Entscheidungsdatum: 20.09.2011
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 19. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 30. November 2009 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Die Beklagte, eine Privatbank, beteiligte sich im Jahr 2000 mit einem Anteil von rund 8,5 Mio. € an der Fondsgesellschaft „W. V. II GmbH & Co. KG“. Sie räumte der Klägerin im Frühjahr 2000 eine Unterbeteiligung in Höhe von 100.000 € ein. Zu diesem Zweck vereinbarten die Parteien in § 1 des Unterbeteiligungsvertrags eine Innengesellschaft bürgerlichen Rechts; die Klägerin erwarb keine Mitberechtigung an der Hauptbeteiligung, sondern nur schuldrechtliche Ansprüche aus dem Vertrag mit der Beklagten. In § 3 des Vertrags verpflichtete sich die Klägerin, zuzüglich zu der Einlage in Höhe von 100.000 € ein Agio in Höhe von 5 % zu leisten, das der Aufbringung des Agios für die Hauptbeteiligung dienen sollte.
Die Unterbeteiligung der Klägerin war auf Empfehlung des Grafen S. zustande gekommen, der die Klägerin seinerzeit in Geldanlagen beriet und der zugleich Geschäftsbeziehungen zu der Beklagten unterhielt. Graf S. stand auch mit weiteren Anlegerinnen in Verbindung, die bei der Beklagten eine Unterbeteiligung an dem genannten Fonds erwarben. Am 31. März 2000 überwies ihm die Beklagte 40.000,01 DM (20.451,68 €) als „Bonifikation bezüglich Ihrer Vermittlungstätigkeit V. II Zeichnungen“. Hierüber klärte sie die Klägerin nicht auf. Noch vor der eigenen Unterzeichnung des Unterbeteiligungsvertrages am 24. Mai 2000 erhielt die Beklagte von der Fondsgesellschaft eine Vergütung in Höhe von ca. 4 % des Beteiligungsbetrages. Auch dies teilte sie der Klägerin nicht mit.
Die Klägerin überließ Graf S. den Beteiligungsbetrag zuzüglich Agio in Höhe von insgesamt 105.000 € zur Weiterleitung an die Beklagte. Die Beklagte forderte den Betrag, wie in § 3 des Unterbeteiligungsvertrages optional vorgesehen, erst nach und nach in Teilbeträgen ein, wobei sie ihre Kapitalabrufe an Graf S. richtete, ohne die Klägerin darüber zu informieren. Graf S. kam den Kapitalabrufen nur teilweise nach. Am 16. November 2004 beging er Selbstmord. Der Insolvenzverwalter über seinen Nachlass zahlte am 13. September 2007 an die Klägerin 5.311,86 €.
Das Landgericht hat der Klägerin Schadensersatz in Höhe des Anlagebetrages samt Agio abzüglich der geleisteten Zahlung Zug um Zug gegen Rückübertragung der Ansprüche aus der Unterbeteiligung sowie außergerichtliche Rechtsverfolgungskosten zugesprochen. Die Berufung der Beklagten hat zu einer Abänderung der erstinstanzlichen Kostenentscheidung geführt und ist im Übrigen ohne Erfolg geblieben. Dagegen richtet sich die vom erkennenden Senat zugelassene Revision der Beklagten, mit der sie ihren Klageabweisungsantrag weiterverfolgt.
Die Revision der Beklagten hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
Der Klägerin stehe gegen die Beklagte ein auf Rückabwicklung der Unterbeteiligung gerichteter Schadensersatzanspruch nach den Grundsätzen der culpa in contrahendo zu.
Nach der Beweisaufnahme in einer vor dem Senat verhandelten Parallelsache (OLG München - 19 U 5072/08), in der u.a. der Zeuge A. vernommen wurde, bestehe kein Zweifel daran, dass die Beklagte dem Grafen S. noch vor dem Vertragsabschluss mit der Klägerin eine Provision für die Vermittlung von Unterbeteiligungen versprochen und in Höhe von 2 % der Beteiligungssumme gezahlt habe. Die Darstellung der Beklagten, mit der Zahlung an Graf S. sei ein Teil des Agio zur Weiterleitung an die Anlegerinnen rückerstattet worden, sei nicht glaubhaft. Einer erneuten Beweisaufnahme vor dem Senat habe es nicht bedurft.
