Entscheidungsdatum: 09.03.2016
1. NV: Macht der Steuergläubiger Forderungen auf Steuern oder steuerliche Nebenleistungen gegen die Insolvenzmasse geltend (im Streitfall wegen Einkommen- und Gewerbesteuer), ist ein insoweit geführter finanzgerichtlicher Rechtsstreit auch dann nicht als Aktivprozess zu qualifizieren, wenn es dem Insolvenzschuldner darum geht, die aus seiner Sicht überhöhten Abgabenforderungen zu reduzieren und dadurch die Insolvenzmasse zu vergrößern .
2. NV: Hat der Insolvenzschuldner im Prüfungstermin den zur Insolvenztabelle angemeldeten Abgabenforderungen nicht widersprochen, kann er auch aus der vom Insolvenzverwalter ausgesprochenen Anerkennung dieser Forderungen keine Befugnis ableiten, den durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens unterbrochenen Passivprozess selbst fortzuführen. Durch die gemäß § 201 Abs. 2 InsO nach Verfahrensaufhebung auch gegenüber dem Insolvenzschuldner eintretende Vollstreckbarkeit des Tabellenauszugs fehlt ihm hierzu jedenfalls das Rechtsschutzbedürfnis .
Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Finanzgerichts München vom 29. Juli 2015 15 K 766/15 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Kläger zu tragen.
I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) wandte sich mit seiner durch Schriftsatz vom 25. August 2002 erhobenen Klage gegen die vom Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt --FA--) hinsichtlich der Einkommensteuer 1993 und 1995, gesonderten Feststellung des Verlusts nach § 10d Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes zum 31. Dezember 1996 und 31. Dezember 1997, Zinsen zur Einkommensteuer 1993, 1994 und 1995, des Solidaritätszuschlags 1995 und des Gewerbesteuermessbetrags 1993, 1994, 1995 und 1996 erlassenen Bescheide. Er machte geltend, das FA habe unrichtige Besteuerungsgrundlagen zugrunde gelegt und die Steuern und steuerlichen Nebenleistungen in unzutreffender Höhe festgesetzt.
Durch Beschluss des zuständigen Amtsgerichts vom XX. Oktober 2006 wurde über das Vermögen des Klägers das Insolvenzverfahren eröffnet und ein Insolvenzverwalter bestellt. Das FA und die zur Erhebung der Gewerbesteuer zuständige Kommune meldeten am 17. November 2006 ihre Forderungen zur Insolvenztabelle an. Nachdem diesen Anmeldungen im Prüfungstermin weder der Insolvenzverwalter noch der Insolvenzschuldner oder ein anderer Insolvenzgläubiger widersprachen, wurden die Forderungen zur Insolvenztabelle festgestellt. Der Insolvenzverwalter verzichtete mit Schreiben vom 21. Oktober 2009 auf sein Recht, die Rechtsstreite zu führen oder ihre Aufnahme abzulehnen. Das Insolvenzverfahren dauert weiter an.
Mit Schreiben vom 9. Januar 2015 widersprach der Kläger gegenüber dem Insolvenzverwalter der Anmeldung der streitigen Steuerforderungen zur Insolvenztabelle.
Das Finanzgericht (FG) wies den Kläger mit Beschluss vom 29. Juli 2015 aus dem Prozess.
Mit der hiergegen gerichteten Beschwerde macht der Kläger geltend, es handele sich entgegen der Annahme des FG um einen Aktivprozess. Selbst bei Annahme eines Passivprozesses folge seine Aufnahmebefugnis daraus, dass der Insolvenzverwalter die betreffenden Forderungen durch seine Anerkennung aus der Insolvenzmasse freigegeben habe. Schließlich macht er geltend, eine fehlende Aufnahmebefugnis verletze ihn in seinem Recht auf rechtliches Gehör.
II. Die Beschwerde ist unbegründet und daher gemäß § 132 der Finanzgerichtsordnung (FGO) durch Beschluss zurückzuweisen.
1. Das FG ist zu Recht davon ausgegangen, dass dem Kläger nach § 85 Abs. 2 der Insolvenzordnung (InsO) keine Befugnis zusteht, den Rechtsstreit aufzunehmen.
Wird ein finanzgerichtliches Verfahren nach § 155 FGO i.V.m. § 240 der Zivilprozessordnung wegen Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Klägers unterbrochen, kann der Kläger das Verfahren nach § 85 Abs. 2 InsO nur aufnehmen, wenn es sich um einen Aktivprozess handelt (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 7. März 2006 VII R 11/05, BFHE 212, 11, BStBl II 2006, 573; Senatsurteil vom 23. Juni 2015 III R 26/12, BFH/NV 2016, 65).
