Entscheidungsdatum: 31.10.2018
Apothekenmuster
Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden zur Auslegung des Art. 96 der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel (ABl. L 311 vom 6. November 2001, S. 67) in der zuletzt durch die Verordnung (EU) 2017/745 (ABl. L 117 vom 5. April 2017, S. 1) geänderten Fassung folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Ist Art. 96 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83/EG dahin auszulegen, dass pharmazeutische Unternehmer kostenlose Fertigarzneimittel auch an Apotheker abgeben dürfen, wenn deren Verpackungen mit der Aufschrift "zu Demonstrationszwecken" versehen sind, die Arzneimittel der Erprobung des Arzneimittels durch den Apotheker dienen, keine Gefahr einer (ungeöffneten) Weitergabe an Endverbraucher besteht und die in Art. 96 Abs. 1 Buchst. a bis d und f bis g dieser Richtlinie geregelten weiteren Voraussetzungen einer Abgabe vorliegen?
2. Falls die Frage 1 bejaht wird: Erlaubt Art. 96 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83/EG eine nationale Vorschrift wie § 47 Abs. 3 AMG, wenn diese so ausgelegt wird, dass pharmazeutische Unternehmer kostenlose Fertigarzneimittel nicht an Apotheker abgeben dürfen, wenn deren Verpackungen mit der Aufschrift "zu Demonstrationszwecken" versehen sind, die Arzneimittel der Erprobung des Arzneimittels durch den Apotheker dienen, keine Gefahr einer (ungeöffneten) Weitergabe an Endverbraucher besteht und die in Art. 96 Abs. 1 Buchst. a bis d und f bis g dieser Richtlinie und die in § 47 Abs. 4 AMG geregelten weiteren Voraussetzungen einer Abgabe vorliegen?
I. Das Verfahren wird ausgesetzt.
II. Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden zur Auslegung des Art. 96 der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel (ABl. L 311 vom 6. November 2001, S. 67) in der zuletzt durch die Verordnung (EU) Nr. 2017/745 (ABl. L 117 vom 5. April 2017, S. 1) geänderten Fassung folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Ist Art. 96 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83/EG dahin auszulegen, dass pharmazeutische Unternehmer kostenlose Fertigarzneimittel auch an Apotheker abgeben dürfen, wenn deren Verpackungen mit der Aufschrift "zu Demonstrationszwecken" versehen sind, die Arzneimittel der Erprobung des Arzneimittels durch den Apotheker dienen, keine Gefahr einer (ungeöffneten) Weitergabe an Endverbraucher besteht und die in Art. 96 Abs. 1 Buchst. a bis d und f bis g dieser Richtlinie geregelten weiteren Voraussetzungen einer Abgabe vorliegen?
2. Falls die Frage 1 bejaht wird: Erlaubt Art. 96 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83/EG eine nationale Vorschrift wie § 47 Abs. 3 AMG, wenn diese so ausgelegt wird, dass pharmazeutische Unternehmer kostenlose Fertigarzneimittel nicht an Apotheker abgeben dürfen, wenn deren Verpackungen mit der Aufschrift "zu Demonstrationszwecken" versehen sind, die Arzneimittel der Erprobung des Arzneimittels durch den Apotheker dienen, keine Gefahr einer (ungeöffneten) Weitergabe an Endverbraucher besteht und die in Art. 96 Abs. 1 Buchst. a bis d und f bis g dieser Richtlinie und die in § 47 Abs. 4 AMG geregelten weiteren Voraussetzungen einer Abgabe vorliegen?
I. Die Klägerin stellt her und vertreibt das Arzneimittel "V. " mit dem Wirkstoff "D. ". Die Beklagte vertreibt das apothekenpflichtige Arzneimittel "Di. " zu einem Apothekenabgabepreis von 9,97 €. Im Jahr 2013 gaben Außendienstmitarbeiter der Beklagten Verkaufspackungen der Größe N2 (100g) dieses Arzneimittels kostenlos an Apotheken ab, die wie nachfolgend eingeblendet mit der Aufschrift "zu Demonstrationszwecken" versehen waren.
Die Klägerin sieht darin einen Verstoß gegen die Bestimmung des § 47 Abs. 3 AMG, nach der eine Abgabe von Mustern eines Fertigarzneimittels an Apotheken nicht gestattet sei. Außerdem liege eine gemäß § 7 Abs. 1 HWG unzulässige Gewährung von Werbegaben vor.
