Entscheidungsdatum: 22.09.2011
NV: Bei der Grenzbetragsprüfung sind von den Einkünften und Bezügen des Kindes weder die aus dessen Arbeitslohn erbrachten Sparbeiträge noch die Arbeitgeberbeiträge zu den vermögenswirksamen Leistungen abzuziehen.
I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) bezog fortlaufend Kindergeld für ihre am … September 1988 geborene Tochter, die sich im gesamten Jahr 2006 in Berufsausbildung befand. Die Beklagte und Revisionsbeklagte (Familienkasse) hob die Kindergeldfestsetzung ab Oktober 2006 wegen Überschreitung des Grenzbetrages auf. Der Einspruch blieb ohne Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab, weil die anzurechnenden Einkünfte der im September 2006 volljährig gewordenen Tochter in den Monaten Oktober bis Dezember 2006 über dem anteiligen Grenzbetrag von 1.920 € gelegen hätten. In den vom FG mit 1.999,31 € ermittelten Einkünften waren 120 € vermögenswirksame Leistungen des Arbeitgebers enthalten (40 € pro Monat).
Zur Begründung ihrer Revision trägt die Klägerin vor, die Arbeitgeberbeiträge zur Vermögensbildung im Sinne des Fünften Vermögensbildungsgesetzes (5. VermBG) könnten die Eltern nicht entlasten, da das Kind während der Sperrzeit des Sparvertrages über diese "eingefrorenen" Leistungen nicht verfügen und sie daher nicht zur Bestreitung des Lebensunterhaltes verwenden könne (Hinweis auf Helmke in Helmke/Bauer, Familienleistungsausgleich, Fach A, I. Kommentierung, § 32 EStG Rz 91). Bei den Arbeitgeberbeiträgen handele es sich auch nicht wie bei den freiwilligen Beiträgen des Kindes um Einkommensverwendung. Zwar beruhe der Abschluss des Sparvertrages auf einer freien Willensentscheidung des Kindes, ohne den Abschluss des Sparvertrages stünden ihm aber keine Arbeitgeberbeiträge zu. Die Arbeitgeberbeiträge zur Vermögensbildung beeinflussten somit die Höhe der zur Bestreitung des Lebensunterhaltes zur Verfügung stehenden Mittel nicht. Aus diesem Grunde blieben vermögenswirksame Leistungen bei der Bemessung des Unterhaltsanspruchs nach dem Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 13. April 2005 XII ZR 273/02 (BGHZ 162, 384, unter II.3. der Entscheidungsgründe) unberücksichtigt.
Die Klägerin beantragt sinngemäß, das FG-Urteil, den Aufhebungsbescheid und die Einspruchsentscheidung aufzuheben.
Die Familienkasse beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
II. Die Revision ist unbegründet und zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
1. Nach § 32 Abs. 4 Satz 2, § 63 Abs. 1 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes in der im Streitzeitraum geltenden Fassung (EStG) wird im Streitjahr 2006 ein Kind --wie vorliegend die Tochter der Klägerin-- zwischen der Vollendung des 18. und des 27. Lebensjahres für die Festsetzung von Kindergeld nur dann berücksichtigt, wenn es zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmte oder geeignete Einkünfte und Bezüge von nicht mehr als 7.680 € im Kalenderjahr hat.
a) Der Begriff der Einkünfte entspricht dem in § 2 Abs. 2 EStG gesetzlich definierten Begriff und ist je nach Einkunftsart als Gewinn oder als Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten zu verstehen. Erzielt das Kind Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, sind daher von den Bruttoeinnahmen die Werbungskosten abzuziehen (Senatsurteil vom 9. Juni 2011 III R 28/09, BFHE 234, 149, BFH/NV 2011, 1597).
b) Nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 11. Januar 2005 2 BvR 167/02 (BVerfGE 112, 164, BFH/NV 2005, Beilage 3, 260) ist § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG verfassungskonform dahin auszulegen, dass sich der Relativsatz "die zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmt oder geeignet sind" nicht nur auf Bezüge, sondern auch auf Einkünfte des Kindes bezieht. Nicht als Einkünfte anzusetzen sind deshalb Beträge, die --wie die gesetzlichen Sozialversicherungsbeiträge-- dem Einkünfte erzielenden Kind oder dessen Eltern nicht zur Verfügung stehen und deshalb die Eltern finanziell nicht entlasten können (Senatsurteile vom 14. Dezember 2006 III R 24/06, BFHE 216, 225, BStBl II 2007, 530 --Beiträge eines beihilfeberechtigten Kindes für eine private Kranken- und Pflegeversicherung--; vom 26. September 2007 III R 4/07, BFHE 219, 112, BStBl II 2008, 738 --Lohnsteuer, Kirchensteuer, Beiträge zu einer privaten Zusatzkrankenversicherung und einer privaten Rentenversicherung--).
2. Vermögenswirksame Leistungen sind Geldleistungen, die der Arbeitgeber --hier der Ausbildungsbetrieb-- für den Arbeitnehmer anlegt (§ 2 Abs. 1 5. VermBG); sie sind insgesamt, d.h. auch soweit sie auf einem vom Arbeitgeber zusätzlich zum an sich geschuldeten Lohn gezahlten Zuschuss beruhen (§ 10 5. VermBG), arbeitsrechtlich Bestandteil des Lohns oder Gehalts, gehören gemäß § 2 Abs. 6 Satz 1 5. VermBG im Sinne der Sozialversicherung und des Dritten Buches Sozialgesetzbuch zum Arbeitsentgelt und steuerrechtlich zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit (§ 19 EStG).
