Entscheidungsdatum: 10.05.2011
Zur Bestimmung der grundsicherungsrechtlichen Angemessenheit einer privaten Unfallversicherung für Kinder und Jugendliche ist sowohl darauf abzustellen, ob sie üblicherweise von Beziehern von Einkommen knapp oberhalb der Grundsicherungsgrenze als Vorsorgeaufwendung abgeschlossen wird, als auch, welche individuellen Lebensverhältnisse die Situation des Leistungsberechtigten prägen (Anschluss an und Fortführung von BSG vom 29.9.2009 - B 8 SO 13/08 R = BSGE 104, 207 = SozR 4-3530 § 6 Nr 1).
Auf die Sprungrevision des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 4. August 2010 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Sozialgericht zurückverwiesen.
Streitig ist die Höhe des SGB II-Leistungsanspruchs der Kläger unter Abzug einer Versicherungspauschale in Höhe von 30 Euro vom Einkommen des Klägers zu 3 für eine für ihn abgeschlossene private Unfallversicherung im Zeitraum vom 1.8.2009 bis 2.2010.
Der am 1992 geborene Kläger zu 3 ist das im streitigen Zeitraum noch minderjährige Kind der Klägerin zu 1, die mit ihm und ihrem Partner, dem Kläger zu 2, in einer Bedarfsgemeinschaft lebt. Der Kläger zu 2 hatte wechselndes Einkommen aus Erwerbstätigkeit. Der Kläger zu 3 durchlief im streitigen Zeitraum eine Maßnahme zur Teilhabe am Arbeitsleben in der Werkstatt des Lebenshilfewerks H eV. Von der BA erhielt er im Zeitraum vom 1.9.2009 bis 30.11.2010 monatlich 73 Euro Ausbildungsgeld. Die BA übernahm auch die Lehrgangskosten und gewährte Fahrtkosten für Pendelfahrten zwischen der Wohnung und der Werkstatt. Zugleich bezog der Kläger zu 3 eine Waisenrente in Höhe von 153,66 Euro von der Deutschen Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See (Rentenanpassung zum 1.7.2009). Kindergeld wurde der Klägerin zu 1 für den Kläger zu 3 in Höhe von 164 Euro monatlich von der Familienkasse gezahlt. Die Kläger haben eine sog "Paketversicherung" abgeschlossen, die ua eine Unfallversicherung für den Kläger zu 3 mit eigenständig ausgewiesenem Beitragsanteil enthält.
Durch Bescheid vom 2.7.2009 bewilligte der Beklagte vorläufige Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für den Zeitraum vom 1.7. bis 31.12.2009, weil der Kläger zu 2 über wechselndes Einkommen verfüge, das nicht im Voraus feststehe. Die Leistungshöhe änderte er durch Bescheide vom 8.7., 4.8. und 11.8.2009. Mit ihrem Widerspruch (18.8.2009) gegen den letzten Änderungsbescheid begehrten die Kläger den Abzug einer Versicherungspauschale von 30 Euro von der Waisenrente vor ihrer Berücksichtigung als Einkommen des Klägers zu 3. Durch Widerspruchsbescheid vom 2.11.2009 wies der Beklagte den Widerspruch mit der Begründung zurück, der Kläger zu 3 habe nicht tatsächlich eine Versicherung abgeschlossen. Am 11.12.2009 änderte der Beklagte die Leistungshöhe für den Zeitraum 1.9. bis 31.12.2009 nochmals, erließ jedoch am 6.5.2010 für den Zeitraum vom 1.7. bis 31.12.2009 einen endgültigen Bescheid, im Rahmen dessen er die Höhe der SGB II-Leistungen an die Kläger zu ihren Gunsten höher als bisher festsetzte. Ebenfalls am 6.5.2010 bewilligte der Beklagte Leistungen für den Zeitraum vom 1.1. bis 30.6.2010, wiederum als vorläufige Leistungen, weil das Einkommen des Klägers zu 2 im Bewilligungszeitraum nicht abschließend festgestellt werden könne. Die Widersprüche gegen die Bescheide vom 6.5.2010 ua wegen des fehlenden Abzugs einer Versicherungspauschale vom Einkommen des Klägers zu 3 wies der Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 22.6.2010 zurück.
