Entscheidungsdatum: 12.11.2013
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 11. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 30. März 2012 wird auf Kosten des Beklagten zu 2 zurückgewiesen.
Gegenstandswert der Rechtsbeschwerde: 60.000 €
I. Die beiden, von verschiedenen Prozessbevollmächtigten vertretenen Beklagten wurden vom Landgericht als Gesamtschuldner zur Zahlung von 60.000 € verurteilt. Das Urteil wurde den jeweiligen Prozessbevollmächtigten der Beklagten am 24. Oktober 2011 zugestellt. Hiergegen wendeten sich die Beklagten mit ihren Berufungen, für deren Begründung der Beklagte zu 2 mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 12. Dezember 2011 Fristverlängerung „um einen Monat, also bis zum 24.01.2012“ und der Beklagte zu 1 mit Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 16. Dezember 2011 Fristverlängerung „um einen Monat bis zum 24.01.2012“ beantragten. Mit Verfügung des Senatsvorsitzenden des Berufungsgerichts vom 14. Dezember 2011, dem Prozessbevollmächtigten des Beklagten zu 2 zugestellt am 19. Dezember 2011, wurde die Berufungsbegründungsfrist für den Beklagten zu 2 bis zum 24. Januar 2012 verlängert. Mit weiterer Verfügung vom 21. Dezember 2011 wurde die Berufungsbegründungsfrist für den Beklagten zu 1 bis 27. Januar 2012 verlängert. Der Prozessbevollmächtigte des Beklagten zu 2 wurde mit beglaubigter Abschrift dieser Verfügung, die bei ihm am 23. Dezember 2011 einging, davon unterrichtet. Beide Beklagte haben ihre Berufung mit am 27. Januar 2012 per Telefax eingegangenem Schriftsatz vom selben Tag begründet.
Mit Verfügung vom 3. Februar 2012 erteilte der Berichterstatter dem Beklagten zu 2 den Hinweis, dass seine Berufungsbegründung nach Ablauf der nur bis zum 24. Januar 2012 verlängerten Berufungsbegründungsfrist eingegangen sei. Am 16. Februar 2012 hat der Beklagte zu 2 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und zur Begründung im Wesentlichen vorgetragen:
Zunächst habe die für das Fristenwesen verantwortliche Rechtsanwaltsfachangestellte D. die bis zum 24. Januar 2012 verlängerte Berufungsbegründungsfrist nebst Vorfrist in den elektronischen Fristenkalender eingetragen. Nach Unterrichtung über die dem Beklagten zu 1 bis zum 27. Januar 2012 verlängerte Berufungsbegründungsfrist sei die stellvertretende Fristensekretärin S. davon ausgegangen, dass es sich um eine auch für den Beklagten zu 2 verlängerte Frist gehandelt habe und habe diese Frist nebst Vorfrist auch für den Beklagten zu 2 vermerkt. Zu der gleichen Annahme sei die Fristensekretärin D. bei Überprüfung der Fristen nach ihrer Urlaubsabwesenheit am 17. Januar 2012 gekommen, als sie zum Ablauf der korrekten Vorfrist festgestellt habe, dass zwei Berufungsbegründungsfristen eingetragen gewesen seien. Sie habe sich auf die Rechtsanwaltsfachangestellte S. verlassen und ohne weitere Prüfung angenommen, dass die später endende Frist die endgültige Berufungsbegründungsfrist für den Beklagten zu 2 gewesen sei, und habe die Vorfrist und die Frist vom 24. Januar 2012 im elektronischen Fristenkalender auf „erledigt“ gesetzt. Weshalb seinem Prozessbevollmächtigten die Akte entgegen der bestehenden allgemeinen Weisung nicht zur Vorfrist am 20. Januar 2012, sondern erst am 26. Januar 2012 vorgelegt worden sei, lasse sich nicht mehr feststellen.
Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Berufungsgericht den Antrag des Beklagten zu 2 auf Wiedereinsetzung in die Berufungsbegründungsfrist zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen.
II. Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg. Die Rechtsbeschwerde ist zwar statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO) und auch im Übrigen zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO). Sie ist aber unbegründet, weil der Beklagte zu 2 nicht hinreichend glaubhaft gemacht hat, dass er ohne sein Verschulden daran gehindert war, die Berufungsbegründungsfrist einzuhalten.
1. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
Der Beklagte zu 2 habe nicht glaubhaft gemacht, dass sein Prozessbevollmächtigter durch eine ordnungsgemäße Organisation der Fristenkontrolle sichergestellt habe, nach einem Fristverlängerungsantrag die verlängerte Frist nicht zu versäumen. Nach dessen Angaben werde bei Fristverlängerungsanträgen die beantragte, vorläufige Frist nicht in den Fristenkalender eingetragen. Damit fehle eine von der Rechtsprechung geforderte zusätzliche Fristsicherung. Das Versäumnis sei kausal geworden. Bei korrekter Handhabung wären bereits keine zwei verschiedenen Fristenden eingetragen worden, weil für den 27. Januar 2012 kein noch offener Fristverlängerungsantrag vermerkt gewesen wäre.
Offen bleibe auch, welche organisatorischen Vorkehrungen der Prozessbevollmächtigte des Beklagten zu 2 für den ohnehin als ungewöhnlich zu bezeichnenden und daher erhöhte Aufmerksamkeit und Sorgfalt erfordernden Fall der Feststellung der Eintragung zweier Fristen für einen Vorgang getroffen hätte und wie er für diesen Fall eine Fristenkontrolle und Fristenwahrung sichergestellt habe, die verlässlich nur durch Beiziehung der den Vorgang betreffenden Akten zu leisten sei.
2. Der Beklagte zu 2 hat die verlängerte Frist zur Berufungsbegründung nach § 520 Abs. 2 ZPO versäumt. Die zweimonatige Berufungsbegründungsfrist begann gemäß § 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO mit der Zustellung des Urteils des Landgerichts am 24. Oktober 2011. Ohne Verlängerung wäre die Berufungsbegründungsfrist daher gemäß § 222 Abs. 1 und 2 ZPO, § 188 Abs. 2 BGB am 27. Dezember 2011, einem Dienstag, abgelaufen. Nach Verlängerung durch den Vorsitzenden gemäß § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO lief sie am 24. Januar 2012 ab. Innerhalb dieser Frist ist keine Berufungsbegründung eingegangen.
3. Eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts ist erforderlich, weil der angefochtene Beschluss den verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruch des Beklagten zu 2 auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art.103 Abs. 1 GG) verletzt, soweit er auf das Fehlen einer Anweisung gestützt ist, bei Stellung eines Fristverlängerungsantrags das beantragte Fristende in den Fristenkalender einzutragen.
Richtig ist allerdings der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts. Beantragt der Prozessbevollmächtigte eine Fristverlängerung, so muss das beantragte Fristende bei oder alsbald nach Einreichung des Verlängerungsantrags im Fristenkalender eingetragen, als vorläufig gekennzeichnet und rechtzeitig, spätestens nach Eingang der gerichtlichen Mitteilung überprüft werden, damit das wirkliche Ende der Frist festgestellt werden kann (BGH, Beschluss vom 22. März 2011 - II ZB 19/09, NJW 2011, 1598 Rn. 12; Beschluss vom 28. Mai 2013 - VI ZB 6/13, NJW 2013, 2821 Rn. 9).
Diesen Anforderungen entsprach die Organisation des Fristenwesens in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten des Beklagten zu 2 nicht. Nach den von der Rechtsbeschwerde nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts gab es in der Kanzlei keine Anweisung, das beantragte Fristende bei oder alsbald nach Einreichung des Verlängerungsantrags in den Fristenkalender einzutragen.