Das Landgericht hat die Beklagte - soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung - unter Androhung von Ordnungsmitteln verurteilt, es zu unterlassen,
im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs das Arzneimittel Di. in der Packungsgröße N2 mit der Aufschrift "zu Demonstrationszwecken" kostenlos an Apotheker abzugeben und/oder abgeben zu lassen.
Die Berufung der Beklagten ist ohne Erfolg geblieben (OLG Frankfurt, GRUR-RR 2017, 30). Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Abweisung der Klage weiter.
II. Für den Erfolg der Revision kommt es darauf an, ob der Bestimmung des § 47 Abs. 3 AMG das Verbot der kostenlosen Abgabe von Fertigarzneimitteln zu Demonstrationszwecken an Apotheken zu entnehmen ist. Die Beantwortung dieser Frage hängt wiederum von der Auslegung von Art. 96 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2001/83/EG zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel ab. Vor einer Entscheidung ist deshalb das Verfahren auszusetzen und gemäß Art. 267 Abs. 1 Buchst. b und Abs. 3 AEUV eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union einzuholen.
1. Das Berufungsgericht hat den Unterlassungsantrag gemäß § 8 Abs. 1, § 3 Abs. 1 UWG, § 4 Nr. 11 UWG aF, § 3a UWG in Verbindung mit § 47 Abs. 3 AMG als begründet erachtet. Dazu hat es ausgeführt:
Die Bestimmung des § 47 Abs. 3 AMG verbiete pharmazeutischen Unternehmern die Abgabe von Mustern eines Fertigarzneimittels an Apotheken. In dieser Vorschrift seien die Personen, an die Muster von Fertigarzneimitteln abgegeben werden dürften, abschließend aufgezählt. Apotheken seien dort nicht genannt. Die Gesetzessystematik zwinge zu keiner abweichenden Beurteilung. Zwar dürften nach der allgemeinen Bestimmung des § 47 Abs. 1 AMG Arzneimittel nur in Apotheken gegenüber dem Endverbraucher abgegeben werden. § 47 Abs. 3 AMG sei allerdings ein Spezialtatbestand für die Abgabe von Mustern von Fertigarzneimitteln. Der Sinn und Zweck der Bestimmung sowie eine unionsrechtskonforme Auslegung stünden dem ausgesprochenen Verbot ebenfalls nicht entgegen. Gemäß Art. 96 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83/EG dürften Gratismuster nur ausnahmsweise unter bestimmten Voraussetzungen an zur Verschreibung berechtigte Personen - also Ärzte - abgegeben werden. Selbst wenn man davon ausgehe, dass damit eine Abgabe an Apotheker weder erlaubt noch verboten werde, lasse jedenfalls Art. 96 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83/EG strengere Vorschriften im nationalen Recht zu. Die Bestimmung des § 47 Abs. 3 AMG sei als eine solche strengere Vorschrift anzusehen. Dem stehe nicht entgegen, dass im Erwägungsgrund 51 der Richtlinie 2001/83/EG, in dem die Abgabe von Gratismustern von Arzneimitteln angesprochen sei, neben den zur Verschreibung auch die zur Abgabe von Arzneimitteln berechtigten Personen genannt würden.
Einem Verbot gemäß § 47 Abs. 3 AMG stehe im Streitfall nicht entgegen, dass die Arzneimittelpackungen nicht als "unverkäufliches Muster" gekennzeichnet gewesen seien, sondern die Aufschrift "zu Demonstrationszwecken" getragen hätten. Außerdem sei unerheblich, dass die Abgabe durch die Beklagte der Erprobung der Arzneimittel durch den Apotheker gedient und keine konkrete Gefahr einer (ungeöffneten) Weitergabe an Endverbraucher bestanden habe. Es komme nicht darauf an, ob es - wie die Beklagte behauptet habe - allein darum gegangen sei, dem Apotheker die Prüfung des Geruchs und der Konsistenz des Schmerzmittels auf seiner (eigenen) Haut zu ermöglichen oder zu demonstrieren.