Mit ihren Klagen vom 6.11.2009 (Az S 3 AS 6295/09) und 22.7.2010 (Az S 3 AS 4244/10) haben die Kläger diese Bescheide angefochten und höhere SGB II-Leistungen begehrt. Die Klage vom 6.11.2009 richtet sich gegen den Bescheid vom 2.7.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2.11.2009 und die danach während des Klageverfahrens ergangenen Änderungsbescheide. Zur Begründung haben die Kläger ua vorgebracht, es sei eine Versicherungspauschale vom Renteneinkommen des Klägers zu 3 in Abzug zu bringen. Die zweite Klage, die vom SG mit der ersten zu einem gemeinsamen Verfahren verbunden worden ist und die das gleiche Leistungsziel wie die erste Klage hat, richtet sich gegen die Bescheide vom 6.5.2010 (endgültig für den Zeitraum vom 1.7. bis 31.12.2009 und vorläufig für den Zeitraum vom 1.1. bis 2.2010) in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.6.2010. Das SG hat den Klagen stattgegeben, indem es sämtliche zuvor benannten Bescheide geändert und den Beklagten verurteilt hat, den Klägern Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II vom 1.8.2009 bis 2.2010 unter Berücksichtigung einer Versicherungspauschale von 30 Euro beim Kläger zu 3 zu gewähren. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass es sich bei der für den Kläger zu 3 abgeschlossenen privaten Unfallversicherung um eine grundsicherungsrechtlich angemessene Versicherung handele, deren Beiträge nach dem ab dem 1.8.2009 geänderten § 6 Abs 1 Nr 2 Alg II-V nunmehr auch bei einem in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden minderjährigen Kind (hier bis zum 2.2010) von dessen Einkommen vor der Berücksichtigung bei der Berechnung des Sozialgeldes in Abzug zu bringen seien. Darauf, dass die Versicherung nicht vom Kläger zu 3, sondern von der Klägerin zu 1 für ihn abgeschlossen worden sei, komme es nicht an. Die Versicherung habe nach den tatsächlichen Feststellungen nicht vom Kläger zu 3 selbst vor dessen vollendeten 18. Lebensjahr abgeschlossen werden können.
Der Beklagte hat die vom SG zugelassene Sprungrevision zum BSG mit Zustimmung der Kläger eingelegt. Er macht geltend, zum 1.8.2009 sei § 6 Abs 1 Alg II-V geändert worden, um sozialpolitisch unerwünschte Ungleichbehandlungen im Hinblick auf den Abzug der Versicherungspauschale von minderjährigen Kindern innerhalb und außerhalb der Bedarfsgemeinschaft zu verhindern. Auf deren Mitgliedschaft in einer Bedarfsgemeinschaft komme es nun nicht mehr an. Der Abzug der Versicherungspauschale habe jedoch nur dann zu erfolgen, wenn der Minderjährige tatsächlich mindestens eine dem Grunde und der Höhe nach angemessene Versicherung abgeschlossen habe und der Versicherungsschutz nicht bereits durch die Haushaltsgemeinschaft, der der Minderjährige angehöre, sichergestellt sei. Eine private Unfallversicherung sei bereits dem Grunde nach nicht angemessen. Die Angemessenheit einer Versicherung dem Grunde nach sei nur gegeben, wenn eine vom Lebenszuschnitt den Leistungsberechtigten nach dem SGB II vergleichbare Bevölkerungsgruppe üblicherweise eine solche Absicherung vornehme oder im Einzelfall wegen des Vorliegens besonderer Umstände der Abschluss als angemessen angesehen werden könne. Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BSG zum Arbeitslosenhilferecht könne von der Üblichkeit dann ausgegangen werden, wenn 50 % aller Haushalte eine entsprechende Versicherung abgeschlossen hätten.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 4. August 2010 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen,
die Sprungrevision zurückzuweisen.
Die Sprungrevision ist im Sinne der Zurückverweisung zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das SG begründet.
