Entscheidungsdatum: 15.05.2015
NV: Die bloße Anweisung, dass diejenige Mitarbeiterin, die zuletzt die Kanzlei verlässt, anhand des Fristenkalenders prüft, ob alle Fristen erledigt sind, genügt nicht den Anforderungen an eine zur Vermeidung von Fristversäumnissen geeignete Kanzleiorganisation .
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Finanzgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 26. März 2014 3 K 10/10 wird als unzulässig verworfen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.
I. Das Finanzgericht wies die einen Grundsteuermessbetrag betreffende Klage der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) durch Urteil vom 26. März 2014 ab und ließ die Revision zu. Das Urteil wurde der prozessbevollmächtigten Anwaltskanzlei ausweislich des Empfangsbekenntnisses am 10. April 2014 zugestellt.
Die Revision ging am Dienstag, den 13. Mai 2014, beim Bundesfinanzhof (BFH) per Telefax ein. Zugleich beantragte die Klägerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Revisionsfrist. Zur Begründung führte sie aus, das Personal ihrer Prozessbevollmächtigten sei angewiesen worden, dass diejenige Mitarbeiterin, die zuletzt die Kanzlei verlasse, anhand des Fristenkalenders prüfe, ob alle Fristen erledigt seien. Da Frau L an diesem Abend ihre Tochter habe abholen müssen und daher unter terminlichem Druck gestanden habe, habe sie es versäumt, an diesem Abend die sonst übliche und in der Vergangenheit auch ausnahmslos durchgeführte Prüfung vorzunehmen. Die Frist sei auch nicht als erledigt gestrichen worden. Am Morgen des 13. Mai 2014 habe L dann das ihr unterlaufene Versäumnis festgestellt. L sei seit einem Jahr in der Kanzlei als Rechtsanwaltsfachangestellte beschäftigt und habe ihre Aufgaben bisher stets sorgfältig und zur vollsten Zufriedenheit erfüllt. Die zu der Kanzlei gehörenden Rechtsanwälte hätten sich durch stichprobenartig vorgenommene Prüfungen von ihrer Zuverlässigkeit überzeugen können. Es sei dies das erste Mal, dass L eine im Terminkalender eingetragene Frist unbeachtet gelassen habe. Zur Glaubhaftmachung wurden der Revisionsschrift eine Versicherung an Eides statt der L und eine beglaubigte Ablichtung des Terminkalenders beigefügt. L arbeitet nach dieser Versicherung "seit dem 01.05.2014" in der Anwaltskanzlei.
Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und den Beklagten und Revisionsbeklagten (das Finanzamt --FA--) zu verpflichten, unter Aufhebung des Bescheids vom 24. April 2009 zur Neuberechnung des Grundsteuermessbetrags auf den 1. Januar 2007 und der Einspruchsentscheidung vom 11. Dezember 2009 bei der Festsetzung des Grundsteuermessbetrags auf den 1. Januar 2007 eine landwirtschaftliche Nutzfläche von 63,03 ha zugrunde zu legen.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
II. Die Revision ist unzulässig und war daher durch Beschluss zu verwerfen (§ 126 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Die Klägerin hat die Frist zur Einlegung der Revision versäumt. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist nicht zu gewähren.
1. Gemäß § 120 Abs. 1 Satz 1 FGO ist die Revision beim BFH innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils des FG schriftlich einzulegen. Dies ist vorliegend nicht geschehen. Die Monatsfrist begann mit der Zustellung der Vorentscheidung am 10. April 2014 und lief gemäß § 54 Abs. 2 FGO i.V.m. § 222 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) am Montag, den 12. Mai 2014 ab. Die Revision ging erst am Dienstag, den 13. Mai 2014, beim BFH per Telefax ein.
2. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Revisionsfrist kann nicht gewährt werden.
a) Nach § 56 Abs. 1 FGO ist einem Beteiligten auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn er ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Dabei schließt jedes Verschulden, also auch einfache Fahrlässigkeit, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus (BFH-Beschlüsse vom 9. Januar 2014 X R 14/13, BFH/NV 2014, 567, Rz 11; vom 26. Februar 2014 IX R 41/13, BFH/NV 2014, 881, Rz 10, und vom 16. September 2014 II B 46/14, BFH/NV 2015, 49, Rz 4). Ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten ist dem Beteiligten nach § 155 FGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen.
b) Die Tatsachen zur Begründung des Antrags auf Wiedereinsetzung müssen innerhalb der in § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO bestimmten Frist vollständig, substantiiert und in sich schlüssig dargelegt werden (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 13. September 2012 XI R 13/12, BFH/NV 2013, 60, Rz 13, 19; in BFH/NV 2014, 881, Rz 10; vom 28. März 2014 IX B 115/13, BFH/NV 2014, 896, Rz 4, und in BFH/NV 2015, 49, Rz 6). Sie müssen ferner bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft gemacht werden (§ 56 Abs. 2 Satz 2 FGO).
c) Angehörige der rechts- und steuerberatenden Berufe müssen für eine zuverlässige Fristenkontrolle sorgen und die Organisation des Bürobetriebs so gestalten, dass Fristversäumnisse vermieden werden (BFH-Beschlüsse vom 27. Juli 2011 IV B 131/10, BFH/NV 2011, 1909, m.w.N., und in BFH/NV 2014, 567, Rz 12). Wird --wie im Streitfall-- Wiedereinsetzung wegen eines entschuldbaren Büroversehens begehrt, muss substantiiert und schlüssig vorgetragen werden, dass kein Organisationsfehler vorliegt, d.h. dass der Prozessbevollmächtigte alle Vorkehrungen getroffen hat, die nach vernünftigem Ermessen die Nichtbeachtung von Fristen auszuschließen geeignet sind (z.B. BFH-Beschlüsse vom 14. Dezember 2011 X B 50/11, BFH/NV 2012, 440; vom 30. April 2013 IV R 38/11, BFH/NV 2013, 1117, Rz 19, und in BFH/NV 2014, 567, Rz 12). Kann aufgrund des Vortrags nicht ausgeschlossen werden, dass an der Fristversäumnis ursächlich auch ein Organisationsverschulden des Prozessbevollmächtigten mitgewirkt hat, kann keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden (BFH-Beschluss vom 13. September 2012 XI R 48/10, BFH/NV 2013, 212, Rz 13, m.w.N.).
