Entscheidungsdatum: 19.03.2014
Auf die Rechtsbeschwerde des Beklagten wird der Beschluss des Oberlandesgerichts Hamm, 4. Zivilsenat, vom 12. März 2013 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Beschwerdewert: 15.000 €
I. Die Klägerin nimmt den Beklagten, mit dem sie beim Vertrieb von Mobilfunktelefonen samt Zubehör in Wettbewerb steht, wegen eines nach ihrer Ansicht begangenen Verstoßes gegen die Verpflichtung, bei Angeboten zum Abschluss von Fernabsatzverträgen anzugeben, dass der Preis die Mehrwertsteuer enthält, auf Unterlassung und Ersatz von Abmahnkosten in Anspruch. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Dagegen hat der Beklagte fristgerecht Berufung eingelegt.
Nachdem das Berufungsgericht den Beklagten mit Schreiben des Berichterstatters vom 7. Februar 2013 darauf hingewiesen hatte, dass beabsichtigt sei, die Berufung als unzulässig zu verwerfen, weil sie nicht innerhalb der bis zum 22. Januar 2013 laufenden Berufungsbegründungsfrist begründet worden sei, hat der Beklagte die Berufung mit einem am 27. Februar 2013 beim Berufungsgericht eingegangenen Schriftsatz begründet und zugleich wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Zur Begründung hat er vorgetragen, sein Prozessbevollmächtigter habe die Frist zur Begründung der Berufung nicht eingehalten, weil er seit Ende 2012 an einer für ihn selbst nicht wahrnehmbaren schweren Schilddrüsenerkrankung gelitten habe, die insbesondere deutliche kognitive und mnestische Einschränkungen verursacht habe, aufgrund deren er beim Eingang des erstinstanzlichen Urteils übersehen habe, dass neben der Berufungsfrist auch die Berufungsbegründungsfrist zu notieren gewesen sei. Unmittelbar nachdem der Prozessbevollmächtigte des Beklagten die Diagnose Ende 2012 mitgeteilt bekommen habe, seien Vorkehrungen für seinen absehbaren Ausfall dahingehend getroffen worden, dass sein Sozius, der die Streitsache nicht bearbeitet habe, zeitweise mit der Wahrnehmung der Fristenkontrolle für ihn betraut worden sei. Dass die bis zum 22. Januar 2013 einzureichende Berufungsbegründung gefehlt habe, habe der Sozius erst durch das am 20. Februar 2013 in seiner Kanzlei eingegangene Schreiben des Berichterstatters vom 7. Februar 2013 erfahren.
Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Beklagten, mit der er die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses erstrebt und den Wiedereinsetzungsantrag weiterverfolgt.
II. Das Berufungsgericht hat die begehrte Wiedereinsetzung mit der Begründung abgelehnt, der Beklagte habe nicht glaubhaft gemacht, dass sein Prozessbevollmächtigter seine Erkrankung nicht habe vorhersehen können und dass sein Verschulden, das sich der Beklagte nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen müsse, daher ausgeschlossen gewesen sei. Auch wenn die geltend gemachten kognitiven und mnestischen Einschränkungen für den Prozessbevollmächtigten selbst nicht wahrnehmbar gewesen seien, habe er aufgrund der während der noch laufenden Berufungsbegründungsfrist erfolgten Mitteilung der Diagnose und der mit der Erkrankung verbundenen Einschränkungen mit deren Auftreten rechnen müssen. Er hätte daher die Wahrung der Frist durch geeignete Maßnahmen sichern müssen.
III. Die gegen diese Beurteilung gerichtete Rechtsbeschwerde ist zulässig (dazu 1) und führt zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Die Begründung der angefochtenen Entscheidung ergibt eine Rechtsverletzung (dazu 2). Auf der Grundlage der vom Berufungsgericht bislang getroffenen Feststellungen kann nicht abschließend beurteilt werden, ob diese Entscheidung im Ergebnis richtig ist (dazu 3).
1. Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 238 Abs. 2 Satz 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 2 Nr. 2 Fall 2 ZPO zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert. Der angefochtene Beschluss verletzt den Beklagten in seinem verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz und rechtliches Gehör. Dieser gebietet es, einer Partei die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht aufgrund von Anforderungen an die Sorgfaltspflichten ihres Prozessbevollmächtigten zu versagen, die nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht verlangt werden und mit denen die Partei auch unter Berücksichtigung der Entscheidungspraxis des angerufenen Gerichts nicht rechnen musste (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 7. März 2013 - I ZB 67/12, NJW-RR 2013, 1011 Rn. 6 mwN).
2. Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann dem Beklagten die beantragte Wiedereinsetzung nicht versagt und seine Berufung daher nicht verworfen werden. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts kann ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten des Beklagten nicht darin gesehen werden, dass dieser auch dann, wenn er die geltend gemachten deutlichen kognitiven und mnestischen Einschränkungen nicht selbst hat wahrnehmen können, aufgrund der während der laufenden Berufungsbegründungsfrist erfolgten Mitteilung der Diagnose und der mit seiner Erkrankung verbundenen Einschränkungen mit deren Auftreten hat rechnen und daher die Wahrung der Frist durch geeignete Maßnahmen hätte sichern müssen. Das Berufungsgericht lässt in diesem Zusammenhang unberücksichtigt, dass der Prozessbevollmächtigte des Beklagten die Fristenkontrolle in den von ihm bearbeiteten Sachen nach seiner mit dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vorgelegten eidesstattlichen Versicherung ab dem Zeitpunkt der Kenntnis seiner krankheitsbedingten Einschränkungen auf seinen Sozius übertragen hat.
