Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 11.05.2011


BGH 11.05.2011 - IV ZB 2/11

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: Verschulden des Rechtsanwalts einer Sozietät an der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist bei ungeprüfter Absendung des falsch adressierten Fristverlängerungsantrags


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
4. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
11.05.2011
Aktenzeichen:
IV ZB 2/11
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend OLG Rostock, 27. Dezember 2010, Az: 1 U 109/10, Beschlussvorgehend LG Neubrandenburg, 16. Juni 2010, Az: 2 O 257/09
Zitierte Gesetze

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Rostock vom 27. Dezember 2010 wird auf Kosten der Beklagten als unzulässig verworfen.

Gegenstandswert: 65.000 €

Gründe

1

I. Der Antrag der Beklagten auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist - nach rechtzeitiger Einlegung der Berufung - wurde nicht an das Berufungsgericht, sondern an das erstinstanzliche Landgericht adressiert. Dort ging er am Tag des Fristablaufs, dem 23. August 2010, bei der gemeinsamen Annahmestelle des Justizzentrums ein und lag am Folgetag der Geschäftsstelle des Landgerichts vor.

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Zur Begründung ihres mit der Berufungsbegründung am 24. September 2010 beim Berufungsgericht eingegangenen Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist hat die Beklagte vorgetragen:

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Die Fristversäumung beruhe auf dem Versehen eines Rechtsanwaltsfachangestellten im Büro ihres Prozessbevollmächtigten. Letzterer habe wegen einer kurzfristig angesetzten, umfangreichen Besprechung im Lauf des 23. August 2010 die Berufungsbegründung nicht verfassen können. In seinem Auftrag habe sein langjähriger Mitarbeiter einen Fristverlängerungsantrag gefertigt, der allerdings wegen fehlerhafter Bedienung der Kanzleisoftware an das falsche Gericht adressiert worden sei. Diesen Antrag habe er während der Besprechung ohne Akten unterschrieben, den Mitarbeiter aber angewiesen, ihn vor Absendung zusammen mit den Handakten einem anderen Anwalt der Sozietät zur Prüfung vorzulegen. Hiervon habe der Mitarbeiter, nachdem auch der Sozius zunächst noch in einem Mandantengespräch gewesen sei, schließlich mit Blick auf das Ergebnis seiner eigenen Prüfung eigenmächtig abgesehen und den Verlängerungsantrag an das unzuständige Landgericht gefaxt.

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Mit Beschluss vom 27. Dezember 2010 hat das Berufungsgericht den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und zugleich die Berufung als unzulässig verworfen. Hiergegen richtet sich die fristgemäß eingelegte und begründete Rechtsbeschwerde der Beklagten.

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II. Die nach §§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 4, 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist nicht zulässig. Es fehlt an den Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO. Insbesondere erfordert die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts nicht.

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1. Das Rechtsinstitut der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand dient in besonderer Weise dazu, die Rechtsschutzgarantie und das rechtliche Gehör zu gewährleisten. Daher gebieten es die Verfahrensgrundrechte auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) und auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG), den Zugang zu den Gerichten und den in den Verfahrensordnungen eingeräumten Instanzen nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren (BGH, Beschlüsse vom 18. Juli 2007 - XII ZB 32/07, FamRZ 2007, 1722 Rn. 4; vom 9. Februar 2005 - XII ZB 225/04, FamRZ 2005, 791 unter II 2; vom 4. Juli 2002 - V ZB 16/02, BGHZ 151, 221, 227 f.). Demgemäß dürfen bei der Auslegung und Anwendung der Vorschriften über die Wiedereinsetzung die Anforderungen daran, was der Betroffene veranlasst haben muss, um Wiedereinsetzung zu erlangen, nicht überspannt werden.

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2. Gegen diese Grundsätze hat das Beschwerdegericht nicht verstoßen. Zu Recht hat es der Beklagten die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand versagt. Nach §§ 233, 85 Abs. 2 ZPO darf ihr Wiedereinsetzung nur gewährt werden, wenn ihrem Prozessbevollmächtigten kein auch nur mitursächliches Verschulden an der Fristversäumung trifft. Das ist hier nicht der Fall.

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a) Der Prozessbevollmächtigte trägt die Verantwortung, dass eine fristwahrende Prozesshandlung vor dem zuständigen Gericht vorgenommen wird (so bereits BGH, Beschluss vom 8. Juli 1981 - IVb ZB 625/81, VersR 1981, 1126 f.; Senatsbeschluss vom 15. November 1978 - IV ZB 54/78, VersR 1979, 229 f. und ständig). Das umfasst die Pflicht, einen Antrag auf Verlängerung der entsprechenden Frist auf die richtige Benennung des Gerichts zu überprüfen und eventuell fehlerhafte Angaben zu berichtigen. Insbesondere muss ihm dabei auffallen, wenn ein für ihn vorbereiteter Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist an das Gericht gerichtet ist, dessen Entscheidung angefochten werden soll (st. Rspr., BGH, Beschluss vom 18. April 2000 - XI ZB 1/00, VersR 2001, 390 unter 2 a und Urteil vom 12. Oktober 1995 - VII ZR 8/95, NJW-RR 1996, 443 unter II 2 a).

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Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten hat diese Pflichten schuldhaft verletzt, als er den Verlängerungsantrag ungeprüft unterschrieben in den weiteren Geschäftsgang gegeben hat. Das nimmt auch die Rechtsbeschwerde hin.