Der Senat vermochte nicht abschließend zu beurteilen, ob der Beklagte bei der Berechnung der zwischenzeitlich endgültig bewilligten Leistungen im Zeitraum vom 1.8. bis 31.12.2009 von der Waisenrente des Klägers zu 3 eine Versicherungspauschale von 30 Euro monatlich vor der Berücksichtigung als Einkommen in Abzug zu bringen hat sowie hierzu auch im Hinblick auf die vorläufig bewilligten Leistungen zwischen dem 1.1. und dem 2.2010 verpflichtet ist.
1. Das beklagte Jobcenter ist gemäß § 70 Nr 1 SGG beteiligtenfähig (vgl Urteile des Senats vom 18.1.2011, ua - B 4 AS 99/10 R). Nach § 76 Abs 3 Satz 1 SGB II ist die gemeinsame Einrichtung als Rechtsnachfolger an die Stelle der bisherigen beklagten Arbeitsgemeinschaft getreten. Dieser kraft Gesetzes eintretende Beteiligtenwechsel wegen der Weiterentwicklung der Organisation des SGB II stellt keine im Revisionsverfahren unzulässige Klageänderung dar. Das Passivrubrum war entsprechend von Amts wegen zu berichtigen.
Der Senat hat ebenfalls bereits entschieden, dass keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Vorschrift des § 44b SGB II bestehen, weil der Gesetzgeber sich bei der einfachgesetzlichen Ausgestaltung innerhalb des von Art 91e Abs 1 und 3 GG eröffneten Gestaltungsspielraums bewegt (BSG Urteile vom 18.1.2011, ua - B 4 AS 99/10 R).
2. Streitgegenstand des Revisionsverfahrens ist zum einen das Begehren der Kläger auf eine gegenüber den endgültigen Festsetzungen des Beklagten in dem Bescheid vom 6.5.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.6.2010 für den Zeitraum vom 1.8. bis 31.12.2009 um 30 Euro höhere monatliche Leistung zur Sicherung des Lebensunterhalts. Die vorläufigen Festsetzungen der Leistungshöhe in dem Bescheid vom 2.7.2009 in der Fassung der Bescheide vom 8.7., 4.8. und 11.8.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2.11.2009, dieser wiederum in der Fassung des Bescheides vom 11.12.2009 sind nicht mehr Streitgegenstand des Revisionsverfahrens. Sie haben sich bereits im Klageverfahren auf sonstige Weise iS des § 39 Abs 2 SGB X durch den Erlass des Bescheides vom 6.5.2010, mit dem der Beklagte eine endgültige Bestimmung der Leistungshöhe im Zeitraum vom 1.8. bis 31.12.2009 verfügt hat, erledigt (Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB III, K § 328 RdNr 59; Eicher in Eicher/Schlegel, § 328 SGB III RdNr 60). Der endgültige Bescheid hat die vorläufigen Bescheide ersetzt. Insoweit war auch die Anfechtungs- und Leistungsklage der Kläger zulässig.
Für den Zeitraum vom 1.1. bis 2.2010 hat der Beklagte wiederum jedoch nur vorläufige Leistungen bewilligt. Daher ist für diesen Zeitraum auch nur die vorläufige gegenüber den Festsetzungen des Beklagten in dem Bescheid vom 6.5.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.6.2010 vorgenommene, um 30 Euro höhere monatliche Leistung der Kläger Streitgegenstand des Revisionsverfahrens. An einem Bescheid über die endgültige Leistungsgewährung fehlt es bisher. Gleichwohl ist auch insoweit die von den Klägern erhobene Anfechtungs- und Leistungsklage hier zulässig. Die Revision des Beklagten ist also nicht aus verfahrensrechtlichen Gründen erfolgreich.