Durch die Provisionsvereinbarung mit Graf S. habe die Beklagte das Interesse der Klägerin an einer neutralen und sachgerechten Beratung gefährdet; darüber hätte sie die Klägerin aufklären müssen. Die Aufklärungspflicht bestehe unabhängig davon, ob Graf S. als Vermögensverwalter oder als Anlageberater der Klägerin aufgetreten sei. Die Pflichtverletzung der Beklagten sei auch schuldhaft und für den Schaden der Klägerin ursächlich gewesen. Die Klägerin, der die Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens zu Gute komme, sei so zu stellen, als wäre sie die streitgegenständliche Unterbeteiligung nicht eingegangen. Die Beklagte habe der Klägerin den geltend gemachten Schaden auch deshalb zu ersetzen, weil sie nicht auf die ihr selbst als Gesellschafterin eingeräumten Sondervorteile in Höhe von 4 % des Beteiligungsbetrages hingewiesen habe.
II. Diese Beurteilung hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
1. Das Berufungsgericht hat seine Feststellung, bei der vor Abschluss des Unterbeteiligungsvertrages an Graf S. geleisteten Zahlung der Beklagten habe es sich um eine Provisionszahlung und nicht um eine, zur Weiterleitung an die Anlegerinnen bestimmte, teilweise Rückerstattung des Agio gehandelt, nicht verfahrensfehlerfrei getroffen.
a) Indem es seiner Überzeugungsbildung die in einer Parallelsache durchgeführte Beweisaufnahme zugrunde gelegt hat, hat das Berufungsgericht gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (§ 355 ZPO) verstoßen. Gemäß § 355 Abs. 1 Satz 1 ZPO hat die Beweisaufnahme grundsätzlich vor dem Prozessgericht zu erfolgen. Danach ist die Verwertung der Beweisaufnahme aus einem anderen Verfahren nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig. Dies gilt auch dann, wenn das andere Verfahren bei dem gleichen Spruchkörper anhängig war.
aa) Allerdings dürfen Protokolle über die Aussagen von Zeugen in einem anderen Verfahren grundsätzlich auf Antrag der beweispflichtigen Partei im Wege des Urkundenbeweises in einen Zivilprozess eingeführt und dort gewürdigt werden. Unzulässig ist eine derartige Verwertung früherer Aussagen im Wege des Urkundenbeweises anstelle der Vernehmung der Zeugen im anhängigen Verfahren jedoch, wenn eine Partei zum Zwecke des unmittelbaren Beweises die Vernehmung dieser Zeugen beantragt oder die Beurteilung der Glaubwürdigkeit der Zeugen deren unmittelbare Vernehmung erfordert (vgl. BGH, Urteil vom 12. November 2003 - XII ZR 109/01, NJW 2004, 1324, 1325; Urteil vom 30. November 1999 - VI ZR 207/98, ZIP 2000, 635, 637).
Im Streitfall hat die Beklagte, worauf die Revision zutreffend hinweist, rechtzeitig beantragt, den in der Parallelsache vernommenen Zeugen v. A. in dem anhängigen Rechtsstreit (nochmals) zu vernehmen. Ein solcher Antrag lag bereits darin, dass die Beklagte auf Anfrage des Berufungsgerichts einer urkundenbeweislichen Verwertung der früheren Beweisaufnahme widersprochen und die Zurückverweisung der Sache an das Landgericht beantragt hat, jedenfalls aber in der konkreten Bezugnahme auf erstinstanzliche Beweisangebote im Schriftsatz vom 16. (richtig wohl: 23.) November, die die Benennung des Zeugen v. A. beinhalteten. Das Berufungsgericht durfte diesen Antrag nicht gemäß §§ 530, 296 Abs. 1 ZPO als verspätet zurückweisen, da die urkundenbeweisliche Verwertung des Ergebnisses der Beweisaufnahme aus dem Parallelverfahren bis zum Ablauf der Berufungsbegründungsfrist weder vom Berufungsgericht angeregt noch von der Klägerin beantragt worden war.
bb) Das Berufungsgericht durfte von der Vernehmung des Zeugen v. A. auch nicht mit der Begründung absehen, das Ergebnis der Beweisaufnahme in der Parallelsache sei gerichtskundig. Das Berufungsgericht hat seiner Einschätzung ein unzutreffendes Verständnis des Begriffs der bei dem Gericht offenkundigen Tatsachen (§ 291 ZPO) zugrunde gelegt.