a) Zwischen den Beteiligten ist zu Recht unstreitig, dass die Einkünfte und Bezüge im Hinblick auf § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG nicht um Sparbeiträge zu kürzen sind, die aus dem Arbeitslohn des Kindes erbracht werden (§ 11 5. VermBG). Denn es besteht weder eine gesetzliche Verpflichtung zum vermögenswirksamen Sparen noch ist dieses für eine der gesetzlichen Sozialversicherung entsprechende existentielle Absicherung erforderlich (z.B. Senatsurteil in BFHE 216, 225, BStBl II 2007, 530). Für die Entscheidung, ob Einkünfte dem Kind von Gesetzes wegen nicht zur Verfügung stehen, ist maßgeblich, ob sich das Kind der Zahlung aufgrund einer gesetzlichen Verpflichtung nicht entziehen kann und nicht, ob die Beträge vom Arbeitgeber einzubehalten sind (Senatsurteil vom 17. Juni 2010 III R 63/09, BFH/NV 2010, 2047 --Beiträge zur VBL-Pflichtversicherung--).
b) Das FG hat die bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit zu erfassenden Arbeitgeberbeiträge zu Recht in die Bemessungsgröße für den Jahresgrenzbetrag (§ 32 Abs. 4 Satz 2 EStG) einbezogen.
aa) Ungeachtet der sich aus dem 5. VermBG oder dem Anlagevertrag ergebenden Sperrfrist ist es nicht im Sinne des BVerfG-Beschlusses in BVerfGE 112, 164, BFH/NV 2005, Beilage 3, 260 ausgeschlossen, dass die Arbeitgeberbeiträge für Unterhalt und Ausbildung des Kindes verwendet werden können und deshalb die Eltern finanziell entlasten. Denn die Arbeitgeberbeiträge fließen dem Kind aufgrund seiner --freiwilligen-- Entscheidung zum vermögenswirksamen Sparen zu und werden nicht aufgrund gesetzlicher Verpflichtung abgezogen.
Würden die Arbeitgeberbeiträge wegen der Sperrfrist nicht in die Bemessungsgröße für den Jahresgrenzbetrag einbezogen, so entstünde zudem eine mit Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes nicht zu vereinbarende Ungleichbehandlung mit den Fällen, in denen Kinder keinen Arbeitgeberbeitrag, aber dafür eine entsprechend höhere Ausbildungsvergütung erhalten und aufgrund eines Anlagevertrages mit einer vereinbarten Sperrfrist monatlich denselben Betrag sparen, wie er für die Tochter der Klägerin aus ihrem Arbeitslohn zuzüglich des Arbeitgeberbeitrags abgeführt wird. Denn bei diesen Kindern könnte der gesamte Sparbeitrag im Rahmen der Prüfung, ob die Einkünfte und Bezüge den Jahresgrenzbetrag überschreiten, nicht abgezogen werden (vgl. Senatsurteile in BFHE 219, 112, BStBl II 2008, 738 --private Rentenversicherung--; vom 17. Juni 2010 III R 59/09, BFHE 230, 142, BStBl II 2011, 121 --VBL-Beiträge--). Die Tochter der Klägerin hat sich demgegenüber für ein durch zusätzliche Arbeitgeberbeiträge gefördertes vermögenswirksames Sparen entschieden, das sie als insgesamt vorteilhaft beurteilt hat.
bb) Die vom Arbeitgeber zusätzlich zu dem ansonsten geschuldeten Lohn erbrachten vermögenswirksamen Leistungen sind im Übrigen zwar --wie auch die Sparbeiträge des Arbeitnehmers-- insofern "eingefroren", als der Arbeitnehmer verpflichtet ist, bis zum Ablauf der Sperrfrist nicht über die Anlage zu verfügen (z.B. § 4 Abs. 2, § 8 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 5. VermBG). Diese Verpflichtung entfällt aber unter besonderen Voraussetzungen wie z.B. einer Eheschließung, einer mehr als ein Jahr andauernden Arbeitslosigkeit oder einer Verwendung des Erlöses für die eigene Weiterbildung (z.B. § 4 Abs. 4, § 8 Abs. 3 5. VermBG). Durch die Sperrfrist wird zudem die Kündigung des Vertrages und die Verfügung über das Guthaben nicht ausgeschlossen; die vorzeitige Kündigung lässt lediglich den Anspruch auf Gewährung der Arbeitnehmer-Sparzulage entfallen (§ 13 Abs. 4, § 14 Abs. 5 5. VermBG). Daher ist es möglich, den Sparvertrag zu kündigen und die vermögenswirksamen Leistungen einschließlich der Arbeitgeberbeiträge für den Unterhalt und die Berufsausbildung des Einkünfte erzielenden Kindes zu verwenden.
cc) Dem steht das BGH-Urteil in BGHZ 162, 384 nicht entgegen, wonach Zusatzleistungen des Arbeitgebers wegen ihrer Zweckgebundenheit für die Vermögensanlage bei der Unterhaltsbemessung anrechnungsfrei bleiben. Denn dies beruht auf besonderen Wertungen des Unterhaltsrechts, aufgrund derer z.B. auch aus überobligatorischer Tätigkeit erzielte oder die Lebensverhältnisse nicht prägende Einkünfte unberücksichtigt bleiben können, und die sich auf § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG nicht übertragen lassen.
3. Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Einkünfte und Bezüge der Tochter nur für die Monate Oktober bis Dezember 2006 anzusetzen sind, weil sie das 18. Lebensjahr im September 2006 vollendet hatte. Der für das Jahr 2006 geltende Jahresgrenzbetrag von 7.680 € ermäßigt sich daher um 9/12 (§ 32 Abs. 4 Satz 6 EStG). Da die Arbeitgeberbeiträge zum vermögenswirksamen Sparen als Einkünfte zu berücksichtigen sind, überschreiten die Einkünfte und Bezüge den anteiligen Grenzbetrag von 1.920 €.