Dieses Versäumnis ist aber entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts für die Fristversäumung nicht ursächlich geworden (vgl. zur Kausalität BGH, Beschluss vom 22. März 2011 - II ZB 19/09, NJW 2011, 1598 Rn. 14; Beschluss vom 28. Mai 2013 - VI ZB 6/13, NJW 2013, 2821 Rn. 10). Die Rechtsbeschwerde rügt zu Recht die Verletzung rechtlichen Gehörs. Der Beklagte zu 2 hat im Wiedereinsetzungsverfahren dargelegt, dass die Kanzleiangestellte Sch. angenommen habe, die Frist sei „ohne einen Antrag von uns“ verlängert worden, sie sei davon ausgegangen, dass die „weitere Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist … auch uns betraf“.
Ging die Kanzleiangestellte indes davon aus, dass der Verlängerung ein Antrag nicht vorausgegangen war, war das Fehlen einer Anweisung bei Stellung eines Fristverlängerungsantrags das beantragte Fristende in den Fristenkalender einzutragen, für die Fristversäumung nicht ursächlich, so dass die Versagung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand auf dem Gehörsverstoß beruht. Die Verletzung des Anspruchs des Beklagten zu 2 auf Gewährung rechtlichen Gehörs führt zur Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde unabhängig davon, ob sie sich auf das Ergebnis auswirkt (BGH, Beschluss vom 26. Januar 2009 - II ZB 6/08, NJW 2009, 1083 Rn. 13).
4. Die Rechtsbeschwerde ist jedoch unbegründet. Das Berufungsgericht hat die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Ergebnis zu Recht versagt, weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass den Beklagten zu 2 ein ihm nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnendes Organisationsverschulden seines Prozessbevollmächtigten trifft.
a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bleibt ein Rechtsanwalt auch bei solchen Fristen, die er nicht selbst zu berechnen hat, verpflichtet, durch allgemeine Anweisungen sicherzustellen, dass sein Büropersonal nicht eigenmächtig im Fristenkalender eingetragene Fristen ändert oder löscht. Dies gilt insbesondere dann, wenn eine außergewöhnliche Verfahrensgestaltung Anlass zur Prüfung gibt, ob die bereits eingetragenen Fristen maßgeblich bleiben oder nicht (vgl. BGH, Urteil vom 27. September 1989 - IVb ZB 73/89, VersR 1989, 1316; Beschluss vom 17. April 1991 - XII ZB 40/91, VersR 1991, 1309, 1310; Beschluss vom 8. Februar 1996 - IX ZB 95/95, NJW 1996, 1349, 1350; Beschluss vom 8. März 2004 - II ZB 21/03, NJOZ 2004, 1185, 1187; Beschluss vom 20. September 2007 - I ZB 108/05, AnwBl 2007, 869 Rn. 5).
b) Gegen diese Sorgfaltspflicht hat der Prozessbevollmächtigte des Beklagten zu 2 verstoßen. In dem vom Personal des Prozessbevollmächtigten angenommenen Geschehensablauf lag eine außergewöhnliche Verfahrensgestaltung, die besonderen Anlass zur Prüfung gab, ob die bereits eingetragenen Fristen maßgeblich bleiben oder nicht. Denn es widerspricht der gängigen Gerichtspraxis, dass eine bereits verlängerte Berufungsbegründungsfrist wenige Tage nach ihrer Verlängerung ohne Antrag um lediglich drei weitere Tage erneut verlängert wird. Nach Darstellung des Prozessbevollmächtigten des Beklagten zu 2 hat die Rechtsanwaltsfachangestellte S. dennoch der zunächst richtig notierten verlängerten Berufungsbegründungsfrist nebst Vorfrist eine neue falsche Berufungsbegründungsfrist nebst Vorfrist hinzugefügt; in der Folge hat sich die Büroangestellte D. ohne weitere Prüfung auf die falsch eingetragene neue Frist verlassen und die richtige Frist nebst Vorfrist eigenmächtig gelöscht. Dass sie dadurch gegen eine in der Kanzlei bestehende organisatorische Anweisung verstoßen hätte, wonach Fristen nicht eigenmächtig abgeändert werden dürfen, insbesondere bei einer außergewöhnlichen Verfahrensgestaltung vor der Änderung der Frist mit dem Rechtsanwalt Rücksprache zu nehmen ist, ergibt sich aus dem Wiedereinsetzungsvorbringen nicht. Das Fehlen einer solchen allgemeinen Anweisung begründet das Verschulden des Prozessbevollmächtigten des Beklagten zu 2 (vgl. BGH, Beschluss vom 20. September 2007 - I ZB 108/05, AnwBl 2007, 869 Rn. 5).
