Entscheidungsdatum: 28.10.2014
Der für die Abgrenzung zwischen Einkommen und Vermögen maßgebliche Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB 2 wirkt auch dann auf den Ersten des Antragsmonats zurück, wenn für die Zeit vor Antragstellung kein Leistungsanspruch besteht.
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 16. April 2013 geändert und der Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 19. Juni 2012 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 30. Juli 2012 und 14. August 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. August 2012 verurteilt, dem Kläger für Juli 2012 weitere 67,87 Euro und für August bis November 2012 monatlich jeweils weitere 192,54 Euro zu zahlen.
Im Übrigen wird die Revision des Klägers zurückgewiesen.
Der Beklagte hat dem Kläger zwei Drittel der Kosten des Rechtsstreits für beide Instanzen zu erstatten.
Streitig ist die Höhe des dem Kläger zustehenden Arbeitslosengeldes II (Alg II) für den Zeitraum vom 13.6.2012 bis 30.11.2012 unter Berücksichtigung von Überbrückungsgeld nach dem Strafvollzugsgesetz (StVollzG).
Der 1962 geborene, alleinstehende Kläger wurde am 12.6.2012 aus der Strafhaft entlassen. Am Entlassungstag erhielt er ein Überbrückungsgeld in Höhe von 1335,22 Euro in bar ausgezahlt. Am 14.6.2012 beantragte der Kläger beim beklagten Jobcenter die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Hierauf bewilligte ihm der Beklagte durch (vorläufigen) Bescheid vom 19.6.2012 Alg II (nur Regelbedarfe) für den Zeitraum vom 12. bis 30.6.2012 in Höhe von 33,33 Euro und für den Zeitraum vom 1.7.2012 bis 30.11.2012 in Höhe von monatlich 181,46 Euro. Dabei berücksichtigte er das Überbrückungsgeld in voller Höhe als einmalige Einnahme, verteilte diese auf einen Zeitraum von sechs Monaten in Höhe von 222,54 Euro monatlich und setzte hiervon im Juni 2012 eine anteilige Versicherungspauschale in Höhe von 19 Euro und in den Monaten Juli bis November 2012 in Höhe von jeweils 30 Euro ab.
Der Kläger legte Widerspruch ein und teilte mit, dass er Ende Juli 2012 eine Wohnung beziehe, für die ab 1.8.2012 Aufwendungen für die Unterkunft und Heizung in Höhe von 180 Euro monatlich entstünden. Hierauf bewilligte ihm der Beklagte durch Änderungsbescheid vom 30.7.2012 für den Zeitraum vom 1.8.2012 bis 30.11.2012 Alg II in Höhe von monatlich 361,46 Euro (181,46 Euro Regelbedarf und 180 Euro Bedarfe für Unterkunft und Heizung). Durch einen weiteren Änderungsbescheid vom 14.8.2012 bewilligte der Beklagte dem Kläger für den Zeitraum vom 12. bis 30.6.2012 Alg II in Höhe von 44,33 Euro (Erhöhung des Regelbedarfs um 11 Euro aufgrund der nunmehr vollen Absetzung der Versicherungspauschale in Höhe von 30 Euro im Juni 2012) und wies durch Widerspruchsbescheid vom 22.8.2012 den Widerspruch als unbegründet zurück.
Das Sozialgericht (SG) hat die hiergegen erhobene Klage auf höheres Alg II abgewiesen. Der Alg II-Antrag des Klägers vom 14.6.2012 wirke auf den 1.6.2012 zurück, was sich aus § 37 Abs 2 Satz 2 SGB II ergebe. Da der Kläger sich bis zum 12.6.2012 in Haft befunden habe, habe er nach § 7 Abs 4 SGB II ab dem 12.6.2012 einen Leistungsanspruch. Deshalb sei das ihm an diesem Tag ausgezahlte Überbrückungsgeld Einkommen und als einmalige Einnahme für die Zeit vom 12.6.2012 bis 30.11.2012 leistungsmindernd zu berücksichtigen.