3. Der Erfolg des Wiedereinsetzungsantrags hängt danach davon ab, ob der Prozessbevollmächtigte des Beklagten bei der Information seines Sozius oder gegebenenfalls dieser bei der weiteren Behandlung der Sache durch schuldhaftes Verhalten dazu beigetragen hat, dass die Berufungsbegründungs-frist versäumt worden ist. Der Beklagte, der die Tatsachen, aus denen sich ein fehlendes Verschulden bei der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist ergibt, darzulegen und glaubhaft zu machen hat (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Mai 2011 - IV ZB 6/10, juris Rn. 10; Beschluss vom 5. Juni 2013 - XII ZB 47/10, juris Rn. 14), kann in der wiedereröffneten Berufungsinstanz unklare oder ungenaue Angaben, deren Aufklärung nach § 139 ZPO geboten ist, auch über die Frist nach § 234 Abs. 1, § 236 Abs. 2 ZPO hinaus noch erläutern oder ergänzen (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Juni 2013 - XII ZB 47/10, NJW-RR 2013, 1393 Rn. 14; Beschluss vom 1. Juli 2013 - VI ZB 18/12, NJW 2013, 3181 Rn. 14; Beschluss vom 25. September 2013 - XII ZB 200/13, NJW 2014, 77 Rn. 9, jeweils mwN). Dazu zählen vorliegend die Einzelheiten der Einweisung des Sozius seines Prozessbevollmächtigten und die von diesem zur Fristenkontrolle veranlassten Maßnahmen.
Das Berufungsgericht wird danach zu prüfen haben, ob den Prozessbevollmächtigten des Beklagten ungeachtet seiner krankheitsbedingten kognitiven und mnestischen Einschränkungen, die der Beklagte glaubhaft gemacht hat, insofern ein der Wiedereinsetzung gemäß § 85 Abs. 2 ZPO entgegenstehendes Verschulden traf, als er seinen Sozius nicht hinreichend über die sich zur Wahrung der einzuhaltenden Fristen stellenden Aufgaben instruiert hat. In diesem Zusammenhang wird es zu berücksichtigen haben, dass zwischen dem Zeitpunkt, zu dem der Prozessbevollmächtigte des Beklagten von seiner Erkrankung erfahren und daraufhin seinen Sozius mit der Wahrnehmung der Fristenkontrolle für ihn beauftragt hat, und der am 22. Januar 2013 endenden Frist zur Begründung der Berufung nach dem eigenen Vortrag des Beklagten mehr als drei Wochen lagen.
Im Falle einer ordnungsgemäßen Instruierung des Sozius durch den Prozessbevollmächtigten des Beklagten wird das Berufungsgericht - wiederum unter Berücksichtigung der zeitlichen Verhältnisse - zu prüfen haben, ob den Sozius ein Verschulden an der Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung getroffen hat, das der Beklagte sich ebenfalls gemäß § 85 Abs. 2 ZPO wie eigenes Verschulden zurechnen lassen muss. In diesem Zusammenhang ist es unerheblich, ob der Sozius vom Beklagten bereits von Anfang an mit mandatiert worden war - dafür spricht die Wendung in der Verteidigungsanzeige "... zeigen wir an, dass wir den Beklagten vertreten." - oder - wie die Rechtsbeschwerde geltend macht - erst nachträglich dadurch zuständig geworden ist, dass der Prozessbevollmächtigte des Beklagten ihm die Fristenkontrolle übertragen hat. In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist geklärt, dass als Bevollmächtigter einer Partei im Sinne von § 85 Abs. 2 ZPO der nach § 53 BRAO allgemein bestellte Vertreter des Prozessbevollmächtigten (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Juni 1994 - VII ZB 5/94, NJW 1994, 2957, 2958) und - wenn er nicht ohnehin zum allgemeinen Vertreter des Prozessbevollmächtigten bestellt worden ist - auch ein Rechtsanwalt anzusehen ist, der als Angestellter oder als freier Mitarbeiter des Prozessbevollmächtigten von diesem mit der selbständigen Bearbeitung eines Rechtsstreits betraut worden und nicht als bloßer Hilfsarbeiter in untergeordneter Funktion tätig geworden ist. Wo die Grenze zwischen selbständiger Bearbeitung des Rechtsstreits und lediglich untergeordneter Hilfstätigkeit verläuft, richtet sich dabei nach den gesamten Umständen des jeweiligen Einzelfalls (BGH, Beschluss vom 27. Januar 2004 - VI ZB 39/03, NJW-RR 2004, 993). Da der Sozius zum Prozessbevollmächtigten des Beklagten im Verhältnis der Gleichordnung und nicht der Unterordnung steht, ist er jedenfalls insoweit mit der selbständigen Bearbeitung des im zweiten Rechtszug geführten Rechtsstreits betraut worden, als es um die Wahrung der dort laufenden Rechtsmittelfristen gegangen ist.
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