2. Die Begründetheit des in Rede stehenden Unterlassungsantrags kann sich aus § 8 Abs. 1, § 3 Abs. 1 UWG in Verbindung mit den Rechtsbruchtatbeständen des Lauterkeitsrechts gemäß § 3a UWG und § 4 Nr. 11 UWG aF in Verbindung mit § 47 Abs. 3 AMG ergeben (dazu unter II 2 a). Bei der Anwendung dieser Bestimmung stellen sich klärungsbedürftige Fragen zur Auslegung des Unionsrechts (dazu unter II 2 b). Diese Fragen sind entscheidungserheblich, weil der Unterlassungsantrag nicht wegen eines Verstoßes gegen das Verbot von Werbegaben gemäß § 7 Abs. 1 HWG begründet ist (dazu unter II 2 c).
a) Die allgemeinen Voraussetzungen eines wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsanspruchs unter dem Gesichtspunkt des Rechtsbruchs (§ 8 Abs. 1, § 3 Abs. 1, § 3a UWG, § 4 Nr. 11 UWG aF) liegen vor.
Die Parteien sind Mitbewerber im Sinne von § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG. Bei § 47 Abs. 3 AMG handelt es sich um eine Marktverhaltensregelung im Sinne von § 3a UWG und § 4 Nr. 11 UWG aF, deren Missachtung geeignet ist, den Wettbewerb zum Nachteil von Mitbewerbern und Verbrauchern im Sinne des § 3 Abs. 1 UWG aF, § 3a UWG spürbar zu beeinträchtigen. § 47 Abs. 3 AMG beschränkt im Interesse der Arzneimittelsicherheit die Abgabemöglichkeiten von Arzneimittelmustern und dient damit auch dem Gesundheitsschutz der Verbraucher (vgl. Unterrichtung der Bundesregierung, BT-Drucks. 12/5226, S. 23; vgl. OLG Hamburg, GRUR-RR 2015, 76; OLG Hamburg, Beschluss vom 10. Februar 2015 - 3 U 16/13, juris Rn. 41; Miller in Kügel/Müller/Hofmann, AMG, 2. Aufl., § 47 Rn. 63 und 97; Mand in Gröning/Mand/Reinhart, Heilmittelwerberecht, Lieferung Januar 2015, § 7 HWG Rn. 254). Daraus folgt zugleich, dass ein Verstoß gegen diese Bestimmung gemäß § 3a UWG und § 3 Abs. 1 UWG aF geeignet ist, die Interessen der Verbraucher spürbar zu beeinträchtigen (vgl. BGH, Urteil vom 6. November 2014 - I ZR 26/13, GRUR 2015, 504 Rn. 29 = WRP 2015, 565 - Kostenlose Zweitbrille; Urteil vom 29. März 2018 - I ZR 243/14, GRUR 2018, 745 Rn. 13 = WRP 2018, 822 - Bio-Gewürze II, mwN; OLG Hamburg, Beschluss vom 10. Februar 2015 - 3 U 16/13, juris Rn. 42). Der Verfolgung eines Verstoßes gegen § 47 Abs. 3 AMG als unlautere geschäftliche Handlung steht nicht entgegen, dass die Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken die Vorschriften der Mitgliedstaaten über unlautere Geschäftspraktiken von Unternehmen gegenüber Verbrauchern grundsätzlich vollständig harmonisiert (Art. 3 Abs. 1, Art. 4 der Richtlinie 2005/29/EG). Die Richtlinie lässt nach ihrem Art. 3 Abs. 3 die Rechtsvorschriften der Union oder der Mitgliedstaaten in Bezug auf die Gesundheits- und Sicherheitsaspekte von Produkten unberührt. Bei § 47 Abs. 3 AMG handelt es sich um eine solche Rechtsvorschrift.
b) Für die Begründetheit des Klageantrags kommt es darauf an, wie die Bestimmung des § 47 Abs. 3 AMG im Lichte der Bestimmungen der Richtlinie 2001/83/EG auszulegen ist. Dabei stellen sich klärungsbedürftige Fragen zur Auslegung von Art. 96 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2001/83/EG.
aa) Gemäß § 47 Abs. 3 Satz 1 AMG dürfen pharmazeutische Unternehmer Muster eines Fertigarzneimittels an Ärzte, Zahnärzte oder Tierärzte (Nr. 1), an andere Personen, die die Heilkunde oder Zahnheilkunde berufsmäßig ausüben, soweit es sich nicht um verschreibungspflichtige Arzneimittel handelt (Nr. 2), sowie an Ausbildungsstätten für die Heilberufe (Nr. 3) abgeben oder abgeben lassen. Erforderlich ist außerdem die Einhaltung der weiteren in § 47 Abs. 4 AMG geregelten Voraussetzungen.