Der Kläger hat die vom SG zugelassene Sprungrevision eingelegt und rügt die Verletzung von § 37 Abs 2 Satz 2 SGB II. Rückwirkung auf den Monatsersten entfalte der Alg II-Antrag nur, wenn zu diesem Zeitpunkt alle Leistungsvoraussetzungen vorlägen, was bei einem Ausschlusstatbestand wie nach § 7 Abs 4 SGB II nicht gegeben sei. Das Überbrückungsgeld sei deshalb (geschütztes) Vermögen und nicht zu berücksichtigendes Einkommen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 16. April 2013 aufzuheben und den Beklagten unter Änderung des Bescheides vom 19. Juni 2012 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 30. Juli 2012 und 14. August 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. August 2012 zu verurteilen, ihm höheres Arbeitslosengeld II für die Zeit vom 13. Juni 2012 bis 30. November 2012 ohne Anrechnung der ihm am 12. Juni 2012 ausgezahlten 1335,22 Euro zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die zulässige Sprungrevision des Klägers ist teilweise begründet (§ 170 Abs 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz <SGG>). Zwar ist das ihm im Juni 2012 vor Antragstellung ausgezahlte Überbrückungsgeld als Einkommen zu berücksichtigen (dazu unter 3.), jedoch nur für die Zeit vom 13.6.2012 bis zum 10.7.2012 (dazu unter 4.). Aus dieser eingeschränkten Berücksichtigung ergeben sich die tenorierten Nachzahlungen (dazu unter 5.). Die weitergehende Revision des Klägers ist unbegründet und zurückzuweisen (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG).
1. Streitgegenstand sind das Urteil des SG vom 16.4.2013 und der Bescheid des Beklagten vom 19.6.2012 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 30.7.2012 und 14.8.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.8.2012, durch die der vom Kläger geltend gemachte Anspruch auf höheres Alg II im streitbefangenen Zeitraum vom 13.6.2012 bis 30.11.2012 abgelehnt worden ist. Die jeweils höchsten Leistungen regelte für Juni 2012 der Änderungsbescheid vom 14.8.2012, für Juli 2012 der Bescheid vom 19.6.2012 und für die Monate August bis November 2012 der Änderungsbescheid vom 30.7.2012, weshalb alle drei Bescheide in Gestalt des Widerspruchsbescheides Streitgegenstand sind.
2. Rechtsgrundlage für den vom Kläger geltend gemachten Anspruch auf höheres Alg II sind §§ 19 ff iVm § 7 SGB II in der im streitbefangenen Zeitraum geltenden Fassung seit dem 1.4.2011 (Bekanntmachung der Neufassung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch vom 13.5.2011, BGBl I 850, die den zuletzt durch das Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24.3.2011, BGBl I 453, am 1.4.2011 erreichten Stand berücksichtigt). Denn in Rechtsstreitigkeiten über schon abgeschlossene Bewilligungsabschnitte ist das zum damaligen Zeitpunkt geltende Recht anzuwenden.
Die Grundvoraussetzungen, um Alg II zu erhalten (§ 7 Abs 1 Satz 1 SGB II) - bestimmtes Alter, Erwerbsfähigkeit und ein gewöhnlicher Aufenthalt in Deutschland -, erfüllte der Kläger im streitbefangenen Zeitraum; ebenso wenig lag ein Ausschlusstatbestand vor (vgl § 7 Abs 1 Satz 2, Abs 4 und 5 SGB II), wie sich aus dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des SG ergibt.
Den Lebensunterhaltsbedarf des Klägers nach dem SGB II (Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von 374 Euro monatlich und Bedarfe für Unterkunft und Heizung ab 1.8.2012 in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen von 180 Euro monatlich) haben der Beklagte und das SG zutreffend festgestellt.
3. Diesem Bedarf ist das dem Kläger am 12.6.2012 ausgezahlte Überbrückungsgeld als zu berücksichtigendes Einkommen gegenüberzustellen.
Seine Hilfebedürftigkeit (§ 7 Abs 1 Satz 1 Nr 3 SGB II) bestimmt sich danach, ob oder inwieweit er seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern konnte und die erforderliche Hilfe nicht von anderen erhielt (§§ 9, 11 bis 11b und 12 SGB II). Nach dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des SG erhielt der Kläger im streitbefangenen Zeitraum keine zu berücksichtigenden Hilfen anderer. Als zu berücksichtigendes Einkommen stand ihm nur das Überbrückungsgeld zur Verfügung. Andere Einnahmen erzielte und über anderes Vermögen verfügte der Kläger nach den bindenden Feststellungen des SG im streitbefangenen Zeitraum nicht.
a) Nach § 11 Abs 1 Satz 1 SGB II sind als Einkommen zu berücksichtigen Einnahmen in Geld oder Geldeswert abzüglich der nach § 11b SGB II abzusetzenden Beträge mit Ausnahme der in § 11a SGB II genannten Einnahmen. Nach § 12 Abs 1 SGB II sind als Vermögen alle verwertbaren Vermögensgegenstände zu berücksichtigen.
