Entscheidungsdatum: 02.02.2010
Im Streit sind (noch) höhere Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) für den Monat Dezember 2005. Die Kläger begehren insbesondere statt der Grundleistungen nach § 3 AsylbLG Leistungen nach § 2 AsylbLG (sogenannte Analog-Leistungen) unter entsprechender Anwendung des Sozialgesetzbuchs Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII).
Der 1960 geborene Kläger zu 1 und die 1958 geborene Klägerin zu 2 sind Eheleute und besaßen die serbisch-montenegrenische Staatsangehörigkeit. Sie reisten im Jahr 1991 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellten einen Asylantrag und gaben an, albanische Volkszugehörige zu sein. Der Asylantrag wurde bestandskräftig abgelehnt. 1999 stellten sie erfolglos einen Asylfolgeantrag und gaben auch hier an, albanische Volkszugehörige zu sein. Seit dem Jahr 2000 machten sie geltend, der Volksgruppe der Roma anzugehören. Seit 1997 sind die Kläger im Besitz einer Duldung. Am 24.4.2007 wurde ihnen eine bis 31.8.2007 befristete Aufenthaltserlaubnis erteilt. Seit 17.10.2007 sind sie im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104a Aufenthaltsgesetz (AufenthG).
Die Kläger bezogen nach ihrer Einreise Leistungen nach dem AsylbLG, zunächst Grundleistungen nach § 3 AsylbLG und seit dem Jahr 2000 Analog-Leistungen unter entsprechender Anwendung des Bundessozialhilfegesetzes bzw seit dem 1.1.2005 des SGB XII. Die Leistungsbewilligungen erfolgten in monatlichen Abständen. Für den Monat "12/05" bewilligte der Beklagte (nur noch) Grundleistung nach § 3 AsylbLG, weil die Kläger die Dauer ihres Aufenthalts rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst hätten, indem sie im Asylverfahren und in der Folgezeit angegeben hätten, der Volksgruppe der Albaner anzugehören und die jugoslawische Staatsangehörigkeit zu besitzen, während sie (erstmals) in ihrem Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis im Jahre 2000 angegeben hätten, nicht zur Volksgruppe der Albaner zu gehören, sondern Roma zu sein. Sie erfüllten nicht die Voraussetzungen nach § 2 Abs 1 AsylbLG; es seien deshalb nur Grundleistungen nach § 3 AsylbLG gerechtfertigt (Bescheid vom 30.11.2005; Widerspruchsbescheid vom 12.12.2005) .
Während die Klage ohne Erfolg geblieben ist (Urteil des Sozialgerichts <SG> Oldenburg vom 6.11.2006), hat das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen das Urteil des SG Oldenburg aufgehoben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 30.11.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.12.2005 verurteilt, "den Klägern im Zeitraum vom 1. Dezember 2005 bis zum 16. Oktober 2007 Leistungen gemäß § 2 Abs. 1 AsylbLG unter Anrechnung bereits erbrachter Leistungen zu gewähren" (Urteil vom 18.12.2007) . Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, die Kläger erfüllten (weiterhin) die Voraussetzungen für Analog-Leistungen ab Dezember 2005. Ihnen könne nicht der rechtsvernichtende Einwand des rechtsmissbräuchlichen Verhaltens vorgehalten werden. Rechtsmiss-bräuchlich sei es, wenn Ausländer nicht freiwillig ausreisten, obwohl ihnen die Ausreise möglich und zumutbar sei. Den Klägern sei eine Rückkehr in ihr Heimatland auf Grund ihrer fortgeschrittenen Integration in die deutsche Gesellschaft, die durch die mit Wirkung vom 17.10.2007 erteilte Aufenthaltserlaubnis nach § 104a AufenthG dokumentiert werde, unzumutbar. Die unzutreffende Angabe der Ethnie wirke sich leistungsrechtlich nicht mehr aus. Der Vorwurf des Beklagten, die Kläger hätten in der Vergangenheit nicht hinreichend an der Beschaffung von Pässen bzw von Passersatzpapieren mitgewirkt, führe zu keinem anderen Ergebnis, weil deren Vortrag, sie hätten sich seit Jahren um Pässe bemüht, nicht zu widerlegen sei. Verbleibende Zweifel und die Nichterweislichkeit des rechtsmissbräuchlichen Verhaltens gingen zu Lasten des Beklagten.