Ob ein Aktivprozess vorliegt, bestimmt sich dabei nicht nach der formellen Parteirolle, sondern allein danach, ob in dem anhängigen Rechtsstreit über eine Pflicht zu einer Leistung gestritten wird, die in die Masse zu gelangen hat (BFH-Urteil in BFHE 212, 11, BStBl II 2006, 573; BFH-Beschluss vom 2. Juli 2009 X S 4/08 (PKH), BFH/NV 2009, 1660).
Im Streitfall machen das FA und die Stadtkasse nach den Feststellungen des FG Forderungen auf Steuern und steuerliche Nebenleistungen gegen die Insolvenzmasse geltend. Dem steht das Vorbringen des Klägers nicht entgegen, wonach es ihm darum gehe, die überhöhten Abgabenforderungen zu reduzieren und damit die zu verteilende Masse zu Gunsten der übrigen Insolvenzgläubiger zu vergrößern. Denn auch insoweit wird über eine Pflicht zu einer Leistung aus der Masse (Passivprozess) und nicht über eine Pflicht zur Leistung in die Masse (Aktivprozess) gestritten.
Entgegen der Ansicht des Klägers folgt aus der Ansicht des FG auch nicht, dass selbst der Insolvenzverwalter im Fall seines Bestreitens der Forderung keine Möglichkeit hätte, seinen Widerspruch durch Aufnahme des Prozesses zu verfolgen. Zwar führt der Kläger zu Recht aus, dass in diesem Fall § 86 InsO mangels Geltendmachung von Aussonderungs- und Absonderungsrechten oder Masseverbindlichkeiten nicht einschlägig ist (s.a. Jatzke in Hübschmann/Hepp/Spitaler --HHSp--, § 251 AO Rz 179). Diese Vorschrift erfasst jedoch nur einen Teilbereich der Passivprozesse. Macht das Finanzamt gegen den Schuldner einen Steuer- oder Haftungsanspruch als Insolvenzforderung geltend, richtet sich die Aufnahme eines solchen Passivprozesses nach den §§ 87 i.V.m. 180 Abs. 2 InsO (Uhlenbruck/Mock, Insolvenzordnung, 14. Aufl., § 86 Rz 5; Jatzke in HHSp, § 251 AO Rz 180). Hat der Insolvenzverwalter im Prüfungstermin der angemeldeten Forderung widersprochen, räumt das Gesetz nicht nur dem FA (§ 179 Abs. 1, § 180 Abs. 2 InsO), sondern auch dem Insolvenzverwalter (§ 179 Abs. 2, § 180 Abs. 2 InsO) eine Befugnis zur Aufnahme des Rechtsstreits ein (BFH-Urteil in BFHE 212, 11, BStBl II 2006, 573).
2. Dahingestellt bleiben kann, ob der Insolvenzverwalter mit der Anerkennung der Forderung eine Freigabe mit der Folge bewirken konnte, dass der Kläger selbst die Befugnis erlangt, den Prozess hinsichtlich der Forderung fortzuführen. Denn im vorliegenden Fall hat auch der Kläger selbst im Prüfungstermin der Forderung nicht widersprochen. Dies hat nach § 201 Abs. 2 Satz 1 InsO zur Folge, dass der Steuergläubiger nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens aus der Eintragung in der Tabelle wie aus einem vollstreckbaren Urteil gegen den Kläger die Zwangsvollstreckung betreiben kann. Damit fehlte dem Kläger aber jedenfalls das Rechtsschutzbedürfnis für die Fortführung des Verfahrens.
3. Schließlich verletzt die Entscheidung des FG auch nicht das Recht des Klägers auf rechtliches Gehör. Ein Anspruch auf rechtliches Gehör wird nur dem Beteiligten eines Verfahrens eingeräumt (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes; § 96 Abs. 2 FGO). Der Kläger hat mit der Insolvenzeröffnung aber die Prozessführungsbefugnis und Beteiligtenrolle verloren. Diese ist nach § 80 Abs. 1 InsO auf den Insolvenzverwalter übergegangen. Damit nimmt der Insolvenzverwalter ab dem Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung auch die dem Kläger zustehenden Verfahrensrechte wahr (BFH-Beschluss vom 30. April 2008 X S 14/07 (PKH), BFH/NV 2008, 1351, m.w.N.).
Entgegen der Ansicht des Klägers ergibt sich auch aus § 178 Abs. 1 Satz 2 InsO nichts anderes. Sein Widerspruch hätte zwar nicht die Feststellung zur Tabelle, jedoch die Rechtsfolge des § 201 Abs. 2 Satz 1 InsO gehindert, sofern der Widerspruch nicht beseitigt wurde (§ 201 Abs. 2 Satz 2 InsO).
4. Mangels Prozessführungsbefugnis hat das FG den Kläger zu Recht aus dem Prozess gewiesen (BFH-Urteil in BFHE 212, 11, BStBl II 2006, 573, m.w.N.).
5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 143 Abs. 1 i.V.m. § 135 Abs. 2 FGO.