Maßgebliches Differenzierungskriterium für die Abgrenzung zwischen Einkommen und Vermögen ist grundsätzlich der Zeitpunkt des tatsächlichen Zuflusses bereiter Mittel: Danach ist Einkommen iS des § 11 Abs 1 Satz 1 SGB II alles das, was jemand nach Antragstellung wertmäßig dazu erhält, und Vermögen iS des § 12 Abs 1 SGB II das, was jemand vor Antragstellung bereits hatte (modifizierte Zuflusstheorie: vgl nur BSG Urteil vom 30.7.2008 - B 14 AS 26/07 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 17 RdNr 23; BSG Urteil vom 22.8.2013 - B 14 AS 78/12 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 63 RdNr 27 mwN). An der Maßgeblichkeit dieses Differenzierungskriteriums zwischen Einkommen und Vermögen ist auch für das Überbrückungsgeld nach § 51 StVollzG festzuhalten. Denn vor der Haftentlassung und Auszahlung durch die Justizverwaltung kann der Gefangene über das Geld nicht frei verfügen; das Überbrückungsgeld-Konto ist nicht einem Sparbuch vergleichbar, auf dem mit bereits erlangten Einkünften von dem Gefangenen ein gezielter "Vermögensaufbau" betrieben wurde (vgl dazu bereits BSG Urteil vom 22.8.2013 - B 14 AS 78/12 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 63 RdNr 28 bis 30 mwN).
b) Das dem Kläger am 12.6.2012 und damit vor Antragstellung am 14.6.2012 und auch vor dem beantragten Leistungsbeginn am 13.6.2012 ausgezahlte Überbrückungsgeld war zu diesem Auszahlungszeitpunkt zu berücksichtigendes Einkommen und kein (geschütztes) Vermögen. Denn entgegen der Ansicht des Klägers bewirkt § 37 Abs 2 Satz 2 SGB II, dass ein Alg II-Antrag grundsätzlich auf den Ersten des Monats der Antragstellung zurückwirkt und die in diesem Monat anfallenden Einnahmen auch vor Antragstellung nicht als Vermögen, sondern als Einkommen anzusehen sind.
Nach § 37 SGB II werden SGB II-Leistungen auf Antrag erbracht (Abs 1 Satz 1). Sie werden nicht für Zeiten vor der Antragstellung erbracht (Abs 2 Satz 1). Der Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts wirkt auf den Ersten des Monats zurück (Abs 2 Satz 2).
aa) Zwar konnte der Kläger die leistungsrechtliche Wirkung seines Antrags auf Alg II vom 14.6.2012 auf die Zeit ab 13.6.2012 beschränken. Hierfür kommt es nicht darauf an, ob seine Rechtsauffassung zutrifft, dass er am 12.6.2012, dem Haftentlassungstag, noch nach § 7 Abs 4 Satz 2 SGB II von Alg II-Leistungen ausgeschlossen war und erst ab 13.6.2012 die Leistungsvoraussetzungen erfüllte. Denn der Antragsteller auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II kann im Rahmen seiner Dispositionsfreiheit (ne ultra petita) durch seinen Antrag bestimmen, ab welchem Zeitpunkt er einen Leistungsanspruch geltend macht (vgl zur den Verfahrensgegenstand begrenzenden Funktion des Antrags Burkiczak in BeckOK SGB II, § 37 RdNr 4, 4a, Stand 1.9.2014; vgl zur Rücknahme eines Antrags Link in Eicher, SGB II, 3. Aufl 2013, § 37 RdNr 20).
Die Zulässigkeit einer Bestimmung, ab welchem Zeitpunkt ein Leistungsanspruch geltend gemacht wird, folgt aus dem gesetzlichen Antragsgrundsatz und -erfordernis selbst. Leistungen werden nicht ohne Rücksicht auf ein konkretes Leistungsbegehren erbracht. Mit der Erbringung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts sind zudem nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten für den Leistungsempfänger verbunden. Die Entscheidung über die Inanspruchnahme von Leistungen und den damit verbundenen Eintritt in den Pflichtenkreis des SGB II bleibt dem Antragsteller vorbehalten, der grundsätzlich auch über den Beginn der Leistungsinanspruchnahme bestimmen kann.
