Bundessozialgericht

Entscheidungsdatum: 21.12.2015


BSG 21.12.2015 - B 4 SF 1/15 R

Sozialgerichtliches Verfahren - Rechtsweg - Bestimmung des zuständigen Gerichts durch das BSG bei sog negativem rechtswegübergreifenden Kompetenzkonflikt - (Rück-)Verweisungsbeschluss - Bindungswirkung - Durchbrechung


Gericht:
Bundessozialgericht
Spruchkörper:
4. Senat
Entscheidungsdatum:
21.12.2015
Aktenzeichen:
B 4 SF 1/15 R
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend SG Itzehoe, 6. Oktober 2015, Az: S 12 AS 247/15 ER
Zitierte Gesetze

Tenor

Das Sozialgericht Itzehoe wird zum zuständigen Gericht bestimmt.

Gründe

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I. Der Antragsteller wendet sich im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes - soweit ersichtlich - gegen die Auferlegung bzw Vollstreckung von Kosten wegen der Nutzung einer Obdachlosenunterkunft in der Stadt O. Zunächst hat er den Landkreis O. und die Stadt O. als Antragsgegner benannt, später dann das Jobcenter O. und das Sozialamt O., weil es um Leistungen nach dem SGB II und SGB XII gehe. Das angerufene SG Itzehoe hat sich, ohne dass dagegen Rechtsmittel eingelegt wurden, für sachlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das VG Potsdam verwiesen; für den vom Antragsteller bezeichneten Streitgegenstand sei der Rechtsweg zu den Sozialgerichten nicht eröffnet (Beschluss vom 19.5.2015). Das VG Potsdam hat den Verwaltungsrechtsweg für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das SG Itzehoe (zurück-)verwiesen, weil das SG Itzehoe mit seiner Verweisungsentscheidung einen schweren Rechtsfehler begangen habe (Beschluss vom 27.8.2015). Auch gegen diesen Beschluss sind Rechtsmittel nicht eingelegt worden. Das SG Itzehoe hat das BSG um Bestimmung des zuständigen Gerichts ersucht (Beschluss vom 6.10.2015).

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II. Das zuständige Gericht ist in entsprechender Anwendung von § 58 Abs 1 Nr 4 SGG zu bestimmen. Diese Vorschrift ist auch bei einem sogenannten negativen rechtswegübergreifenden Kompetenzkonflikt zwischen Gerichten verschiedener Gerichtszweige anwendbar, sofern sich die beiden beteiligten Gerichte jeweils für unzuständig erklärt haben (BSG Beschluss vom 1.7.1980 - 1 S 5/80 - SozR 1500 § 58 Nr 4; BSG Beschluss vom 11.10.1988 - 1 S 14/88; BSG Beschluss vom 16.9.2009 - B 12 SF 7/09 S; BSG Beschluss vom 21.2.2012 - B 12 SF 7/11 S). Zwar unterliegt ein nach § 17a GVG ergangener und unanfechtbar gewordener Beschluss, mit dem ein Gericht den beschrittenen Rechtsweg für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an ein anderes Gericht verwiesen hat, nach dem Gesetz keiner weiteren Überprüfung. Doch ist eine - regelmäßig deklaratorische - Zuständigkeitsbestimmung im Interesse einer funktionierenden Rechtspflege und der Rechtssicherheit dann geboten, wenn es innerhalb eines Verfahrens zu Zweifeln über die Bindungswirkung der Verweisung kommt und deshalb keines der in Frage kommenden Gerichte bereit ist, die Sache zu bearbeiten (vgl zur entsprechenden Anwendung von § 36 Abs 1 Nr 6 ZPO BGH Beschluss vom 14.5.2013 - X ARZ 167/13, MDR 2013, 1242 mwN; BGH Beschluss vom 29.4.2014 - X ARZ 172/14, NJW 2014, 2125). Ein solcher Fall liegt hier vor. Sowohl das SG Itzehoe als auch das VG Potsdam haben sich für sachlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit - ohne ihn in der Sache zu bearbeiten - an das jeweils andere Gericht verwiesen.