bb) Das Berufungsgericht hat nicht festgestellt, dass die in § 47 Abs. 4 AMG geregelten weiteren Voraussetzungen für eine Abgabe von Mustern nicht vorliegen. Im Streitfall kommt es mithin auf die Frage an, ob der Vorschrift des § 47 Abs. 3 AMG ein an pharmazeutische Unternehmer gerichtetes gesetzliches Verbot zu entnehmen ist, kostenlos Packungen von Fertigarzneimitteln an Apotheken abzugeben. Diese Frage ist umstritten.
(1) Überwiegend wird vertreten, dass die Abgabe von Arzneimittelmustern in § 47 Abs. 3 AMG abschließend geregelt ist und daher eine Abgabe nur an die dort aufgeführten Personen und Stellen zulässig ist; eine Abgabe an die in dieser Vorschrift nicht genannten Apotheker sei damit verboten (OLG Hamburg, GRUR-RR 2015, 76, 77; OLG Hamburg, Beschluss vom 10. Februar 2015 - 3 U 16/13, juris Rn. 33 f.; Kloesel/Cyran, Arzneimittelrecht, 132. Lieferung 2017, § 47 AMG Anm. 54; Sander, Arzneimittelrecht, 57. Lieferung Mai 2017, § 47 AMG Rn. 27; Rehmann, AMG, 4. Aufl., § 47 Rn. 16; Miller in Kügel/Müller/Hofmann aaO § 47 Rn. 64; Brixius in Bülow/Ring/Artz/Brixius, HWG, 5. Aufl., § 7 Rn. 141; Doepner/Reese, HWG, 3. Aufl., § 7 Rn. 184; v. Czettritz/Strelow, PharmR 2014, 188, 189).
Dies ergebe sich aus dem Wortlaut der Vorschrift, die konkret aufzähle, an welche Personen und Stellen Muster eines Fertigarzneimittels abgegeben werden dürften. Im Gegenschluss bedeute dies, dass dort nicht aufgeführte Personen wie Apotheker nicht beliefert werden dürften (OLG Hamburg, GRUR-RR 2015, 76; OLG Hamburg, Beschluss vom 10. Februar 2015 - 3 U 16/13, juris Rn. 34; Kloesel/Cyran aaO § 47 AMG Anm. 54; v. Czettritz/Strelow, PharmR 2014, 188, 189).
Dem könne nicht mit Erfolg entgegengehalten werden, dass pharmazeutische Unternehmer gemäß § 47 Abs. 1 AMG Apotheker ohnehin mit Arzneimitteln beliefern dürften und sich bereits daraus ein Belieferungsrecht auch in Bezug auf kostenlose Arzneimittelmuster ergebe. Kostenlose Arzneimittelmuster seien besondere Arzneimittelpackungen, die nicht der allgemeinen Regelung des § 47 Abs. 1 AMG unterfielen, sondern allein von der Spezialregelung in § 47 Abs. 3 AMG erfasst würden (OLG Hamburg, GRUR-RR 2015, 76 f.; OLG Hamburg, Beschluss vom 10. Februar 2015 - 3 U 16/13, juris Rn. 34; v. Czettritz/Strelow, PharmR 2014, 188, 189).
Es bestehe außerdem kein Bedürfnis, Apotheker durch die Abgabe von kostenlosen Packungen über das Arzneimittel zu informieren und damit eine sachgerechte Beratung des Patienten durch den Apotheker zu unterstützen. Apotheker könnten sich vielmehr anhand der ihnen zugänglichen Verkaufsware informieren (Sander aaO § 47 AMG Rn. 27; Miller in Kügel/Müller/Hofmann aaO § 47 Rn. 64; Kloesel/Cyran aaO § 47 Anm. 54; Brixius in Bülow/Ring/Artz/Brixius aaO § 7 Rn. 141).
(2) Nach einer anderen Ansicht verbietet § 47 Abs. 3 AMG die Abgabe von kostenlosen Fertigarzneimittelpackungen an Apotheker nicht (Kozianka/Dietel, PharmR 2014, 5 ff.; Kieser, A&R 2014, 285 ff.).