Der Anwendungsbereich des § 291 ZPO wird durch den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme begrenzt. Es verstößt gegen diesen Grundsatz, wenn ein Gericht Aussagen, die Zeugen vor ihm in einem anderen Verfahren gemacht haben, als gerichtsbekannt verwertet (BGH, Urteil vom 4. November 2010 - I ZR 190/08, NJW-RR 2011, 569 Rn. 10). Ob § 291 ZPO gleichwohl dann anzuwenden ist, wenn das Gericht durch die frühere Beweisaufnahme Informationen erhalten hat, die ihm ein „sicheres Bild“ von tatsächlichen Verhältnissen, Ereignissen oder Zuständen vermittelt haben, kann im Streitfall offen bleiben. Denn jedenfalls sind Tatsachen, die - wie hier - in einem früheren Verfahren im Wege der Beweiswürdigung festgestellt wurden, auch für denselben Richter nicht offenkundig (vgl. Leipold in Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., § 291 Rn. 10 bei Fn. 27).
cc) Der Verstoß des Berufungsgerichts gegen § 355 ZPO ist nicht gemäß § 295 ZPO geheilt worden. Da er erst durch das Urteil selbst offengelegt wurde, hatte die Beklagte keine Möglichkeit, den Fehler vor Abschluss des Berufungsverfahrens zu rügen.
b) Das Berufungsgericht hat, wie die Revision zu Recht rügt, auch die Vernehmung des in der Parallelsache nicht vernommenen Zeugen U. verfahrensfehlerhaft unterlassen. Auf diesen Zeugen hatte sich die Beklagte neben dem Zeugen v. A. bereits in erster Instanz bezogen. Das Berufungsgericht durfte von einer Vernehmung des Zeugen nicht deshalb absehen, weil die Beklagte ihn im Berufungsverfahren zunächst nicht nochmals benannt hat.
Eine Wiederholung erstinstanzlicher Beweisantritte im Berufungsverfahren ist jedenfalls dann entbehrlich, wenn der Beweisführer in erster Instanz obsiegt hatte und der Beweisantritt hierfür unerheblich war (BGH, Urteil vom 7. Januar 2008 - II ZR 283/06, BGHZ 175, 86 Rn. 17 m.w.N.). Ebenso sind in der zweiten Instanz aber auch die Beweisangebote des Berufungsklägers zu beachten, die in erster Instanz unerledigt blieben, weil es auf sie nach dem erstinstanzlichen Urteil aus Rechtsgründen nicht ankam (Musielak/Ball, ZPO, 8. Aufl., § 520 Rn. 29; zweifelnd Zöller/Heßler, ZPO, 28. Aufl., § 520 Rn. 41). So verhielt es sich im Streitfall, da es für die Entscheidung des Landgerichts unerheblich war, ob die Beklagte mit Graf S. eine Provision vereinbart hatte.
2. Der Auffassung des Berufungsgerichts, eine eigenständige vorvertragliche Pflichtverletzung der Beklagten sei in einer unterbliebenen Offenlegung ihrer eigenen Vergütung zu sehen, kann aus Rechtsgründen nicht gefolgt werden. Die Beklagte hat die Klägerin zwar nicht über die an sie geleistete Zahlung und deren Höhe unterrichtet. Die Klägerin konnte aber aus § 1 Nr. 4 des Unterbeteiligungsvertrags entnehmen, dass der Beklagten eine als Platzierungsprovision bezeichnete Vergütung zufließt, die sie nicht an die Klägerin als Unterbeteiligte weiterreichen musste. Eine weitergehende Aufklärungspflicht der Beklagten, insbesondere über die Höhe der Vergütung, bestand nicht.
a) Nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats sind Sondervorteile, die den Gründungsgesellschaftern gewährt werden, offenzulegen, da dem Anleger für seine Beitrittsentscheidung ein zutreffendes Bild über das Beteiligungsobjekt vermittelt werden muss, nämlich über alle Umstände, die für seine Entschließung von wesentlicher Bedeutung sind oder sein können, insbesondere über Tatsachen, die den Vertragszweck vereiteln können (vgl. BGH, Urteil vom 14. Januar 1985 - II ZR 41/84, WM 1985, 533; Urteil vom 10. Oktober 1994 - II ZR 95/93, ZIP 1994, 1851; Urteil vom 7. April 2003 - II ZR 160/02, WM 2003, 1086).
