Bundessozialgericht

Entscheidungsdatum: 21.06.2011


BSG 21.06.2011 - B 4 AS 118/10 R

(Überprüfungsantrag - Rücknahme einer rechtswidrigen Kürzung des Arbeitslosengeld II wegen Krankenhausverpflegung - zeitliche Beschränkung der Rücknahme gem § 330 Abs 1 SGB 3 - andere Auslegung des Rechts in ständiger Rechtsprechung des BSG - abweichende bundeseinheitliche Verwaltungspraxis aller Grundsicherungsträger)


Gericht:
Bundessozialgericht
Spruchkörper:
4. Senat
Entscheidungsdatum:
21.06.2011
Aktenzeichen:
B 4 AS 118/10 R
Dokumenttyp:
Urteil
Vorinstanz:
vorgehend SG Freiburg (Breisgau), 25. September 2009, Az: S 9 AS 6261/08, Urteilvorgehend Landessozialgericht Baden-Württemberg, 25. Juni 2010, Az: L 12 AS 5883/09, Urteil
Zitierte Gesetze
§ 44 Abs 1 S 1 SGB 10

Leitsätze

Die zeitlich eingeschränkte Rücknahme rechtswidrig belastender Verwaltungsakte über SGB 2-Leistungen mit Wirkung für die Vergangenheit (in entsprechender Anwendung des § 330 SGB 3) setzt auch für die Leistungsbereiche der Bundesagentur für Arbeit eine abweichende bundeseinheitliche Verwaltungspraxis sämtlicher Grundsicherungsträger voraus (Fortführung von BSG vom 15.12.2010 - B 14 AS 61/09 R = SozR 4-4200 § 40 Nr 1).

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 25. Juni 2010 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt im Wege des Zugunstenverfahrens höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Zeit vom 6.3. bis 19.5.2006.

2

Die 1977 geborene Klägerin befand sich vom 20.2. bis 19.5.2006 in vollstationärer, anschließend bis zum 9.6.2006 in tagesklinischer Behandlung. Für die Zeit vom 6.3. bis 30.9.2006 bewilligte der Beklagte ihr Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts unter Abzug einer Ersparnis für die häusliche Verpflegung in Höhe von 120,75 Euro monatlich (Bescheid vom 18.5.2006). Der Bewilligungsbescheid vom 18.5.2006 enthielt den Hinweis, dass "der Regelsatz um 35 vom Hundert gekürzt" werde, "da die volle Verpflegung durch das Krankenhaus gewährleistet" sei. Dieser Abzug sei im Berechnungsbogen als "Sonstiges Einkommen" angegeben. Mit dem Änderungsbescheid vom 27.6.2006 korrigierte der Beklagte den Einbehalt für die Zeit vom 20.5. bis 8.6.2006 auf 73,58 Euro monatlich wegen der teilstationären Behandlung und bewilligte ab 9.6.2006 erneut die volle Regelleistung. Beide Bescheide wurden bestandskräftig.

3

Die Klägerin beantragte mit Schreiben vom 5.11.2008 unter Bezugnahme auf Urteile des BSG vom 18.6.2008 (B 14 AS 22/07 R und B 14 AS 46/07 R) zur nicht möglichen Berücksichtigung der Kosten einer häuslichen Ersparnis für auswärtige Verpflegung ohne Erfolg die Überprüfung des Bescheids vom 18.5.2006 und Nachzahlung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts gemäß § 44 SGB X (Bescheid vom 5.11.2008; Widerspruchsbescheid vom 8.12.2008).

