Entscheidungsdatum: 12.03.2015
1. Die Unwirksamkeit der Zustellung an eine prozessunfähige Person (§ 170 Abs. 1 Satz 2 ZPO) kann gemäß § 189 ZPO dadurch geheilt werden, dass das zuzustellende Schriftstück dem gesetzlichen Vertreter der prozessunfähigen Person tatsächlich zugeht.
2. § 167 ZPO erfasst auch die erst durch eine - insgesamt noch "demnächst" erfolgende - Heilung wirksam gewordene Zustellung.
Die Revision der Beklagten gegen den Beschluss des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 11. Juni 2014 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsrechtszugs hat die Beklagte zu tragen.
Von Rechts wegen
Die Klägerin ist Trägerin des S. Hospitals in L. . Sie verlangt - soweit im Revisionsverfahren noch von Interesse - von der Beklagten gemäß Rechnung vom 13. September 2005 die Zahlung von Entgelt für eine stationäre Behandlung in der Zeit vom 14. Juli bis 2. September 2005 in Höhe von 32.846,81 €.
Am 15. Juli 2005 wurde die Beklagte wegen einer perforierten Divertikulitis im Krankenhaus der Klägerin operiert. Am 17. Juli 2005 erlitt die Beklagte einen Herz-Kreislauf-Stillstand. Sie konnte zwar reanimiert werden, allerdings verblieb ein hypoxischer Hirnschaden im Sinne eines apallischen Syndroms mit der Folge, dass die Beklagte seitdem im Wachkoma liegt und keine Kommunikation aufnehmen kann. Mit Beschluss des Amtsgerichts L. vom 9. August 2005 wurde der Ehemann der Beklagten zu deren Betreuer bestellt.
Auf ihren am 22. Dezember 2008 bei dem Amtsgericht U. - Zentrales Mahngericht - eingegangenen Antrag hat die Klägerin am 23. Dezember 2008 einen Mahnbescheid gegen die Beklagte erwirkt. Der Mahnbescheid und seine Zustellung richteten sich an die Beklagte persönlich. Er wurde am 30. Dezember 2008 von dem Zusteller in den Briefkasten eingeworfen, der zu der von dem Ehemann und früher - vor ihrer Aufnahme in ein Pflegeheim im September 2005 - auch von der Beklagten genutzten Wohnung gehört. Der Ehemann und Betreuer der Beklagten fand den Mahnbescheid am 3. oder 4. Januar 2009 in der Post vor. Er öffnete den Umschlag und legte sodann Widerspruch gegen den Mahnbescheid ein.
Die Beklagte hat sich auf die Einrede der Verjährung berufen und hierzu ausgeführt, dass die am 31. Dezember 2008 endende Verjährungsfrist nicht gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 3 BGB, § 167 ZPO durch Zustellung des Mahnbescheids gehemmt worden sei, weil diese Zustellung gemäß § 170 Abs. 1 Satz 2 ZPO unwirksam sei und dieser Mangel nicht gemäß § 189 ZPO geheilt werden könne. Die Klägerin meint hingegen, der Zustellungsmangel sei durch den tatsächlichen Zugang des Mahnbescheids beim Betreuer der Beklagten geheilt worden mit der Folge, dass die Verjährungsfrist rechtzeitig vor ihrem Ablauf gehemmt worden sei.
Das Landgericht hat antragsgemäß ein Versäumnisurteil gegen die Beklagte erlassen. Hiergegen hat die Beklagte rechtzeitig Einspruch eingelegt. Im weiteren Prozessverlauf hat die Beklagte unter dem Vorwurf fehlerhafter ärztlicher Behandlung Widerklage auf Schadensersatz und Schmerzensgeld erhoben. Nach Beweisaufnahme hat das Landgericht das Versäumnisurteil hinsichtlich der Forderung aus der Rechnung vom 13. September 2005 über 32.846,81 € (nebst Zinsen) aufrechterhalten, das weitergehende Versäumnisurteil unter teilweiser Abweisung der Klage aufgehoben und die Widerklage abgewiesen. Gegen dieses Urteil hat die Beklagte mit dem Ziel der vollständigen Klageabweisung - also beschränkt auf ihre Verurteilung zur Bezahlung der Rechnung vom 13. September 2005 über 32.846,81 € nebst Zinsen - Berufung eingelegt. Das Oberlandesgericht hat die Berufung gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO durch Beschluss zurückgewiesen. Mit ihrer vom erkennenden Senat zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Klageabweisungsbegehren weiter.
