Bundessozialgericht

Entscheidungsdatum: 23.08.2016


BSG 23.08.2016 - B 13 R 154/16 B

Darlegung der Entscheidungserheblichkeit eines gerügten Gleichheitsverstoßes in einer Nichtzulassungsbeschwerde


Gericht:
Bundessozialgericht
Spruchkörper:
13. Senat
Entscheidungsdatum:
23.08.2016
Aktenzeichen:
B 13 R 154/16 B
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend SG Halle (Saale), 9. März 2015, Az: S 4 R 644/13, Urteilvorgehend Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, 18. April 2016, Az: L 3 R 150/15, Urteil
Zitierte Gesetze

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 18. April 2016 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe

1

Das LSG Sachsen-Anhalt hat im Urteil vom 18.4.2016 einen Anspruch der Klägerin auf Erziehungsrente nach § 47 SGB VI verneint.

2

Die Klägerin macht mit ihrer beim BSG erhobenen Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem LSG-Urteil die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache sowie einen Verfahrensmangel geltend.

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Die Beschwerde der Klägerin ist unzulässig. Ihre Beschwerdebegründung vom 19.7.2016 genügt nicht der vorgeschriebenen Form, denn sie hat weder eine grundsätzliche Bedeutung ordnungsgemäß dargelegt noch einen Verfahrensmangel formgerecht bezeichnet.

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1. Eine grundsätzliche Bedeutung der Sache ist nicht in der erforderlichen Weise dargetan (§ 160 Abs 2 Nr 1 iVm § 160a Abs 2 S 3 SGG).

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Hierfür ist in der Beschwerdebegründung eine konkrete Rechtsfrage in klarer Formulierung zu bezeichnen und schlüssig aufzuzeigen, dass diese klärungsbedürftig, in dem angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich) sowie über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl BSG SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 19; Nr 22 RdNr 5; BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 5 RdNr 2 ff; Nr 9 RdNr 4 - jeweils mwN). Es muss aus der Beschwerdebegründung ersichtlich sein, dass sich die Antwort auf die Rechtsfrage nicht ohne Weiteres aus dem Gesetz oder der bisherigen Rechtsprechung ergibt; hierzu bedarf es der Auseinandersetzung mit den vorinstanzlichen Entscheidungen und sonstiger einschlägiger Rechtsprechung. Diese Anforderungen, die allerdings nicht überspannt werden dürfen, sind verfassungsrechtlich unbedenklich (BVerfG SozR 4-1500 § 160a Nr 12 RdNr 3 f; Nr 16 RdNr 4 f; Nr 24 RdNr 5 ff).

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Das Vorbringen der Klägerin genügt diesen Anforderungen nicht. Sie bezeichnet als grundsätzlich bedeutsam die Frage,

        

"ob § 47 Abs. 1 SGB VI mit Art. 6 Abs. 5 GG und Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar ist, insoweit Art. 47 Abs. 1 SGB VI die Erziehung gemeinsamer nichtehelicher Kinder der Erziehungsperson und des verstorbenen anderen Elternteils nicht für die Auslösung eines Anspruchs auf Erziehungsrente genügen lässt, andererseits einer geschiedenen Erziehungsperson im Fall des Todes des vormaligen Ehepartners und der Nichtwiederheirat einen Anspruch auf eine Erziehungsrente gibt, sofern sie ein Kind versorgt, das nicht unbedingt ein gemeinsames Kind sein muss."

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Diese Frage sei weiterhin klärungsbedürftig, nachdem das BVerfG eine diesbezügliche Vorlage des Bayerischen LSG nach Art 100 Abs 1 GG (Beschluss vom 30.9.2009 - L 1 R 204/09 - Juris) für unzulässig erachtet habe (BVerfG Beschluss vom 2.5.2012 - 1 BvL 20/09 - BVerfGE 131, 1).

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Es kann hier offenbleiben, ob die Klägerin die Klärungsbedürftigkeit der Frage hinreichend dargestellt hat (zu den Anforderungen vgl BSG Beschluss vom 5.12.2012 - B 1 KR 14/12 B - NZS 2013, 318 RdNr 5 mwN). Es fehlen jedenfalls auch hinreichende Darlegungen zur Klärungsfähigkeit dieser Rechtsfrage in dem angestrebten Revisionsverfahren. Insoweit behauptet die Klägerin lediglich, die Entscheidung des Rechtsstreits hänge von der genannten Frage ab, da eine andere Anspruchsgrundlage als § 47 SGB VI, auf die sie ihr Begehren stützen könne, nicht vorhanden sei. Der Senat vermag jedoch aufgrund der lediglich rudimentären Angaben der Klägerin zum maßgeblichen Sachverhalt nicht zu beurteilen, ob die aufgeworfene Frage zur Vereinbarkeit des § 47 SGB VI mit höherrangigem Recht im vorliegenden Fall überhaupt entscheidungserheblich sein kann.