4

Im erstinstanzlichen Klageverfahren hat das SG den ablehnenden Bescheid vom 5.11.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8.12.2008 aufgehoben und den Beklagten - entsprechend dem Antrag der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem SG - verurteilt, den Bescheid vom 18.5.2006 zurückzunehmen und der Klägerin für die Zeit vom 20.2. bis 19.5.2006 die volle Regelleistung nach dem SGB II zu gewähren (Urteil vom 25.9.2009). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das SG ausgeführt, die Rücknahme der rechtswidrigen Bewilligung sei nicht gemäß § 40 Abs 1 Satz 2 Nr 1 SGB II iVm § 330 Abs 1 SGB III ausgeschlossen. Hierzu müsse festgestellt werden können, dass der Bescheid, dessen Rücknahme im Streit stehe, mit einer Rechtsnorm begründet werde, die später in ständiger Rechtsprechung anders ausgelegt werde. Eine solche Rechtsnorm könne das Gericht nicht erkennen, weil Grundlage des Bescheids vom 18.5.2006 die seinerzeitigen Hinweise der Bundesagentur für Arbeit (BA) zu § 9 SGB II gewesen seien, nach denen ohne rechtliche Grundlage angeordnet worden sei, dass bereitgestellte Verpflegung mit einem Wert von 35 vH der Regelleistung zu berücksichtigen sei. Dies sei damit begründet worden, dass der Bedarf des Hilfebedürftigen insoweit als gedeckt anzusehen sei. Nach Ansicht des BSG habe es für Regelleistungskürzungen zumindest in den Jahren 2006 und 2007 an einer legitimierenden Rechtsnorm gefehlt. Insofern könne der Verwaltungsakt nicht auf einer Rechtsnorm beruhen, die später in ständiger Rechtsprechung anders ausgelegt worden sei.

5

Das LSG hat das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 25.6.2010). Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt, die von der Klägerin monierte Bewilligungsentscheidung beruhe auf einer von der ständigen Rechtsprechung später anders ausgelegten Rechtsnorm iS des § 330 Abs 1 SGB III. Zwar hätten die Grundsicherungsträger - wie auch hier der Beklagte - in ständiger und einheitlicher Praxis entsprechend den Durchführungshinweisen der BA mit dem Bedarfsdeckungsargument die Regelleistung gekürzt. Es sei jedoch nicht entscheidend, dass sich die Leistungsträger nicht explizit auf § 11 SGB II gestützt, sondern die Anrechnung über den Bedarfsdeckungsgrundsatz und somit in einer Gesamtschau der anwendbaren Normen (§§ 9, 11, 20 SGB II) vorgenommen hätten. Auch wenn die Gesamtheit der als Rechtsgrundlage in Betracht kommenden Normen von der Rechtsprechung anders ausgelegt werde als in einheitlicher Praxis der Grundsicherungsträger, handele es sich um die Auslegung einer Norm iS von § 330 Abs 1 SGB III. Insoweit steht der Anwendung der Vorschrift nicht entgegen, dass das BSG im Ergebnis überhaupt keine gesetzliche Grundlage für die Verfahrensweise der Leistungsträger gesehen habe. Auch insoweit werde der einheitlichen Auslegung der Vorschriften des SGB II durch die Leistungsträger eine Grenze aufgezeigt. Damit habe die höchstrichterliche Rechtsprechung klargestellt, dass die Auslegung sämtlicher in Betracht kommender Vorschriften des SGB II keine Rechtsgrundlage für die von den Grundsicherungsträgern vorgenommene Handhabung ergebe und somit eine von den Hinweisen der BA abweichende Auslegung vorgenommen.

