Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 06.06.2018


BGH 06.06.2018 - IV ZB 10/17

Berufungseinlegung: Eingang der Berufungsschrift an einem Telefaxgerät der Referendarabteilung des Berufungsgerichts


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
4. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
06.06.2018
Aktenzeichen:
IV ZB 10/17
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2018:060618BIVZB10.17.0
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend KG Berlin, 3. März 2017, Az: 6 U 130/16, Beschlussvorgehend LG Berlin, 1. September 2016, Az: 7 O 303/15
Zitierte Gesetze

Leitsätze

Eine Berufung kann rechtzeitig eingelegt sein, wenn die Berufungsschrift vor Fristablauf an einem Telefaxgerät der Referendarabteilung des Berufungsgerichts eingeht.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers wird der Beschluss des 6. Zivilsenats des Kammergerichts vom 3. März 2017 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Beschwerdewert: 33.319,46 €

Gründe

1

I. Der Kläger wendet sich gegen die Verwerfung seiner Berufung als unzulässig.

2

Das klageabweisende Urteil des Landgerichts ist dem Kläger am 14. September 2016 zugestellt worden. Hiergegen hat er mit Schriftsatz vom 13. Oktober 2016 Berufung eingelegt. Dieser Schriftsatz war an das Kammergericht unter dessen Anschrift Elßholzstraße 30-33, Berlin, adressiert und enthielt unterhalb der Adresse den Zusatz "vorab per Fax: (030) 9013-2040". Dabei handelt es sich um die Faxnummer der Referendarabteilung bei dem Kammergericht, die im Gebäude der Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz in der Salzburger Straße 21-25, Berlin, ansässig ist. Dort ist der Schriftsatz per Fax am Freitag, den 14. Oktober 2016, zwischen 16.13 Uhr und 16.58 Uhr eingegangen und am Morgen des 17. Oktober 2016 an die Gemeinsame Briefannahmestelle des Kammergerichts unter der Faxnummer (030) 9015-2200 weitergeleitet worden. Das Original des Schriftsatzes ging am 18. Oktober 2016, die Berufungsbegründung am 9. November 2016 beim Kammergericht ein.

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Nach einem am 1. Februar 2017 zugestellten Hinweis des Berufungsgerichts hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers mit am 10. Februar 2017 eingegangenem Schriftsatz seine Ansicht, dass die Berufungsschrift durch die Übermittlung unter der Faxnummer der Referendarabteilung rechtzeitig eingegangen sei, begründet sowie hilfsweise Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.

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Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Hiergegen wendet sich der Kläger mit der Rechtsbeschwerde.

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II. Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

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1. Die gemäß §§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 238 Abs. 2 Satz 1, 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist auch im Übrigen zulässig. Eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts ist nach § 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich. Die Verwerfung der Berufung als unzulässig verletzt den Kläger in seinem Verfahrensgrundrecht auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip), das es den Gerichten verbietet, den Beteiligten den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht zu rechtfertigender Weise zu erschweren (vgl. Senatsbeschluss vom 8. März 2017 - IV ZB 18/16, ZEV 2017, 278 Rn. 5).

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2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet.

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a) Nach Auffassung des Berufungsgerichts ist der Berufungsschriftsatz erst nach Fristablauf bei dem zuständigen Berufungsgericht eingegangen. Das hier an die Faxnummer der Referendarabteilung mit eigenem Sitz im Gebäude der Senatsverwaltung übersandte Fax sei weder räumlich noch funktionell dem Kammergericht als zuständigem Berufungsgericht zugegangen. Mit der Organisation der Referendarausbildung übe das Kammergericht keine Rechtsprechungstätigkeit, sondern eine rein verwaltende Tätigkeit als Ausbildungsbehörde aus, so dass ein dort eingegangener Schriftsatz nicht als in die Verfügungsgewalt des Gerichtes in seiner Funktion als Rechtsmittelgericht in Zivilsachen gelangt behandelt werden könne. Eine gerichtliche organisatorische Regelung, dass auch das Faxgerät der Referendarabteilung zu der Gemeinsamen Briefannahmestelle des Kammergerichts gehöre und die dortigen Eingänge als Eingang bei der Geschäftsstelle des Gerichtes zu behandeln wären, gebe es nicht.

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b) Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

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aa) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kommt es für den rechtzeitigen Eingang eines fristgebundenen Schriftsatzes darauf an, wann das zuständige Gericht die tatsächliche Verfügungsgewalt über das eingegangene Schriftstück erhalten hat (Senatsbeschluss vom 23. Mai 2012 - IV ZB 2/12, NJW-RR 2012, 1461 Rn. 9 m.w.N.; BGH, Beschluss vom 1. Juni 2016 - XII ZB 382/15, FamRZ 2016, 1355 Rn. 11). Für die Rechtzeitigkeit des Eingangs eines fristwahrenden Schriftstücks ist allein entscheidend, dass es innerhalb der Frist tatsächlich in den Verfügungsbereich des zuständigen Gerichts gebracht worden und damit dem Zugriff des Absenders nicht mehr zugänglich ist (BGH, Beschluss vom 23. April 2013 - VI ZB 27/12, VersR 2013, 879 Rn. 12). Das Schriftstück ist bereits dann in die Verfügungsgewalt des Gerichts gelangt, wenn der Gewahrsam des Gerichts begründet wird (vgl. BGH, Urteile vom 21. Juni 1989 - VIII ZR 252/88, NJW-RR 1989, 1214 unter II 2 a [juris Rn. 19]; vom 25. Januar 1984 - IVb ZR 43/82, NJW 1984, 1237 unter 1 [juris Rn. 11]; BVerfGE 57, 117 unter II 1 [juris Rn. 12 f.]); dabei kommt es nicht auf die fristgerechte Entgegennahme durch den zuständigen Bediensteten der Geschäftsstelle an (vgl. BGH, Urteil vom 21. Juni 1989 aaO; BVerfGE 69, 381 unter II 1 [juris Rn. 12]). Der Inhalt einer Sendung muss derart in den Machtbereich dieses Gerichts gelangt sein, dass es sich bei normaler Gestaltung seiner Verhältnisse Kenntnis von dem Inhalt der Sendung verschaffen kann (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Februar 1994 - VII ZB 30/93, NJW 1994, 1354 unter 1 a [juris Rn. 8]).