Die zulässige Revision bleibt in der Sache ohne Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht hat die Einrede der Verjährung für nicht durchgreifend erachtet und hierzu ausgeführt:
Die Verjährung sei gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 3 BGB durch Zustellung des Mahnbescheids gehemmt worden. Zwar sei die Zustellung an die Beklagte persönlich gemäß § 170 Abs. 1 Satz 2 ZPO unwirksam gewesen. Dieser Zustellungsmangel sei jedoch dadurch geheilt worden, dass der Mahnbescheid dem gesetzlichen Vertreter der Beklagten, ihrem Ehemann und Betreuer, am 3. oder 4. Januar 2009 zugegangen sei (§ 189 ZPO). Gemäß § 167 ZPO wirke die Zustellung auf den Zeitpunkt des Eingangs des Mahnantrags beim Amtsgericht zurück.
§ 189 ZPO sei auch auf den Fall der Zustellung an eine prozessunfähige Person anwendbar. Dies ergebe sich aus dem Wortlaut von § 189 ZPO. Danach bestehe die Möglichkeit einer Heilung auch für den Fall, dass das zuzustellende Schriftstück der Person zugehe, "an die die Zustellung dem Gesetz gemäß gerichtet werden konnte" (§ 189 Alt. 2 ZPO), die also nicht der Adressat des Schriftstücks gewesen sei. Aus der Gesetzesbegründung ergebe sich kein Anhalt dafür, dass § 189 ZPO im Fall des § 170 Abs. 1 Satz 2 ZPO keine Anwendung finden solle. Vielmehr komme darin zum Ausdruck, dass § 189 ZPO nicht restriktiv, sondern weit auszulegen sei. Dies stehe auch mit dem dem Zustellungsreformgesetz zu Grunde liegenden Gedanken der Vereinfachung und "Entförmlichung" des Zustellungsrechts im Einklang. Die Schutzinteressen der prozessunfähigen Partei seien ausreichend gewahrt, wenn ihr gesetzlicher Vertreter das zuzustellende Schriftstück in Empfang und zur Kenntnis nehme; etwaige Fristen begännen erst ab diesem Zeitpunkt zu laufen. Die Warnfunktion der Zustellung sei nicht geringer, wenn der gesetzliche Vertreter einer prozessunfähigen Person ein Schriftstück entgegennehme, das nicht an ihn, sondern an die prozessunfähige Person adressiert sei. Der gesetzliche Vertreter wisse auch in diesem Fall, dass er für die von ihm vertretene Person handeln müsse; er dürfe die Zustellung nicht für unwirksam und unbeachtlich halten.
§ 167 ZPO sei ebenfalls anwendbar. Diese Norm differenziere nicht zwischen Zustellungen, die von vornherein ordnungsgemäß seien, und solchen, die nachträglich geheilt würden. Durch die Heilung eines Zustellungsmangels werde dieser ausgeräumt und die Wirkungen der Zustellung träten ein.
II.
Diese Beurteilung hält der rechtlichen Nachprüfung stand. Das Berufungsgericht hat eine Verjährung der Klageforderung zu Recht verneint. Die am 31. Dezember 2008 endende Verjährungsfrist (§§ 195, 199 Abs. 1 BGB) ist durch die auf den Eingang des Mahnantrags am 22. Dezember 2008 zurück wirkende Zustellung des Mahnbescheids vom 23. Dezember 2008 rechtzeitig gehemmt worden (§ 204 Abs. 1 Nr. 3 BGB, §§ 167, 189 ZPO).
1. Die Beklagte ist prozessunfähig (§ 52 ZPO, § 104 Nr. 2 BGB) mit der Folge, dass die an sie gerichtete Zustellung des Mahnbescheids gemäß § 170 Abs. 1 Satz 2 ZPO unwirksam gewesen ist. Ob ein solcher Mangel gemäß § 189 ZPO dadurch geheilt werden kann, dass der Mahnbescheid dem gesetzlichen Vertreter (hier: dem Betreuer) tatsächlich zugeht, ist umstritten.
a) Eine Heilung gemäß § 189 ZPO für möglich halten das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (Beschluss vom 22. August 2014 - L 13 SB 97/14, juris Rn. 14 ff) und Teile des Schrifttums (Zöller/Stöber, ZPO, 30. Aufl., § 189 Rn. 5, 6; Stein/Jonas/Roth, ZPO, 22. Aufl., § 170 Rn. 12; so wohl auch Musielak/Wittschier, ZPO, 11. Aufl., § 189 Rn. 3; unklar MüKoZPO/Häublein, 4. Aufl., § 170 Rn. 4, 5 und § 189 Rn. 7, 8). Ein anderer Teil des Schrifttums verneint demgegenüber eine Heilungsmöglichkeit nach § 189 ZPO (Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO, 35. Aufl., § 170 Rn. 3; Hk-ZPO/Eichele, 6. Aufl., §170 Rn. 1; BeckOK-ZPO/Dörndorfer, Stand 15. September 2014, § 170 Rn. 3; PG/Tombrink/Kessen, ZPO, 6. Aufl., § 170 Rn. 3).
