Entscheidungsdatum: 25.04.2017
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 19. September 2016 wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
I. Der Kläger begehrt die Anerkennung seiner entzündlichen Darmerkrankung (Morbus Crohn) als weitere Schädigungsfolge verbunden mit der Feststellung eines höheren Grades der Schädigungsfolgen (GdS) von wenigstens 50.
Der Kläger hat in der ehemaligen DDR zwei rechtsstaatswidrige Inhaftierungen erlitten. Bei ihm ist deshalb als Schädigungsfolge iS von § 21 Strafrechtliches Rehabilitierungsgesetz (StrRehaG) eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) anerkannt, zuletzt mit einem GdS von 40.
Mit dem angefochtenen Urteil hat das LSG wie vor ihm das SG und der Beklagte die Anerkennung eines GdS von mindestens 50 sowie des Morbus Crohn als weitere Schädigungsfolge abgelehnt (Urteil vom 19.9.2016). Dieser lasse sich nicht mit der erforderlichen hinreichenden Wahrscheinlichkeit auf die rechtsstaatswidrig erlittene Haftzeit zurückführen. Nach den Feststellungen der Gutachter sei er nicht kausale Folge der rechtsstaatswidrigen Haft oder der daraus resultierenden psychischen Erkrankung. Die allein versorgungrechtlich zu bewertende psychische Schädigung in Form einer posttraumatischen Belastungsstörung rechtfertige nach den überzeugenden Ausführungen der Gutachterin E. inzwischen einen GdS von 40. Das habe der Beklagte in der mündlichen Verhandlung auch vergleichsweise anerkannt. Eine höhere Bewertung als schwere seelische Störung gemäß Teil B Nr 3.7 der Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung sei nicht gerechtfertigt, unter anderem weil der Kläger in seiner Familie noch nahe und vertrauensvolle Bindungen eingehen könne.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat der Kläger Beschwerde zum BSG eingelegt. Das LSG habe die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache verkannt und Verfahrensfehler begangen.
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil weder der behauptete Verfahrensmangel (1.) noch die angebliche grundsätzliche Bedeutung (2.) ordnungsgemäß dargetan worden sind (vgl § 160a Abs 2 S 3 SGG).
1. Die behauptete Verletzung rechtlichen Gehörs hat die Beschwerde nicht hinreichend substantiiert dargetan. Dieser Anspruch soll verhindern, dass die Beteiligten durch eine Entscheidung überrascht werden, die auf Rechtsauffassungen, Tatsachen oder Beweisergebnissen beruht, zu denen sie sich nicht äußern konnten (s § 128 Abs 2 SGG; vgl BSG SozR 3-1500 § 62 Nr 12; BVerfGE 84, 188, 190), und sicherstellen, dass ihr Vorbringen vom Gericht zur Kenntnis genommen und in seine Erwägungen miteinbezogen wird (BVerfGE 22, 267, 274; 96, 205, 216 f). Das Gericht muss jedoch nicht ausdrücklich jedes Vorbringen der Beteiligten bescheiden. Ein Verstoß gegen die Pflicht zur Berücksichtigung von Vorbringen ist nur dann anzunehmen, wenn sich dies aus den besonderen Umständen des Falles ergibt (BVerfGE aaO), zB wenn ein Gericht das Gegenteil des vorgebrachten - ohne entsprechende Beweisaufnahme - annimmt, oder den Vortrag eines Beteiligten als nichtexistent behandelt (vgl BVerfGE 22, 267, 274), oder wenn das Gericht auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, nicht eingeht, sofern der Tatsachenvortrag nach der Rechtsauffassung des Gerichts nicht unerheblich ist (BVerfGE 86, 133, 146). Art 103 Abs 1 GG schützt indessen nicht davor, dass ein Gericht die Rechtsansicht eines Beteiligten nicht teilt (BVerfGE 64, 1, 12; 76, 93, 98).
Die Beschwerde ist der Ansicht, das LSG habe die Ausführungen des in der mündlichen Verhandlung angehörten Sachverständigen Prof. Dr. F. unter anderem zu den möglichen Auswirkungen der psychischen Erkrankung auf die Ehe des Klägers sowie zu seiner verminderten beruflichen Einsatzfähigkeit übergangen. Indes stützt ihr eigener Vortrag diese Ansicht nicht. Denn die Beschwerde zitiert selber Urteilspassagen, denen zufolge das LSG sich nicht der Einschätzung des Sachverständigen Prof. Dr. F. die es also ersichtlich zur Kenntnis genommen und gewürdigt hat - sondern der Gutachterin E. angeschlossen hat, weil beim Kläger zur Überzeugung des Senats gewisse Krankheitssymptome der geltend gemachten andauernden Persönlichkeitsstörung nach Extrembelastung fehlten. Zudem hat das LSG seine Feststellung mittelgradiger sozialer Anpassungsstörungen - wiederum ausweislich der von der Beschwerde zitierten Begründung - ausdrücklich auf die von sämtlichen Gutachtern beschriebenen Störungen gestützt. Schließlich macht das LSG auch (knappe) Ausführungen zu den von der Beschwerde angeführten Themen der beruflichen Entwicklung und den fortbestehenden familiären Bindungen des Klägers. Letztlich wendet sich die Beschwerde in der Sache gegen die Beweiswürdigung des LSG, die § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG indes der Beurteilung durch das Revisionsgericht vollständig entzieht. Kraft der darin enthaltenen ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung kann die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts mit der Nichtzulassungsbeschwerde weder unmittelbar noch mittelbar angegriffen werden (Karmanski in Roos/Wahrendorf, SGG, 2014 , § 160 RdNr 58 mwN).