Es ist eine im Einzelfall zu entscheidende Frage, ob diese Bestimmung rechtlich beachtlich ist. Jedenfalls die zeitliche Beschränkung eines Leistungsantrags - wie hier auf den Tag nach Haftentlassung - auf einen Leistungsbeginn im Antragsmonat zwischen dem Ersten dieses Monats und dem Tag der Antragstellung und nach Wegfall eines Leistungsausschlusstatbestandes ist nach § 37 SGB II rechtlich beachtlich. Dass der frühestmögliche Leistungsbeginn nach Wegfall eines Leistungsausschlusstatbestandes beantragt wird, ist nicht erforderlich.
bb) Durch diese zulässige leistungsrechtliche Beschränkung seines Antrags auf die Zeit ab 13.6.2012 konnte der Kläger indes nicht die hiervon zu unterscheidende weitere Wirkung seines Antrags, dass für die Abgrenzung zwischen Einkommen und Vermögen der Erste des Monats der Antragstellung maßgeblich ist, ausschließen.
Die Maßgeblichkeit des Monatsersten ergibt sich aus dem Wortlaut des § 37 Abs 2 Satz 2 SGB II, der Gesetzessystematik, der Entstehungsgeschichte dieser Vorschrift und deren Sinn und Zweck. Der Wortlaut, nach dem der Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts auf den Ersten des Monats zurückwirkt, ist knapp und bedingungslos formuliert. Er bietet keinen Anknüpfungspunkt dafür, dass dem Antrag diese Rückwirkung nur unter bestimmten Voraussetzungen zukommt. Insbesondere lässt sich dem Wortlaut des § 37 Abs 2 Satz 2 SGB II nicht entnehmen, dass die Rückwirkung auf den Monatsersten das Bestehen eines Leistungsanspruchs oder auch nur das Fehlen von Leistungsausschlusstatbeständen am Monatsersten voraussetzt.
Nichts anderes folgt aus einer Betrachtung der Gesetzessystematik. Zwar bestimmt § 37 Abs 2 Satz 1 SGB II, dass Leistungen nach dem SGB II nicht für Zeiten vor der Antragstellung erbracht werden. Eben hierzu enthält indes der speziellere § 37 Abs 2 Satz 2 SGB II, der von den Leistungen nach dem SGB II nur die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts betrifft, eine Ausnahme. Dass § 37 Abs 2 Satz 2 SGB II eine gegenüber der allgemeinen Regelung des § 37 Abs 2 Satz 1 SGB II speziellere Regelung ist, erhellt auch aus § 37 Abs 2 Satz 3 SGB II, der durch das Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 7.5.2013 (BGBl I 1167) mit Wirkung vom 1.8.2013 nach dem hier streitbefangenen Zeitraum Eingang in das SGB II gefunden hat. Denn danach wirkt der Antrag auf Leistungen für die Bedarfe nach § 28 Abs 7 SGB II, soweit daneben andere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts erbracht werden, auf den Beginn des aktuellen Bewilligungszeitraums nach § 41 Abs 1 Satz 4 bzw 5 SGB II zurück. Damit ist dem alle Leistungen nach dem SGB II erfassenden § 37 Abs 2 Satz 1 SGB II eine weitere Regelung hinzugefügt, die nur eine bestimmte Leistung nach dem SGB II betrifft. Im Anwendungsbereich der Spezialregelung des § 37 Abs 2 Satz 2 SGB II geht dieser der allgemeinen Regelung nach § 37 Abs 2 Satz 1 SGB II vor. Für die Erbringung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts kommt es statt auf den Tag der Antragstellung auf den Ersten des Monats der Antragstellung an.
