Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 02.03.2010


BGH 02.03.2010 - IV ZB 15/09

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: Wahrung der Berufungsfrist bei Eingang der an ein falsches Gericht adressierten Berufungsschrift in der gemeinsamen Briefannahmestelle mehrerer Gerichte


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
4. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
02.03.2010
Aktenzeichen:
IV ZB 15/09
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend LG Dessau-Roßlau, 11. März 2009, Az: 1 S 32/09, Beschlussvorgehend AG Dessau-Roßlau, 27. November 2008, Az: 4 C 373/07
Zitierte Gesetze

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers wird der Beschluss der 1. Zivilkammer des Landgerichts Dessau-Roßlau vom 11. März 2009 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Streitwert: 1.681,82 €

Gründe

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I. Der Kläger nimmt die Beklagte auf Erstattung der Kosten für eine zahnärztliche Behandlung aus einer Krankenversicherung in Anspruch.

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Das Amtsgericht wies die Klage mit Urteil vom 27. November 2008 ab. Das erstinstanzliche Urteil wurde dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 26. Januar 2009 zugestellt. Gegen dieses Urteil legte der Kläger mit einem an das Amtsgericht Dessau-Roßlau gerichteten Schriftsatz vom 25. Februar 2009 Berufung ein. Dieser Schriftsatz ging zunächst per Telefax am 25. Februar 2009 beim Amtsgericht Dessau-Roßlau ein und wurde von dort am 27. Februar 2009 an das Landgericht Dessau-Roßlau weitergeleitet. Das Original des ebenfalls an das Amtsgericht Dessau-Roßlau adressierten Berufungsschriftsatzes vom 25. Februar 2009 weist einen Eingangsstempel des Amtsgerichts Dessau-Roßlau vom 26. Februar 2009 sowie einen weiteren Eingangsstempel des Justizzentrums Dessau-Roßlau vom 27. Februar 2009 auf. Das Amtsgericht Dessau-Roßlau (Willi-Lohmann-Straße 33 in Dessau) verfügt über einen eigenen Briefkasten, während das Landgericht Dessau-Roßlau (Willi-Lohmann-Straße 29) zusammen mit dem Finanz- und Arbeitsgericht eine gemeinsame Briefeinlaufstelle unter der Bezeichnung "Justizzentrum Dessau-Roßlau" unterhält.

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Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat mit Schriftsatz vom 10. März 2009 gegenüber dem Landgericht erklärt, er habe das Original des Berufungsschriftsatzes selbst am 26. Februar 2009 gegen 17.30 Uhr in den Briefkasten des Justizzentrums eingeworfen. Das Landgericht hat die Berufung mit Beschluss vom 11. März 2009 als unzulässig verworfen. Hierbei hat es die Frage, ob das Original des Berufungsschriftsatzes noch fristgerecht am 26. Februar 2009 in den Briefkasten des Justizzentrums eingelegt wurde, offen gelassen. Der Schriftsatz sei nicht rechtzeitig in die Verfügungsgewalt des Berufungsgerichts gelangt, da er sich in einem verschlossenen Umschlag befunden habe und der Briefkasten des Justizzentrums Dessau-Roßlau als gemeinsame Briefeinlaufstelle nicht nur für das Land-, sondern auch für das Finanz- und Arbeitsgericht diene. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Klägers.

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II. 1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Nr. 1 i.V. mit § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig, da die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts gebietet (§ 574 Abs. 2 Nr. 2, 2. Alt. ZPO). Die angefochtene Entscheidung verletzt den Kläger in seinem Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes gemäß Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (BVerfGE 69, 381, 385; 77, 275, 284; 88, 118, 123 f.; NJW-RR 2002, 1004, 1005, 1007). Sie steht ferner im Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Zulässigkeit der Berufung bei fehlerhafter Adressierung und gemeinsamer Posteinlaufstelle (BGH, Beschlüsse vom 21. Juni 2004 - II ZB 18/03 - NJW-RR 2005, 75 zu II 2; vom 10. Februar 1994 - VII ZB 30/93 - NJW 1994, 1354; vom 28. Januar 1992 - X ZB 17/91 - NJW 1992, 1047 zu II; vom 6. Oktober 1988 - VII ZB 1/88 - NJW 1989, 590 zu II 2).