Mit der Revision rügt der Beklagte neben ungenügender Sachaufklärung durch das LSG und falscher bzw unvollständiger Darstellung des Sachverhalts im Berufungsurteil eine Verletzung des § 2 Abs 1 AsylbLG. Die Auffassung, das rechtsmissbräuchliche Verhalten müsse im streitigen Leistungszeitraum fortwirken, finde keine Stütze im Gesetz. Es komme darauf an, ob den Klägern während ihrer gesamten Aufenthaltsdauer eine Ausreise (irgendwann) tatsächlich und rechtlich möglich und zumutbar gewesen sei. Gleiches gelte für die Frage der rechtsmissbräuchlichen Verlängerung der Aufenthaltsdauer durch die fehlende Mitwirkung bei der gesetzlich vorgesehenen Passbeschaffung und die Täuschung über die Volkszugehörigkeit. Dabei sei eine abstrakte Betrachtungsweise maßgebend, sodass bereits ein generell zur rechtsmissbräuchlichen Verlängerung des Aufenthalts geeignetes Verhalten zum Ausschluss von Analog-Leistungen führe.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des LSG aufzuheben, soweit darin über höhere Leistungen für den Monat Dezember 2005 entschieden wurde, und die Berufungen der Kläger gegen das Urteil des SG insoweit zurückzuweisen.
Die Kläger beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
Sie halten die Entscheidung des LSG für zutreffend.
Die Revision des Beklagten ist im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz <SGG>) . Mangels ausreichender tatsächlicher Feststellung des LSG (§ 163 SGG) kann der Senat nicht entscheiden, ob die Kläger für den Monat Dezember 2005 höhere Leistungen nach dem AsylbLG beanspruchen können. Insbesondere bedarf es weiterer Feststellungen zur rechtsmissbräuchlichen Beeinflussung der Aufenthaltsdauer.
Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 30.11.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.12.2005 (§ 95 SGG), mit dem der Beklagte Leistungen für den Monat Dezember 2005 bewilligt hat. Ob der Bescheid daneben als hoheitliche Vorabentscheidung über laufende Leistungen ab Dezember 2005 verstanden werden kann (vgl dazu Senatsurteil vom 17.6.2008 - B 8 AY 13/07 R -, RdNr 10 f) , bedarf keiner Entscheidung, nachdem die Beteiligten über den Zeitraum vom 1.1.2006 bis 16.10.2007 einen Vergleich geschlossen haben. Gegen den Bescheid wehren sich die Kläger mit kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklagen nach § 54 Abs 1 Satz 1 und Abs 4, § 56 SGG, weil der Beklagte in der Zeit vor Dezember 2005 Leistungen zeitabschnittsweise für den jeweiligen Kalendermonat bewilligt, also mit dem Bescheid vom 30.11.2005 keinen vorangegangenen (Dauer-)Verwaltungsakt mit der Folge abgeändert hat, dass es dann keiner Leistungsklage bedürfte. In der Sache handelt es sich um eine Klage auf höhere Leistungen, selbst wenn kein typischer Höhenstreit vorliegt, weil Analog-Leistungen regelmäßig in Form von Geldleistungen in entsprechender Anwendung des SGB XII erbracht werden und Leistungen nach §§ 3 ff AsylbLG grundsätzlich als Sachleistungen vorgesehen sind (BSGE 101, 49 ff RdNr 14 = SozR 4-3520 § 2 Nr 2) .
Ob - wie das LSG entschieden hat - die Kläger einen Anspruch auf höhere Leistungen nach dem AsylbLG gegen den Beklagten als sachlich und örtlich zuständigen Leistungsträger (§ 2 Abs 1 Satz 1 des Gesetzes zur Aufnahme von ausländischen Flüchtlingen und zur Durchführung des AsylbLG vom 11.3.2004, Niedersächsisches Gesetz- und Verordnungsblatt 100) , insbesondere nach § 2 Abs 1 AsylbLG iVm dem SGB XII, haben, kann der Senat nicht abschließend entscheiden, weil das LSG - ausgehend von seiner Rechtsansicht zu § 2 AsylbLG, die vom Senat nicht geteilt wird - keine ausreichenden Feststellungen zu den erforderlichen Voraussetzungen des § 2 Abs 1 AsylbLG (hier in der Fassung, die die Norm durch das Gesetz zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern vom 30.7.2004 - BGBl I 1950 - erhalten hat) getroffen hat. Danach ist abweichend von den §§ 3 bis 7 AsylbLG das SGB XII auf diejenigen Leistungsberechtigten (des § 1 AsylbLG) entsprechend anzuwenden, die über eine Dauer von insgesamt 36 Monaten Leistungen nach § 3 AsylbLG erhalten und die Dauer des Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst haben.