Dies stimmt systematisch zusammen mit dem im SGB II geltenden und in der Rechtsprechung des BSG bereits mehrfach betonten Monatsprinzip (vgl zum Monatsprinzip des SGB II BSG Urteil vom 9.4.2014 - B 14 AS 23/13 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in SozR 4-4200 § 22 Nr 75 RdNr 27 mwN): Der in einem Monat gestellte Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts wirkt auf den Ersten des Monats zurück (§ 37 Abs 2 Satz 2 SGB II). Der Monat wird mit 30 Tagen berechnet (§ 41 Abs 1 Satz 2 SGB II). Der Regelbedarf wird als monatlicher Pauschalbetrag berücksichtigt (§ 20 Abs 1 Satz 3 SGB II). Laufende Einnahmen sind für den Monat zu berücksichtigen, in dem sie zufließen (§ 11 Abs 2 Satz 1 SGB II). Einmalige Einnahmen sind in dem Monat, in dem sie zufließen, zu berücksichtigen (§ 11 Abs 3 Satz 1 SGB II). Es sind nach dieser Systematik die Bedarfe eines Monats den Bedarfsdeckungsmöglichkeiten dieses Monats gegenüberzustellen. Eine Unterdeckung begründet den Leistungsanspruch für diesen Monat.
Diese monatsweise Betrachtung dient, wie auch ein Blick auf die Entstehungsgeschichte bestätigt, nicht nur der Verwaltungsvereinfachung. Denn sie soll verhindern, dass durch die zeitliche Verschiebung des Antrags in einem Monat in diesem Monat zur Verfügung stehende Bedarfsdeckungsmöglichkeiten unberücksichtigt bleiben. Anders als die grundsätzlich zulässige leistungsrechtliche Verschiebung der Antragswirkung durch den Antragsteller auf einen bestimmten Leistungsbeginn soll der für die Abgrenzung von Einkommen und Vermögen maßgebliche Zeitpunkt der Antragstellung auf den Ersten des Monats der Antragstellung fixiert sein. Zur Nachrangsicherung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II soll durch § 37 Abs 2 Satz 2 SGB II die Abgrenzungswirkung der Antragstellung mit Blick auf Einkommen und Vermögen der Disposition des Antragstellers im Antragsmonat entzogen sein. Entsprechend ist in der Begründung des Gesetzentwurfs ausgeführt, dass mit § 37 Abs 2 Satz 2 SGB II dem geltenden Nachranggrundsatz stärker als bislang Rechnung getragen wird: "Einnahmen, die vor Antragstellung im Antragsmonat zufließen, sind als Einkommen bei der Feststellung des Leistungsanspruchs zu berücksichtigen" (BT-Drucks 17/3404 S 114 zu § 37; ebenso S 94 zu § 11).
Dieser Sinn und Zweck des § 37 Abs 2 Satz 2 SGB II, der auch in der Begründung des Gesetzentwurfs seinen Ausdruck gefunden hat, spricht dafür, die Vorschrift beim Wort zu nehmen: Der Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts wirkt auf den Monatsersten zurück, ohne dass diese Rückwirkung zur Voraussetzung hat, dass am Monatsersten ein Leistungsanspruch besteht oder auch nur ein Leistungsausschlusstatbestand nicht eingreift.
Die für die Abgrenzung zwischen Einkommen und Vermögen maßgebliche Rückwirkung des Antrags auf den Ersten des Monats der Antragstellung gilt auch dann, wenn am Monatsersten noch ein Leistungsausschlusstatbestand - wie vorliegend die Strafhaft des Klägers aufgrund von § 7 Abs 4 Satz 2 SGB II - eingreift. Dass Leistungen erst bei Vorliegen der Leistungsvoraussetzungen und Nichtvorliegen von Leistungsausschlussgründen gewährt und damit ggf erst ab einem späteren Zeitpunkt als dem Monatsersten der Antragstellung beansprucht werden können, hindert nicht die Anknüpfung an den Ersten des Monats der Antragstellung für die Abgrenzung zwischen Einkommen und Vermögen. Hierfür kommt es allein auf das tatsächliche Ereignis der Antragstellung in diesem Monat an (vgl zur Antragsrückwirkung und deren Folgen für die Abgrenzung zwischen Einkommen und Vermögen Aubel in jurisPK-SGB II, Online-Ausgabe, § 37 RdNr 11, 30, 30.1, 46, 46.1, Stand: 29.8.2014; Bittner in Estelmann, SGB II, § 37 RdNr 59, Stand Dezember 2013; Link in Eicher, SGB II, 3. Aufl 2013, § 37 RdNr 40; Schoch in Münder, SGB II, 5. Aufl 2013, § 37 RdNr 20; Spellbrink/G. Becker in Kreikebohm/Spellbrink/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, 3. Aufl 2013, §§ 36-45 SGB II RdNr 2 bis 3; Valgolio in Hauck/Noftz, SGB II, K § 37 RdNr 8, 38, Stand IV/2014).
