Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 25.09.2013


BGH 25.09.2013 - XII ZB 200/13

Wiedereinsetzungsantrag nach Versäumung der Berufungsbegründungsfrist: Gerichtliche Hinweispflicht auf unklare oder ergänzungsbedürftige Angaben


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
12. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
25.09.2013
Aktenzeichen:
XII ZB 200/13
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend KG Berlin, 7. März 2013, Az: 8 U 216/12vorgehend LG Berlin, 26. Juli 2012, Az: 32 O 445/10
Zitierte Gesetze

Leitsätze

Auf erkennbar unklare oder ergänzungsbedürftige Angaben in einem Wiedereinsetzungsantrag, deren Aufklärung nach § 139 ZPO geboten ist, hat das Gericht hinzuweisen. Diese Angaben dürfen noch nach Fristablauf erläutert und vervollständigt werden (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 13. Juni 2007, XII ZB 232/06, FamRZ 2007, 1458).

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Beklagten zu 1 wird der Beschluss des 8. Zivilsenats des Kammergerichts in Berlin vom 7. März 2013 aufgehoben.

Der Beklagten zu 1 wird gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.

Im Übrigen wird die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Beschwerdewert: 10.090 €.

Gründe

I.

1

Die Beklagte zu 1 (im Folgenden: Beklagte) wendet sich gegen die Verwerfung ihrer Berufung wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist.

2

Das Urteil, mit dem die Beklagte zur Rückzahlung einer Mietkaution in Höhe von 10.090,33 € nebst Zinsen verurteilt worden ist, ist ihr am 30. Juli 2012 zugestellt worden. Die Beklagte hat am 28. August 2012 Berufung eingelegt. Auf ihren Antrag hat das Berufungsgericht die Berufungsbegründungsfrist mehrmals, zuletzt bis zum 14. Dezember 2012, verlängert. Die Beklagte hat die Berufung am 16. Januar 2013 begründet und zugleich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beantragt. Zudem hat die Beklagte hilfsweise beantragt, das Rechtsmittel im Hinblick auf die vom Kläger bereits eingelegte Berufung als Anschlussberufung zu behandeln. Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags hat der Prozessbevollmächtigte der Beklagten unter anderem vorgetragen, dass er mit Diktat des Schriftsatzes vom 30. November 2012, mit dem die letzte Fristverlängerung beantragt worden sei, seine seit Jahren tätige, zuverlässige Sekretärin angewiesen habe, "Promptfristen" für den 10. Dezember und den 14. Dezember 2012 in den Kalender einzutragen. Am 5. Dezember 2012 habe er anlässlich des Eingangs der gerichtlichen Fristverlängerungsmitteilung nach Abgleich der gewährten Fristverlängerung und der in der Akte vermerkten Promptfristen die Wiedervorlage für den 10. Dezember 2012 verfügt. Nach Vorlage der Akte am 10. Dezember 2012 habe er die Wiedervorlage auf die "in der Akte als ordnungsgemäß notiert vermerkte Promptfrist für den 14. Dezember 2012" verfügt. Jedoch sei die letztgenannte Frist von der Sekretärin versehentlich nicht in den Fristenkalender eingetragen worden. Das Kammergericht hat die Berufung der Beklagten unter Zurückweisung des Wiedereinsetzungsantrages verworfen. Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Rechtsbeschwerde.

II.

3

Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und begründet.

4

1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß §§ 574 Abs. 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 4, 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthaft. Sie ist auch im Übrigen zulässig. Die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des Senats (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Der angefochtene Beschluss verletzt die Beklagte in ihrem Verfahrensgrundrecht auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip), das den Gerichten verbietet, den Beteiligten den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht zu rechtfertigender Weise zu erschweren (Senatsbeschluss vom 23. Januar 2013 - XII ZB 167/11 - FamRZ 2013, 1117 Rn. 4 mwN). Einen solchen Verstoß rügt die Rechtsbeschwerde mit Erfolg.

5

Das Berufungsgericht hat gegen § 139 Abs. 1 ZPO verstoßen, indem es unterstellt hat, dass es an einer hinreichenden Büroorganisation fehle, weil die Beklagte nicht dargetan habe, dass die Akte einen Erledigungsvermerk enthalten habe bzw. dass die Anweisung bestanden habe, einen solchen stets erst nach Eintragung im Kalender einzutragen.