Der Wortlaut des § 47 Abs. 3 AMG enthalte kein Verbot der Abgabe an Apotheker. Dass Apotheker in dieser Bestimmung nicht als berechtigte Personen aufgeführt seien, sei ohne Bedeutung. Anders als bei Ärzten gebe es kein an den pharmazeutischen Unternehmer adressiertes Verbot, dem Apotheker Arzneimittel zu liefern. Die Abgabe von Arzneimitteln an Apotheker sei vielmehr nach § 47 Abs. 1 AMG grundsätzlich zulässig. Damit habe - anders als im Hinblick auf Ärzte - für den Gesetzgeber kein Bedürfnis bestanden, auch Apotheker in die Ausnahmevorschrift des § 47 Abs. 3 AMG aufzunehmen (Kozianka/Dietel, PharmR 2014, 5 f.; Kieser, A&R 2014, 285, 286).
Eine unterschiedliche Behandlung von Ärzten und Apothekern sei zudem unzulässig. Sowohl der Arzt als auch der Apotheker müssten sich kostenlos über neue Arzneimittel informieren und die Anwendung gegenüber Kunden demonstrieren können (Mand in Gröning/Mand/Reinhart aaO § 7 HWG Rn. 253; Kieser, A&R 2014, 285, 286 f.; vgl. auch v. Czettritz/Strelow, PharmR 2014, 188, 190, die ein solches Bedürfnis de lege ferenda anerkennen). Dass Ärzte kostenfreie Muster erhalten könnten, Apotheker die zu Demonstrationszwecken benötigten Arzneimittel aber bezahlen müssten, wäre sachlich nicht gerechtfertigt und verstieße gegen die Berufsausübungsfreiheit und den Gleichheitssatz (Kieser, A&R 2014, 285, 286 f.).
cc) Für die Begründetheit des Klageantrags ist die Frage zu klären, ob Art. 96 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83/EG dahin auszulegen ist, dass pharmazeutische Unternehmer kostenlose Fertigarzneimittel an Apotheker abgeben dürfen, wenn deren Verpackungen mit der Aufschrift "zu Demonstrationszwecken" versehen sind, die Arzneimittel der Erprobung des Arzneimittels durch den Apotheker dienen und bei denen keine Gefahr einer (ungeöffneten) Weitergabe an Endverbraucher besteht, sofern - wovon im Streitfall mangels abweichender Feststellungen des Berufungsgerichts auszugehen ist - die weiteren in Art. 96 Abs. 1 Buchst. a bis d, f und g dieser Richtlinie geregelten Voraussetzungen einer Abgabe erfüllt sind.
(1) Die Bestimmung des § 47 Abs. 3 AMG ist unionsrechtskonform im Lichte von Art. 96 der Richtlinie 2001/83/EG auszulegen.
Durch die Richtlinie 2001/83/EG ist eine vollständige Harmonisierung des Bereichs der Arzneimittelwerbung erfolgt (vgl. EuGH, Urteil vom 8. November 2007 - C-374/05, GRUR 2008, 267 Rn. 39 - Gintec; BGH, Urteil vom 29. April 2010 - I ZR 202/07, GRUR 2010, 749 Rn. 31 = WRP 2010, 1030 - Erinnerungswerbung im Internet; Urteil vom 28. September 2011 - I ZR 96/10, GRUR 2012, 647 Rn. 27 = WRP 2012, 705 - INJECTIO; Beschluss vom 16. April 2015 - I ZR 130/15, GRUR 2015, 705 Rn. 14 = WRP 2015, 863 - Weihrauch-Extrakt-Kapseln I). Gemäß Art. 96 der Richtlinie 2001/83/EG gelten die Maßstäbe dieser Richtlinie auch für Verkaufsförderungsmaßnahmen der Pharmaindustrie, die in der Abgabe von kostenlosen Arzneimitteln an Fachkreise bestehen. Ebenso wie mit dem in Art. 94 Abs. 1 und 3 der Richtlinie 2001/83/EG geregelten Verbot der Vorteilsgewährung sollen mit den in Art. 96 der Richtlinie getroffenen Bestimmungen Verkaufsförderungspraktiken verhindert werden, die geeignet sind, bei den Angehörigen der Gesundheitsberufe ein wirtschaftliches Interesse an der Verschreibung oder Abgabe von Arzneimitteln zu wecken (zu Art. 94 der Richtlinie 2001/83/EG vgl. EuGH, Urteil vom 22. April 2010 - C-62/09, Slg. I-2010, 3629 = PharmR 2010, 283 Rn. 29 - ABPI/MHPR). Die Bestimmung des § 47 Abs. 3 AMG dient der Umsetzung von Art. 96 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83/EG in das deutsche Recht (vgl. OLG Hamburg, Beschluss vom 10. Februar 2015 - 3 U 16/13, juris Rn. 30).