4. Das Überbrückungsgeld ist nur für die Zeit vom 13.6.2012 bis zum 10.7.2012 als Einkommen leistungsmindernd zu berücksichtigen, weil das Überbrückungsgeld nach § 51 Abs 1 StVollzG der öffentlich-rechtlichen Zweckbestimmung unterliegt, dass es den notwendigen Lebensunterhalt des Gefangenen und seiner Unterhaltsberechtigten für die ersten vier Wochen nach seiner Entlassung sichern soll.
a) Das dem Kläger am Haftentlassungstag ausgezahlte Überbrückungsgeld ist eine einmalige Einnahme iS des § 11 Abs 3 SGB II. Bei diesen Einnahmen erschöpft sich das Geschehen in einer einzigen Leistung, anders als bei laufenden Einnahmen, die auf demselben Rechtsgrund beruhen und regelmäßig erbracht werden (vgl zum Begriff der einmaligen Einnahme BSG Urteil vom 21.12.2009 - B 14 AS 46/08 R - Juris RdNr 14; vgl zum Überbrückungsgeld als einmaliger Einnahme BSG Urteil vom 22.8.2013 - B 14 AS 78/12 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 63 RdNr 35 ff).
Für die Berücksichtigung einmaliger Einnahmen schreibt § 11 Abs 3 SGB II einen besonderen Anrechnungsmodus vor. Danach sind sie in dem Monat, in dem sie zufließen, zu berücksichtigen (Satz 1). Sofern für den Monat des Zuflusses bereits Leistungen ohne Berücksichtigung der einmaligen Einnahme erbracht worden sind, werden sie im Folgemonat berücksichtigt (Satz 2). Entfiele der Leistungsanspruch durch die Berücksichtigung in einem Monat, ist die einmalige Einnahme auf einen Zeitraum von sechs Monaten gleichmäßig aufzuteilen und monatlich mit einem entsprechenden Teilbetrag zu berücksichtigen (Satz 3).
b) Von diesem gesetzlich normierten Anrechnungsmodus nach § 11 Abs 3 SGB II für einmalige Einnahmen ist jedoch für das Überbrückungsgeld nach § 51 Abs 1 StVollzG abzuweichen. Dies folgt seit der Neufassung der §§ 11 ff SGB II mit Wirkung vom 1.4.2011 aus § 11a Abs 3 Satz 1 SGB II, wonach Leistungen, die aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften zu einem ausdrücklich genannten Zweck erbracht werden, nur so weit als Einkommen zu berücksichtigen sind, als die Leistungen nach dem SGB II im Einzelfall demselben Zweck dienen.
Diese gegenüber der allgemeinen Regelung in § 11 SGB II speziellere Bestimmung über die einnahmeartenspezifische Abgrenzung von zu berücksichtigendem und nicht zu berücksichtigendem Einkommen gilt auch für einmalige Einnahmen (vgl zur Abweichung vom Anrechnungsmodus für einmalige Einnahmen auf der Grundlage des vor der Neufassung geltenden Rechts BSG Urteil vom 22.8.2013 - B 14 AS 78/12 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 63 RdNr 35 bis 37). §§ 11a und 11b SGB II insgesamt enthalten Regelungen, die sowohl für laufende als auch für einmalige Einnahmen relevant sein können; Regelungen insbesondere für einmalige Einnahmen sind zB § 11a Abs 2, § 11b Abs 1 Satz 2 SGB II. Im Rahmen dieser Systematik erfasst auch § 11a Abs 3 Satz 1 SGB II, der weder ausdrücklich noch der Sache nach nur auf eine der beiden Einnahmeformen angewendet werden kann, laufende ebenso wie einmalige Einnahmen. Die durch § 11a Abs 3 Satz 1 SGB II bewirkte einnahmeartenspezifische Ausgrenzung von Leistungen, die aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften zu einem ausdrücklich genannten Zweck erbracht werden, vom zu berücksichtigenden Einkommen gilt, soweit sie greift, neben den allgemeinen Berücksichtigungsregeln sowohl für laufende Einnahmen nach § 11 Abs 2 SGB II als auch für einmalige Einnahmen nach § 11 Abs 3 SGB II.
