Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 10.10.2018


BGH 10.10.2018 - IV AR (VZ) 1/18

Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
4. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
10.10.2018
Aktenzeichen:
IV AR (VZ) 1/18
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2018:101018BIVAR.VZ.1.18.0
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend OLG Frankfurt, 1. Februar 2018, Az: 20 VA 9/17, Beschluss
Zitierte Gesetze
§§ 372ff BGB
§ 7 HintG HE

Tenor

Die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des 20. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 1. Februar 2018 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Beschwerdewert: bis 1.000 €

Gründe

1

I. Die Antragstellerin wendet sich gegen eine Annahmeanordnung der Hinterlegungsstelle des Amtsgerichts.

2

Sie erwarb ein Grundstück, dessen Zwangsverwaltung angeordnet worden war. Während der Zwangsverwaltung hatte der Zwangsverwalter (im Folgenden: Hinterleger) eine Mietkaution in Höhe von 945,45 € vereinnahmt. Nach dem Erwerb des Grundstücks durch die Antragstellerin und der Aufhebung der Zwangsverwaltung beantragte der Hinterleger bei der Hinterlegungsstelle die Annahme dieses Betrages zuzüglich Zinsen und führte zur Begründung an, dass die Mieter auf seine Bitte zur Erteilung der Zustimmung zur Übertragung der Kaution auf die Antragstellerin nicht reagiert hätten. Als Empfangsberechtigte gab er die Antragstellerin und die Mieter an. Am 8. März 2016 erließ die Hinterlegungsstelle die beantragte Annahmeanordnung. Der Hinterleger zahlte anschließend 945,88 € ein.

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Die Antragstellerin hat Beschwerde gegen die Annahmeanordnung eingelegt. Ihrer Auffassung nach hätte diese nicht erlassen werden dürfen. Der Hinterleger habe keine Tatsachen angegeben, die eine Hinterlegung rechtfertigten. Der Präsident des Amtsgerichts hat die Beschwerde zurückgewiesen. Der hiergegen gerichtete Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist erfolglos geblieben. Mit der vom Oberlandesgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Antragstellerin ihr Begehren, die Rechtswidrigkeit der Annahmeanordnung vom 8. März 2016 festzustellen, weiter.

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II. Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg. Sie ist zwar zulässig, insbesondere aufgrund der - für das Rechtsbeschwerdegericht nach § 29 Abs. 2 Satz 2 EGGVG bindenden - Zulassung gemäß § 29 Abs. 1 EGGVG statthaft, jedoch unbegründet.

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1. Nach Auffassung des Oberlandesgerichts, dessen Entscheidung unter anderem in BeckRS 2018, 13251 veröffentlicht ist, ist der Antrag auf gerichtliche Entscheidung unzulässig. Der Antragstellerin fehle die Antragsbefugnis im Sinne des § 24 Abs. 1 EGGVG, die auch bei einem Feststellungsantrag nach § 28 Abs. 1 Satz 4 EGGVG vorliegen müsse. Auf Grundlage des Vorbringens der Antragstellerin bestehe nicht die Möglichkeit ihrer unmittelbaren Rechtsbeeinträchtigung durch die angegriffene Annahmeanordnung.

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Diese stelle keinen Eingriff in die subjektiven Rechte oder rechtlich geschützten Interessen der Antragstellerin dar. Selbst wenn die Antragstellerin gehalten sei, gegen den Hinterleger auf Auszahlung der Mietkaution zu klagen, um zu vermeiden, den Mietern im Fall der Beendigung des Mietverhältnisses die Kaution nach § 566a BGB zurückzahlen zu müssen, ohne diese zuvor erhalten zu haben, handele es sich bei diesem Nachteil lediglich um eine tatsächliche Beeinträchtigung ihrer Belange. Der Erlass der Annahmeanordnung als solcher habe keine konstitutiven Wirkungen für die materielle Rechtslage. Die materiellen Rechtsfolgen der Hinterlegung träten nur ein, wenn die Hinterlegung rechtmäßig gewesen sei, insbesondere ein Hinterlegungsgrund vorgelegen habe. Sollte dies nicht der Fall gewesen sein, habe die Annahme der Mietkaution durch die Hinterlegungsstelle keine nachteiligen Auswirkungen auf Rechtspositionen der Antragstellerin bewirken können.

7

Die von der Antragstellerin geltend gemachte tatsächliche Beeinträchtigung ihrer Interessen sei überdies nicht unmittelbare Folge der Annahmeanordnung. Sie beruhe vorrangig darauf, dass der Hinterleger nicht an die Antragstellerin geleistet habe. Die Situation sei vergleichbar mit derjenigen, in welcher ein Schuldner eine andere zur Befreiung von seiner Verbindlichkeit untaugliche Handlung vornehme, etwa zur Erfüllung an einen Dritten anstatt an den richtigen Gläubiger leiste.