b) Der erkennende Senat schließt sich in Übereinstimmung mit dem Berufungsgericht der erstgenannten Auffassung an.
aa) Für diese Ansicht sprechen zunächst der Wortlaut und die Systematik von § 189 ZPO. Danach ergibt sich kein Anhalt für eine Einschränkung der Heilungsmöglichkeit, insbesondere nicht für einen Ausschluss der Anwendbarkeit auf die Unwirksamkeit der Zustellung an eine prozessunfähige Person gemäß § 170 Abs. 1 Satz 2 ZPO. Dass § 170 Abs. 1 Satz 2 ZPO die Unwirksamkeit ausdrücklich anordnet, hat lediglich klarstellenden Charakter (s. Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Zustellungsreformgesetz, BT-Drucks. 14/4554, S. 17; so auch LSG NRW aaO Rn. 16). Das Berufungsgericht weist ferner zutreffend darauf hin, dass eine Heilung gemäß § 189 Alt. 2 ZPO auch dann eintreten kann, wenn der Empfänger des zuzustellenden Schriftstücks (s. § 182 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) nicht mit der Person identisch ist, die auf dem Schriftstück beziehungsweise dessen Umschlag als Adressat der Zustellung angegeben ist (s. § 182 Abs. 2 Nr. 1 ZPO), sofern die Zustellung nach den gesetzlichen Bestimmungen an den tatsächlichen Empfänger hätte gerichtet werden können (oder sogar, wie hier, hätte gerichtet werden müssen).
bb) Hinzu treten Erwägungen des Gesetzgebers und der Zweck der in Frage stehenden Vorschriften.
§ 189 ZPO soll nach der Regelungsabsicht des Gesetzgebers für jede Zustellung gelten (s. Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Zustellungsreformgesetz aaO S. 25; s. auch LSG NRW aaO). Dieser Norm liegt das Prinzip der Zweckerreichung zugrunde. Gelangt das zuzustellende Schriftstück zum richtigen Empfänger, so hat die Zustellung - mit Wirkung ex nunc - ihren Zweck erfüllt. Wollte man der Zustellung in diesem Falle gleichwohl die Wirksamkeit (durch Heilung) versagen, so wäre dies eine unnötige Förmelei. Vor diesem Hintergrund ist § 189 ZPO weit auszulegen (s. dazu etwa BGH, Urteil vom 27. Januar 2011 - VII ZR 186/09, BGHZ 188, 128, 144 Rn. 47 mwN; Stein/Jonas/Roth aaO § 189 Rn. 1; MüKoZPO/Häublein aaO § 189 Rn. 1 mwN in dortiger Fn. 3).
Die besondere Schutzbedürftigkeit der prozessunfähigen Person steht der Heilungsmöglichkeit nach § 189 ZPO nicht entgegen. Zu Recht hat das Berufungsgericht ausgeführt, dass der gesetzliche Vertreter, der eine an die von ihm vertretene prozessunfähige Person gerichtete Sendung erhält, hierauf in aller Regel nicht anders reagiert als auf ein Schriftstück, das an ihn in seiner Eigenschaft als gesetzlicher Vertreter der prozessunfähigen Person adressiert ist. In beiden Fällen erkennt er, dass die Sendung der Sache nach die prozessunfähige Person betrifft und er als ihr gesetzlicher Vertreter gehalten ist, den Inhalt des Schriftstücks zur Kenntnis zu nehmen und die danach gebotenen Maßnahmen zu ergreifen.
2. Zutreffend hat das Berufungsgericht auch die Rückwirkung des tatsächlichen Zugangs des Mahnbescheids beim Betreuer der Klägerin (spätestens) am 4. Januar 2009 auf den Zeitpunkt der Einreichung des Mahnantrags am 22. Dezember 2008 gemäß § 167 ZPO bejaht. § 167 ZPO erfasst auch die erst durch eine (insgesamt noch "demnächst" erfolgende) Heilung wirksam gewordene Zustellung (s. etwa Thomas/Putzo/Hüßtege aaO § 167 Rn. 9; Zöller/Greger, aaO § 167 Rn. 16; Stein/Jonas/Roth aaO § 167 Rn. 17), da die Fiktion des § 189 ZPO sämtliche Rechtsfolgen einer wirksamen Zustellung herbeiführt (vgl. PG/Tombrink/Kessen aaO § 189 Rn. 6).
Schlick Herrmann Seiters
Remmert Reiter