(2) Gemäß Art. 96 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83/EG dürfen Gratismuster nur ausnahmsweise unter den in den Buchstaben a bis g der Vorschrift geregelten weiteren Voraussetzungen an die zur Verschreibung berechtigten Personen abgegeben werden.
(3) Aus der im Wortlaut dieser Bestimmung vorgenommenen Begrenzung des Personenkreises auf die zur Verschreibung berechtigten Personen und der Wendung "ausnahmsweise" wird für die unionsrechtskonforme Auslegung von § 47 Abs. 3 AMG geschlossen, pharmazeutische Unternehmer dürften Gratismuster von Arzneimitteln allein an die zur Verschreibung von Arzneimitteln berechtigten Personen wie Ärzte, nicht aber an die nur zur Abgabe von Arzneimitteln berechtigten Apotheker abgeben (OLG Hamburg, GRUR-RR 2015, 76, 77; OLG Hamburg, Beschluss vom 10. Februar 2015 - 3 U 16/13, juris Rn. 35; Miller in Kügel/Müller/Hofmann aaO § 47 Rn. 64; Doepner/Reese aaO § 7 Rn. 185; v. Czettritz/Strelow, PharmR 2014, 188, 190). Dies gelte zumal deshalb, weil die weiteren Sprachfassungen der Richtlinie noch eindeutiger als die deutsche erkennen ließen, dass Muster "allein" an Ärzte abgegeben werden dürften (v. Czettritz/Strelow, PharmR 2014, 188, 189).
(4) Dagegen wird eingewandt, aus dem Wortlaut des Art. 96 der Richtlinie 2001/83/EG ergebe sich nur, unter welchen Voraussetzungen Muster an Ärzte abgegeben werden dürften, nicht aber ein Verbot in Bezug auf andere Berufsgruppen wie etwa Apotheker (Kozianka/Dietel, PharmR 2014, 5, 7). Außerdem beschränke sich der Regelungsgehalt von Art. 96 der Richtlinie 2001/83/EG auf bestimmte Arten von Arzneimitteln, nämlich auf gemäß Buchstabe e der Bestimmung gekennzeichnete "unverkäufliche Gratisärztemuster". Die kostenlose Abgabe eines Arzneimittels an eine Apotheke zu Demonstrationszwecken falle nicht unter den Begriff des "Gratisärztemusters" im Sinne von Art. 96 der Richtlinie 2001/83/EG (Kieser, A&R 2014, 285, 286). Apotheker könnten vielmehr Arzneimittel ohnehin in jeder Form beziehen (Mand in Gröning/Mand/Reinhart aaO § 7 HWG Rn. 253).
Für eine solche Auslegung könnte Erwägungsgrund 51 der Richtlinie sprechen. Danach können Gratismuster von Arzneimitteln unter Einhaltung bestimmter einschränkender Bedingungen an die zur Verschreibung "oder Abgabe" von Arzneimitteln berechtigten Personen abgegeben werden, damit sich diese mit neuen Arzneimitteln vertraut machen und Erfahrungen bei deren Anwendung sammeln können. Daraus wird gefolgert, dass die Bestimmungen der Richtlinie eine Belieferung von Apothekern als zur Abgabe von Arzneimitteln berechtigte Personen mit Gratismustern zum Zwecke der Erprobung nicht verbieten (vgl. Mand in Gröning/Mand/Reinhart aaO § 7 HWG Rn. 253; Kozianka/Dietel, PharmR 2014, 5, 7; Kieser, A&R 2014, 285, 286). Verboten sei gemäß Art. 88 Abs. 6 und Erwägungsgrund 46 der Richtlinie nur die direkte Abgabe von Gratismustern an die Öffentlichkeit zum Zwecke der Verkaufsförderung (Kieser, A&R 2014, 285, 286).
