Entscheidungsdatum: 26.11.2013
Zu einer ordnungsgemäßen Büroorganisation gehört eine klare Anweisung, dass stets und unter allen Umständen zuerst die Fristen im Kalender eingetragen werden müssen, bevor ein entsprechender Erledigungsvermerk in der Akte eingetragen werden kann.
Die Rechtsbeschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 7. Mai 2012 wird als unzulässig verworfen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens mit Ausnahme der durch die Nebenintervention verursachten Kosten. Diese hat die Nebenintervenientin zu tragen.
Gegenstandswert der Rechtsbeschwerde: 8.883,70 €
I. Die Klägerin begehrt Wiedereinsetzung in die Berufungsfrist. Das klageabweisende Urteil des Landgerichts wurde der Klägerin am 3. Februar 2012 zugestellt. Mit Schriftsatz vom 9. März 2012 hat die Klägerin Berufung eingelegt und mit Schriftsatz vom gleichen Tag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.
Die Klägerin begründet ihren Antrag auf Wiedereinsetzung mit einem Versehen der mit der Eintragung der Fristen und Führung des Fristenkalenders im Büro ihres Prozessbevollmächtigten beauftragten Rechtsanwalts- und Notargehilfin U. . Diese sei zusammen mit der Rechtsanwaltsgehilfin N. bürointern für die Bearbeitung von etwa 135 vergleichbaren Klageverfahren, die verstreut bei diversen Landgerichten in Deutschland anhängig seien, zuständig. Am 6. Februar 2012 habe ihr Prozessbevollmächtigter Frau U. die Handakte mit dem Diktat eines Übersendungsschreibens und dem - diktierten - Hinweis übergeben, eine Vorfrist (Wiedervorlagefrist) zum 27. Februar 2012 ebenso wie die am 5. März 2012 ablaufende Berufungsfrist in beiden Fristkalendern und in der Akte einzutragen. Trotz der klaren Anweisung sei es nicht zur Eintragung der beiden Fristen in die betreffenden Kalender gekommen. Aus dem Übersichtsblatt zur Berufungsakte sei zu entnehmen, dass die Wiedervorlagefrist zum 27. Februar 2012 dort eingetragen und auch mit einem Erledigungs-Häkchen versehen gewesen sei. Es sei nicht mehr rekonstruierbar, wie es zur unterlassenen Fristeneintragung gekommen sei. Frau U. könne sich - rückblickend - das Fristversäumnis nur so erklären, dass sie nach Eintragung der Wiedervorlagefrist auf dem Übersichtsblatt die Bearbeitung habe unterbrechen müssen. Möglicherweise habe sie auch den Arbeitsplatz kurzfristig verlassen und bei ihrer Rückkehr die Akte als erledigt angesehen und entsprechend abgelegt.
Mit Beschluss vom 7. Mai 2012 hat das Berufungsgericht nach vorherigem Hinweis die Berufung als unzulässig verworfen und den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Klägerin.
II. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Sie ist jedoch nicht zulässig, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht erfüllt sind. Die Rechtssache wirft weder entscheidungserhebliche Fragen von grundsätzlicher Bedeutung auf noch erfordert sie eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung.
1. Das Berufungsgericht (OLG München, 7 U 960/12, juris) hat seine Entscheidung wie folgt begründet: Es sei nicht auszuschließen, dass die Fristversäumnis auf ein Organisationsverschulden des Prozessbevollmächtigten der Klägerin zurückzuführen sei. Vorliegend sei die Sorgfaltspflicht des Anwalts - auch bezogen auf die Kontrolle der Fristeintragung - erhöht, weil ca. 135 Verfahren parallel bei unterschiedlichen Gerichten geführt würden. Die büromäßige Bearbeitung solcher Massenverfahren bedürfe besonderer organisatorischer Regelungen, Vorgaben, Anweisungen und Kontrollen durch den Rechtsanwalt. Dass und in welcher Weise diese erfolgt seien, werde nicht vorgetragen. Nach dem Vortrag der Klägerin seien im Büro ihres Prozessbevollmächtigten zwei Mitarbeiterinnen mit der Bearbeitung dieser Verfahren befasst. Dabei sei bereits nicht hinreichend erkennbar, welche der beiden Mitarbeiterinnen welches Verfahren verantwortlich bearbeite und ob vorliegend die genannte Mitarbeiterin U. mit der büromäßigen Bearbeitung und insbesondere der Fristenbearbeitung beauftragt worden sei. Auch die Erklärung des Prozessbevollmächtigten in seiner Stellungnahme, es sei nicht ausgeschlossen, dass eine andere Kanzleiangestellte während der Unterbrechung des Arbeitsgangs die Akte an sich genommen habe, um ein Telefonat oder etwas anderes zu erledigen, und es deshalb zur Ablage der Akte ohne Eintrag der Vor- und der Berufungsfrist gekommen sei, sei ein Indiz dafür, dass die Büroorganisation der Klägervertreter eine hinreichende konkrete Arbeitsteilung und bürointerne Abgrenzung unter den Mitarbeiterinnen bezogen auf die einzelnen Verfahren nicht vorgesehen beziehungsweise nicht gewährleistet habe. Es sei daher nicht auszuschließen, dass die fehlende Fristeintragung darauf zurückzuführen sei, dass neben der Anwaltsgehilfin U. auch eine andere Mitarbeiterin des Prozessbevollmächtigten, die ebenso mit der Bearbeitung der Massenverfahren beauftragt gewesen sei, in den noch nicht abgeschlossenen Bearbeitungsvorgang eingegriffen und die Ablage vorgenommen habe.