Zwar ist die vorläufige Leistung eine Leistung sui generis und ein aliud gegenüber der endgültigen Leistung (stRspr, vgl BSG Urteil vom 31.5.1989 - 4 RA 19/88 = SozR 1200 § 42 Nr 4 S 14; BSG Urteil vom 28.6.1990 - 4 RA 57/89 = BSGE 67, 104 <109 f> = SozR 3-1300 § 32 Nr 2 S 11 f; BSG Urteil vom 12.5.1992 - 2 RU 7/92 = SozR 3-1200 § 42 Nr 2 S 4 f; BSG Urteil vom 16.6.1999 - B 9 V 13/98 R = SozR 3-1200 § 42 Nr 8 S 25 mwN; Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB III, K § 328 RdNr 56). Materiell-rechtlich handelt es sich mithin um zwei verschiedene Ansprüche. Unabhängig von der jeweils zutreffenden Klageart ist auch gegen vorläufige Entscheidungen grundsätzlich gerichtlicher Rechtsschutz zu gewähren. Im Falle einer den Kläger im Verhältnis zur vorläufigen Bewilligung belastenden endgültigen Entscheidung kann er im Klageverfahren gegen die endgültige Entscheidung nicht mehr damit gehört werden, die Verwaltung habe nicht vorläufig bewilligen dürfen. Ist die vorläufige Bewilligung bestandskräftig geworden, ist sie auch im Rahmen eines Erstattungsbescheides hinsichtlich der Vorläufigkeit nicht mehr überprüfbar (BSG Urteil vom 15.8.2002 - B 7 AL 24/01 R, SozR 3-4100 § 147 Nr 1). Der eine vorläufige Leistung bewilligende Bescheid ist mithin ebenso wie ein solcher über die Bewilligung von endgültigen Leistungen mit der Begründung anfechtbar, die Verwaltung habe rechtswidrig gehandelt, hier zu Unrecht vorläufige Leistungen anstatt endgültige bewilligt. Die zutreffende Klageart ist dann die Anfechtungsklage (vgl Eicher in Eicher/Schlegel, § 328 SGB III RdNr 92).
Gleichwohl ist ein auf endgültige Leistungen gerichtetes Begehren in Gestalt der Leistungsklage nicht grundsätzlich unzulässig ( § 54 Abs 2 SGG - vgl BSG Urteil vom 6.4.2011 - B 4 AS 119/10 R; BSG Urteil vom 21.7.2009 - B 7 AL 49/07 R - BSGE 104, 76 = SozR 4-4300 § 22 Nr 2; Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB III, K § 328 RdNr 315; aA Düe in Niesel/Brand, SGB III, 5. Aufl 2010, § 328 RdNr 30 f, der nur die Anfechtung für rechtlich zulässig hält ) - ein Kläger ist wegen der Vorläufigkeit der Leistungsbewilligung nicht ausschließlich gehalten, ebenfalls nur Leistungen in vorläufiger Höhe zu beantragen, wenn die Verwaltung eine endgültige Leistungsgewährung durch gesonderten Verfügungssatz zumindest konkludent ablehnt. Die Entscheidung der vorläufigen Bewilligung einer Leistung ist nach § 40 Abs 1 Nr 1a SGB II iVm § 328 Abs 1 SGB III eine Ermessensentscheidung, wobei der Verwaltungsträger einen Entscheidungsfreiraum im Sinne von Entschließungs- und Auswahlermessen hat (vgl Eicher in Eicher/Schlegel, § 328 SGB III RdNr 42). Die grundsätzlich richtige Klageart im Falle nicht gebundener Entscheidungen ist damit zwar die Verpflichtungsklage (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 54 RdNr 20b; so auch Eicher in Eicher/Schlegel, § 328 SGB III RdNr 92 im Hinblick auf vorläufige Leistungen wegen der Entscheidungsfreiräume der Verwaltung). Sie hält auch der erkennende Senat für die zutreffende Klageart im Falle der vorläufigen Bewilligung von Leistungen nach § 40 Abs 1 Nr 1a SGB II iVm § 328 Abs 1 SGB III, um der Einebnung der Verschiedenartigkeit der Ansprüche auf endgültige und vorläufige Leistungen entgegenzuwirken. Geht der Kläger jedoch davon aus, dass die Voraussetzungen für eine vorläufige Entscheidung nicht vorliegen oder das Ermessen der Behörde sowohl im Hinblick auf die Rechtmäßigkeit der vorläufigen Entscheidung selbst, als auch der Höhe der zu bewilligenden Leistungen auf Null reduziert sei, ist die Beantragung der Leistung selbst (Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB III, K § 328 RdNr 315 - kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage) und hilfsweise die Verpflichtung zum Erlass eines neuen Bescheides unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zulässig. Die Verpflichtungsklage ist dann jedoch ggf als ein Minus (Hilfsantrag) in der Leistungsklage enthalten (vgl Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 5. Aufl 2008, IV, RdNr 18).