Einer Auslegung von Art. 96 der Richtlinie 2001/83/EG im Sinne eines Verbots der Abgabe von Gratisarzneimitteln an Apotheker zum alleinigen Zweck der Erprobung könnte außerdem entgegenstehen, dass - durch den Richtliniengeber im Erwägungsgrund 51 grundsätzlich anerkannt - nicht nur bei Ärzten, sondern auch bei Apothekern, die ebenso wie Ärzte zur Beratung der Patienten verpflichtet sind, ein im Hinblick auf eine sichere Arzneimittelanwendung schutzwürdiges Interesse daran besteht, sich mit neuen Arzneimitteln vertraut zu machen und Erfahrungen bei deren Anwendung zu sammeln (Mand in Gröning/Mand/Reinhart aaO § 7 HWG Rn. 253; vgl. auch Kiethe, WRP 1976, 133, 134).
Vor diesem Hintergrund könnte die Annahme eines die kostenlose Abgabe an Apotheker umfassenden Verbots gemäß Art. 96 der Richtlinie 2001/83/EG eine unverhältnismäßige Einschränkung des Rechts der pharmazeutischen Unternehmen und Apotheker auf Berufsfreiheit und unternehmerische Freiheit im Sinne von Art. 15 Abs. 1 und Art. 16 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und der Berufsfreiheit gemäß Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG sowie eine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung von Ärzten und Apothekern gemäß Art. 20 Grundrechtecharta, Art. 3 Abs. 1 GG darstellen (vgl. Kieser, A&R 2014, 285, 287; vgl. auch Kiethe, WRP 1976, 133, 134).
Dies könnte jedenfalls insoweit der Fall sein, als - wie im Streitfall - Fertigarzneimittel in Rede stehen, deren Verpackungen mit der Aufschrift "zu Demonstrationszwecken" versehen sind, die der Erprobung des Geruchs und der Konsistenz des Arzneimittels durch den Apotheker dienen und bei denen keine Gefahr einer (ungeöffneten) Weitergabe an Endverbraucher besteht. Die Beklagte hat geltend gemacht, sie habe die streitgegenständlichen Packungen kostenlos an Apotheken geliefert, nachdem das Vorgängerprodukt aufgrund des Geruchs und schlechter Verteilbarkeit des Gels von Apothekern bemängelt worden sei. Abweichende Feststellungen hat das Berufungsgericht nicht getroffen, so dass die von der Beklagten behauptete Zweckbestimmung im Streitfall zugrundezulegen ist.
(5) Weiter wird geltend gemacht, dass die Annahme eines in Art. 96 der Richtlinie 2001/83/EG geregelten Verbots der Abgabe von Gratisarzneimitteln zu Erprobungszwecken an Apotheker in Widerspruch zu Art. 94 Abs. 4 der Richtlinie stehe, nach dem die Mitgliedstaaten bei der Bestimmung von Naturalrabatten frei seien (Mand in Gröning/Mand/Reinhart aaO § 7 HWG Rn. 253; Kieser, A&R 2014, 285, 286).
dd) Für den Fall, dass Art. 96 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83/EG kein die Abgabe von Gratismuster zu Erprobungszwecken an Apotheken erfassendes Verbot zu entnehmen ist, kommt es für die Begründetheit des Klageantrags auf die Klärung der Frage an, ob Art. 96 Abs. 2 dieser Richtlinie eine nationale Vorschrift wie § 47 Abs. 3 AMG erlaubt, wenn diese dahin ausgelegt wird, dass pharmazeutische Unternehmer kostenlose Fertigarzneimittel nicht an Apotheker abgeben dürfen, deren Verpackungen mit der Aufschrift "zu Demonstrationszwecken" versehen sind, die der Erprobung des Geruchs und der Konsistenz des Arzneimittels durch den Apotheker dienen und hinsichtlich deren keine Gefahr einer (ungeöffneten) Weitergabe an Endverbraucher besteht.
(1) Durch die Richtlinie 2001/83/EG ist eine vollständige Harmonisierung des Bereichs der Arzneimittelwerbung erfolgt, wobei die Fälle, in denen die Mitgliedstaaten befugt sind, Bestimmungen zu erlassen, die von der in der Richtlinie getroffenen Regelungen abweichen, ausdrücklich aufgeführt sind (vgl. EuGH, GRUR 2008, 267 Rn. 39 - Gintec).