2. Es kann dahinstehen, ob diese Ausführungen den Angriffen der Rechtsbeschwerde standhalten. Das Berufungsgericht hat die beantragte Wiedereinsetzung jedenfalls im Ergebnis zu Recht versagt und die Berufung der Klägerin zu Recht als unzulässig verworfen.
a) Die Klägerin hat die Frist zur Einlegung der Berufung versäumt. Die einmonatige Berufungsfrist begann gemäß § 517 ZPO mit der Zustellung des Urteils des Landgerichts am 3. Februar 2012. Sie ist daher gemäß § 222 Abs. 1 und 2 ZPO, § 188 Abs. 2 BGB am 5. März 2012, einem Montag, abgelaufen. Innerhalb dieser Frist ist keine Berufung eingelegt worden.
b) Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand setzt nach § 233 ZPO voraus, dass eine Partei ohne ihr Verschulden gehindert war, die versäumte Frist einzuhalten. Diese Voraussetzung ist nicht erfüllt, weil nicht auszuschließen ist, dass an der Fristversäumnis ursächlich auch ein Organisationsverschulden des Prozessbevollmächtigten der Klägerin bei der Fristenkontrolle mitgewirkt hat; dieses muss sich die Klägerin nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen.
aa) Die Sorgfaltspflicht in Fristsachen verlangt von einem Rechtsanwalt alles ihm Zumutbare zu tun, um die Wahrung von Rechtsmittelfristen zu gewährleisten. Dabei kann die Berechnung und Notierung von Fristen einer gut ausgebildeten, als zuverlässig erprobten und sorgfältig überwachten Bürokraft übertragen werden. Dann hat der Rechtsanwalt aber durch geeignete organisatorische Maßnahmen sicherzustellen, dass die Fristen zuverlässig festgehalten und kontrolliert werden. Zu den zur Ermöglichung einer Gegenkontrolle erforderlichen Vorkehrungen im Rahmen der Fristenkontrolle gehört insbesondere, dass die Rechtsmittelfristen in der Handakte notiert werden und die Handakte durch entsprechende Erledigungsvermerke oder auf sonstige Weise erkennen lässt, dass die Fristen in den Fristenkalender eingetragen worden sind (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Februar 2003 - VIII ZB 115/02, NJW 2003, 1815, 1816; Beschluss vom 22. Januar 2008 - VI ZB 46/07, NJW 2008, 1670 Rn. 6; Beschluss vom 8. Februar 2010 - II ZB 10/09, MDR 2010, 533 Rn. 7; Beschluss vom 23. Januar 2013 - XII ZB 167/11, NJW-RR 2013, 1010 Rn. 10).
Soweit die Rechtsprechung Erledigungsvermerke des Büropersonals zu den jeweils in den Handakten eingetragenen Fristen fordert, soll sichergestellt werden, dass die Fristen tatsächlich eingetragen sind und dem Anwalt eine entsprechende Kontrolle anhand der Handakten möglich ist. Zu einer ordnungsgemäßen Büroorganisation gehört daher eine klare Anweisung, dass stets und unter allen Umständen zuerst die Fristen im Kalender eingetragen werden müssen, bevor ein entsprechender Vermerk in der Akte eingetragen werden kann. Denn sonst besteht die Gefahr, dass der Erledigungsvermerk in der Handakte bereits vor der Eintragung in einen Kalender angebracht wird und die Gegenkontrolle versagt (BGH, Beschluss vom 10. März 1992 - VI ZB 4/92, NJW-RR 1992, 826; Beschluss vom 4. März 2004 - IX ZB 71/03, FamRZ 2004, 1552; Beschluss vom 10. März 2011 - VII ZB 37/10, NJW 2011, 1597 Rn. 13; vgl. auch BGH, Beschluss vom 23. Januar 2013 - XII ZB 167/11, NJW-RR 2013, 1010 Rn. 12; Musielak/Grandel, ZPO, 10. Aufl., § 233 Rn. 18).
bb) Dass im Büro des Prozessbevollmächtigten der Klägerin solche organisatorischen Anweisungen bestanden, lässt sich dem Vorbringen im Wiedereinsetzungsverfahren nicht entnehmen. Der geschilderte Geschehensablauf, dass zunächst auf dem Übersichtsblatt zur Berufungsakte die Wiedervorlagefrist zum 27. Februar 2012 eingetragen und mit einem Erledigungs-Häkchen versehen wurde, bevor die Eintragung der Frist tatsächlich erledigt wurde, spricht für das Gegenteil.
Eines vorherigen Hinweises der anwaltlich vertretenen Klägerin auf diesen Gesichtspunkt bedurfte es nicht. Die Anforderungen, die die Rechtsprechung an eine wirksame Organisation des Fristenwesens stellt, sind bekannt und müssen einem Anwalt auch ohne richterliche Hinweise geläufig sein. Tragen die zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags gemachten Angaben diesen Anforderungen nicht Rechnung, deutet das nicht auf Unklarheiten oder Lücken des Vortrags hin, die aufzuklären oder zu füllen wären, sondern erlaubt den Schluss darauf, dass entsprechende organisatorische Maßnahmen gefehlt haben (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Januar 2012 - II ZB 3/11, NJW-RR 2012, 747 Rn. 12 mwN).
cc) Die unzureichende Organisation im Büro des Prozessbevollmächtigten der Klägerin war auch kausal für das Fristversäumnis. Hätte die Büroangestellte U. die Vorfrist zunächst in den Fristenkalender eingetragen, wäre die Akte dem Prozessbevollmächtigten bei unterstellt im Übrigen ordnungsgemäßem Vorgehen am 27. Februar 2012 vorgelegt worden und die Berufungsfrist hätte eingehalten werden können.
Strohn Reichart Drescher
Born Sunder