Da nur der Beklagte die Entscheidung des SG mit der Sprungrevision angefochten hat, ist der Streitgegenstand - im Hinblick auf das Verbot der reformatio in peiius - auch auf die Gewährung höherer monatlicher Leistungen von 30 Euro beschränkt. Insoweit ist allerdings eine vollständige Überprüfung des Leistungsanspruchs der Kläger unter jedem rechtlichen Gesichtspunkt erforderlich - die Absetzbarkeit der Versicherungspauschale ist kein abtrennbarer Streitgegenstand (BSG Urteil vom 23.11.2006 - B 11b AS 9/06 R = SozR 4-4300 § 428 Nr 3 S 10 mwN; BSG Urteil vom 5.9.2007 - B 11b AS 49/06 R = SozR 4-4200 § 11 Nr 7 S 37; BSG Urteil vom 7.11.2006 - B 7b AS 8/06 R = BSGE 97, 217 <223 f> = SozR 4-4200 § 22 Nr 1 S 6 ff mwN; BSG Urteil vom 27.2.2008 - B 14/11b AS 55/06 R = SozR 4-4200 § 22 Nr 9 S 74). Da das SG über die ebenfalls nicht vollständig festgestellten Tatsachen betreffend die Absetzbarkeit der Versicherungspauschale hinaus keine weiteren Feststellungen zu Tatsachen getroffen hat, aufgrund derer das Vorliegen der Leistungsvoraussetzungen nach dem SGB II und die Rechtmäßigkeit der Höhe der Leistung des Beklagten beurteilt werden kann, wird das SG im wiedereröffneten Klageverfahren, auch wenn es unter Beachtung der Rechtsauffassung des erkennenden Senats zu dem Ergebnis gelangen sollte, von dem Renteneinkommen des Klägers zu 3 sei keine Versicherungspauschale vor der Berücksichtigung als Einkommen in Abzug zu bringen, zu überprüfen haben, ob den Klägern aus anderen Gründen eine um 30 Euro höhere Leistung zusteht.
3. Der Senat vermochte aufgrund der vom SG festgestellten Tatsachen nicht abschließend zu entscheiden, ob der Beklagte von dem Renteneinkommen des Klägers zu 3 eine Versicherungspauschale von monatlich 30 Euro in Abzug zu bringen hat.
Nach § 11 Abs 2 Nr 3 SGB II sind Beiträge zu öffentlichen oder privaten Versicherungen oder ähnlichen Einrichtungen vom Einkommen abzusetzen, soweit diese Beiträge gesetzlich vorgeschrieben oder nach Grund und Höhe angemessen sind. Zutreffend ist das SG zwar davon ausgegangen, dass nach § 6 Abs 1 Nr 2 Alg II-V idF ab dem 1.8.2009 (2. Verordnung zur Änderung der Alg II-V/SozialgeldV vom 23.7.2009, BGBl I 2340) nunmehr auch von dem Einkommen Minderjähriger ein Betrag in Höhe von 30 Euro monatlich für die Beiträge zu privaten Versicherungen nach § 11 Abs 2 Satz 1 Nr 3 SGB II abgesetzt werden kann, wenn die Beiträge nach Grund und Höhe angemessen sind und der oder die Minderjährige eine entsprechende Versicherung abgeschlossen hat (s zur Rechtslage vor dem 1.8.2009 nur BSG Urteil vom 13.5.2009 - B 4 AS 39/08 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 23).