(2) Gemäß Art. 96 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83/EG können die Mitgliedstaaten die Abgabe von Mustern bestimmter Arzneimittel weiter als in Absatz 1 dieser Bestimmung geschehen einschränken. Das Berufungsgericht hat angenommen, dass die Vorschrift des § 47 Abs. 3 AMG jedenfalls aufgrund dieser ausdrücklichen Ermächtigung unionsrechtskonform ist.
(3) Gegen eine solche Auslegung könnte sprechen, dass sich der Wortlaut des Art. 96 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83/EG auf "bestimmte Arzneimittel" bezieht und damit eine Differenzierung nach Art des Arzneimittels (etwa nach dessen Gefährlichkeit oder Anwendungsart) nahelegt, während es im Streitfall darum geht, ob (bezogen auf jegliche Arzneimittel gleich welcher Art) bei der Zulässigkeit der Musterabgabe nach bestimmten Empfängerkategorien differenziert werden darf. Außerdem dürfte einer solchen Differenzierung zwischen Ärzten und Apothekern der Erwägungsgrund 51 der Richtlinie entgegenstehen. Diese Bestimmung erkennt - unabhängig von der Art des Arzneimittels - sowohl für den Arzt als auch den Apotheker ein Bedürfnis an, sich anhand von Gratismustern mit neuen Arzneimitteln vertraut zu machen und Erfahrungen bei deren Anwendung zu sammeln.
c) Die Fragen zur Auslegung von Art. 96 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2001/83/EG sind entscheidungserheblich, weil der Unterlassungsantrag nicht bereits wegen eines Verstoßes der Apotheker gegen das Verbot der Gewährung von Werbegaben gemäß § 7 Abs. 1 HWG gerechtfertigt ist.
aa) Die Klägerin hat geltend gemacht, der Klageantrag sei nicht nur wegen eines Verstoßes gegen § 47 Abs. 3 AMG begründet. Die Beklagte habe mit dem beanstandeten Verhalten vielmehr auch gegen das Verbot der Gewährung von Zuwendungen oder sonstigen Werbegaben gemäß § 7 Abs. 1 HWG verstoßen. Die vom Berufungsgericht offengelassene Frage, ob im Streitfall ein solcher Verstoß vorliegt, ist zu verneinen.
bb) Gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 HWG ist es unzulässig, Zuwendungen und sonstige Werbegaben (Waren oder Leistungen) anzubieten, anzukündigen oder zu gewähren oder als Angehöriger der Fachkreise anzunehmen, es sei denn, es liegt ein in § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 5 HWG geregelter Ausnahmetatbestand vor.
cc) Eine auf diese Vorschrift gestützte Verurteilung der Beklagten ist unzulässig, wenn die im Streitfall maßgebliche kostenlose Abgabe von Fertigarzneimittelpackungen an Apotheker, die der Erprobung des Geruchs und der Konsistenz des Arzneimittels durch den Apotheker dienen und hinsichtlich deren keine Gefahr einer (ungeöffneten) Weitergabe an Endverbraucher besteht, nicht gemäß § 47 Abs. 3 AMG verboten ist.
Gemäß § 7 Abs. 1 Satz 3 HWG bleibt § 47 Abs. 3 AMG unberührt. Damit hat der Gesetzgeber klargestellt, dass eine gemäß § 47 Abs. 3 AMG erlaubte Abgabe von Mustern nicht gemäß § 7 Abs. 1 HWG verboten sein kann (OLG Hamburg, Beschluss vom 10. Februar 2015 - 3 U 16/13, juris Rn. 43; Mand in Gröning/Mand/Reinhart aaO § 7 HWG Rn. 251; Doepner/Reese aaO § 7 Rn. 173; Reinhart in Fezer/Büscher/Obergfell, UWG, 3. Aufl., S. 4 Rn. 514; Zimmermann, HWG, 2012, § 7 Rn. 11; Fritsche in Spickhoff, Medizinrecht, 3. Aufl., § 7 HWG Rn. 30; Brixius in Bülow/Ring/Artz/Brixius aaO § 7 Rn. 140; Kozianka/Dietel, PharmR 2014, 5, 7). Auch bei der Bestimmung des Art. 96 der Richtlinie 2001/83/EG handelt es sich um die im Verhältnis zum allgemeinen Verbot der Vorteilsgewährung gemäß Art. 94 der Richtlinie speziellere Vorschrift (OLG Hamburg, Beschluss vom 10. Februar 2015 - 3 U 16/13, juris Rn. 43).
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