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Der Beschwerdebegründung kann nur entnommen werden, dass die Klägerin und der Vater des gemeinsamen Kindes nicht geheiratet hätten, sie daher nicht "Witwe" iS von § 46 SGB VI sei. Aufgrund dieser Angaben kann lediglich vermutet werden, dass der Vater eines gemeinsamen Kindes zu irgendeinem Zeitpunkt verstorben ist. Unklar bleibt jedoch, ob die Klägerin und der Kindsvater jemals in einer intakten (nichtehelichen) Lebensgemeinschaft zusammengelebt haben bzw ob der Kindsvater möglicherweise schon vor der Geburt des Kindes verstorben ist (zur Bedeutung dieser Umstände für die verfassungsrechtliche Beurteilung vgl BVerfG Beschluss vom 2.5.2012 - 1 BvL 20/09 - BVerfGE 131, 1, 17 f, 20). Ebenso wenig lässt der Vortrag der Klägerin erkennen, wie alt das gemeinsame Kind ist und ob sie dieses Kind erzieht (vgl § 47 Abs 1 Nr 2 iVm § 46 Abs 2 S 1 Nr 1, S 3 SGB VI). Weiterhin ist nicht mitgeteilt, ob die Klägerin überhaupt die für eine Erziehungsrente erforderliche allgemeine Wartezeit erfüllt (vgl § 47 Abs 1 Nr 4 SGB VI) und ob sie (anspruchsausschließend) zwischenzeitlich geheiratet hat (vgl § 47 Abs 1 Nr 3 SGB VI). Somit ist nicht ersichtlich, weshalb es für die Entscheidung des Rechtsstreits gerade auf die von der Klägerin problematisierte verfassungsrechtliche Frage ankommen soll.

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Entgegen der Ansicht der Klägerin genügt zur Darlegung der Entscheidungserheblichkeit einer behaupteten Ungleichbehandlung - insbesondere eines gleichheitswidrigen Begünstigungsausschlusses - nicht lediglich die abstrakte, theoretisch ohnehin kaum jemals auszuschließende Möglichkeit, dass der Gesetzgeber bei Bejahung eines Gleichheitsverstoßes im Rahmen einer Neuregelung möglicherweise eine auch die Klägerin begünstigende Rechtslage schaffen werde. Vielmehr verlangt auch das BVerfG zur Darlegung der Entscheidungserheblichkeit eines gerügten Gleichheitsverstoßes, dass aufgezeigt wird, inwiefern eine "mehr als nur theoretische und daher offen zu haltende" Chance besteht, durch den Gesetzgeber eine gerade auch für den betreffenden Kläger günstige Regelung zu erreichen (BVerfG Beschluss vom 17.4.2008 - 2 BvL 4/05 - BVerfGE 121, 108, 116; s auch BVerfG Beschluss vom 8.5.2012 - 1 BvR 1082/03 - BVerfGE 131, 66, 87 f). Zwar ist im Bereich des Steuerrechts von der Entscheidungserheblichkeit einer (angeblich gleichheitswidrig begünstigenden) Vorschrift zur Steuerverschonung für die streitige Steuerfestsetzung auszugehen, solange der Gesetzgeber nicht aus Rechtsgründen oder aus offenkundigen tatsächlichen Gründen gehindert ist, auch eine für den jeweiligen Kläger günstige Regelung zu schaffen (BVerfG Beschluss vom 17.4.2008, aaO; BVerfG Beschluss vom 26.7.2010 - 2 BvR 2227/08 ua - BVerfGK 17, 438, 441). Im Bereich der sozialrechtlichen Leistungsansprüche erfordert jedoch der Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes (§ 31 SGB I) für die Darlegung der Entscheidungserheblichkeit eines geltend gemachten Gleichheitsverstoßes, dass aufgezeigt wird, inwiefern - abgesehen von den als gleichheitswidrig gerügten Merkmalen - alle sonstigen Tatbestandsvoraussetzungen der begehrten Leistung erfüllt sind. Nur dann kann eine realistische - und nicht bloß theoretische - Chance bejaht werden, dass eine zur Beseitigung eines Gleichheitsverstoßes ggf vorzunehmende Änderung des Gesetzes auch zu einem für den konkreten Kläger günstigen Ergebnis führen kann (s hierzu auch BVerfG Urteil vom 9.2.2010 - 1 BvL 1/09 ua - BVerfGE 125, 175, 219 - insoweit in SozR 4-4200 § 20 Nr 12 nicht abgedruckt). Das veranschaulicht vorliegend beispielhaft das im Recht der gesetzlichen Rentenversicherung zentrale Erfordernis der Erfüllung der allgemeinen Wartezeit (§ 34 Abs 1 iVm § 47 Abs 1 Nr 4 SGB VI). Es erscheint ausgeschlossen, dass der Gesetzgeber auf diese Voraussetzung verzichtete, wenn er den Anwendungsbereich des Anspruchs auf Erziehungsrente nach § 47 SGB VI auf die Erziehung von Kindern nicht miteinander verheirateter Partner erweitern wollte.