c) Das Berufungsgericht hat entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde in diesem Zusammenhang kein Verfahrensgrundrecht des Beklagten zu 2 verletzt. Die Rechtsbeschwerde verweist darauf, dass der Prozessbevollmächtigte des Beklagten zu 2 erklärt habe, seine Angestellte habe anordnungswidrig gehandelt, weil es nach der Kanzleiorganisation bei Feststellung der Eintragung zweier unterschiedlicher Fristen für denselben Vorgang „geboten gewesen wäre, die Akten zu konsultieren, die Parteibezeichnungen zu prüfen, unseren Fristverlängerungsantrag zu Rate zu ziehen, bei Gericht anzurufen oder die Akte dem Sachbearbeiter vorzulegen.“
Mit dem Vorbringen, die angeführten Maßnahmen seien nach der Kanzleiorganisation „geboten gewesen“, hat der Beklagte zu 2 nicht hinreichend glaubhaft gemacht, dass in der Kanzlei seines Prozessbevollmächtigten eine allgemeine Weisung besteht, Fristen nicht eigenmächtig zu ändern oder zu löschen und wie insbesondere bei außergewöhnlichen Verfahrensgestaltungen zu verfahren ist, etwa wenn wie im vorliegenden Fall entdeckt wird, das zwei unterschiedliche Fristen für dasselbe Ereignis eingetragen worden sind. Die vom Prozessbevollmächtigten des Beklagten zu 2 zur Darlegung seiner organisatorischen Vorkehrungen zur Fristenkontrolle vorgelegte Aufgabenbeschreibung enthält weder eine solche allgemeine Weisung noch findet sich unter AB 11 (Fristenverwaltung) eine Regelung, die Vorgaben für den Fall macht, dass die Eintragung zweier verschiedener Fristen für dasselbe Ereignis entdeckt wird.
Das Berufungsgericht hat daher keine Erklärungen des Prozessbevollmächtigten des Beklagten zu 2 zu den kanzleiinternen AB 11-Regelungen dazu, wie mit mehreren Fristen umzugehen ist, unberücksichtigt gelassen. In der von der Rechtsbeschwerde angeführten Nummer 3 dieser Regelungen geht es um eine „Genaue Kontrolle, wenn mehrere Fristen zu notieren sind!“. Mit der Frage, was zu tun ist, wenn versehentlich mehrere Fristen für dasselbe Ereignis notiert worden sind, befassen sich die Aufgabenbeschreibungen weder an dieser noch an einer anderen Stelle.
d) Dass zudem zur Vorfrist am 20. Januar 2012 die Akte dem Prozessbevollmächtigten des Beklagten zu 2 nicht vorgelegt wurde, lässt die Kausalität seines Organisationsverschuldens nicht entfallen. Durch den weiteren Fehler ist sein Verschuldensbeitrag für die Versäumung der Frist, der im Fehlen einer Sicherung vor einer eigenmächtigen Abänderung der eingetragenen Berufungsbegründungsfrist besteht, nicht vollständig entfallen. Die Verantwortung eines Prozessbevollmächtigten für den verspäteten Eingang eines Schriftsatzes wird nicht dadurch beseitigt, dass nachfolgend seine Mitarbeiter gegen ihre Pflichten verstoßen und so zur Unzulässigkeit eines Rechtsmittels mit beitragen. Wiedereinsetzung kann nicht gewährt werden, wenn neben den vom Prozessbevollmächtigten verschuldeten Umständen andere von ihm nicht verschuldete mitgewirkt haben. Für die Kausalität zwischen schuldhafter Pflichtverletzung und Fristversäumung, die eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ausschließt, genügt Mitursächlichkeit (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Mai 2011 - IV ZB 2/11, NJOZ 2012, 932 Rn. 14 mwN).
Bergmann Caliebe Drescher
Born Sunder