Im Gegensatz zur Auffassung des SG kommt es für die Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Angemessenheit in § 6 Abs 1 Nr 2 Alg II-V jedoch nicht darauf an, ob Leistungen aus der privaten Versicherung zu einer Entlastung staatlicher Sozialversicherungsträger beitragen können. Im Gegenteil, wenn bereits ein hinreichender Schutz durch die gesetzliche Sozialversicherung gegeben ist, scheidet die Absetzbarkeit von Beiträgen für private Versicherungen, die dieselben Risiken abdecken, im Grundsicherungsrecht schon aus systematischen Gründen aus. Beiträge zur Sozialversicherung werden vom Grundsicherungsträger als Annexleistung übernommen (zur Krankenversicherung und im hier streitigen Zeitraum auch noch zur Rentenversicherung). Dahinter steht die Erwägung, dass durch Leistungen aus der gesetzlichen Sozialversicherung auch ein grundsicherungsrechtlicher Bedarf gedeckt wird, für den wegen des Schutzes durch die gesetzliche Sozialversicherung keine besonderen Leistungen im SGB II vorgesehen sind. Einkommen aus Leistungen der gesetzlichen Sozialversicherung ist daher auch zu berücksichtigendes Einkommen iS des § 11 Abs 1 SGB II, das den Hilfebedarf mindert. Für Bezieher von Erwerbseinkommen knapp oberhalb der Grundsicherungsgrenze gelten die gleichen Überlegungen. Dort ersetzen die Leistungen aus der gesetzlichen Sozialversicherung - entsprechend ihrem originären Zweck - das etwa durch einen Unfall entgangene Erwerbseinkommen bzw dienen der Erlangung der ansonsten zu "erkaufenden" Gesundheitsleistungen. Wenn bestimmte Risiken nicht durch Leistungen aus der gesetzlichen Sozialversicherung abgedeckt werden, wie beispielsweise die gesundheitlichen Folgen aufgrund von Freizeitunfällen von Kindern, mag das zwar - wie vom SG angenommen - für eine private Vorsorge sprechen. Ob damit jedoch zugleich eine grundsicherungsrechtliche Angemessenheit der Aufwendungen hierfür einhergeht, bestimmt sich im Rahmen des Leistungssystems - wie bei der Bemessung der existenzsichernden Leistungen auch - nach dem jeweiligen Entwicklungsstand des Gemeinwesens und den bestehenden Lebensbedingungen (vgl BVerfG Urteil vom 9.2.2010 - 1 BvL 1/09 ua, BVerfGE 125, 175).
Daher wird in der Rechtsprechung von BSG und BVerwG zur Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Angemessenheit im Hinblick auf Versicherungsbeiträge im existenzsichernden Bereich darauf abgestellt, für welche Lebensrisiken (Grund) und in welchem Umfang (Höhe) Bezieher von Einkommen knapp oberhalb der Grundsicherungsgrenze üblicherweise Vorsorgeaufwendungen zu tätigen pflegen und andererseits, welche individuellen Lebensverhältnisse die Situation des Hilfebedürftigen prägen ( BSG Urteil vom 9.11.2010 - B 4 AS 7/10 R, zur Veröffentlichung vorgesehen ; abgrenzend zur Arbeitslosenhilfe wegen deren Funktion der Lebensstandardsicherung: BSG Urteil vom 9.12.2004 - B 7 AL 24/04 R - BSGE 94, 109 = SozR 4-4220 § 3 Nr 1; s zur Sozialhilfe nach dem SGB XII: BSG Urteil vom 29.9.2009 - B 8 SO 13/08 R - BSGE 104, 207 = SozR 4-3530 § 6 Nr 1; vgl zum BSHG: BVerwG Urteil vom 27.6.2002 - 5 C 43/01 - BVerwGE 116, 342 ; Schellhorn/Schellhorn, BSHG, 16. Aufl 2002, § 76 RdNr 38; Schmitt/Hillermeier, BSHG, Stand Dezember 1996, § 76 RdNr 92). Ob die Beiträge zur privaten Unfallversicherung für Kinder in diesem Sinne angemessen sind, vermochte der Senat nach den Feststellungen des SG jedoch nicht abschließend zu beurteilen.
Zwar bestehen Zweifel, dass der Abschluss einer privaten Unfallversicherung für Kinder bei Beziehern von Einkommen knapp oberhalb der Grundsicherungsgrenze üblich ist. Der Beklagte hat in der Revisionsbegründung auf seine Erkenntnisse durch den Kundenmonitor Assekuranz der Psychonomics AG für 2008 hingewiesen, wonach 31 % aller deutschen Haushalte eine private Unfallversicherung abgeschlossen hatten. Das LSG Hamburg hat in einer Entscheidung aus dem Jahre 2010 auf Grundlage einer beim Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft eV eingeholten Auskunft für das Jahr 2008 ausgeführt, dass der Prozentsatz von 50 % der gesamten Bevölkerung, die eine derartige Versicherung hielten, nicht erreicht werde. Der Anteil an privat unfallversicherten Kindern aus Familien mit geringen finanziellen Mitteln werde dementsprechend geringer sein; die private Unfallversicherung für Kinder zähle in diesen Kreisen daher nicht zu den üblichen Versicherungen (LSG Hamburg Urteil vom 11.11.2010 - L 5 AS 58/07). Eine abschließende Bewertung der Üblichkeit ist jedoch auf Grundlage dieser Ausführungen - auch für den streitigen Zeitraum - nicht möglich. Das SG wird entsprechende Ermittlungen im wiedereröffneten Klageverfahren nachzuholen haben.
