Bundessozialgericht

Entscheidungsdatum: 15.12.2016


BSG 15.12.2016 - B 5 RE 28/16 B

Nichtzulassungsbeschwerde - sozialgerichtliches Verfahren - Anforderungen an eine Erwägensrüge - rechtliches Gehör


Gericht:
Bundessozialgericht
Spruchkörper:
5. Senat
Entscheidungsdatum:
15.12.2016
Aktenzeichen:
B 5 RE 28/16 B
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend SG Gotha, 5. Mai 2014, Az: S 5 R 4883/10vorgehend Thüringer Landessozialgericht, 1. September 2016, Az: L 2 R 839/14, Urteil
Zitierte Gesetze

Tenor

Der Antrag der Klägerin, ihr für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Thüringer Landessozialgerichts vom 1. September 2016 Prozesskostenhilfe zu bewilligen und Rechtsanwalt V. aus E. beizuordnen, wird abgelehnt.

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im vorbezeichneten Urteil wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.

Gründe

1

Mit Urteil vom 1.9.2016 hat es das Thüringer LSG im Zugunstenverfahren abgelehnt, die Beklagte zu verpflichten, die Feststellung von Rentenversicherungspflicht im Zeitraum vom 1.11.2004 bis 30.4.2005 und die Festsetzung entsprechender Beiträge auf insgesamt 1320,50 € im bestandskräftigen Bescheid vom 11.11.2008 und den Widerspruchsbescheid vom 14.9.2009 zurückzunehmen.

2

Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat die Klägerin Beschwerde zum BSG eingelegt und in der Beschwerdebegründung Verfahrensmängel geltend gemacht. Darüber hinaus hat sie beantragt, ihr Prozesskostenhilfe (PKH) zu gewähren und Rechtsanwalt V. aus E. beizuordnen.

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Der PKH-Antrag ist abzulehnen. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 73a Abs 1 S 1 SGG iVm § 114 Abs 1 S 1 ZPO). Denn die bereits von einem Rechtsanwalt eingelegte und begründete Nichtzulassungsbeschwerde verfehlt die insoweit vorgeschriebenen formellen Voraussetzungen. Damit entfällt zugleich die Beiordnung ihres Prozessbevollmächtigten im Rahmen der PKH (§ 73a Abs 1 S 1 SGG iVm § 121 Abs 1 ZPO).

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Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil sie nicht formgerecht begründet ist.

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Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

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die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG),

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die Entscheidung von einer Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht (aaO Nr 2) oder

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ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (aaO Nr 3).

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Derartige Gründe werden in der Beschwerdebegründung nicht nach Maßgabe der Erfordernisse des § 160a Abs 2 S 3 SGG dargetan. Die Beschwerde ist daher gemäß § 160a Abs 4 S 1 iVm § 169 SGG zu verwerfen.

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Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 S 3 SGG) zunächst die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt.

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Die Beschwerdebegründung rügt, das LSG habe den Vortrag der Beigeladenen und der Klägerin ignoriert, "dass eine Versicherungspflicht nach § 2 Nr 9 SGB VI nicht bestanden habe, weil die Klägerin als selbständige Kommissionärin nach dem Leitbild der §§ 383 ff. HGB tätig war und regelmäßig Arbeitnehmer beschäftigt hat". Auch sei das Vorbringen nicht aufgegriffen worden, "dass nach Beginn der Aufnahme der Tätigkeit sich zeitnah eine zunehmende Tendenz der Anzahl und des Umfangs der Beschäftigung von Arbeitnehmern zeigte und damit die Tätigkeit von vornherein auf die regelmäßige Beschäftigung von Arbeitnehmern angelegt gewesen sei". In einer solchen Konstellation sei nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 4.11.2009 - B 12 R 3/08 R - BSGE 105, 46 = SozR 4-2600 § 2 Nr 12) davon auszugehen, dass von vornherein keine Versicherungspflicht bestanden habe.