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2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Ohne weitere Sachaufklärung lässt sich beim derzeitigen Verfahrensstand nicht abschließend beurteilen, ob die Berufung rechtzeitig am 26. Februar 2009 beim Landgericht Dessau-Roßlau eingelegt wurde. Zwar konnte die Berufungsfrist nicht durch das am 25. Februar 2009 beim Amtsgericht Dessau-Roßlau eingegangene Faxschreiben gewahrt werden, weil es zunächst beim Amtsgericht einging und von dort erst am 27. Februar 2009, als die zuständige Richterin die Akte vorfand, an das Landgericht weitergeleitet wurde, wo es ebenfalls am 27. Februar 2009 einging. Zu Unrecht hat das Berufungsgericht demgegenüber die Frage offen gelassen, ob der Prozessbevollmächtigte des Klägers das Original der Berufungsschrift noch fristgerecht am 26. Februar 2009 in den Briefkasten des Justizzentrums Dessau-Roßlau eingelegt hat.

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a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein bei einer gemeinsamen Einlaufstelle mehrerer Gerichte eingegangener Schriftsatz einer Partei mit der Einreichung bei der Einlaufstelle bei dem Gericht eingegangen, an das er adressiert ist (BGH, Beschlüsse vom 18. Februar 1997 - VI ZB 28/96 - NJW-RR 1997, 892 zu II 1; vom 9. Juli 1986 - IVa ZB 9/86 - VersR 1987, 48, 49; Zöller/Heßler, ZPO 28. Aufl. § 519 Rdn. 13). Hiernach erlangt bei einer für mehrere Gerichte eingerichteten gemeinsamen Briefannahmestelle nur dasjenige Gericht die tatsächliche Verfügungsgewalt, an das der entsprechende Schriftsatz gerichtet ist. Es genügt, wenn sich das zuständige Rechtsmittelgericht ohne ausdrückliche Benennung eindeutig aufgrund der genauen Bezeichnung des angefochtenen Urteils im Übrigen zuordnen lässt (BGH, Beschluss vom 28. Januar 1992 - X ZB 17/91 - NJW 1992, 1047 unter II, wenn gegen ein Urteil des Landgerichts Berufung eingelegt wird, diese bei der gemeinsamen Annahmestelle eingeht und in dem Schriftsatz kein weiterer Empfänger bezeichnet ist). Maßgebend ist, dass der Schriftsatz trotz eines etwaigen Adressierungsfehlers tatsächlich fristgerecht in die Verfügungsgewalt des zuständigen Berufungsgerichts gelangt (BGH aaO; Zöller/Heßler aaO; Musielak/Ball, ZPO 6. Aufl. § 519 Rdn. 19; MünchKomm/Rimmelspacher, ZPO 3. Aufl. § 519 Rdn. 29). Eine falsche Adressierung ist bei Einwurf in einen Briefkasten ferner unschädlich, wenn die Einrichtung nur einem einzigen Gericht dient.

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Diese Grundsätze hat das Berufungsgericht nicht beachtet. Die Berufungsschrift war hier zwar an das Amtsgericht Dessau-Roßlau adressiert, nach dem Vorbringen des Klägers hat sein Prozessbevollmächtigter indessen das Original der Berufungsschrift am 26. Februar 2009 persönlich in den Briefkasten des Justizzentrums Dessau-Roßlau eingeworfen. Da der eigentliche Briefkasten des Amtsgerichts sich an einem anderen Ort befindet, wäre ein Zugang beim unzuständigen Amtsgericht nur in dem Fall anzunehmen, in dem auch das Amtsgericht zugleich an den Briefkasten des gemeinsamen Justizzentrums angeschlossen ist. Das ist indessen nicht der Fall. Vielmehr hat das Amtsgericht einen eigenen Briefkasten, während der Briefkasten des Justizzentrums lediglich für das Land-, das Arbeits- und Finanzgericht dient. Mithin konnte der Schriftsatz, wenn er am 26. Februar 2009 in den Briefkasten des Justizzentrums eingeworfen wurde, nicht in die Verfügungsgewalt des Amtsgerichts gelangen. Vielmehr wäre er dann noch rechtzeitig beim Landgericht eingegangen. Der Umstand, dass der Briefkasten des Justizzentrums zugleich dem Arbeits- und Finanzgericht dient, ändert daran nichts. Aus dem Berufungsschriftsatz vom 25. Februar 2009 ergibt sich eindeutig, dass Berufung gegen ein nach Datum und Aktenzeichen näher bezeichnetes Urteil des Amtsgerichts Dessau-Roßlau eingelegt werden soll. Eine derartige Berufung kann indessen nur beim Landgericht, nicht dagegen beim Arbeits- oder Finanzgericht eingelegt werden. Insofern ist der Fall hier nicht anders zu behandeln als derjenige, bei dem eine an das falsche Gericht adressierte Berufung allein in den Briefkasten des zuständigen Rechtsmittelgerichts eingelegt wird. In einem solchen Fall ist die Berufung rechtzeitig eingegangen.