Sollte das SG zu der Erkenntnis gelangen, dass der Abschluss einer privaten Unfallversicherung für Kinder bei Beziehern von Einkommen knapp oberhalb der Grundsicherungsgrenze nicht üblich sei, wird es gleichwohl die persönlichen Lebensumstände des Klägers zu 3 zu ermitteln haben. Denn auch besondere Umstände des Einzelfalls können - wie eingangs dargelegt - dazu führen, dass eine solche private Absicherung als angemessen zu bewerten ist. Diese können beispielsweise in einer besonderen Gefährdung des jungen Menschen aufgrund einer Erkrankung oder Behinderung oder einer sonstigen besondere Gefährdungen hervorrufenden Lebenssituation erblickt werden. Zu derartigen Umständen mangelt es bisher an Feststellungen des SG.
Unschädlich ist entgegen der Auffassung des Beklagten jedoch, dass der Kläger zu 3 die Versicherung nicht selbst - also eigentätig - abgeschlossen hat. Es kommt auch nicht darauf an, dass er die rechtliche Möglichkeit hierzu mit nachträglicher Genehmigung durch die erziehungsberechtigte Klägerin zu 1 gehabt hätte. Hiergegen spricht weder die von dem Beklagten zitierte Begründung der Neufassung der Alg II-V, noch die bisherige Rechtsprechung des BSG. Grundsätzlich ist nach der Rechtsprechung der für die Grundsicherung zuständigen Senate des BSG die Versicherungspauschale unabhängig davon in Abzug zu bringen, ob tatsächlich Beiträge zu privaten Versicherungen aufgewendet worden sind (vgl BSG Urteile vom 7.11.2006 - B 7b AS 18/06 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 3; 18.6.2008 - B 14 AS 55/07 R - SozR 4-4200 § 9 Nr 4; 13.5.2009 - B 4 AS 39/08 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 23). Die mangelnde Abzugsmöglichkeit der Versicherungspauschale vom Einkommen des Kindes, das in einer Bedarfsgemeinschaft lebt, ist in der Rechtsprechung des BSG damit gerechtfertigt worden, dass im Regelfall das Kind an den für die Bedarfsgemeinschaft abgeschlossenen Versicherungen partizipiert und sein Einkommen in erster Linie zur Deckung des eigenen Lebensunterhalts dienen soll (BSG Urteil vom 13.5.2009 - B 4 AS 39/08 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 23). Unter Berücksichtigung dessen soll die durch die Änderung der Alg II-V eröffnete Möglichkeit, auch vom Einkommen des minderjährigen Kindes in der Bedarfsgemeinschaft eine Versicherungspauschale in Abzug zu bringen, daher nur dann ergriffen werden können, wenn für das Kind eine eigene Versicherung abgeschlossen worden ist, die sein Einkommen auch tatsächlich belastet. Dieses setzt jedoch nur voraus, dass eine für das Kind zu finanzierende Versicherung vorhanden ist, die nicht in der Gesamtvorsorge der Bedarfsgemeinschaft aufgeht. Nicht erforderlich ist, dass das Kind den Versicherungsvertrag selbst geschlossen hat. Ebenfalls unschädlich ist, dass es sich im vorliegenden Fall um eine "Paketversicherung" handelt. Sie enthält nach den tatsächlichen Feststellungen des SG, die der Beklagte nicht mit zulässigen Verfahrensrügen angegriffen hat, einen selbstständigen, ausschließlich auf das Kind bezogenen Anteil, für den Versicherungsbeiträge aufzubringen sind.