6

Das Vorbringen des Prozessbevollmächtigten in seinem Wiedereinsetzungsgesuch legt die Deutung nahe, dass die Notierung der Fristen in den Handakten nach Eintragung der Fristen im Kalender mit einem entsprechenden Erledigungsvermerk erfolgt. In der Begründung des Wiedereinsetzungsantrages hat der Prozessbevollmächtigte der Beklagten vorgetragen, er habe die Wiedervorlage auf "die in der Akte als ordnungsgemäß notiert vermerkte Promptfrist für den 14.12.2012" verfügt. Ergänzend heißt es hierzu in der eidesstattlichen Versicherung des Prozessbevollmächtigten der Beklagten, dass die genannte Frist offensichtlich von der Sekretärin nicht in den Fristenkalender eingetragen worden sei, "obwohl dies in der Akte vermerkt" gewesen sei. Soweit das Beschwerdegericht daraus ersichtlich folgert, dass damit lediglich "in der Akte vermerkte" Fristen gemeint seien, ist dies eher fern liegend. Denn das Wörtchen "dies" kann sich im Rahmen der gebotenen Auslegung nur auf die Eintragung in den Fristenkalender beziehen und nicht - wie das Kammergericht offensichtlich meint - auf die in der Akte vermerkten Fristen. Auch wenn der Vortrag der Beklagten nicht ganz eindeutig ist, hätte das Kammergericht ihr jedenfalls Gelegenheit geben müssen, ihren Vortrag zu präzisieren (vgl. Senatsbeschluss vom 13. Juni 2007 - XII ZB 232/06 - FamRZ 2007, 1458 f.).

7

2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Der Beklagten ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zu gewähren. Denn sie hat die Frist weder aus eigenem noch aus ihr zurechenbarem Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten (§ 85 Abs. 2 ZPO) versäumt.

8

Die Beklagte hat mit der Rechtsbeschwerde dargelegt, was sie nach Erteilung des gebotenen Hinweises gegenüber dem Berufungsgericht vorgetragen hätte. Danach hätte sie ausgeführt, dass der Vermerk in den Handakten einen solchen Erledigungsvermerk enthalte und Fristen in den Handakten grundsätzlich nur vermerkt würden, wenn sie im Fristenkalender notiert worden seien. Damit sind die Anforderungen, die der Bundesgerichtshof an die erforderlichen Vorkehrungen stellt, die eine Gegenkontrolle im Rahmen der Fristenkontrolle ermöglichen sollen, erfüllt (vgl. Senatsbeschluss vom 23. Januar 2013 - XII ZB 167/11 - FamRZ 2013, 1117 Rn. 10 mwN).

9

Zwar müssen nach §§ 234 Abs. 1, 236 Abs. 2 ZPO alle Tatsachen, die für die Gewährung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand von Bedeutung sein können, innerhalb der Antragsfrist vorgetragen werden. Jedoch dürfen nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs erkennbar unklare oder ergänzungsbedürftige Angaben, deren Aufklärung nach § 139 ZPO geboten gewesen wäre, noch nach Fristablauf erläutert und vervollständigt werden (Senatsbeschluss vom 13. Juni 2007 - XII ZB 232/06 - FamRZ 2007, 1458, 1459 mwN). Nach der - nunmehr mit der Rechtsbeschwerde erfolgten - Klarstellung hätte das Berufungsgericht die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht ablehnen dürfen, da der Beklagten keine Pflichtverletzung ihres Prozessbevollmächtigten zuzurechnen ist. Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten hat durch seine Kanzleiorganisation für eine ausreichende Fristenkontrolle gesorgt. Das Fehlverhalten der Kanzleiangestellten kann der Beklagten nicht zugerechnet werden. Dabei ist schließlich auch zu berücksichtigen, dass der Anwalt entgegen der Auffassung des Kammergerichts nicht verpflichtet ist, die Richtigkeit der Eintragung der Frist anhand des Fristenkalenders selbst zu kontrollieren.

10

3. Da die Rechtsbeschwerde bereits aus den vorgenannten Gründen Erfolg hat, kommt es nicht mehr auf die weitere Rüge der Beklagten an, der zufolge das Berufungsgericht ihre Berufung bereits aus verfahrensrechtlichen Gründen nicht hätte verwerfen dürfen (vgl. dazu BGH Beschluss vom 2. Juli 1996 - IX ZB 53/96 - NJW 1996, 2659, 2660, wonach die Möglichkeit, ein solches Rechtsmittel als unselbständige Anschlussberufung zu behandeln, seiner Verwerfung entgegensteht).

III.

11

Gemäß § 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO ist der angefochtene Beschluss aufzuheben. Da die Sache hinsichtlich des Wiedereinsetzungsantrags zur Entscheidung reif ist, entscheidet der Senat gemäß § 577 Abs. 5 Satz 1 ZPO insoweit abschließend in der Sache. Im Übrigen ist die Sache zur erneuten Entscheidung gemäß § 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Dose                                Schilling                        Günter

            Nedden-Boeger                        Guhling