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Dieses Ergebnis stimme mit der gesetzlichen Ausgestaltung des Hinterlegungsverfahrens überein, in welchem keine Schutzwirkung der Annahmeanordnung für die Personen vorgesehen sei, die im Hinterlegungsantrag als möglicherweise Empfangsberechtigte angegeben seien. Die Vorschrift des § 7 Satz 2 Nr. 1 Buchst. a) des Hessischen Hinterlegungsgesetzes (im Folgenden: HintG), auf deren Grundlage die angefochtene Annahmeanordnung ergangen sei, diene nicht dem Schutz von Individualinteressen des tatsächlichen Gläubigers oder der als empfangsberechtigt bezeichneten Personen, sondern ausschließlich dazu, dem Schuldner zu ermöglichen, die im materiellen Recht vorgesehene Hinterlegung tatsächlich zu bewirken.

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Die Antragstellerin sei hierdurch nicht rechtsschutzlos gestellt. Sie könne den von ihr angenommenen Zahlungsanspruch gegen den Hinterleger weiterhin im Zivilprozess bei dem Prozessgericht geltend machen. Dort seien die von der Antragstellerin angesprochenen Fragen der materiell-rechtlichen Wirksamkeit der Hinterlegung zu klären.

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2. Das hält rechtlicher Nachprüfung stand. Das Oberlandesgericht hat zutreffend angenommen, dass die Antragstellerin nicht im Sinne des § 24 Abs. 1 EGGVG antragsbefugt ist.

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Nach dieser Vorschrift ist der Antrag auf gerichtliche Entscheidung nur zulässig, wenn der Antragsteller geltend macht, durch die Maßnahme oder ihre Ablehnung oder Unterlassung in seinen Rechten verletzt zu sein. Im Streitfall kann offen bleiben, ob hierfür eine schlüssige Darlegung der geltend gemachten Rechtsverletzung erforderlich ist oder ob - wie die Rechtsbeschwerde meint - lediglich ein Sachverhalt vorgetragen werden muss, der eine Rechtsverletzung möglich erscheinen lässt (vgl. hierzu BVerfG, Beschluss vom 3. Juni 2014 - 2 BvR 517/13, juris Rn. 14; NStZ-RR 2013, 187 [juris Rn. 14]; jeweils m.w.N.). Auch bei Zugrundelegung der letztgenannten Position fehlt es an einer Antragsbefugnis der Antragstellerin.

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a) Diese kann ihr Feststellungsbegehren (§ 28 Abs. 1 Satz 4 EGGVG) nicht auf eine Verletzung des § 7 Satz 2 Nr. 1 Buchst. a) HintG stützen, wonach eine Annahmeanordnung auf Antrag der hinterlegenden Person ergeht, wenn sie Tatsachen angibt, die eine Hinterlegung rechtfertigen. Selbst wenn der Hinterleger solche Tatsachen nicht angegeben haben sollte, fehlt es an einer möglichen Rechtsverletzung der Antragstellerin durch den Erlass der Annahmeanordnung. Denn § 7 Satz 2 Nr. 1 Buchst. a) HintG ist - wie das Oberlandesgericht zu Recht angenommen hat - im Fall einer auf §§ 372 ff. BGB gestützten Hinterlegung keine drittschützende Norm.

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aa) Es ist anerkannt, dass ein Kläger, der nicht Adressat des angegriffenen Verwaltungsakts ist, für die Klagebefugnis im Sinne des § 42 Abs. 2 VwGO die Verletzung einer Vorschrift behaupten muss, die ihn als Dritten zu schützen bestimmt ist (vgl. BVerwG NVwZ-RR 2017, 967 Rn. 6; Kopp/R.P. Schenke, VwGO 24. Aufl. § 42 Rn. 83; jeweils m.w.N.), und dass eine Vorschrift drittschützenden Charakter hat, wenn sie nach dem in ihr enthaltenen, durch Auslegung zu ermittelnden Entscheidungsprogramm für die Behörde auch der Rücksichtnahme auf Interessen eines individualisierbaren Personenkreises dient (BVerwGE 130, 52 Rn. 15; vgl. ferner BVerwG NJW 1996, 1297 [juris Rn. 3]; Kopp/R.P. Schenke aaO; jeweils m.w.N.). Diese Grundsätze sind auf die Anfechtung eines Justizverwaltungsakts und die hierfür gemäß § 24 Abs. 1 EGGVG erforderliche Antragsbefugnis übertragbar (vgl. BeckOK-StPO/Köhnlein, EGGVG § 24 Rn. 1, 3 [Stand: 1. Januar 2018]; Böttcher in Löwe-Rosenberg, StPO 26. Aufl. § 24 EGGVG Rn. 1, 3, 5; MünchKomm-ZPO/Pabst, 5. Aufl. § 24 EGGVG Rn. 1, 4; K. Schreiber in Wieczorek/Schütze, ZPO 4. Aufl. § 24 EGGVG Rn. 1, 3; siehe auch Senatsbeschluss vom 10. Februar 2016 - IV AR(VZ) 8/15, NJW-RR 2016, 445 Rn. 12). Sie sind im Streitfall maßgeblich, weil Adressat der Annahmeanordnung nicht die Antragstellerin, sondern der Hinterleger ist (vgl. OLG Hamm NJW-RR 2015, 759 Rn. 11).