6

Mit ihrer vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 330 Abs 1 Satz 1 Alt 2 SGB III, dessen Anwendungsbereich erst eröffnet sei, wenn die Entscheidung auf einer Rechtsnorm beruhe. Bereits an dieser Voraussetzung mangele es, weil die streitgegenständliche Kürzung des Alg II willkürlich erfolgt sei. Durch den Bescheid vom 18.5.2006, mit dem der Beklagte auf den Begriff des "Regelsatzes" Bezug genommen habe, habe er unmissverständlich klargestellt, dass er nicht etwa die Normen des SGB II, sondern § 28 SGB XII anwende. In der Begründung des Bescheids habe er sich ausdrücklich von der Kürzung, die im Berechnungsbogen als "Sonstiges Einkommen" aufgeführt werde, distanziert. Dies werde dadurch bestätigt, dass der Beklagte den Freibetrag für Versicherungen in Höhe von pauschal 30 Euro tatsächlich nicht berücksichtigt habe. Die Vorschrift des § 9 SGB II scheide als Rechtsgrundlage für die Leistungskürzung aus, weil sich aus dieser nichts ergebe, was im Entferntesten eine Abweichung von § 20 Abs 2 Satz 1 SGB II rechtfertigen könne. Auch die §§ 11, 20 SGB II seien nicht anwendbar. Mindestvoraussetzung dafür, dass eine Entscheidung als "auf eine Norm" gestützt gelten könne, sei, dass eine solche Norm identifizierbar sei. Das Berufungsgericht verstoße gegen § 31 SGB I, indem es die Rechtsnormen, derer es bedürfe, um eine Rechtsauffassung zu stützen, in einen nicht weiter definierten Bereich verlagere, der sich aus einer "Gesamtschau der anwendbaren Normen" ergebe, ohne dies in irgendeiner Weise zu konkretisieren.

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Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 25. Juni 2010 aufzuheben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 25. September 2009 zurückzuweisen.

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Der Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

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Er verweist auf die Ausführungen im Urteil des LSG.

Entscheidungsgründe

10

Die zulässige Revision der Klägerin ist im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet. Mangels ausreichender Feststellungen des Berufungsgerichts kann der Senat nicht abschließend beurteilen, ob der Bescheid vom 5.11.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8.12.2008, mit dem der Beklagte die Rücknahme des Bescheids vom 18.5.2006 abgelehnt hat, rechtmäßig war.

11

1. Das beklagte Jobcenter ist gemäß § 70 Nr 1 SGG beteiligtenfähig (vgl Urteile des Senats vom 18.1.2011, ua - B 4 AS 99/10 R - SozR 4-4200 § 37 Nr 5). Nach § 76 Abs 3 Satz 1 SGB II ist die gemeinsame Einrichtung als Rechtsnachfolger an die Stelle der bisherigen beklagten Arbeitsgemeinschaft getreten. Dieser kraft Gesetzes eintretende Beteiligtenwechsel wegen der Weiterentwicklung der Organisation des SGB II stellt keine im Revisionsverfahren unzulässige Klageänderung dar.

12

Der Senat hat ebenfalls bereits entschieden, dass keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Vorschrift des § 44b SGB II bestehen, weil der Gesetzgeber sich bei der einfachgesetzlichen Ausgestaltung innerhalb des von Art 91e Abs 1 und 3 GG eröffneten Gestaltungsspielraums bewegt (BSG Urteile vom 18.1.2011, ua - B 4 AS 99/10 R - SozR, aaO).

13

2. Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 5.11.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8.12.2008 (§ 95 SGG), mit dem der Beklagte die Korrektur des den streitigen Zeitraum vom 6.3. bis 19.5.2006 betreffenden bestandskräftigen Bescheids vom 18.5.2006 und Nachzahlung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts abgelehnt hat. Die Klägerin hat ihr Klagebegehren durch den in erster Instanz gestellten Antrag auf diesen Zeitraum beschränkt.

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3. Der Bescheid vom 18.5.2006 war anfänglich, dh nach der im Zeitpunkt seiner Bekanntgabe gegebenen Sach- und Rechtslage (vgl BSG Urteil vom 1.12.1999 - B 5 RJ 20/98 R - BSGE 85, 151, 153 = SozR 3-2600 § 300 Nr 15), rechtswidrig iS des § 44 Abs 1 Satz 1 SGB X. Zur Rücknahme anfänglich rechtswidriger Verwaltungsakte bestimmt § 40 Abs 1 Satz 1 SGB II iVm § 44 Abs 1 Satz 1 SGB X, dass ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen ist, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei dessen Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind (zur uneingeschränkten Anwendbarkeit des § 44 SGB X auch im Bereich des SGB II vgl Urteil des Senats vom 1.6.2010 - B 4 AS 78/09 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 36; vgl aber nunmehr § 40 Abs 1 Satz 2 SGB II idF des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buchs Sozialgesetzbuch - RBEG - vom 24.3.2011 <BGBl I 453>).

