Entscheidungsdatum: 23.01.2013
1. Wird dem Rechtsanwalt die Handakte zur Wahrung der Beschwerdefrist vorgelegt, hat er stets auch die korrekte Notierung der Begründungsfrist zu prüfen (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 2. November 2011, XII ZB 317/11, FamRZ 2012, 108).
2. Die Sorgfaltspflicht in Fristsachen verlangt von einem Rechtsanwalt alles ihm Zumutbare, um die Wahrung von Rechtsmittelfristen zu gewährleisten. Überlässt er die Berechnung und Notierung von Fristen einer gut ausgebildeten, als zuverlässig erprobten und sorgfältig überwachten Bürokraft, hat er durch geeignete organisatorische Maßnahmen sicherzustellen, dass die Fristen zuverlässig festgehalten und kontrolliert werden. Zu den zur Ermöglichung einer Gegenkontrolle erforderlichen Vorkehrungen genügt es, wenn die Arbeitsanweisung vorschreibt, dass die Fristen zunächst im Fristenkalender zu notieren sind und erst dann in der Akte.
Auf die Rechtsbeschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des 11. Zivilsenats und Senats für Familiensachen des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 21. Februar 2011 aufgehoben.
Der Antragsgegnerin wird gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Fürth vom 7. September 2010 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.
Beschwerdewert: 10.143 €
I.
Die Beteiligten streiten um die Abänderung eines Urteils, nach dem der Antragsteller nachehelichen Ehegattenunterhalt an die Antragsgegnerin zu zahlen hat. Der dem Abänderungsantrag teilweise stattgebende Endbeschluss des Amtsgerichts ist der Antragsgegnerin am 15. September 2010 zugestellt worden. Am 12. Oktober 2010 hat sie hiergegen Beschwerde eingelegt. Mit Schriftsatz vom 16. November 2010 (einem Dienstag), der am selben Tag beim Oberlandesgericht eingegangen ist, hat die Antragsgegnerin die Beschwerde begründet und gleichzeitig Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist beantragt. Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrages hat sie ausgeführt, die sonst stets zuverlässige Kanzleiangestellte ihres Verfahrensbevollmächtigten, eine ausgebildete Rechtsfachwirtin, habe versehentlich die Begründungsfrist nur in der Handakte eingetragen, nicht jedoch im elektronischen Fristenkalender. Daher sei die Akte dem Rechtsanwalt nicht zur Bearbeitung vorgelegt worden. Der Antrag auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe vom 10. November 2010, der am 12. November 2010 eingegangen ist, sei routinemäßig nach Eingang der Unterlagen ohne Vorlage der Handakte gestellt worden. In diesem Antrag hatte der Antragsgegnervertreter klargestellt, dass die Beschwerde unabhängig von der Bewilligung der Verfahrenskostenhilfe durchgeführt werden solle. Am 7. Januar 2011 hat die Antragsgegnerin den Verfahrenskostenhilfeantrag wieder zurückgenommen, nachdem ihr am 29. November 2010 ein größerer Geldbetrag zugeflossen war.
Das Oberlandesgericht hat das Wiedereinsetzungsgesuch zurückgewiesen und zugleich die Beschwerde verworfen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Antragsgegnerin.
II.
Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.
1. Die Rechtsbeschwerde ist nach § 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG i.V.m. §§ 574 Abs. 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 4, 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthaft. Sie ist auch im Übrigen zulässig. Die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des Senats (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO), denn der angefochtene Beschluss verletzt die Antragsgegnerin in ihrem Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip), welcher es den Gerichten verbietet, den Beteiligten den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht zu rechtfertigender Weise zu erschweren (vgl. hierzu BGHZ 151, 221 = NJW 2002, 3029, 3031 und Senatsbeschluss vom 2. April 2008 - XII ZB 189/07 - FamRZ 2008, 1338 Rn. 8 mwN).
2. Das Oberlandesgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, die Antragsgegnerin sei nicht ohne ihr Verschulden daran gehindert gewesen, die am 15. November 2010 ablaufende Beschwerdebegründungsfrist einzuhalten. Sie müsse sich das Verschulden ihres Verfahrensbevollmächtigten zurechnen lassen. Der Antrag auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe spiele keine Rolle, da das Verfahren unabhängig davon betrieben worden sei. Ob dem Verfahrensbevollmächtigten ein Organisationsverschulden bei der Überwachung seiner Sekretärin vorzuwerfen sei, könne dahin stehen, da ihm ein eigenes Verschulden zur Last falle. Spätestens bei der Unterzeichnung des Antrags auf Verfahrenskostenhilfe am 10. November 2010 hätte für ihn Anlass bestanden, sich selbst über den Fristablauf kundig zu machen.
3. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Das Beschwerdegericht hat der Antragsgegnerin die begehrte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu Unrecht versagt. Die Antragsgegnerin hat die Begründungsfrist unverschuldet versäumt (§ 117 Abs. 5 FamFG i.V.m. § 233 ZPO).
a) Allerdings ist das Beschwerdegericht zutreffend davon ausgegangen, dass die Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist nicht auf einem wirtschaftlichen Unvermögen der Antragsgegnerin beruht hat und daher nicht deshalb ohne Verschulden (§ 233 ZPO) eingetreten ist. Versäumt ein mittelloser Beteiligter eine Frist, so kommt eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach der Entscheidung über die Verfahrenskostenhilfe nur in Betracht, wenn die Mittellosigkeit für die Fristversäumung kausal geworden ist. Dass dies hier nicht der Fall war, hat das Beschwerdegericht ohne Rechtsfehler dem Umstand entnommen, dass der Verfahrensbevollmächtigte der Antragsgegnerin die vollständige Beschwerdebegründung noch vor der Entscheidung über den Verfahrenskostenhilfeantrag gefertigt und noch vor dem unerwarteten Zahlungseingang, der zur Rücknahme des Antrags geführt hat, bei Gericht eingereicht hat. Hinzu kommt, dass die Antragsgegnerin in ihrem Verfahrenskostenhilfeantrag bereits klargestellt hatte, dass sie das Verfahren unabhängig von der Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe durchführen wollte.
b) Die Antragsgegnerin kann sich jedoch mit der Begründung entlasten, die Fristversäumung beruhe allein auf einem Büroversehen in der Kanzlei ihres Verfahrensbevollmächtigten. Die Büroangestellte des Verfahrensbevollmächtigten hat es nämlich versäumt, die Rechtsmittelbegründungsfrist im elektronischen Fristenkalender einzutragen. Sie hat die entsprechende Frist und eine Vorfrist lediglich in der Handakte vermerkt, so dass die Akte nicht rechtzeitig vor Ablauf der Begründungsfrist vorgelegt wurde. Auf diesem Büroversehen beruht die Fristversäumnis auch; dem Antragsgegnervertreter fällt kein eigenes Verschulden zur Last.
aa) Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts liegt ein Verschulden des Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerin nicht bereits darin, dass er den Verfahrenskostenhilfeantrag gestellt hat, ohne sich zugleich die Handakte vorlegen zu lassen. Denn der Antrag auf Verfahrenskostenhilfe ist kein fristgebundener Antrag. Die an die Sorgfalt des Anwalts zu stellenden Anforderungen würden überspannt, wenn man von ihm verlangen würde, den Fristablauf oder die Erledigung von Fristnotierungen stets auch dann selbst zu prüfen, wenn ihm die Sache ohne Zusammenhang mit einer fristgebundenen Prozesshandlung vorgelegt wird oder ohne dass Anhaltspunkte dafür bestehen, die zur Fristwahrung getroffenen Maßnahmen könnten versagt haben (Senatsbeschlüsse vom 2. November 2011 - XII ZB 317/11 - FamRZ 2012, 108 Rn. 9; vom 12. Dezember 2007 - XII ZB 69/07 - FamRZ 2008, 503 Rn. 12 und vom 25. November 1998 - XII ZB 204/96 - FamRZ 1999, 649, 650).
bb) Die Sorgfaltspflicht in Fristsachen verlangt von einem Rechtsanwalt allerdings alles ihm Zumutbare, um die Wahrung von Rechtsmittelfristen zu gewährleisten. Dabei kann die Berechnung und Notierung von Fristen einer gut ausgebildeten, als zuverlässig erprobten und sorgfältig überwachten Bürokraft übertragen werden. Dann hat der Rechtsanwalt aber durch geeignete organisatorische Maßnahmen sicherzustellen, dass die Fristen zuverlässig festgehalten und kontrolliert werden (vgl. BGH Beschlüsse vom 10. März 2011 - VII ZB 37/10 - NJW 2011, 1597 Rn. 12 und vom 8. Februar 2010 - II ZB 10/09 - MDR 2010, 533). Zu den zur Ermöglichung einer Gegenkontrolle erforderlichen Vorkehrungen im Rahmen der Fristenkontrolle gehört insbesondere, dass die Rechtsmittelfristen in der Handakte notiert werden und die Handakte durch entsprechende Erledigungsvermerke oder auf sonstige Weise erkennen lässt, dass die Fristen in den Fristenkalender eingetragen worden sind (BGH Beschlüsse vom 10. März 2011 - VII ZB 37/10 - NJW 2011, 1597 Rn. 12; vom 26. Januar 2009 - II ZB 6/08 - NJW 2009, 1083 Rn. 11 und Senatsbeschluss vom 9. Dezember 2009 - XII ZB 154/09 - MDR 2010, 400).