2. Ebenfalls nicht dargelegt hat der Kläger eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache.
Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (so genannte Breitenwirkung) darlegen (zum Ganzen vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN).
Klärungsbedürftig ist die Rechtsfrage, wenn sie
- höchstrichterlich bislang weder tragend entschieden noch präjudiziert ist,
- die Antwort nicht von vornherein praktisch außer Zweifel steht oder so gut wie unbestritten ist,
- diese sich auch nicht unmittelbar aus dem Gesetz ergibt.
Nach diesen Vorgaben hat der Kläger die Klärungsbedürftigkeit der von ihm aufgeworfenen Rechtsfragen nicht hinreichend substantiiert dargelegt.
Soweit die Beschwerde fragt, |
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ob der Verschlimmerungsanteil einer als Schädigungsfolge anerkannten posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) auf eine andere Erkrankung (Morbus Crohn) als GdS relevanter mittelbarer (Spät)-Schaden oder als unbeachtlicher Nachschaden zu bewerten ist, |
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zielt die Frage bereits ersichtlich auf den Einzelfall des Klägers ab und eignet sich schon deshalb nicht für eine fallübergreifende Klärung. Vor allem aber legt die Beschwerde nicht dar, warum sich die von ihr thematisierte Abgrenzung zwischen einem entschädigungsrelevanten mittelbaren Schaden und einem unbeachtlichen Nachschaden nicht mithilfe der bereits vorhandenen Rechtsprechung des BSG beantworten lässt. Zu den sogenannten Nachschäden, die zu einer höheren Bewertung der Schädigungsfolgen nach § 30 Abs 1 Bundesversorgungsgesetz (BVG) nicht herangezogen werden können, gehören danach Gesundheitsstörungen nicht schon dann, wenn sie zeitlich nach der Schädigung eingetreten sind. Die nachträglichen Gesundheitsstörungen müssen vielmehr auch unabhängig von der Schädigung oder den Schädigungsfolgen entstanden sein und sich entwickeln. Der ursprüngliche entschädigungspflichtige Schaden darf nicht mehr zur Wirkkraft für die Endverhältnisse geworden sein, dh die Schädigungsfolgen dürfen die nachträglichen Gesundheitsstörungen in ihrem Erscheinungsbild nicht beeinflusst haben (vgl BSG Urteil vom 1.4.1981 - 9 RV 33/80 - Juris; BSG Urteil vom 6.9.1989 - 9 RV 26/88 - SozR 3100 § 30 Nr 79). Warum sich aus dieser Rechtsprechung die Antwort auf die von der Beschwerde formulierte Frage nicht ergeben sollte, hat sie nicht dargelegt. Insoweit ist es unerheblich, dass sie zitierte Rechtsprechung nicht zum strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz, sondern zum BVG ergangen ist. § 24 StrRehaG ordnet eine entsprechende Anwendung des BVG an. |
Da die Beschwerde somit die Klärungsbedürftigkeit der von ihr formulierten Frage nicht dargelegt hat, kann es dahinstehen, ob sich die Annahme des LSG, es sei versorgungsrechtlich unbeachtlich, dass prinzipiell eine psychische Erkrankung wie eine PTBS einen vorliegenden Morbus Crohn verschlimmern könne, solange der Morbus Crohn nicht auch Folge der rechtsstaatswidrig erlittenen Haft sei, in sich widerspruchsfrei ist und sich mit den genannten Grundsätzen vereinbaren lässt. Zum einen hat das LSG sich nicht tragend auf diese Erwägung gestützt, sondern eine beweisbare Kausalität zwischen der PTBS des Klägers und dem Morbus Crohn verneint. Zum anderen ist jedenfalls die inhaltliche Richtigkeit der Entscheidung des LSG im Einzelfall nicht Gegenstand der Nichtzulassungsbeschwerde (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 7).
Soweit die Beschwerde darauf aufbauend fragt, |
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ob eine abgrenzbare Funktionsstörung des Magen-Darmbereichs aufgrund einer anerkannten Schädigungsfolge bei der GdS-Bewertung als atypische (das Grundleiden PTBS verschlimmernde) weitere Funktionseinschränkung einzubeziehen ist, wenn Teile der Funktionsstörung auf die anerkannte Schädigungsfolge zurückzuführen sind, |
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fehlt es auch an der Darlegung, warum die aufgeworfene Frage für die Entscheidung in einem Revisionsverfahren erheblich sein sollte. Die von der Beschwerde formulierte Frage unterstellt, dass die PTBS des Klägers seinen Morbus Crohn verschlimmert, also kausal negativ beeinflusst hat. Die Beschwerde legt aber nicht substantiiert dar, aus welchen für den Senat nach § 163 SGG bindenden Feststellungen des LSG sich dieser Kausalzusammenhang ergeben sollte. Das LSG hat auf S 13 f seines Urteils eine solche Kausalität gerade verneint und ausgeführt, der Morbus Crohn sei nicht kausale Folge der vom Kläger erlittenen rechtsstaatswidrigen Haft oder der daraus resultierenden psychischen Erkrankung. Eine konkret beweisbare Kausalität bestehe nicht (S 17 des Urteils). Durchgreifende Verfahrensrügen hiergegen hat der Kläger nicht erhoben. |
Der Kläger wendet sich damit gegen wiederum letztlich die Beweiswürdigung des LSG, die § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG, wie ausgeführt, der Beurteilung durch das Revisionsgericht vollständig entzieht.
Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 S 1 Halbs 2, § 169 SGG).