägerin wurde am 26. Oktober 2011 das klageabweisende Urteil des Amtsgerichts zugestellt. Hiergegen legten sie mit Schriftsatz vom 28.November 2011 per Telefax Berufung ein. Die an das Landgericht adressierte Berufungsschrift wurde an die Telefaxnummer des Amtsgerichts gesendet, ging dort am Montag, dem 28. November 2011, um 10.37 Uhr ein und wurde an das Landgericht weitergeleitet.
Mit Verfügung vom 30. November 2011 hat das Landgericht die Klägerin darauf hingewiesen, dass die Berufung dort am 29. November 2011 eingegangen sei und Bedenken gegen die Einhaltung der Berufungsfrist bestünden. Daraufhin hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 19. Dezember 2011 beantragt, ihr Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, falls das Landgericht weiterhin von einer Versäumung der Berufungsfrist ausgehe.
Das Landgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag abgelehnt und die Berufung als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Die Berufung sei nicht fristgerecht eingelegt worden, weil der an das unzuständige Amtsgericht übermittelte Berufungsschriftsatz bei dem Landgericht erst am 29. November 2011 und damit nach Fristablauf eingegangen sei. Die Klägerin habe nicht dargelegt und glaubhaft gemacht, dass sie an der Wahrung der Berufungsfrist ohne ihr Verschulden gehindert gewesen sei. Der Kausalzusammenhang zwischen der fehlerhaften Verwendung der Telefaxnummer des Amtsgerichts und dem Fristversäumnis sei nicht deshalb unterbrochen, weil das Amtsgericht die Berufungsschrift nicht am selben Tag an das Landgericht weitergeleitet habe. Dabei komme es nicht darauf an, dass sich das Amtsgericht und das Landgericht in demselben Gebäudekomplex befänden. Im Rahmen des ordentlichen Geschäftsgangs könne nicht erwartet werden, dass eingehende Telefaxschreiben von der Poststelle ständig auf etwaige Adressierungsversehen überprüft und gegebenenfalls Maßnahmen zur Weiterleitung an das zuständige Gericht veranlasst würden.
Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der Rechtsbeschwerde.
II. Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg. Sie ist zwar nach den §§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 4, 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthaft, aber nicht im Übrigen gemäß § 574 Abs. 2 ZPO zulässig. Eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts ist insbesondere nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2, 2. Alt. ZPO) erforderlich. Die angefochtene Entscheidung verletzt nicht die Verfahrensgrundrechte der Klägerin auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip) und auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG).
Das Berufungsgericht hat die Berufung zu Recht wegen Versäumung der Berufungsfrist als unzulässig verworfen.
1. Es hat zutreffend angenommen, das bei ihm der Berufungsschriftsatz erst am 29. November 2011 - und damit nach Fristablauf - eingegangen sei.
a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kommt es für den rechtzeitigen Eingang eines fristgebundenen Schriftsatzes darauf an, wann das zuständige Gericht die tatsächliche Verfügungsgewalt über das eingegangene Schriftstück erhalten hat (BGH, Beschlüsse vom 28. Januar 2003 - VI ZB 29/02, juris Rn. 7 m.w.N.; vom 18. Februar 1997 - VI ZB 28/96, NJW-RR 1997, 892 unter II 1). Ein beim Faxgerät eines anderen Gerichts eingegangener Schriftsatz ist zum Zeitpunkt des Empfangs noch nicht bei dem zuständigen Gericht angekommen (BGH, Beschluss vom 28. Januar 2003 aaO). Entscheidend ist, wann der Schriftsatz nach Weiterleitung durch das zunächst angegangene Gericht tatsächlich in die Verfügungsgewalt des zuständigen Gerichts gelangt (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Februar 1989 - IX ZB 96/88, juris Rn. 5). Dies gilt auch dann, wenn der Schriftsatz an das zuständige Gericht adressiert ist, aber versehentlich an ein anderes Gericht per Telefax übermittelt wird (vgl. BGH, Beschlüsse vom 28. Januar 2003 aaO; vom 26. Mai 1994 - III ZB 35/93, NJW 1994, 2300). Wird ein Schriftsatz bei einer gemeinsamen Einlaufstelle mehrerer Gerichte eingereicht, so ist er mit der Einreichung bei dem Gericht eingegangen, an das er adressiert ist. Nur dieses Gericht erlangt mit dem Eingang des Schriftstücks die tatsächliche Verfügungsgewalt (Senatsbeschluss vom 2. März 2010 - IV ZB 15/09, juris Rn. 6; BGH, Beschlüsse vom 27. Juli 2000 - III ZB 28/00, NJW-RR 2000, 1730 unter II 1; vom 18. Februar 1997 aaO; vom 12. Oktober 1995 - VII ZR 8/95, NJW-RR 1996, 443 unter II 1; vom 10. Januar 1990 - XII ZB 141/89, NJW 1990, 990 unter II 2; jeweils m.w.N.).