15

Der Beklagte ist mit dem Bewilligungsbescheid vom 18.5.2006 davon ausgegangen, dass er die Regelleistung wegen der Verpflegung während des Krankenhausaufenthalts ab 6.3.2006 um 35 vH kürzen könne. Insofern hat das BSG jedoch mit Urteil vom 18.6.2008 entschieden, dass für die vorgenommene anteilige Kürzung der Regelleistung jedenfalls im hier streitigen Jahr 2006 keine Rechtsgrundlage existierte (B 14 AS 22/07 R - BSGE 101, 70 ff = SozR 4-4200 § 11 Nr 11, RdNr 14). Die im Krankenhaus bereitgestellte Verpflegung könne nicht als Einkommen nach § 11 SGB II berücksichtigt werden. Selbst wenn man davon ausginge, dass die Gewährung von Verpflegung eine Einnahme in Geldeswert gemäß § 11 Abs 1 Satz 1 SGB II darstelle, sei aufgrund des Wortlauts und der Struktur des § 13 SGB II jedenfalls zu fordern, dass in der Alg II-V selbst ausdrücklich geregelt werde, "wie das Einkommen im Einzelnen zu berechnen sei". Insofern habe die Alg II-V im streitigen Zeitraum jedoch keinerlei Rechtsgrundlage oder auch nur interpretatorischen Anhalt für den konkreten Rechenschritt enthalten, die Regelleistung um 35 vH zu kürzen (BSG aaO). Auch sei nach dem Leistungssystem des SGB II und wegen des bedarfsdeckenden und pauschalierenden Charakters der Regelleistung eine individuelle Bedarfsermittlung bzw abweichende Bestimmung der Höhe der Regelleistung weder zu Gunsten noch zu Lasten des Grundsicherungsempfängers vorgesehen (BSG Urteil vom 18.6.2008 - B 14 AS 22/07 R - BSGE 101, 70 ff = SozR 4-4200 § 11 Nr 11, RdNr 22).

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4. Der Senat kann mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen des LSG aber nicht beurteilen, ob die von dem beklagten Grundsicherungsträger geltend gemachten Ausnahmen für die Rücknahme eines anfänglich rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsakts mit Wirkung für die Vergangenheit vorliegen. Insofern bestimmt § 40 Abs 1 Satz 2 Nr 1 SGB II, dass die Vorschriften des Dritten Buches über die Aufhebung von Verwaltungsakten (§ 330 Abs 1, 2, 3 Satz 1 und 4) entsprechend anwendbar sind. Nach § 330 Abs 1 SGB III ist ein Verwaltungsakt, wenn er unanfechtbar geworden ist, nur mit Wirkung für die Zeit nach der Entscheidung des BVerfG oder ab dem Bestehen der ständigen Rechtsprechung zurückzunehmen, wenn die in § 44 Abs 1 Satz 1 SGB X genannten Voraussetzungen für die Rücknahme eines rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsakts vorliegen, weil er auf einer Rechtsnorm beruht, die nach Erlass des Verwaltungsaktes für nichtig oder für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt (erste Alternative) oder in ständiger Rechtsprechung anders als durch die Agentur für Arbeit ausgelegt worden ist (zweite Alternative).

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Wegen der nur "entsprechenden Anwendbarkeit" des SGB III dürfen die Vorschriften des SGB III nicht wörtlich genommen werden, sondern sind an die besonderen Verhältnisse im Bereich des SGB II anzupassen (sa Eicher in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl 2008, § 40 RdNr 7). Trotz des Umstandes, dass § 330 Abs 1 SGB III auf die Auslegung durch die "Agentur für Arbeit" Bezug nimmt, ist die Regelung daher auf alle Träger im Bereich des SGB II grundsätzlich anwendbar. Eine eingeschränkte, nur auf bestimmte Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende bezogene Anwendbarkeit des § 330 Abs 1 SGB III lässt sich weder dem Wortlaut des § 40 SGB II noch den Gesetzesmaterialien (vgl BT-Drucks 15/1516 S 63) entnehmen. Insofern haben die beiden für das Recht der Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen Senate des BSG bereits entschieden, dass § 330 Abs 1 SGB II über § 40 Abs 1 Satz 2 Nr 1 SGB II sowohl für die BA als Trägerin der Leistungen nach § 6 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB II als auch für die kommunalen Träger für Leistungen nach § 6 Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB II gilt (vgl BSG Urteil vom 1.6.2010 - B 4 AS 78/09 R - BSGE 106, 155 = SozR 4-4200 § 22 Nr 36 und BSG Urteil vom 15.12.2010 - B 14 AS 61/09 R).