Die Kläger gehörten zwar im Dezember 2005 zum Kreis der Leistungsberechtigten nach § 1 Abs 1 Nr 4 AsylbLG, hielten sich als Ausländer tatsächlich im Bundesgebiet auf und waren in diesem Zeitraum im Besitz einer Duldung nach § 60 AufenthG; sie haben vor dem streitigen Zeitraum auch zumindest 36 Monate Leistungen nach § 3 AsylbLG bezogen. Ob sie allerdings ihre Aufenthaltsdauer in der Bundesrepublik Deutschland selbst rechtsmissbräuchlich beeinflusst haben, kann nicht beurteilt werden. Entgegen der Entscheidung des LSG, das der (früheren) Rechtsprechung des 9b-Senats des BSG (BSGE 98, 116 = SozR 4-3520 § 2 Nr 1) gefolgt ist, handelt ein Leistungsempfänger nämlich nicht schon dann rechtsmissbräuchlich, wenn er trotz des auf Grund der Duldung bestehenden Abschiebeverbots nicht freiwillig ausreist und hierfür kein anerkennenswerter Grund vorliegt. Diese Rechtsprechung hat der Senat in seinem Urteil vom 17.6.2008 - B 8/9b AY 1/07 R - (BSGE 101, 49 ff = SozR 4-3520 § 2 Nr 2) aufgegeben und ein über das bloße Verbleiben und Stellen eines Asyl- bzw Asylfolgeantrags hinausgehendes vorsätzliches Verhalten gefordert. Ein sich hieraus ergebender Missbrauchsvorwurf kann dabei allerdings nicht durch eine zwischenzeitliche Integration, wie vom LSG angenommen, ausgeräumt werden. Ob das vorwerfbare Verhalten die Aufenthaltsdauer beeinflusst hat, ist vielmehr unter Berücksichtigung der gesamten Zeit zu beurteilen, die nach dem maßgeblichen Fehlverhalten verstrichen ist. Eine Beeinflussung der Aufenthaltsdauer liegt nach der Rechtsprechung des Senats dabei schon dann vor, wenn bei generell abstrakter Betrachtungsweise das rechtsmissbräuchliche Verhalten typischerweise die Aufenthaltsdauer verlängern kann, es sei denn, eine etwaige Ausreisepflicht des betroffenen Ausländers hätte unabhängig von seinem Verhalten ohnehin in dem gesamten Zeitraum ab dem Zeitpunkt des Rechtsmissbrauchs nicht vollzogen werden können.
Ob ein auf die Aufenthaltsverlängerung zielendes vorsätzliches sozialwidriges Verhalten bei den Klägern vorliegt, vermag der Senat nicht zu beurteilen. Nach den Feststellungen des LSG und nach Aktenlage kann dies hier wegen eventuell fehlerhafter Angaben der Kläger zu 1 und 2, albanische Volkszugehörige bzw Roma zu sein, der Fall sein. Es fehlen allerdings Feststellungen, ob die Kläger albanischer Volkszugehörigkeit oder der Volksgruppe der Roma zugehörig sind und insbesondere, ob insoweit überhaupt vorsätzlich falsche Angaben gemacht wurden, die auf die Aufenthaltsverlängerung zielten. Es ist schon nicht eindeutig, ob sich die Angaben gegenseitig zwingend ausschließen müssen. Denn "Volkszugehörigkeit" und "Staatsangehörigkeit" sind zwei rechtlich zu unterscheidende Begriffe. Ebenso wenig kann den Feststellungen des LSG entnommen werden, ob die Ausreisepflicht ab dem Zeitpunkt eines etwaigen Rechtsmissbrauchs nicht hätte vollzogen werden können oder etwa die Erlasslage des zuständigen Innenministeriums eine Abschiebung ohnehin nicht zugelassen hätte und es deshalb an der erforderlichen kausalen Verknüpfung zwischen dem Verhalten der Kläger und der Beeinflussung der Aufenthaltsdauer fehlen würde (BSGE 101, 49 ff RdNr 44 = SozR 4-3520 § 2 Nr 2). Ob die von dem Beklagten erhobenen Verfahrensrügen beachtlich sind, bedarf wegen der ohnedies erforderlichen Zurückverweisung der Sache an das LSG keiner Entscheidung.
Das LSG wird ggf die erbrachten Leistungen mit den geforderten Analog-Leistungen vergleichen (siehe BSG SozR 4-3520 § 9 Nr 1 RdNr 16) und auch über die Kosten des Revisionsverfahrens entscheiden müssen.