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b) Ohne Erfolg zieht sie allerdings in Zweifel, dass diese schuldhafte Pflichtverletzung für die Fristversäumung kausal geworden ist, weil der Prozessbevollmächtigte seinem Mitarbeiter die unmissverständliche Weisung erteilt habe, vor Abgang den Verlängerungsantrag mit Akten seinem Sozius zur Prüfung vorzulegen. Durch diese Anweisung ist sein Verschuldensbeitrag für die Versäumung der Frist durch - einer Blankounterschrift vergleichbaren - Unterschriftsleistung ohne inhaltliche Prüfung nicht vollständig entfallen. Die letztlich eigenmächtige Absendung des Antrags durch den Rechtsanwaltsfachangestellten konnte weder die Pflichtverletzung des Prozessbevollmächtigten noch deren ursächlichen Beitrag für die Unzulässigkeit des Rechtsmittels nach den Grundsätzen der sogenannten "überholenden Kausalität" beseitigen.

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aa) Die Anfertigung von zur Fristwahrung geeigneten Schriftsätzen gehört einschließlich der Angabe des zuständigen Gerichts zu den Geschäften, die ein Rechtsanwalt nicht seinem Büropersonal überlassen darf, ohne das Arbeitsergebnis auf seine Richtigkeit und Vollständigkeit zu überprüfen. Die Angabe des Berufungsgerichts ist mithin ein nicht delegierbarer Kernbestandteil des Fristverlängerungsantrages und muss vom unterzeichnenden Rechtsanwalt grundsätzlich selbst kontrolliert werden (vgl. zur Berufungsbegründungsschrift BGH, Beschlüsse vom 5. März 2009 - V ZB 153/08, VersR 2010, 132 Rn. 8 f.; vom 23. Juni 2005 - V ZB 45/04, MDR 2005, 1427 f. und vom 14. Mai 2003 - XII ZB 154/01, FamRZ 2003, 1176 unter 2; jeweils m.w.N.). Auch das erkennt die Rechtsbeschwerde an.

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bb) Entgegen ihrer Ansicht ändert daran indes nichts, dass der Prozessbevollmächtigte der Beklagten über eine Anweisung an seinen Mitarbeiter die inhaltliche Prüfung des Antrages an seinen Sozietätskollegen zu delegieren versuchte.

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In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ist anerkannt, dass gerade auch in Fällen arbeitsteiliger Erstellung von Schriftsätzen in Anwaltssozietäten vor der Absendung verantwortlich geprüft werden muss, ob die Koordination gelungen ist. Das kann sinnvoll nur durch den Rechtsanwalt erfolgen, der den Schriftsatz unterzeichnet und damit für die Sozietät insgesamt die Verantwortung für die Richtigkeit übernimmt (BGH, Beschluss vom 5. März 2009 aaO Rn. 10).

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Die Verantwortung eines Prozessbevollmächtigten für den verspäteten Eingang eines infolge mangelnder Überprüfung falsch adressierten Schriftsatzes wird hingegen nicht dadurch beseitigt, dass sein Mitarbeiter nachfolgend durch weisungswidriges Verhalten gegen Pflichten verstößt und so mit zur Unzulässigkeit eines Rechtsmittels beiträgt. Wiedereinsetzung kann nicht gewährt werden, wenn neben den vom Prozessbevollmächtigten verschuldeten Umständen andere von ihm nicht verschuldete mitgewirkt haben (BGH, Beschlüsse vom 14. Mai 2003 aaO; vom 12. Dezember 1984 - IVb ZB 103/84, VersR 1985, 285, 287). Für die Kausalität zwischen schuldhafter Pflichtverletzung und Fristversäumung, die eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ausschließt, genügt mithin Mitursächlichkeit (BGH, Beschlüsse vom 18. April 2000 aaO unter 2 b und vom 8. Juli 1981 aaO; Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO 31. Aufl. § 233 Rn. 14; jeweils m.w.N.).

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cc) Danach konnte die schuldhafte ungeprüfte Unterzeichnung und Weitergabe des Fristverlängerungsantrages durch den Prozessbevollmächtigten der Beklagten ihre rechtliche Erheblichkeit nicht durch die Anweisung verlieren, die Sache noch dem Sozius vorzulegen. Das nachfolgende Fehlverhalten seines Mitarbeiters vermochte den Anwalt nicht zu entlasten. Er hat durch sein eigenes Verhalten mit der Übergabe eines absendefähigen Schriftsatzes eine "Gefahrensituation" geschaffen (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Dezember 1984 aaO 286). Die Realisierung dieser Gefahr durch Versendung eines fehlerhaft adressierten Schriftsatzes war durch die genannte Vorlageanweisung an den Mitarbeiter nicht mit Sicherheit auszuschließen. Die einem Anwalt obliegenden Sorgfaltspflichten und seine daraus sich ergebende Verantwortlichkeit bleiben selbst im Fall einer weisungsgemäßen Verwendung von Blankounterschriften unberührt; allein in Bezug auf die Einhaltung von Formvorschriften - etwa bei weitgehend formalisierten Texten - kann ein solches Vorgehen unbedenklich sein (BGH, Beschluss vom 23. Juni 2005 aaO 1428).

Dr. Kessal-Wulf                                                      Wendt                                                         Felsch

                                    Harsdorf-Gebhardt                                        Dr. Karczewski