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bb) Das in § 7 Satz 2 Nr. 1 Buchst. a) HintG enthaltene Entscheidungsprogramm dient jedenfalls bei einer auf §§ 372 ff. BGB gestützten Hinterlegung nicht auch der Rücksichtnahme auf die Interessen der als Gläubiger infrage kommenden Personen, sodass die Bestimmung - entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde - keine Schutznorm zugunsten der Antragstellerin ist (vgl. OLG Hamm aaO Rn. 8; BeckOGK/Ulrici, BGB § 372 Rn. 121 [Stand: 1. Juli 2018]; MünchKomm-ZPO/Pabst, 5. Aufl. § 23 EGGVG Rn. 58).

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(1) Gemäß § 7 Satz 2 Nr. 1 Buchst. a) HintG ergeht die Annahmeanordnung allein unter Zugrundelegung der von der hinterlegenden Person angegebenen Tatsachen; ob diese zutreffend sind, prüft die Hinterlegungsstelle nicht (vgl. KG WuM 2018, 195 [juris Rn. 4]; OLG Hamm aaO Rn. 12; OLG München FGPrax 2008, 52, 53 f. [juris Rn. 22]; Bülow/Schmidt, HinterlO 4. Aufl. § 6 Rn. 11). Damit korrespondierend sieht das HintG eine Beteiligung Dritter an dem Verfahren, in dem über den Erlass einer Annahmeanordnung entschieden wird, nicht vor, weshalb die Hinterlegungsstelle eine Durchschrift der Annahmeanordnung auch nur der hinterlegenden Person zu übersenden oder auszuhändigen hat (§ 10 Abs. 1 Satz 1 HintG). Das Oberlandesgericht hat zutreffend angenommen, diese gesetzliche Ausgestaltung des Verfahrens mache deutlich, dass die Hinterlegungsstelle vor dem Erlass der Annahmeanordnung Interessen Dritter nicht berücksichtigt (vgl. auch OLG Hamm aaO Rn. 11 f.).

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(2) Es bestehen keine Anhaltspunkte für einen gegenteiligen Willen des Gesetzgebers. In der Begründung des Gesetzentwurfs zu § 7 HintG werden Interessen Dritter, insbesondere der als Gläubiger infrage kommenden Personen, nicht erwähnt. Vielmehr heißt es, diese Regelung verdeutliche, dass eine Annahmeanordnung nie von Amts wegen ergehe, sondern stets entweder einen Antrag der hinterlegenden Person oder das Ersuchen der zuständigen Behörde voraussetze; die Annahmeanordnung sei ohne Rücksicht auf das Bestehen der Voraussetzungen für die Annahme wirksam (LT-Drucks. Hessen 18/2526 S. 12 f.).

