Entscheidungsdatum: 18.04.2019
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 3. Juli 2018 wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
I. Der Kläger begehrt in der Hauptsache Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) in Form einer Beschädigtenrente auf der Grundlage eines Grades der Schädigung von mindestens 50. Im Juli 2014 beantragte der im Februar 1960 geborene Kläger erstmals Beschädigtenversorgung nach dem OEG wegen sexuellen Missbrauchs und körperlicher Übergriffe während seiner Heim-Zwangsunterbringung zwischen den Jahren 1968 und 1978 durch B. (Geschäftsführer, damals Vormund des Klägers) und S. (Erzieher). Er leide unter schweren gesundheitlichen Folgeerkrankungen in Form einer starken posttraumatischen Belastungsstörung, Aggressionen sowie Schlaf- und Traumapsychosen.
Das LSG hat einen Anspruch des Klägers verneint, weil ein vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff iS von § 1 Abs 1 S 1 OEG nicht im Vollbeweis nachgewiesen sei. Weder aus den schriftlichen Aussagen noch aus den Aussagen der in der mündlichen Verhandlung vernommenen Zeugen ergebe sich eine Bestätigung der vom Kläger genannten Ereignisse. Die Zeugen S. und B. hätten jegliche sexuellen Übergriffe abgestritten. Dabei komme dem Kläger auch die Beweiserleichterung des § 15 S 1 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOV-VfG) nicht zu Gute, da die Beweisnot des Klägers nicht unverschuldet gewesen sei. Bei entsprechender Anlegung der Maßstäbe des § 2 Abs 2 OEG sei es für den Kläger nicht unzumutbar gewesen, nach Erreichen der Volljährigkeit und Beendigung der Heimunterbringung wesentlich früher Strafanzeige zu erstatten. Aber selbst bei der Anwendung des Beweismaßstabes des "Glaubhafterscheinen" iS des § 15 S 1 KOV-VfG komme es nicht zu einem anderen Ergebnis, weil nicht die gute Möglichkeit bestanden habe, dass sich die vom Kläger geschilderten Vorgänge abgespielt hätten. Angesichts der bestehenden Ungereimtheiten in den Angaben des Klägers zu dem gravierendsten Tatkomplex der Vergewaltigung durch den Zeugen S. spreche nicht viel dafür, dass die vom Kläger erhobenen Vorwürfe zuträfen.
Dem in der mündlichen Verhandlung gestellten Hilfsantrag auf Einholung eines aussagepsychologischen Gutachtens sei nicht zu entsprechen gewesen. Zwar komme die Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens ausnahmsweise in Betracht, wenn die betreffenden Angaben des Klägers das einzige das fragliche Geschehen belegende Beweismittel seien und Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass sie durch eine psychische Erkrankung der Auskunftsperson und deren Behandlung beeinflusst werden könnten. Ein derartiger Fall sei hier jedoch nicht gegeben, da keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich seien, dass die Angaben durch eine psychische Erkrankung oder deren Behandlung beeinflusst worden seien. Dies sei vom Kläger selbst schon nicht geltend gemacht worden. Derartiges lasse sich auch weder aus den vorliegenden Befundberichten noch aus den Gutachten ableiten. Es liege keine Ausnahme vor, sondern der Regelfall, bei dem die Beurteilung der Glaubwürdigkeit sowohl des Klägers als auch der Zeugen einer der Kernaufgaben der richterlichen Tätigkeit sei, die nicht einem Sachverständigen überlassen werden könne (Urteil vom 3.7.2018).
Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat der Kläger Beschwerde zum BSG eingelegt. Das LSG habe die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache verkannt und Verfahrensfehler begangen.
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig. Die Begründung vom 27.12.2018 genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil weder eine grundsätzliche Bedeutung (1.) noch der behauptete Verfahrensmangel (2.) ordnungsgemäß dargetan worden sind (vgl § 160a Abs 2 S 3 SGG).
1. Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung iS von § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, wenn sei eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss daher, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) darlegen (zum Ganzen vgl Senatsbeschluss vom 30.11.2017 - B 9 V 35/17 B - Juris RdNr 4; BSG Beschluss vom 2.5.2017 - B 5 R 401/16 B - Juris RdNr 6 mwN). Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.
Der Kläger meint, der Rechtsstreit werfe die Frage auf, "ob - und wenn ja, inwieweit - die Anwendbarkeit des § 15 KOV-VfG durch die Grundsätze des § 2 Abs 2 OEG eingeschränkt wird". Ob der Kläger mit dieser Frage überhaupt eine Rechtsfrage gestellt hat, die auf die Auslegung und Anwendung eines gesetzlichen Tatbestandsmerkmals abzielt, oder ob er damit lediglich die insoweit unbeachtliche Feststellung und Würdigung von Tatsachen sowie ihre Subsumtion unter die Anspruchsvoraussetzungen des § 2 Abs 2 OEG geltend macht, kann hier dahinstehen. Denn der Kläger hat bereits die Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Fragestellung nicht aufgezeigt. Er versäumt es, sich inhaltlich mit den in Bezug genommenen Gesetzestexten von § 15 KOV-VfG und § 2 Abs 2 OEG auseinanderzusetzen und die hierzu ergangene Rechtsprechung des BSG darzustellen, um nachzuvollziehen, ob sich hieraus nicht bereits hinreichende Anhaltspunkte für die Beantwortung der von ihm bezeichneten Frage ergeben.
