Bundessozialgericht

Entscheidungsdatum: 30.06.2016


BSG 30.06.2016 - B 5 RS 20/16 B

Nichtzulassungsbeschwerde - grundsätzliche Bedeutung - technische Intelligenz - Schätzung der Höhe einer glaubhaft gemachten Jahresendprämie - Klärungsbedürftigkeit - Offenkundigkeit


Gericht:
Bundessozialgericht
Spruchkörper:
5. Senat
Entscheidungsdatum:
30.06.2016
Aktenzeichen:
B 5 RS 20/16 B
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend SG Chemnitz, 3. Juli 2012, Az: S 13 RS 24/12, Gerichtsbescheidvorgehend Sächsisches Landessozialgericht, 16. Februar 2016, Az: L 5 RS 530/12, Urteil
Zitierte Gesetze

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 16. Februar 2016 - L 5 RS 530/12 - wird zugelassen, soweit dem Kläger Jahresendprämien für die Jahre 1970 bis 1979 zugesprochen werden.

Gründe

1

Mit Urteil vom 16.2.2016 hat das Sächsische LSG dem Kläger weitere Arbeitsentgelte aus geschätzten Jahresendprämienzahlungen zugesprochen.

2

Auf die lediglich die Jahre 1970 bis 1979 betreffende Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten ist die Revision gegen diese Entscheidung in dem geltend gemachten Umfang zuzulassen. Entgegen der Ansicht des Klägers beruft sich die Beklagte hinreichend deutlich auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG). Dieser ist auch - soweit erforderlich - ordnungsgemäß dargelegt worden (§ 160a Abs 2 S 3 SGG) und liegt zudem vor.

3

Die Beschwerdebegründung zeigt ua auf, es gehe "um das Tatbestandsmerkmal 'tatsächlich erzieltes Arbeitsentgelt' in den Bestimmungen §§ 6 Abs. 1 Satz 1, 8 Abs. 1 Satz 2 des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes (AAÜG)" und um die Frage, "ob einzelne Bestandteile des tatsächlich erzielten Arbeitsentgelts (hier Jahresendprämien) … im Wege der Schätzung nach Maßgabe von § 287 der Zivilprozessordnung (ZPO)" festgestellt werden können. Hierbei handelt es sich um eine abstrakt-generelle Rechtsfrage zur Auslegung von Tatbestandsmerkmalen und zur Anwendbarkeit konkreter Vorschriften des Bundesrechts (§ 162 SGG).

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Diese Rechtsfrage beantworten Versorgungsträger und Instanzgerichte offenkundig (§ 202 S 1 SGG iVm § 291 ZPO) uneinheitlich, so dass Darlegungen zur Klärungsbedürftigkeit ausnahmsweise entbehrlich sind (BFH Beschluss vom 9.5.1988 - IV B 35/87 - BFHE 153, 378 = Juris RdNr 11, seither in stRspr; Behn in Peters/Sautter/Wolff, SGG, Stand: Juni 2015, § 160a RdNr 33; Czybulka in Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl 2014, § 133 RdNr 57 mwN; Kopp/Schenke, VwGO, 21. Aufl 2015, § 133 RdNr 15; Pietzner/Bier in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Stand: Oktober 2015, § 133 RdNr 32; Ratschow in Gräber, FGO, 8. Aufl 2015, § 116 RdNr 32; Werth in Beermann/Gosch, AO/FGO, Stand: Juli 2015, § 116 FGO RdNr 77; Krüger in MüKo ZPO, 4. Aufl 2013, § 544 ZPO RdNr 14; Eggert, Die Nichtzulassungsbeschwerde, 2002, S 188 mwN; Thebrath, Revisionszulassungsgründe, 2015, S 200 ff mwN). Dem Senat ist nach dem Beschluss vom 11.12.2014 (B 5 RS 11/14 B - BeckRS 2015, 65084) von Amts wegen bekannt geworden, dass sich eine obergerichtliche Rechtsprechung herausgebildet hat, die der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 4.5.1999 - B 4 RA 6/99 R - SozR 3-8570 § 8 Nr 3) widerspricht (vgl nur LSG Mecklenburg-Vorpommern Urteil vom 18.2.2015 - L 7 R 147/11 - Juris; Thüringer LSG Urteil vom 20.5.2015 - L 12 R 1684/12; LSG Sachsen-Anhalt Urteil vom 21.1.2016 - L 1 RS 34/14; LSG Berlin-Brandenburg Urteil vom 29.1.2016 - L 4 R 880/14). Zudem verfahren auch die zuständigen Versorgungsträger im Rahmen von Feststellungsverfahren nach § 8 AAÜG in ständiger Praxis nicht nach den Grundsätzen des Urteils des 4. Senats vom 4.5.1999 (aaO), wie eine Vielzahl anhängiger Nichtzulassungsbeschwerden belegt (zur grundsätzlichen Berücksichtigungsfähigkeit gerichtskundiger Tatsachen im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde vgl BVerfG Kammerbeschluss vom 6.2.2007 - 1 BvR 191/06 - NJW-RR 2007, 862 = Juris RdNr 15).

5

Die Klärungsfähigkeit, dh Entscheidungserheblichkeit, der aufgeworfenen Frage ist dargelegt und gegeben.

6

Ob die Beschwerdebegründung schlüssige Angaben zur Breitenwirkung enthält, kann dahinstehen. Eine etwaige Mangelhaftigkeit des Vortrags wäre ausnahmsweise unschädlich, weil die fallübergreifende Bedeutung der angestrebten Entscheidung aufgrund der Vielzahl anhängiger Parallelverfahren offenkundig ist (§ 202 S 1 SGG iVm § 291 ZPO) und daher konkrete Darlegungen zu diesem Punkt entbehrlich sind (vgl dazu BVerfG Kammerbeschluss vom 6.2.2007 - 1 BvR 191/06 - NJW-RR 2007, 862 = Juris RdNr 15; BGH Beschluss vom 18.3.2004 - V ZR 222/03 - NJW 2004, 1960 = Juris RdNr 10; BFH Beschluss vom 9.5.1988 - IV B 35/87 - BFHE 153, 378 = Juris RdNr 11 seither in stRspr; Behn, aaO, § 133 RdNr 15; Pietzner/Bier, aaO, § 133 RdNr 32; Ratschow, aaO, § 116 RdNr 32; Werth, aaO, § 116 FGO RdNr 77; Krüger, aaO, § 544 RdNr 14; Eggert, aaO, S 188 mwN; Thebrath, aaO, S 200 ff mwN).