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(3) Etwas anderes gilt bei einer auf §§ 372 ff. BGB gestützten Hinterlegung auch nicht deswegen, weil dies zur Wahrung der rechtlichen Interessen des Gläubigers der hinterlegenden Person, namentlich mit Blick auf sein Grundrecht aus Art. 19 Abs. 4 GG, geboten wäre. Das Oberlandesgericht hat richtig erkannt, dass eine Hinterlegung, die vorgenommen wird, ohne dass tatsächlich ein Hinterlegungsgrund im Sinne des § 372 BGB besteht, keine Auswirkungen auf die materielle Rechtsposition des Gläubigers hat. Die für den Gläubiger nachteiligen Rechtsfolgen der §§ 378, 379 BGB treten in diesem Fall nicht ein (vgl. BGH, Urteile vom 1. Februar 2012 - VIII ZR 307/10, NJW 2012, 1718 Rn. 43; vom 22. Oktober 1980 - VIII ZR 190/79, ZIP 1981, 65 unter II 1 c bb [juris Rn. 20]; KG WuM 2018, 195 [juris Rn. 4]; OLG Hamm NJW-RR 2015, 759 Rn. 9; OLG München FGPrax 2008, 52, 53 [juris Rn. 21]; BeckOGK/Ulrici BGB § 378 Rn. 23, § 379 Rn. 11 [Stand: 1. Juli 2018]; MünchKomm-BGB/Fetzer, 7. Aufl. § 378 Rn. 3, § 379 Rn. 1; Staudinger/Olzen, (2016) BGB § 378 Rn. 3, § 379 Rn. 2). Eine nicht gerechtfertigte Hinterlegung hindert den Gläubiger daher nicht, seinen materiell-rechtlichen Anspruch im streitigen Verfahren gegen den Schuldner zu verfolgen.

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Aus diesem Grund ist die Antragstellerin - anders als die Rechtsbeschwerde meint - zur Realisierung des von ihr angenommenen Anspruchs gegen den Hinterleger nicht dazu gezwungen, eine Herausgabeanordnung nach den §§ 21 ff. HintG zu erwirken, wenn die Hinterlegung der Mietkaution, wie sie geltend macht, unberechtigt war. Die von der Rechtsbeschwerde insoweit angeführten Erschwernisse, die ein hinterlegungsrechtliches Herausgabeverfahren mit sich bringen kann, vermögen eine Antragsbefugnis der Antragstellerin daher ebenso wenig zu begründen wie eine etwaige Kostenlast nach § 12 Abs. 3 Nr. 1 Alt. 1 des Hessischen Justizkostengesetzes, die voraussetzt, dass die Herausgabe des Hinterlegungsgegenstandes verfügt wurde.

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b) Anders als die Rechtsbeschwerde meint, ist die Antragstellerin auch nicht deswegen antragsbefugt, weil ihr aufgrund der Hinterlegung ein gemäß § 566a Satz 1 BGB erworbenes dingliches Recht an der Mietkaution entzogen worden wäre. Dabei kann offen bleiben, ob der von der Antragstellerin insofern angeführte Eigentumsübergang nach § 11 Abs. 1 HintG, der nicht unmittelbar an den Erlass der Annahmeanordnung, sondern an die tatsächliche Bewirkung der Hinterlegung auf Grundlage einer solchen Anordnung anknüpft (vgl. Bülow/Schmidt, HinterlO 4. Aufl. § 7 Rn. 2), überhaupt die Befugnis nach § 24 Abs. 1 EGGVG begründen kann, eine Annahmeanordnung anzugreifen. Die Antragstellerin hat weder einen Sachverhalt vorgetragen noch ist ein solcher erkennbar, der dazu führen würde, dass der Antragsgegner gemäß § 11 Abs. 1 HintG Eigentum an dem hinterlegten Geld erworben hätte. Denn dies würde voraussetzen, dass der Hinterleger den Betrag nicht an die Hinterlegungskasse überwiesen (vgl. § 10 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 HintG), sondern Bargeld hinterlegt hat (vgl. Bülow/Schmidt aaO § 7 Rn. 4, § 8 Rn. 4; BeckOGK/Ulrici, BGB § 372 Rn. 137.1 [Stand: 1. Juli 2018]; MünchKomm-BGB/Grothe, 7. Aufl. § 233 Rn. 1; Staudinger/Repgen, (2014) BGB § 233 Rn. 2), was die Antragstellerin weder behauptet hat noch sonst ersichtlich ist. Aber selbst wenn der Hinterleger Bargeld eingezahlt haben sollte, käme die Beeinträchtigung eines dinglichen Rechts der Antragstellerin durch den dann gemäß § 11 Abs. 1 HintG eingetretenen Eigentumsübergang nur in Betracht, wenn das Recht vor der Hinterlegung an denselben Geldscheinen und -münzen bestanden hätte, die hinterlegt wurden. Auch hierzu ist nichts vorgetragen oder ersichtlich.

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c) Sofern die Antragstellerin zur Begründung der Antragsbefugnis wirtschaftliche Nachteile anführt, die aufgrund der bewirkten Hinterlegung zukünftig eintreten könnten, kann sie damit keinen Erfolg haben. § 24 Abs. 1 EGGVG verlangt die Geltendmachung einer Rechtsverletzung.

Mayen     

        

Felsch     

        

Harsdorf-Gebhardt

        

Lehmann     

        

Dr. Götz