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Die Rechtswidrigkeit des Bewilligungsbescheids vom 18.5.2006 beruht auf einer anderen "Auslegung einer Rechtsnorm" in ständiger Rechtsprechung durch das BSG iS des § 330 Abs 1 SGB III. Eine "ständige Rechtsprechung" (vgl hierzu auch Fichte, NZS 1998, 1 ff) kann bereits entstehen, wenn das BSG als Revisionsgericht in nur einer Entscheidung eine Rechtsfrage in einem bestimmten Sinne beantwortet hat und die Rechtsfrage damit "hinreichend geklärt" ist (BSG Urteil vom 23.3.1995 - 11 RAr 71/94 - SozR 3-4100 § 152 Nr 5 RdNr 22; BSG Urteil vom 29.6.2000 - B 11 AL 99/99 R - SozR 3-4100 § 152 Nr 10 RdNr 18 f). Dies ist hier der Fall. Mit dem Urteil des 14. Senats des BSG vom 18.6.2008 (B 14 AS 22/07 R, BSGE 101, 70 ff = SozR 4-4200 § 11 Nr 11) ist eine abschließende Klärung der Problematik der Berücksichtigung kostenfreier Verpflegung im Krankenhaus bei der Höhe der Regelleistung für die im Jahre 2006 geltende Rechtslage eingetreten. Dies wird auch darin deutlich, dass die BA in ihrer Geschäftsanweisung Nr 28 vom 20.7.2008 "Anrechnung von Verpflegung während eines Krankenhausaufenthalts" zur Umsetzung dieser Entscheidung ausgeführt hat, dass Fälle aus der Zeit bis zum 31.12.2007, die noch im Widerspruchs- oder Klageverfahren seien, klaglos gestellt werden sollten.

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Nicht erforderlich ist, dass bereits der Adressat eines Verwaltungsaktes dem Inhalt des rechtswidrigen Bescheids eine Norm entnehmen kann, auf die der Grundsicherungsträger seine Entscheidung stützt. Insofern weist die Klägerin in ihrer Revisionsbegründung zwar zu Recht darauf hin, dass der Beklagte in dem Bewilligungsbescheid vom 18.5.2006 keine Rechtsgrundlagen benennt und mit dem Begriff des Regelsatzes eine unzutreffende Bezeichnung gewählt hat. Indes hat die Klägerin aber dem Gesamtinhalt des Bescheids und den sonstigen Umständen ohne Weiteres entnehmen können, dass es um die Kürzung der ihr gewährten Regelleistung wegen einer anderweitigen Bedarfsdeckung aufgrund der Verpflegung im Krankenhaus ging. Voraussetzung für die Annahme der anderen "Auslegung einer Rechtsnorm" iS des § 40 Abs 1 Satz 2 SGB II iVm § 330 Abs 1 SGB III ist nicht, dass bereits aus dem Inhalt des Bescheids "eine solche Norm identifizierbar", dh für den Adressaten des Verwaltungsaktes erkennbar ist. Vielmehr ist darauf abzustellen, ob dem Verfügungssatz des Bescheids die Auslegung einer Rechtsnorm zugrunde liegt, von der die spätere Rechtsprechung des BSG abweicht. Dies ist hier der Fall, weil der Beklagte bei der Kürzung der Regelleistung für die Zeit des vollstationären Krankenhausaufenthalts offenbar davon ausgegangen ist, dass er die Regelleistung wegen eines verminderten Bedarfs nach § 20 SGB II - ähnlich der in § 28 Abs 1 Satz 2 SGB XII idF vor Inkrafttreten des RBEG vom 24.3.2011 (BGBl I 453) möglichen abweichenden Festlegung des Bedarfs des notwendigen Lebensunterhalts in der Sozialhilfe - verringert festlegen oder wegen verminderter Hilfebedürftigkeit nach § 9 SGB II reduzieren könne. Dabei hat er sich offenbar auf die fachlichen Hinweise der BA zu § 9 SGB II (Stand 1.6.2007) gestützt, nach denen bereitgestellte Verpflegung mit einem Wert von 35 vH der Regelleistung berücksichtigt wird, insoweit der Bedarf als gedeckt angesehen und eine Kürzung der Regelleistung vorgenommen wird (Rz 9.8, 9.14, 9.15 der Durchführungshinweise).