Die Höhe der Vergütung, die der Beklagten gewährt wurde, stellt keinen nach diesen Grundsätzen aufklärungspflichtigen Umstand dar, da sie für die Entschließung des Anlegers keine wesentliche Bedeutung hatte. Aus dem von den Parteien abgeschlossenen Unterbeteiligungsvertrag (§ 3 Nr. 1) ergibt sich, dass für die Hauptbeteiligung ein Agio in Höhe von 5 % aufzubringen war, das den Kapitalstock nicht vermehrt und u.a. der Abdeckung von Vertriebskosten dient. Die auf dieser Grundlage einzuschätzenden Erfolgsaussichten der Anlage werden durch die Höhe der auf die Beklagte entfallenden Vergütung nicht erkennbar berührt. Dass der Beklagten (insgesamt) Provisionen und sonstige Entgelte zugeflossen seien, die aus dem auf die Hauptbeteiligung entfallenden Agio nicht mehr bestritten werden konnten, hat das Berufungsgericht nicht festgestellt.
b) Eine Aufklärungspflicht der Beklagten über die Höhe der ihr gewährten Vergütung kann auch nicht mit einem bei der Beklagten bestehenden Interessenkonflikt begründet werden.
Allerdings ist eine Bank nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs verpflichtet, einen Anleger über an sie fließende Rückvergütungen aufzuklären, wenn zwischen ihr und dem Kunden ein Beratungsvertrag zustande gekommen ist. Diese Aufklärung ist notwendig, um dem Kunden einen insofern bestehenden Interessenkonflikt der Bank offen zu legen und ihm die Beurteilung zu ermöglichen, ob die Bank ihm eine bestimmte Anlage nur deswegen empfiehlt, weil sie selbst daran verdient (vgl. BGH, Urteil vom 19. Dezember 2006 - XI ZR 56/05, BGHZ 170, 226 Rn. 23; Beschluss vom 20. Januar 2009 - XI ZR 510/07, ZIP 2009, 455 Rn. 12 f.; Urteil vom 27. Oktober 2009 - XI ZR 338/08, ZIP 2009, 2380 Rn. 31; Beschluss vom 9. März 2011 - XI ZR 191/10, ZIP 2011, 855 Rn. 20). Im Streitfall hat das Berufungsgericht eine Verpflichtung der Beklagten zur Beratung der Klägerin aber nicht festgestellt. Die Revisionserwiderung macht auch nicht geltend, dass eine Beratungspflicht der Beklagten bestanden habe.
III. Die Sache ist entgegen der Ansicht der Revision nicht im Sinne der Beklagten entscheidungsreif.
1. Sollte die Beklagte mit Graf S. eine Provisionsvereinbarung getroffen haben und verpflichtet gewesen sein, die Klägerin darüber aufzuklären, so könnte sie sich nicht auf einen unvermeidbaren Rechtsirrtum berufen. Die Beklagte hätte eine aufgrund ihrer Beteiligung an der Provisionsvereinbarung mit Graf S. möglicherweise bestehende Verpflichtung zur Aufklärung der Klägerin in Betracht ziehen müssen.
2. Ein Verschulden der Beklagten kann auch nicht mit der Begründung verneint werden, die Beklagte habe gemäß § 708 BGB nur für diejenige Sorgfalt einstehen müssen, die sie in eigenen Angelegenheiten anzuwenden pflegt. Die Haftungsmilderung nach § 708 BGB gilt im vorvertraglichen Stadium jedenfalls dann nicht, wenn die Pflichtverletzung in einer Fehlinformation oder einer Aufklärungspflichtverletzung besteht, die den Geschädigten zum Abschluss des Gesellschaftsvertrages erst bewogen hat (vgl. Staudinger/Habermeier, BGB, Neubearb. 2003, § 708 Rn. 2; MünchKommBGB/Emmerich, 5. Aufl., § 311 Rn. 282; Palandt/Sprau, BGB, 70. Auflage, § 708 Rn. 2).
IV. Das Berufungsurteil ist danach aufzuheben und die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Für den Fall, dass das Berufungsgericht erneut den Abschluss einer Provisionsvereinbarung zwischen der Beklagten und Graf S. feststellen sollte, weist der Senat darauf hin, dass eine diesbezügliche Aufklärungspflicht der Beklagten entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht schon mit der Begründung angenommen werden kann, Graf S. sei Vermögensverwalter oder Anlageberater der Klägerin gewesen (vgl. die Urteile des Senats vom heutigen Tage - II ZR 277/09, - II ZR 11/10 und - II ZR 39/10).
Bergmann Caliebe Drescher
Born Sunder