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bb) An diesen Grundsätzen gemessen ist die Berufungsschrift hier mit dem Eingang auf dem der Referendarabteilung zugeordneten Faxgerät dem Berufungsgericht zugegangen. Die Mitarbeiter der Referendarabteilung haben damit Gewahrsam an dem Schriftsatz begründet. Diese Abteilung ist - insoweit nicht anders als eine Geschäftsstelle - Teil des Berufungsgerichts, da das Gericht mit dieser Einheit eine ihm übertragene Aufgabe erfüllt. Mit dem Eingang in einer Abteilung des Berufungsgerichts gelangte der Schriftsatz damit auch in die Verfügungsgewalt des für dieses Rechtsmittelverfahren zuständigen Gerichts. Dies ist nicht vergleichbar mit Fällen, in denen Schriftsätze per Fax bei einer anderen Behörde, die nur beim Berufungsgericht angesiedelt ist, eingehen und damit noch nicht in die Verfügungsgewalt des Berufungsgerichts gelangen (vgl. für die Oberjustizkasse: BGH, Beschluss vom 1. Juni 2016 - XII ZB 382/15, FamRZ 2016, 1355 Rn. 13; für das juristische Prüfungsamt: OLG Köln, MDR 2016, 1114 [juris Rn. 13]).

12

Soweit das Berufungsgericht darauf abstellt, ob der Schriftsatz einer zur Postannahme zuständigen Person oder der Geschäftsstelle des Berufungsgerichts übergeben worden ist, ist dies nach der zitierten Rechtsprechung nicht erforderlich, um die Verfügungsgewalt des Gerichts über einen Schriftsatz zu begründen. Daher hängt entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts der Zugang bei Gericht weder davon ab, ob die Referendarabteilung Rechtsprechungsaufgaben erfüllt, noch ob sie im Gebäude des Berufungsgerichts untergebracht ist. Was auf einem der vom Berufungsgericht unterhaltenen Faxgeräte eingeht, ist in die Verantwortung der Verwaltung des Berufungsgerichts gelangt; auf die weitere Verteilung an die den zuständigen Spruchkörpern zugeordneten Geschäftsstellen kommt es für die Wahrung einer Frist nicht an (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13. Juli 2010 - I-20 U 206/09, juris Rn. 13). Die Auslagerung der Referendarabteilung in das Gebäude der Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz ist eine Maßnahme der internen Gerichtsorganisation. Solche Maßnahmen, auf die der Bürger keinen Einfluss hat, sind für den fristgerechten Eingang von Schriftstücken nicht entscheidend (vgl. BVerfG, NJW 2005, 3346, 3347 [juris Rn. 10]).

13

Es kann hier offenbleiben, ob etwas anderes gilt, wenn ein Gericht den Zugang fristwahrender Schriftsätze unter der verwendeten Faxnummer ausdrücklich ausgeschlossen oder einen anderen Faxanschluss als für solche Eingänge allein bestimmt bezeichnet hat. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts waren auf der Website des Berufungsgerichts als Kontaktdaten zunächst der Präsident des Kammergerichts mit Anschrift, Telefon- und Faxnummer und sodann die Abteilung "Kammergericht - Rechtsreferendariat" mit ihren Daten aufgeführt. Ein ausdrücklicher Ausschluss der Einreichung fristwahrender Schriftsätze bei dieser Stelle oder ein Hinweis, dass solche allein unter den zuerst genannten Kontaktdaten eingereicht werden können, ergibt sich daraus nicht.

14

Dem fristgerechten Eingang des Schriftsatzes beim Berufungsgericht steht auch nicht entgegen, dass bei diesem Gericht eine gemeinsame Briefannahmestelle besteht und das Faxgerät der Referendarabteilung nicht zu dieser gehört. Auf die organisatorischen Regelungen dazu, welche Faxgeräte einer gemeinsamen Briefannahmestelle des Berufungsgerichts zugeordnet sind, kommt es an, wenn ein Schriftsatz am Faxgerät eines anderen als des zuständigen Gerichts eingeht (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Oktober 2016 - VII ZB 45/14, NJW-RR 2017, 306 Rn. 15). Bei Eingang eines korrekt adressierten Schriftsatzes in einer Abteilung des zuständigen Gerichts stellt sich die Frage nach dem Inhalt dieser Regelungen dagegen nicht.

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2. Ist danach die Berufungsschrift rechtzeitig eingegangen, durfte die Berufung nicht als unzulässig verworfen werden. Der Beschluss ist aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO). Über den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist ist nicht mehr zu entscheiden.

Mayen     

        

Harsdorf-Gebhardt     

        

Lehmann

        

Dr. Brockmöller      

        

Dr. Bußmann