Nach gefestigter Rechtsprechung verlangt die Sorgfaltspflicht des Prozessbevollmächtigten in Fristsachen zuverlässige Vorkehrungen, um den rechtzeitigen Ausgang fristwahrender Schriftsätze sicherzustellen. Zu seinen Aufgaben gehört es deshalb, durch entsprechende Organisation seines Büros dafür zu sorgen, dass die Fristen ordnungsgemäß eingetragen und beachtet werden (Beschlüsse des Bundesgerichtshofs --BGH-- vom 27. Januar 2015 II ZB 21/13, Wertpapier-Mitteilungen --WM-- 2015, 779, Rz 7, und vom 27. Januar 2015 II ZB 23/13, WM 2015, 780, Rz 8). Er muss sein Büro so organisieren, dass fristgebundene Schriftsätze rechtzeitig gefertigt werden und beim zuständigen Gericht eingehen (BGH-Beschluss vom 4. November 2014 VIII ZB 38/14, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 2015, 253, Rz 8). Dazu muss er insbesondere sicherstellen, dass ihm die Akten von Verfahren, in denen Rechtsmitteleinlegungs- und Rechtsmittelbegründungsfristen laufen, rechtzeitig vorgelegt werden (BGH-Beschluss vom 26. Februar 2015 III ZB 55/14, WM 2015, 782, Rz 8). Dies kann durch Verfügung einer "Vorfrist" oder eines Vorlagetermins geschehen (BFH-Beschlüsse vom 6. Mai 1987 II R 40/86, BFH/NV 1988, 444, und vom 4. Juli 2008 IV R 78/05, BFH/NV 2008, 1860, unter II.2.b).
Der Prozessbevollmächtigte muss darüber hinaus die Ausgangskontrolle von fristgebundenen Schriftsätzen so organisieren, dass sie einen gestuften Schutz gegen Fristversäumungen bietet (BGH-Beschluss in NJW 2015, 253, Rz 9, m.w.N.). Bei der allabendlichen Kontrolle fristgebundener Sachen ist eine nochmalige, selbständige Prüfung erforderlich (BGH-Beschlüsse in NJW 2015, 253, Rz 9, und in WM 2015, 782, Rz 8, je m.w.N.). Dies ergibt sich schon daraus, dass selbst bei sachgerechten Organisationsabläufen individuelle Bearbeitungsfehler auftreten können, die es nach Möglichkeit aufzufinden und zu beheben gilt (BGH-Beschlüsse in NJW 2015, 253, Rz 8, und in WM 2015, 782, Rz 18, m.w.N.).
d) Diese Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Revisionsfrist sind im Streitfall nicht erfüllt. Nach dem Vorbringen der Klägerin kann nicht ausgeschlossen werden, dass an der Fristversäumnis ursächlich auch ein Organisationsverschulden der Mitglieder der prozessbevollmächtigten Rechtsanwaltskanzlei mitgewirkt hat. Die Klägerin hat nicht substantiiert und in sich schlüssig dargelegt, dass die Fristversäumnis nicht auf Verschulden der Mitglieder beruhe. Die bloße Anweisung, dass diejenige Mitarbeiterin, die zuletzt die Kanzlei verlässt, anhand des Fristenkalenders prüft, ob alle Fristen erledigt sind, genügt nicht den Anforderungen an eine zur Vermeidung von Fristversäumnissen geeignete Kanzleiorganisation. Eine solche Anordnung stellt anders als eine im Fristenkalender notierte "Vorfrist" oder ein rechtzeitiger Wiedervorlagetermin nicht sicher, dass die Akten von Verfahren, in denen Rechtsmitteleinlegungs- und Rechtsmittelbegründungsfristen laufen, einem Mitglied der Kanzlei rechtzeitig vorgelegt werden, und fristgebundene Schriftsätze rechtzeitig gefertigt werden. Zudem entspricht eine derartige Anweisung nicht dem Erfordernis, dass die Ausgangskontrolle von fristgebundenen Schriftsätzen so organisiert werden muss, dass sie einen gestuften Schutz gegen Fristversäumnisse bietet. Individuelle Bearbeitungsfehler, wie sie selbst bei sachgerechten Organisationsabläufen auftreten können, werden bei einer solchen Anweisung allenfalls zufällig entdeckt.
Davon abgesehen hat die Klägerin ihr Vorbringen, L sei bei Fristablauf seit einem Jahr in der prozessbevollmächtigten Kanzlei als Rechtsanwaltsfachangestellte beschäftigt gewesen, nicht glaubhaft gemacht. L arbeitete nach der von ihr abgegebenen Versicherung an Eides statt erst seit 1. Mai 2014 in der Kanzlei. Bis zum Fristablauf am 12. Mai 2014 waren danach nur wenige Arbeitstage vergangen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.