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Das BSG ist hier als der für einen der beteiligten Gerichtszweige zuständige oberste Gerichtshof für die Bestimmung zuständig, weil es vom SG Itzehoe als erster oberster Gerichtshof um die Entscheidung angegangen worden ist.

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Zuständiges Gericht ist das SG Itzehoe. Seine Zuständigkeit ergibt sich aus der Bindungswirkung des Beschlusses des VG Potsdam. Dem Verweisungsbeschluss des SG Itzehoe ist zwar grundsätzlich zunächst die gleiche Bindungswirkung zugekommen. Doch ist dem Beschluss des SG Potsdam deshalb der Vorrang einzuräumen, weil er später ergangen und das SG Itzehoe an ihn gebunden ist (vgl BGH Beschluss vom 9.12.2010 - Xa ARZ 283/10, MDR 2011, 253; kritisch Jacobs/Frieling, ZZP 124, 241 <2011>). Ein nach § 17a GVG ergangener Beschluss, mit dem ein Gericht den zu ihm beschrittenen Rechtsweg für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Gericht eines anderen Rechtswegs verwiesen hat, ist einer weiteren Überprüfung entzogen, sobald er unanfechtbar geworden ist. Ist das zulässige Rechtsmittel nicht eingelegt worden oder ist es erfolglos geblieben oder zurückgenommen worden, ist die Verweisung für das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen worden ist, hinsichtlich des Rechtswegs gemäß § 17a Abs 2 S 3 GVG bindend (so BSG Beschluss vom 16.9.2009 - B 12 SF 7/09 S - RdNr 4; BSG Beschluss vom 21.2.2012 - B 12 SF 7/11 S - RdNr 7; BGH Beschluss vom 14.5.2013 - X ARZ 167/13, MDR 2013, 1242; BGH Beschluss vom 29.4.2014 - X ARZ 172/14, NJW 2014, 2125). Dies gilt im Interesse des verfassungsrechtlich gewährleisteten effektiven Rechtsschutzes (Art 19 Abs 4 GG) und einer möglichst zügigen sachlichen Entscheidung unabhängig von der Verletzung prozessualer oder materieller Vorschriften, denn es ist nicht die Aufgabe des "gemeinsam" übergeordneten Gerichts im Verfahren nach § 58 Abs 1 Nr 4 SGG, den Streit der beteiligten Gerichte über den Anwendungsbereich von Regelungen über die Zuständigkeit zu entscheiden oder in jedem Einzelfall die Richtigkeit des dem Verweisungsbeschluss vorliegenden Subsumtionsvorgangs zu überprüfen (BSG Beschluss vom 16.9.2009 - B 12 SF 7/09 S - RdNr 4 f; BSG Beschluss vom 21.2.2012 - B 12 SF 7/11 S - RdNr 7).

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Allenfalls der Verstoß gegen elementare den Rechtsweg und seine Bestimmung regelnden materiell- und verfahrensrechtlichen Vorschriften könnte geeignet sein, die Bindungswirkung zu durchbrechen (vgl dazu nur BSG Beschluss vom 16.9.2009 - B 12 SF 7/09 S - RdNr 5; BSG Beschluss vom 21.2.2012 - B 12 SF 7/11 S - RdNr 9; BGH Beschluss vom 29.4.2014 - X ARZ 172/14, NJW 2014, 2125 mwN). Ein solcher Verstoß liegt aber nicht vor. Zwar hat das VG Potsdam als (zurück-)verweisendes Gericht missachtet, dass es selbst bereits seinerseits unanfechtbar iS des § 17a GVG als das zuständige Gericht des zulässigen Rechtswegs bestimmt worden war. Doch ist das hinzunehmen, wenn die Beteiligten nicht die in § 17a Abs 4 GVG vorgesehene Überprüfung durch Einlegung des zulässigen Rechtsmittels zur Korrektur ermöglicht haben (so BGH Beschluss vom 13.11.2001 - X ARZ 266/01, NJW-RR 2002, 713; BGH Beschluss vom 9.12.2010 - Xa ARZ 283/10, MDR 2011, 253).