Das Überbrückungsgeld ist aufgrund der öffentlich-rechtlichen Vorschrift des § 51 StVollzG eine Leistung, die iS des § 11a Abs 3 Satz 1 SGB II zu einem ausdrücklich genannten Zweck erbracht wird. Denn das Überbrückungsgeld soll nach § 51 Abs 1 StVollzG "den notwendigen Lebensunterhalt des Gefangenen und seiner Unterhaltsberechtigten für die ersten vier Wochen nach seiner Entlassung sichern". Damit dient es demselben Zweck wie das Alg II als eine der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II (vgl dazu BSG Urteil vom 22.8.2013 - B 14 AS 78/12 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 63 RdNr 34 mwN).
Indes dient das Überbrückungsgeld demselben Zweck wie das Alg II nur für die ersten vier Wochen nach Haftentlassung. Es ist deshalb nur "so weit" iS des § 11a Abs 3 Satz 1 SGB II als Einkommen zu berücksichtigen, soweit auch in zeitlicher Hinsicht die Zweckidentität von Überbrückungsgeld und Alg II reicht. Hieraus ergibt sich vorliegend eine Anrechnungszeit für die ersten vier Wochen der begehrten Alg II-Leistungen nach Haftentlassung am 12.6.2012, dh für die 28 Tage vom 13.6.2012 bis zum 10.7.2012.
5. Aus der Berücksichtigung des Überbrückungsgeldes als einmalige Einnahme nur für die Zeit vom 13.6.2012 bis zum 10.7.2012 ergeben sich die tenorierten Nachzahlungen von 67,87 Euro für Juli 2012 und jeweils 192,54 Euro für August bis November 2012. Diese errechnen sich im Einzelnen wie folgt:
Im Juni 2012 betrug der rechnerische Bedarf des Klägers 224,40 Euro (monatlicher Regelbedarf 374 Euro für die 18 Tage vom 13. bis 30.6.2012). Aufgrund des für die Zeit vom 13. bis 30.6.2012 zu berücksichtigenden Überbrückungsgeldes (18/28 von 1335,22 Euro = 858,36 Euro, abzüglich der hier allein abzusetzenden Versicherungspauschale von 30 Euro insgesamt 828,36 Euro) ergibt sich in diesem Monat kein Leistungsanspruch. Dass dem Kläger für Juni 2012 vom Beklagten 44,33 Euro bewilligt und gezahlt worden sind, ist für die hier vorzunehmende Berechnung der jeweils monatlichen Höhe des Leistungsanspruchs im streitbefangenen Zeitraum ohne Belang.
Im Juli 2012 betrug der rechnerische Bedarf des Klägers 374 Euro (Regelbedarf; keine Bedarfe für Unterkunft und Heizung), hiervon für die 10 Tage vom 1. bis 10.7.2012 anteilig 124,67 Euro. Aufgrund des nur für die Zeit vom 1. bis 10.7.2012 zu berücksichtigenden Überbrückungsgeldes (10/28 von 1335,22 Euro = 476,86 Euro, abzüglich der hier allein abzusetzenden Versicherungspauschale von 30 Euro insgesamt 446,86 Euro) ergibt sich in diesem Monat kein Leistungsanspruch vom 1. bis 10.7.2012 und für die 20 Tage vom 11. bis 31.7.2012 (vgl § 41 Abs 1 Satz 2 SGB II) ein Leistungsanspruch in Höhe von 249,33 Euro (374 Euro - 124,67 Euro). Da dem Kläger für Juli 2012 vom Beklagten nur 181,46 Euro bewilligt und gezahlt worden sind, sind aufgrund des Monatsprinzips weitere 67,87 Euro zu zahlen.
Für August bis November 2012 betrug der monatliche Bedarf des Klägers 554 Euro (374 Euro Regelbedarf, 180 Euro Bedarfe für Unterkunft und Heizung). Überbrückungsgeld ist in diesen Monaten nicht zu berücksichtigen. Da dem Kläger für diese Monate vom Beklagten jeweils nur 361,46 Euro bewilligt und gezahlt worden sind, sind jeweils weitere 192,54 Euro zu zahlen.