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Es liegt eine andere "Auslegung einer Rechtsnorm" iS des § 40 Abs 1 Satz 2 SGB II iVm § 330 Abs 1 SGB II vor, weil sich der 14. Senat des BSG in seiner Entscheidung vom 18.6.2008 (B 14 AS 22/07 R - BSGE 101, 70 ff = SozR 4-4200 § 11 Nr 11) nach Erörterungen zur nicht möglichen Berücksichtigung der "anderweit bereitgestellten Vollverpflegung" als Einkommen nach § 11 SGB II mit der im SGB II nicht zulässigen abweichenden Bestimmung der Regelleistungshöhe befasst. Dies beinhaltet eine - gegenüber der Interpretation der Beklagten - abweichende Auslegung der §§ 9, 20 SGB II (BSG aaO RdNr 22 ff). Auch wenn die - nachfolgende - ständige Rechtsprechung zu dem Ergebnis gelangt, dass keine der von dem Sozialleistungsträger herangezogenen Normen Grundlage für eine Kürzung der Regelleistung sein kann, beruht die angefochtene Verwaltungsentscheidung auf einer dieser Rechtsnormen iS des § 330 Abs 1 SGB III.

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5. Die Anwendbarkeit des § 330 Abs 1 Satz 1 SGB III für eine zeitlich nur eingeschränkte Rücknahme könnte jedoch daran scheitern, dass eine einheitliche Verwaltungspraxis der Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende zur Berücksichtigung der Krankenhausverpflegung bei den SGB II-Leistungen vor der Entscheidung des BSG vom 18.6.2008 (B 14 AS 22/07 R - BSGE 101, 70 ff = SozR 4-4200 § 11 Nr 11) nicht bestand.

22

Zwar enthält das Berufungsurteil die Feststellung, dass die Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende - wie auch hier der Beklagte - in ständiger und einheitlicher Praxis entsprechend den Durchführungshinweisen der BA die Regelleistung mit dem Bedarfsdeckungsargument gekürzt hätten. Indem das LSG mit dieser Feststellung zum Inhalt der Durchführungshinweise der BA unmittelbar auf die Praxis der Grundsicherungsträger schließt, geht es jedoch von unzutreffenden rechtlichen Maßstäben zur Annahme einer von der Rechtsprechung des BSG geforderten bundeseinheitlichen Verwaltungspraxis aller Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende im Bundesgebiet aus. Die Rechsprechung des BSG zum Arbeitsförderungsrecht, nach der einer Ablehnung des Alg eine generelle und grundsätzlich in allen gleichgelagerten Fällen praktizierte Handhabung der maßgeblichen Vorschrift zugrunde liegen müsse und sich die geforderte einheitliche Praxis der BA bereits aus dem betreffenden Runderlass bzw der Dienstanweisung nachvollziehen lasse (BSG Urteil vom 29.6.2000 - B 11 AL 99/99 R - SozR 3-4100 § 152 Nr 10 RdNr 17), kann nur eingeschränkt herangezogen werden.