Darüber hinaus hat der Kläger die Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) der aufgeworfenen Frage nicht dargelegt. Das LSG verneint einen Anspruch des Klägers nicht nur, weil der Beweismaßstab des Vollbeweises nicht erbracht sei, sondern hat neben der grundsätzlichen Nichtanwendbarkeit von § 15 KOV-VfG entsprechend § 2 Abs 2 OEG tragend entschieden, dass sämtliche vom Kläger erhobenen Anschuldigungen auch nicht glaubhaft iS des § 15 KOV-VfG seien. Somit beruht die Entscheidung des LSG auf mehreren, voneinander unabhängigen Begründungen zur Frage der Glaubhaftmachung, sodass sich die Beschwerde auch mit diesen jeweiligen Begründungen hätte auseinandersetzen müssen (zu diesem Erfordernis vgl BSG Beschluss vom 10.9.2014 - B 10 ÜG 3/14 B - Juris RdNr 14 mwN). Dies ist jedoch nicht erfolgt. Selbst wenn also die von dem Kläger aufgeworfene Frage eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung wäre, so kommt es für den hier vorliegenden Einzelfall nicht darauf an, da das LSG auch die Glaubhaftmachung des Vorbringens des Klägers iS des § 15 S 1 KOV-VfG verneint hat.
2. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde - wie hier - darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne, müssen für die Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 S 3 SGG) die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG - ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht - auf dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung der Entscheidung besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel allerdings nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 S 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.
Der Kläger rügt, das LSG habe zu Unrecht seinen in der mündlichen Verhandlung zu Protokoll gestellten Antrag, "ein aussagepsychologisches Sachverständigengutachten einzuholen, dass die vom Kläger gemachten Angaben zu den Tathergängen, insbesondere zum Tathergang im Herbst/Winter 1976 in hohem Maße wahrscheinlich glaubhaft oder wenigstens mit relativer Wahrscheinlichkeit glaubhaft zu beurteilen sind", abgelehnt. Aus den im Verfahren vorgelegten medizinischen Unterlagen ergäben sich Anhaltspunkte für eine psychische Erkrankung, welche die Angaben des Klägers ggf beeinflussen könnten und welche daher die Einholung eines aussagepsychologischen Sachverständigengutachtens erforderlich gemacht hätten, anstatt den Vortrag des Klägers pauschal als unglaubhaft einzustufen. Es sei nicht ersichtlich, dass das LSG die aussagepsychologische Kompetenz besitze, die Aussagen eines Traumapatienten hinreichend zu beurteilen.
Auch mit diesem Vortrag hat der Kläger keinen Verfahrensmangel hinreichend benannt. Denn die Entscheidungserheblichkeit dieses Antrags auf Einholung eines aussagepsychologischen Gutachtens ist nicht hinreichend dargelegt. Dafür wäre aufzuzeigen gewesen, welche Tatumstände den Beweisantrag betreffen, welches Ergebnis die beantragte Beweiserhebung erbracht hätte, und das dieses Beweisergebnis - ausgehend vom Rechtsstandpunkt des LSG - eine Entscheidung zugunsten des Beschwerdeführers hätte möglich machen können (vgl Senatsbeschluss vom 28.9.2015 - B 9 SB 41/15 B - Juris RdNr 8 mwN). Nur solche Darlegungen lassen erkennen, weshalb das Berufungsgericht sich zu der beantragten weiteren Beweiserhebung hätte gedrängt sehen müssen und weshalb die Entscheidung des Berufungsgerichts auf diesem Verfahrensmangel beruhen soll (Senatsbeschluss vom 7.6.2018 - B 9 V 69/17 B - Juris RdNr 8). An entsprechenden substantiierten Darlegungen des Klägers fehlt es.
Gegenstand eines aussagepsychologischen Gutachtens ist die Beurteilung, ob auf ein bestimmtes Geschehen bezogene Angaben zutreffen, dh einem tatsächlichen Erleben der untersuchten Person entsprechen, und nicht die Erlangung inhaltlich zutreffender Angaben. Da eine solche Beurteilung an sich zu den ureigensten Aufgaben eines Tatrichters zählt, kommt die Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens nur ausnahmsweise in Betracht, insbesondere dann, wenn die betreffenden Angaben das einzige das fragliche Geschehen belegende Beweismittel sind und Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sie durch eine psychische Erkrankung der Auskunftsperson und deren Behandlung beeinflusst sein könnten (vgl hier zB Senatsurteil vom 15.12.2016 - B 9 V 3/15 R - BSGE 122, 218 = SozR 4-3800 § 1 Nr 23, RdNr 41 mwN). Welche konkreten Anhaltspunkte in diesem Sinne bei dem Kläger vorliegen, trägt die Beschwerde nicht vor. Hinweise etwa auf Fremd- und Autosuggestion oder auf Zweifel an der Aussagetüchtigkeit werden nicht benannt. Damit hat der Kläger nicht dargelegt, dass das LSG seinem Beweisantrag auf Einholung eines aussagepsychologischen Gutachtens ohne hinreichende Begründung, dh ohne hinreichenden Grund nicht gefolgt ist (vgl Senatsbeschluss vom 24.5.2012 - B 9 V 4/12 B - SozR 4-1500 § 103 Nr 9 RdNr 20 mwN). Die Darstellung der eigenen Rechtsansicht genügt hier nicht. Ebensowenig reicht der Versuch aus, entsprechende Ausführungen im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren "nachzuholen" (vgl BSG Beschluss vom 10.10.2017 - B 13 R 65/15 B - Juris RdNr 7).
Sofern die Beschwerde schließlich noch einen Verstoß gegen § 118 SGG (Durchführung der Beweisaufnahme) rügt, weil das LSG die bestehende Beweisnot als iS von § 2 Abs 2 OEG vom Kläger verschuldet angesehen habe, so ist dieses Vorbringen ebenfalls nicht entscheidungserheblich (s oben unter 1.).
3. Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 S 1 Halbs 2, § 169 SGG).