cc) Darüber hinaus hat ein Rechtsanwalt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs den Ablauf von Rechtsmittelbegründungsfristen immer dann eigenverantwortlich zu prüfen, wenn ihm die Akten im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Prozesshandlung, insbesondere zu deren Bearbeitung, vorgelegt werden (Senatsbeschlüsse vom 2. November 2011 - XII ZB 317/11 - FamRZ 2012, 108 Rn. 11; vom 19. Oktober 2011 - XII ZB 250/11 - FamRZ 2012, 106 Rn. 9; vom 11. Februar 2004 - XII ZB 263/03 - FamRZ 2004, 696 und vom 1. Dezember 2004 - XII ZB 164/03 - FamRZ 2005, 435, 436 jeweils mwN). In diesem Fall muss der Rechtsanwalt stets auch alle weiteren unerledigten Fristen einschließlich ihrer Notierung in den Handakten prüfen. Für die Beschwerdebegründungsfrist nach § 117 Abs. 1 Satz 3 FamFG ist ihm dies schon ab der Zustellung des Beschlusses möglich und zumutbar, weil die zweimonatige Begründungsfrist mit der schriftlichen Bekanntgabe des Beschlusses beginnt. So ist ihm die Fristenüberprüfung insbesondere bei der Fristvorlage zur Wahrung der Beschwerdefrist möglich. Dabei darf der Anwalt sich allerdings grundsätzlich auf die Prüfung der Vermerke in der Handakte beschränken (BGH Beschlüsse vom 10. März 2011 - VII ZB 37/10 - NJW 2011, 1597 Rn. 12; vom 8. Februar 2010 - II ZB 10/09 - MDR 2010, 533 und vom 22. Januar 2008 - VI ZB 46/07 - NJW 2008, 1670 Rn. 6). Soweit die Rechtsprechung Erledigungsvermerke des Büropersonals zu den jeweils in den Handakten eingetragenen Fristen fordert, soll sichergestellt werden, dass die Fristen auch in den Fristenkalender eingetragen sind und dem Anwalt eine entsprechende Kontrolle anhand der Handakten möglich ist (BGH Beschluss vom 10. März 2011 - VII ZB 37/10 - NJW 2011, 1597 Rn. 13).
dd) Diesen Anforderungen wird die Organisation der Fristenkontrolle in der Kanzlei des Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerin gerecht. Nach der vorgelegten schriftlichen Organisationsanweisung zur Fristnotierung im "Handbuch - Organisationsanweisung" hat die Sekretärin die Frist zu errechnen, dann im Kalender als Vornotfrist und als Notfrist und erst danach auf dem Frist mitteilenden/auslösenden Schriftstück mit dem Sachbearbeiter-Handzeichen zu notieren. Die Organisationsanweisung schreibt damit eine Reihenfolge vor, nach der die Sekretärin vorzugehen hat. Sie verlangt zwar keinen ausdrücklichen Erledigungsvermerk, jedoch ist sie dadurch, dass sie die Reihenfolge, nach der die Sekretärin bei der Fristenerfassung vorzugehen hat, vorschreibt, geeignet, sicherzustellen, dass nur solche Fristen in der Akte notiert werden, die zuvor in den elektronischen Fristenkalender eingetragen wurden. Dass die Kanzleiangestellte des Antragsgegnervertreters versehentlich eine Arbeitsanweisung nicht befolgt hat, kann der Antragsgegnerin nicht als Verschulden zugerechnet werden.
III.
Nach alledem war die angefochtene Entscheidung gemäß § 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG in Verbindung mit §§ 238 Abs. 2 Satz 1, 522 Abs. 1 Satz 4, 574 Abs. 1 Nr. 1, 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO aufzuheben.
Soweit es die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand anbelangt, konnte der Senat selbst abschließend entscheiden (vgl. § 577 Abs. 5 Satz 1 ZPO), weil die hierfür erforderlichen Feststellungen getroffen sind und die Frage der Ursächlichkeit des Verschuldens lediglich noch auf einer rechtlichen Bewertung beruht.
In der Sache selbst ist es dem Senat allerdings verwehrt, abschließend zu entscheiden, weil die Sache nicht zur Endentscheidung reif ist. Insoweit war die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung gemäß § 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO zurückzuverweisen.
Dose Weber-Monecke Klinkhammer
Schilling Nedden-Boeger