23

Das LSG beachtet insofern nicht ausreichend, dass bei der von § 40 Abs 1 Satz 2 SGB II angeordneten, nur entsprechenden Anwendbarkeit des § 330 Abs 1 SGB III die besondere Struktur der Trägerschaft im SGB II zu berücksichtigen ist. Hierzu haben die beiden für die Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen Senate des BSG in jüngeren Entscheidungen im Zusammenhang mit den Leistungen kommunaler Träger nach § 6 Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB II und einer tatsächlich nicht einheitlichen Verwaltungspraxis dieser Träger betont, dass für eine Heranziehung der einschränkenden Regelung des § 330 Abs 1 SGB III eine bundeseinheitliche Verwaltungspraxis sämtlicher Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende im Bundesgebiet vorliegen müsse (vgl hierzu im Einzelnen BSG Urteil vom 15.12.2010 - B 14 AS 61/09 R; BSG Urteil vom 1.6.2010 - B 4 AS 78/09 R - BSGE 106, 155 = SozR 4-4200 § 22 Nr 36 RdNr 17). Umfasst hiervon ist auch die Leistungserbringung durch Optionskommunen nach § 6a SGB II.

24

Diese Anforderungen an die Feststellung einer bundeseinheitlichen Verwaltungspraxis betrifft also auch Leistungen in Trägerschaft der BA nach § 6 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB II. Insofern kann nicht allein aufgrund dienstlicher Hinweise der BA eine einheitliche Praxis aller Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende angenommen werden. Hierzu hat das BVerfG in seinem - erst nach gesetzgeberischer Anordnung der entsprechenden Anwendbarkeit des § 330 Abs 1 SGB III in § 40 Abs 1 Satz 2 Nr 1 SGB II ergangenen - Urteil vom 20.12.2007 zur Struktur und Aufgabenwahrnehmung durch die Arbeitsagenturen nach § 44b SGB II ausgeführt, dass weder für die Agenturen für Arbeit noch für die kommunalen Träger eine eigenverantwortliche Aufgabenwahrnehmung gewährleistet sei (2 BvR 2433/04, 2 BvR 2434/04 - BVerfGE 119, 331 ff). In den Arbeitsgemeinschaften seien unabhängige und eigenständige Entscheidungen über die Aufgabenwahrnehmung durch den jeweiligen Verwaltungsträger in weitem Umfang weder vorgesehen noch möglich. § 44b Abs 1 Satz 1 SGB II bestimme, dass die Aufgaben in den Arbeitsgemeinschaften einheitlich wahrgenommen würden. Diese einheitliche Aufgabenwahrnehmung zwinge die beiden Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende, sich in wesentlichen Fragen der Organisation und der Leistungserbringung zu einigen. Die Mitarbeiter der Arbeitsgemeinschaften würden einheitlich über die von beiden Trägern zu gewährenden Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende, insbesondere auch die zentralen Fragen wie der Erwerbsfähigkeit und Hilfebedürftigkeit, entscheiden (BVerfG aaO).

25

Wegen der nur abgestimmt möglichen Aufgabenwahrnehmung in den bis zum 31.12.2010 bestehenden Arbeitsgemeinschaften ist insbesondere für diese (aber nach der Rechtsprechung des BSG auch für Optionskommunen) die hier vom LSG nicht vorgenommene Feststellung einer einheitlichen tatsächlichen Umsetzung der für die Arbeitsgemeinschaften nicht bindenden Durchführungshinweise der BA bzw einer gleichgelagerten Handhabe erforderlich. Es muss insofern auch für die Leistungen in Trägerschaft der BA (§ 6 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB II) eine ausdrückliche Feststellung vorliegen, dass in der regelmäßigen Praxis sämtlicher Grundsicherungsträger tatsächlich entsprechend diesen Hinweisen verfahren wird (vgl Brönstrup in Hohm, GK-SGB II, § 40 RdNr 29 Stand Oktober 2008; aA wohl G. Wagner in JurisPK-SGB II, 2. Aufl 2007, § 40 RdNr 27). Bleiben Zweifel an der Einheitlichkeit der Handhabung, geht dies zu Lasten des Trägers der Grundsicherung (vgl Eicher in Eicher/Schlegel, SGB III, § 330 RdNr 19, Stand Mai 2007 auch ausführlich zur notwendigen engen Konkretisierung der Regelung; vgl hierzu auch BSG Urteil vom 8.2.2007 - B 7a AL 2/06 R - SozR 4-4300 § 330 Nr 4 RdNr 16).

