Entscheidungsdatum: 25.02.2016
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 19. Oktober 2015 wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
I. Die Klägerin begehrt höheren Berufsschadensausgleich.
Der Beklagte hat bei der 1979 geborenen Klägerin als Folge von Angriffen iS von § 1 Opferentschädigungsgesetz (OEG) eine Reihe von Gesundheitsstörungen anerkannt, uA eine chronische posttraumatische Belastungsreaktion, depressive Verstimmungen und eine Borderline-Persönlichkeit (Bescheid vom 15.5.2003). Den Grad der Schädigungsfolgen (GdS) stellte der Beklagte zuletzt mit 70 fest und erkannte eine besondere berufliche Betroffenheit an. Zugleich gewährte er der Klägerin neben einer Ausgleichsrente einen Berufsschadensausgleich. Diesem legte er das Durchschnittseinkommen der Besoldungsgruppe A 7, DA 9 mit Stellenzulage zugrunde und orientierte sich damit am Abschluss einer Mittelschulausbildung (mittlere Reife) (Bescheid vom 8.3.2012).
Der Widerspruch der Klägerin ua gegen die Berechnungsgrundlage des Berufsschadensausgleichs (BSA) in Gestalt ihrer Einstufung in die Besoldungsgruppe A 7 blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 27.6.2012).
Das SG hat den Beklagten verurteilt, der Klägerin ab 1.6.2011 BSA auf der Grundlage eines Durchschnittseinkommens unter Eingruppierung bei vermutlichem Erzielen der Reifeprüfung (Abitur) zu gewähren (Urteil vom 3.9.2014).
Die Klägerin hat Berufung, der Beklagte Anschlussberufung eingelegt. Mit dem angefochtenen Urteil hat das LSG das Urteil des SG teilweise aufgehoben und die Klage umfassend abgewiesen. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Gewährung von BSA nach einer höheren Besoldungsgruppe als A 7. Nach der zutreffenden Prognose des Beklagte hätte die Klägerin ohne die anerkannten Schädigungsfolgen trotz ihres vergleichsweise hohen IQ von 122 vermutlich nicht den Abschluss einer höheren Schulausbildung (Reifeprüfung) erreicht. Denn sie habe keine überdurchschnittlichen Schulleistungen erbracht, obwohl die Schädigungsfolgen bei ihr zu keinerlei kognitiven Einschränkungen geführt hätten. Zudem hätten auch ihre Eltern keine vergleichbare Schulbildung besessen.
Mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im genannten Urteil macht die Klägerin geltend, das LSG habe seine Pflicht zur Amtsermittlung und rechtliches Gehör verletzt und die grundlegende Bedeutung der Rechtssache verkannt.
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen; weder die behaupteten Verfahrensfehler (1.) noch die vermeintliche grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (2.) sind ordnungsgemäß dargetan worden (vgl § 160a Abs 2 S 3 SGG).
1. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde wie im Fall der Klägerin darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 S 3 SGG) zunächst die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden.
a) Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel dabei auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Will die Beschwerde demnach einen Verstoß gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht rügen (§ 103 SGG), so muss sie einen für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrag bezeichnen, dem das LSG nicht gefolgt ist.
Einen solchen konkreten Beweisantrag beim LSG hat die Beschwerde nicht bezeichnet; auch dem Protokoll der mündlichen Verhandlung ist er nicht zu entnehmen. Ihr allgemeiner Hinweis auf "Beweisantritte" in der mündlichen Verhandlung genügt dafür nicht. Der Antrag, im Revisionsverfahren eine Zeugenvernehmung nachzuholen, kann den erforderlichen Beweisantrag in der Berufungsinstanz nicht ersetzen und verkennt im Übrigen § 163 SGG. Danach ist der Senat an die tatsächlichen Feststellungen des LSG gebunden. Der Hinweis auf angeblich fehlende Ermittlungen des LSG kann der Beschwerde daher insgesamt nicht zum Erfolg verhelfen. Dasselbe gilt für den Vorwurf, der Beklagte habe seine Pflicht zur Amtsermittlung verletzt. Ein Mangel des gerichtlichen Verfahrens ist damit von vornherein nicht dargetan.