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Soweit damit ein Gehörverstoß (§ 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG) in Form der sog Erwägensrüge (vgl BVerfG SozR 1500 § 62 Nr 13; BSG SozR 3-1500 § 62 Nr 19 S 33 mwN) geltend gemacht wird, gilt die tatsächliche Vermutung, dass ein Gericht das Vorbringen der Beteiligten und den Akteninhalt zur Kenntnis genommen und erwogen hat, zumal es nach Art 103 Abs 1 GG nicht verpflichtet ist, auf jeden Gesichtspunkt einzugehen, der im Laufe des Verfahrens von der einen oder anderen Seite zur Sprache gebracht worden ist (vgl BVerfG SozR 1500 § 62 Nr 16; BVerfGE 96, 205, 217). Deshalb muss die Beschwerdebegründung "besondere Umstände“ des Einzelfalls aufzeigen, aus denen auf das Gegenteil geschlossen werden kann (vgl BVerfGE 28, 378, 384 f; 47, 182, 187 f; 54, 86, 91 f). Besondere Umstände liegen etwa vor, wenn das Gericht auf den wesentlichen Kern des Beteiligtenvortrags zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, nicht eingeht, obwohl das Vorbringen nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts erheblich und nicht offensichtlich unsubstantiiert war (vgl BVerfGE 47, 182, 187; 86, 133, 146, BVerfG Kammerbeschluss vom 29.10.2009 - 1 BvR 1729/09 - NZS 2010, 497, 498, RdNr 12 und BVerfG NJW 1994, 2683 mwN). Deshalb hätte die Klägerin zumindest die materiell-rechtliche Rechtsauffassung des LSG darlegen und auf dieser Grundlage im Einzelnen aufzeigen müssen, dass ihr jeweiliger Tatsachenvortrag entscheidungserheblich und ihre Rechtsausführungen tragend gewesen sind. Die Beschwerdebegründung gibt jedoch weder den verbindlich festgestellten Sachverhalt (§ 163 SGG) noch die hierauf beruhenden Entscheidungsgründe des LSG wieder, sodass der erkennende Senat nicht prüfen kann, ob und inwiefern die angeblich ignorierten tatsächlichen Ausführungen und rechtlichen Argumente - auf der Basis der Rechtsauffassung des LSG (und nicht des BSG) - für das Verfahren entscheidungserheblich und für die Falllösung zentral bedeutsam waren. Die Klägerin übersieht, dass sie die Erwägungen des Berufungsurteils vollständig wiedergeben muss, damit der Senat beurteilen kann, ob die Erwägensrüge berechtigt ist (vgl BSG Beschlüsse vom 19.11.2012 - B 13 R 209/12 B - Juris RdNr 8 und vom 23.8.2016 - B 13 R 154/16 B - Juris RdNr 13).

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Skizziert die Beschwerdebegründung die Entscheidungsgründe des Berufungsurteils somit allenfalls bruchstückhaft, kann auf dieser Grundlage ein Verstoß gegen die aus § 128 Abs 1 S 2 iVm § 136 Abs 1 Nr 6 SGG folgende Pflicht, im Urteil die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind, von vornherein nicht schlüssig aufgezeigt werden (zur erforderlichen Begründungsintensität vgl Senatsbeschluss vom 27.1.2015 - B 5 R 358/15 B - BeckRS 2016, 67886 RdNr 14 sowie BSG Beschlüsse vom 19.11.2012 - B 13 R 209/12 B - Juris RdNr 8; vom 26.5.2011 - B 11 AL 145/10 B - Juris RdNr 3 und vom 24.2.2010 - B 13 R 547/09 B - Juris RdNr 10). Hinzu kommt, dass das LSG nach den Ausführungen in der Beschwerdebegründung auf das Urteil erster Instanz Bezug nimmt. Dann aber hätte die Klägerin auch dessen Entscheidungsgründe wiedergeben und aufzeigen müssen, dass selbst in der Zusammenschau der erst- und zweitinstanzlichen Entscheidungsgründe nicht ersichtlich ist, auf welchen tatsächlichen Feststellungen und rechtlichen Erwägungen die Entscheidung beruht, dh welche Rechtsnormen angewendet worden sind und welche ihrer Tatbestandsmerkmale aufgrund welcher Überlegungen vorliegen bzw nicht vorliegen (BSG SozR 1500 § 136 Nr 10 S 12 mwN). Auch hieran fehlt es.

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Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).

12

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 SGG.