b) Die Berufungsschrift war zwar an das zuständige Landgericht adressiert, gelangte aber in dessen Verfügungsgewalt noch nicht mit dem Eingang beim Telefaxgerät des Amtsgerichts. Insoweit beruft sich die Klägerin ohne Erfolg auf die Einreichung bei einer gemeinsamen Posteingangsstelle. Auch wenn - wie die Beschwerde geltend macht - das Amtsgericht und das Landgericht eine gemeinsame Einlaufstelle für eingehende Schriftstücke, einen einheitlichen Telefon- und Telefaxanschluss und eine zentrale Rufnummer haben, verfügt das Amtsgericht jedenfalls über eine eigene Telefaxnummer, die ihm nicht nur intern zugeordnet ist, sondern im Schriftverkehr nach außen angegeben wird. Mit der Übermittlung der Berufungsschrift an die Telefaxnummer des Amtsgerichts hat daher nur dieses, nicht aber das Landgericht die Verfügungsmacht über das Schriftstück erlangt.
c) Eine abweichende Regelung dergestalt, dass die Telefaxnummern des Amtsgerichts und des Landgerichts einer gemeinsamen Telefax- und Eingangsstelle zugeordnet sind, bestand - anders als in dem der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 9. Oktober 2007 NJW-RR 2008, 446) zugrunde liegenden Fall - nicht. Dort war in einer gemeinsamen Verfügung der Leiter der Justizbehörden vorgegeben, dass die Telefaxgeräte des Landgerichts und des Oberlandesgerichts zu einer gemeinsamen Post- und Faxannahmestelle gehörten, die als Geschäftsstelle sämtlicher angeschlossener Gerichte und Behörden gelte. Eine solche Bestimmung hat zur Folge, dass ein per Telefax übermittelter und an das zuständige Gericht adressierter Schriftsatz auch dann in die Verfügungsgewalt dieses Gerichts gelangt ist, wenn für die Übermittlung versehentlich die Telefaxnummer einer anderen in den Behörden- und Gerichtsverbund einbezogenen Stelle gewählt worden ist (BVerfG aaO 447). Dass eine entsprechende Verfügung für das hier zuständige Landgericht und das Amtsgericht getroffen wurde, ist weder von der Beschwerdeführerin vorgetragen worden noch sonst ersichtlich.
2. Die begehrte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hat das Berufungsgericht der Klägerin zutreffend versagt. Sie hat nicht dargelegt und glaubhaft gemacht, dass sie an der Wahrung der Berufungsfrist ohne ihr Verschulden gehindert war. Die Ursächlichkeit eines daher anzunehmenden Verschuldens der Klägerin für die Fristversäumung entfällt nicht deshalb, weil das Amtsgericht die Berufungsschrift nicht am selben Tag an das Landgericht weitergeleitet hat.
a) Wird ein fristgebundener Schriftsatz bei einem unzuständigen Gericht eingereicht, wirkt sich ein etwaiges Verschulden der Partei oder ihres Prozessbevollmächtigten nicht auf die Fristversäumung aus, wenn die fristgerechte Weiterleitung an das Rechtsmittelgericht im ordentlichen Geschäftsgang ohne weiteres erwartet werden kann. Geht der Schriftsatz gleichwohl nicht fristgerecht beim Rechtsmittelgericht ein, muss Wiedereinsetzung in den vorigen Stand unabhängig davon gewährt werden, auf welchen Gründen die fehlerhafte Einreichung beruht (BGH, Beschlüsse vom 27. Juli 2000 aaO unter II 2 b bb; vom 12. Oktober 1995 aaO unter II 2 b; jeweils m.w.N.; BVerfGE 93, 99, 115). Ein unzuständiges Gericht ist allerdings nur verpflichtet, bei ihm eingereichte fristgebundene Schriftsätze für ein Rechtsmittelverfahren im ordentlichen Geschäftsgang an das zuständige Rechtsmittelgericht weiterzuleiten (BGH, Beschlüsse vom 17. August 2011 - XII ZB 50/11, NJW 2011, 3240 Rn. 23; vom 28. Januar 2003 aaO Rn. 8; vom 26. Oktober 2000 - V ZB 32/00, juris Rn. 6; jeweils m.w.N.; vom 27. Juli 2000 aaO; vom 11. Februar 1998 - VIII ZB 50/97, NJW 1998, 2291 unter II 2 c; vom 1. Dezember 1997 - II ZR 85/97, NJW 1998, 908 unter II 2; BVerfGE 93 aaO).
b) Hier hat das Amtsgericht den bei ihm eingegangenen Berufungsschriftsatz umgehend an das Landgericht weitergeleitet. Es war, auch wenn es sich in demselben Gebäudekomplex wie das Landgericht befindet, nicht verpflichtet, den Schriftsatz so schnell weiterzuleiten, dass er noch am selben Tag bei dem Landgericht einging. Im Rahmen eines ordnungsgemäßen Geschäftsgangs kann nicht erwartet werden, dass eingehende Telefaxschreiben umgehend auf die zutreffende Adressierung und die Verwendung der richtigen Telefaxnummer überprüft und gegebenenfalls sofort an das zuständige Gericht weitergeleitet werden.
Mayen Wendt Felsch
Harsdorf-Gebhardt Karczweski