b) Ebenso wenig dargetan hat die Klägerin den behaupteten Verstoß gegen den Grundsatz rechtlichen Gehörs in Form einer Überraschungsentscheidung. Der Anspruch der Beteiligten auf rechtliches Gehör verpflichtet das Prozessgericht grundsätzlich nicht, die für die richterliche Überzeugungsbildung möglicherweise leitenden Gesichtspunkte vorher mit den Beteiligten zu erörtern (vgl BVerfG Nichtannahmebeschluss vom 10.2.2001 - 2 BvR 1384/99 - Juris RdNr 7 unter Hinweis auf BVerfGE 66, 116, 147; 74, 1, 5; 86, 133, 145; BSG SozR 3-1500 § 112 Nr 2 S 3 mwN). Selbst wenn die Rechtslage umstritten oder problematisch ist, muss ein Verfahrensbeteiligter grundsätzlich alle vertretbaren rechtlichen Gesichtspunkte und Tatsachenwertungen von sich aus in Betracht ziehen und seinen Vortrag darauf einstellen (vgl BVerfG Kammerbeschluss vom 15.8.1996 - 2 BvR 2600/95 - Juris RdNr 22 unter Hinweis auf BVerfGE 31, 364, 370; 66, 116, 147; 74, 1, 5). Insbesondere ein Kollegialgericht ist nicht verpflichtet, seine (vorläufige) Rechtsauffassung aufzudecken (vgl BVerfG aaO; vgl Sommer in Zeihe, SGG, Stand: April 2015, § 62 RdNr 4b bb>) und erst recht nicht, bei einer Erörterung der Sach- und Rechtslage bereits seine endgültige Beweiswürdigung darzulegen. Sonst drohte das Ergebnis der Willensbildung, das in seiner nachfolgenden Beratung erst gefunden werden soll, vorweggenommen und die Beratung ihrer prozessualen erkenntnisleitenden Funktion beraubt zu werden. Andererseits setzt eine dem verfassungsrechtlichen Anspruch genügende Gewährleistung rechtlichen Gehörs voraus, dass ein Verfahrensbeteiligter bei Anwendung der von ihm zu verlangenden Sorgfalt zu erkennen vermag, auf welche Gesichtspunkte es für die Entscheidung ankommen kann (vgl BVerfG Kammerbeschluss vom 15.8.1996 - 2 BvR 2600/95 - Juris RdNr 22 unter Hinweis auf BVerfGE 84, 188, 190). Um den Anspruch auf rechtliches Gehör und damit zugleich das Gebot fairen Verfahrens (vgl BSG Beschluss vom 7.8.2014 - B 13 R 441/13 B - Juris) zu wahren, darf das Gericht deshalb seine Entscheidung nicht auf einen rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt stützen, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte (vgl BVerfGE 86, 133, 144 f; vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 62 RdNr 8a, 8b mwN).
Zur Begründung eines entsprechenden Revisionszulassungsgrundes ist nicht nur der Verstoß gegen den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs selbst zu bezeichnen, sondern auch darzutun, welches Vorbringen ggf dadurch verhindert worden ist und inwiefern die angefochtene Entscheidung darauf beruhen kann (BSG SozR 1500 § 160a Nr 36).
Diese Darlegungen enthält die Beschwerde nicht. Vielmehr räumt sie selber ein, dass LSG habe, wenn auch in allgemeiner Form, auf die Möglichkeit einer Verschlechterung durch die von dem Beklagten eingelegte Anschlussberufung hingewiesen und mitgeteilt, die vom SG für richtig gehaltene Eingruppierung der Klägerin in A 13 nicht zu teilen. Die Beschwerde legt nicht dar, warum angesichts dieses Hinweises ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter in keinem Fall damit zu rechnen brauchte, dass sich das LSG der Rechtsauffassung des Beklagten in seinem dem Rechtsstreit zugrunde liegenden Bescheid anschließen würde. Ohnehin führt die Klägerin auch nicht im Einzelnen aus, an welchem entscheidungserheblichen Vorbringen sie durch den vermeintlichen Gehörsverstoß des LSG gehindert worden sein sollte, sondern verweist lediglich allgemein auf Beweisantritte im Rahmen der mündlichen Verhandlung.
2. Ebenso wenig dargetan ist eine grundsätzliche Bedeutung des Rechtsstreits. Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (so genannte Breitenwirkung) darlegen (zum Ganzen vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN; Fichte in Breitkreuz/Fichte, SGG, 2. Aufl 2014, § 160a RdNr 42 ff).
Eine solche konkrete Rechtsfrage hat die Beschwerde indes nicht formuliert und auch nicht dargelegt, warum noch grundsätzlicher Klärungsbedarf bestehen sollte. Die bloße Behauptung, die Rechtssache habe sowohl in Bezug auf die bei einer Entscheidung heranzuziehenden Aspekte, als auch auf die Voraussetzungen, welche an eine höhere Eingruppierung nach § 7 Beschäftigungsverordnung (BeschAV) gestellt würden, grundsätzliche Bedeutung, hat die Beschwerde durch nichts belegt. Stattdessen macht sie umfangreiche Ausführungen zur angeblichen Missachtung der Regelung des § 7 BeschAV durch das LSG. Indes ist die inhaltliche Richtigkeit der Entscheidung des LSG im Einzelfall nicht zulässiger Gegenstand der Nichtzulassungsbeschwerde (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 7). Soweit die Beschwerdeführerin ihre Kritik am LSG-Urteil insoweit damit begründet, das LSG habe die Regelung des § 7 BeschAV verkannt, weil es ihre Fähigkeiten und Veranlagungen nicht berücksichtigt habe, wendet sie sich gegen die Beweiswürdigung des LSG. Diese entzieht indes § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG vollständig der Beurteilung durch das Revisionsgericht. Kraft der darin enthaltenen ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung kann die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts mit der Nichtzulassungsbeschwerde weder unmittelbar noch mittelbar angegriffen werden (Karmanski in: Roos/Wahrendorf, SGG, 2014, § 160 RdNr 58 mwN).
Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 S 1 Halbs 2, § 169 SGG).