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2. Die Klägerin hat auch einen Verfahrensmangel nicht in der erforderlichen Weise bezeichnet (§ 160 Abs 2 Nr 3 iVm § 160a Abs 2 S 3 SGG).

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Hierzu müssen die tatsächlichen Umstände, welche den geltend gemachten Verfahrensverstoß begründen sollen, substantiiert und schlüssig dargelegt und darüber hinaus muss aufgezeigt werden, inwiefern die angefochtene Entscheidung auf diesem Verfahrensmangel beruhen kann (vgl BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 4; Nr 21 RdNr 4 - jeweils mwN; Krasney in Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 6. Aufl 2011, Kap IX, RdNr 202 ff).

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Das Vorbringen der Klägerin wird auch diesen Erfordernissen nicht gerecht. Sie rügt, das LSG habe die Gründe der Entscheidung des SG Karlsruhe vom 19.11.2014 (S 12 R 4487/12 - NZFam 2015, 93) in weiten Teilen wörtlich übernommen, ohne sich mit ihren Argumenten im vorliegenden Verfahren - insbesondere dem Hinweis, dass die Erziehungsrente eine Rente aus eigenem Recht und deshalb unabhängig von einem Rentenanspruch des verstorbenen Elternteils sei - inhaltlich auseinanderzusetzen. Damit macht sie sinngemäß eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG) geltend, weil das LSG ihr Vorbringen nicht in Erwägung gezogen habe. Die Beschwerdebegründung gibt jedoch keinen Sachverhalt wieder, aus dem sich - seine Richtigkeit unterstellt - eine Gehörsverletzung in schlüssiger Weise ergibt. Es fehlt nämlich die Darstellung, mit welchen Argumenten sich die Entscheidungsgründe des LSG-Urteils (wenn auch ggf unter Übernahme von Erwägungen aus dem Urteil des SG Karlsruhe) auseinandergesetzt haben. Allein die Behauptung der Klägerin, eine Befassung mit dem von ihr bezeichneten Argument sei nicht erfolgt, versetzt den Senat nicht in die Lage zu beurteilen, ob die Erwägensrüge berechtigt sein könnte. Hierzu bedarf es jedenfalls auch der vollständigen Wiedergabe der im LSG-Urteil tatsächlich angeführten Erwägungen (vgl BSG Beschluss vom 19.11.2012 - B 13 R 209/12 B - Juris RdNr 8). Zudem wird aus dem Vortrag der Klägerin nicht ersichtlich, weshalb das genannte Argument zu ihrem zentralen Vorbringen im Berufungsverfahren gehörte, mit dem sich das LSG zur Wahrung des rechtlichen Gehörs unbedingt hätte auseinandersetzen müssen, obgleich das Gericht grundsätzlich nicht verpflichtet ist, in den Gründen seiner Entscheidung jegliches Vorbringen der Beteiligten ausdrücklich zu bescheiden (vgl BVerfG Beschluss vom 27.5.2016 - 1 BvR 1890/15 - Juris RdNr 14 f).

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Im Übrigen sei lediglich ergänzend darauf hingewiesen, dass sich der gesamte zweite Absatz auf S 8 des LSG-Urteils mit dem auch im Tatbestand der Entscheidung wiedergegebenen Argument (dort S 4 unten) befasst, dass die Erziehungsrente keine Rente aus abgeleitetem Recht, sondern eine Leistung aus eigener Versicherung sei.

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Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).

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3. Die Verwerfung der danach nicht formgerecht begründeten und somit unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 iVm § 169 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.

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Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung von § 193 SGG.