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b) Anders liegt es dann, wenn der an ein falsches Gericht gerichtete Berufungsschriftsatz zwar tatsächlich in dem nur hierfür vorgesehenen Briefkasten des Rechtsmittelgerichts eingeht, der Schriftsatz sich aber in einem verschlossenen Umschlag befindet und der Umschlag mit der Adresse des unzuständigen Gerichts bezeichnet ist. In einem derartigen Fall ist die Posteingangsstelle des Rechtsmittelgerichts verpflichtet, die Sendung ungeöffnet an dasjenige Gericht weiterzuleiten, das auf dem Umschlag angegeben ist (BGH, Beschluss vom 10. Februar 1994 - VI ZB 30/93 - NJW 1994, 1354 unter II 1 a). Derartige Umstände stehen hier indessen gerade nicht fest. Der im Berufungsverfahren hierzu vom Kläger gehaltene Vortrag war erkennbar unzureichend. Er hat mit Schriftsatz vom 10. März 2009 lediglich vorgetragen, sein Prozessbevollmächtigter habe das Original der Berufungsschrift persönlich am 26. Februar 2009 gegen 17.30 Uhr in den Briefkasten des Justizzentrums geworfen. Der Umschlag sei nicht frankiert gewesen. Aus diesem unvollständigen Vortrag ergibt sich nicht, ob sich der Schriftsatz in einem verschlossenen Umschlag sowie ob und gegebenenfalls welche Anschrift sich auf dem Umschlag befand. Insoweit hat der Kläger seinen Vortrag nunmehr ergänzt und mit Schriftsatz vom 16. Februar 2010 vorgetragen, es habe sich um einen Umschlag ohne Sichtfeld gehandelt, bei dem sich links der Kanzleistempel befunden habe. Mittig auf dem Umschlag habe Landgericht Dessau gestanden. Der Umschlag sei nicht frankiert gewesen und auch eine Straße und Postleitzahl habe sich auf diesem nicht befunden, weil er ihn persönlich eingeworfen habe.

9

c) Das Berufungsgericht wird daher nunmehr - gegebenenfalls nach § 284 Satz 2 ZPO im Wege des Freibeweises (vgl. Senatsbeschluss vom 9. Februar 2009 - IV ZB 25/08 - zu II 4) - zu klären haben, ob der Prozessbevollmächtigte des Klägers tatsächlich am 26. Februar 2009 das Original der Berufungsschrift in einem Briefumschlag, auf dem außen Landgericht Dessau stand, in den Briefkasten des Justizzentrums Dessau-Roßlau eingeworfen hat. Neben einer Vernehmung des Prozessbevollmächtigten des Klägers als Zeuge kommt hier auch eine Vernehmung der Mitarbeiter der Posteingangsstelle des Justizzentrums dazu in Betracht, wie bei Schriftstücken verfahren wird, die sich in einem an das Landgericht gerichteten Briefumschlag befinden, in denen sich aber ein an das Amtsgericht gerichteter Schriftsatz befindet. Hierbei wird auch zu klären sein, wie es mit dem Vortrag des Klägers zu vereinbaren sein soll, dass sich auf der ersten Seite des Originals des Berufungsschriftsatzes vom 25. Februar 2009 der Eingangsstempel des Amtsgerichts Dessau-Roßlau vom 26. Februar 2009 befindet, auf der Rückseite der zweiten Seite des Schriftsatzes dagegen erst der Eingangsstempel des Justizzentrums Dessau-Roßlau vom 27. Februar 2009.

Terno                                               Seiffert                                         Dr. Kessal-Wulf

                 Harsdorf-Gebhardt                                Dr. Karczewski