26

6. Vor diesem Hintergrund wird das Berufungsgericht noch tatsächliche Feststellungen zur Verwaltungspraxis der Träger der Grundsicherung einschließlich der Optionskommunen zur Berücksichtigung von Krankenhausverpflegung vor der Entscheidung des BSG vom 18.6.2008 (B 14 AS 22/07 R - BSGE 101, 70 ff = SozR 4-4200 § 11 Nr 11) zu treffen haben. Diese Feststellungen sind dem BSG als Revisionsgericht nicht möglich.

27

Der Senat weist aber darauf hin, dass eine überschlägige Auswertung der instanzgerichtlichen Rechtsprechung Anhaltspunkte dafür ergibt, dass eine einheitliche Praxis der Träger der Grundsicherung zur Berücksichtigung der tatsächlichen Verpflegung im Krankenhaus vor der Entscheidung des BSG vom 18.6.2008 (B 14 AS 22/07 R - BSGE 101, 70 ff = SozR 4-4200 § 11 Nr 11) tatsächlich nicht bestanden haben dürfte. Vielmehr ergeben sich Hinweise darauf, dass die SGB II-Träger die tatsächliche Ersparnis der Verpflegungskosten sowohl als (fiktives) Einkommen berücksichtigt (vgl zB SG Lüneburg Urteil vom 19.5.2008 - S 25 AS 25/08; SG Koblenz Urteil vom 20.4.2006 - S 13 AS 229/05; LSG Rheinland-Pfalz Urteil vom 25.4.2008 - L 3 AS 6/07; LSG Niedersachsen-Bremen Beschluss vom 28.2.2008 - L 9 AS 7/08 ER; SG Osnabrück Urteil vom 24.1.2008 - S 24 AS 900/07; LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 3.12.2007 - L 20 AS 2/07; SG Braunschweig Urteil vom 12.10.2007 - S 19 AS 737/05) als auch - wie vorliegend - eine abweichende Bedarfsfestsetzung bei der Regelleistung vorgenommen haben (vgl zB SG Freiburg Urteil vom 24.10.2006 - S 9 AS 1557/06, info also 2007, 75 ff = ZfSH/SGB 2007, 342 ff; SG Berlin Urteil vom 24.4.2007 - S 93 AS 9826/06; SG Karlsruhe Urteil vom 9.1.2007 - S 14 AS 2026/06; LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 25.2.2008 - L 19 B 2/08 AS ER; SG Duisburg Urteil vom 27.9.2007 - S 27 (2) AS 126/06). Die Berücksichtigung der tatsächlichen Verpflegung als Einkommen oder als bedarfsmindernder Faktor hat aber grundsätzlich andere leistungsrechtliche Folgen, weil sich zB nur bei einer Berücksichtigung als Einkommen - weitere Einkünfte unterstellt - Auswirkungen auch auf die Höhe der kommunalen Leistungen ergeben können (vgl § 19 Abs 1 Satz 3 SGB II). Bei der Variante der bedarfsmindernden Berücksichtigung der tatsächlichen Verpflegung wurde zudem von den Trägern der Grundsicherung für Arbeitsuchende auch nicht nur der Minderungsbetrag in Höhe von 35 vH der Regelleistung, sondern vereinzelt auch ein solcher von 38 vH der Regelleistung berücksichtigt (vgl Sächsisches LSG Urteil vom 6.12.2007 - L 3 AS 69/07; SG Mannheim Urteil vom 28.2.2007 - S 9 AS 3882/06). Ob diese Handhabung im Einzelfall der regelmäßigen Praxis der jeweiligen Grundsicherungsträger entsprochen hat, wird das LSG noch festzustellen haben.

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Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.